@hallo-ho Aus meinem (nicht Heinrich Bölls) "Irischem Tagebuch":
Fun at the Fair
Vor vielen Jahren war ich mit meiner Familie in Irland auf einer Country Fair in einem verschlafenen Kaff, in dem irgendwelche entfernten (im Sinne von "Fleckentferner") Verwandten in Verbannung lebten. Das ist offenbar das grösste lokale Ereignis seit dem Osteraufstand. Man stelle sich eine Mischung aus Jahrmarktsrummel, Kleingärtner-Ausstellung (Welche Frau hat die dicksten Kürbisse?), Landwirtschafts-Fachmesse, Tiermarkt und musikalisch untermaltem Kollektivbesäufnis vor. Dann hat man ein ziemlich genaues Bild.
Man kann sich auf alberne Schätzfragen einlassen: "Wie viele Erbsen sind in diesem Glas?" "Wie viele Guinness passen in Sean?" "Wie viele Torten in Molly?". Wenn man Pech hat, gewinnt man etwas Unpraktisches wie eine Gärtnerschürze, ein nicht funktionierendes Multifunktionswerkzeug, einen hässlichen selbstgestrickten Pullover oder ein noch hässlicheres und unpraktischeres Viehzeug: Kaninchen, Ziege, Aquariumfische.
Bei drallen Landmädels, die aussehen, als würden sie fünfzig Prozent ihrer Produktion selbst konsumieren, kann man selbstgebackene Torten, Kuchen, Kekse erwerben. Dazu ungeniessbaren Kaffee, Tee oder selbstgemachte Limonaden bzw. obskure Fruchtsäfte (Knoblauch-Rhabarber). Etwas weiter weg, wo sich die rotnasigen Herren sammeln, gibt es Bier und Schnaps. Eigentlich ganz so, wie ich es auch aus Nordfriesland kenne. Ab und zu fällt mal einer um und wird von treusorgenden Nachbarn mit der Schubkarre nach Hause gefahren. Jeder ist mal dran.
Dazwischen stehen bemitleidenswerte Tiere zum Verkauf. Bleibt man lange genug stehen (Zwei Sekunden), wird man in breitestem Iren-Slang oder gleich auf Gälisch angequatscht, ob man dieses einmalige Prachttier, mit phänomenaler Woll-, Fleisch- oder Milchleistung, Träger(in) zahlreicher lokaler Preise, nicht für ein Spottgeld erwerben möchte. Mir passierte das mal mit einer Schwarzbunten. Die Kühe heissen im angelsächsischen Sprachraum "Holsteiner". So werden sie jedenfalls geschrieben, gesprochen klingt das, zumindest im irischen Outback, katastrophal anders. Als ich antwortete, dass ich momentan keinen Bedarf für eine Milchkuh hätte, und auch keine passende Tasche dabei, liess Bauer Rotnase nicht locker. An meinem Akzent hatte er wohl erkannt, dass ich "from the continent" sei. Offengestanden klingt mein Englisch laut Aussage meiner Ehefrau wie das eines zweitklassigen Schmierenkomödianten, der in einer Billig-TV-Kriegsserie den bösen Nazi-Offizier gibt: "Maken snell, you english Schweinhound. Zackzackjawollsiegheil." Hackenklapp!
Ich erzählte ihm, dass ich aus Schleswig-Holstein käme, da wo auch der Ursprung seines Milchtieres sei. "Oh, then you should bring her home!" Na, den Teufel werde ich tun und Eulen nach Athen bzw. Holsteiner nach Schleswig-Holstein tragen. Ich sagte etwas von Milch- bzw. Kuhallergie meiner Frau und zog des Weges.
Nächster Fehler: Traktor angucken. Gab sonst ja nicht so viel interessante Dinge zu sehen. "Oh, Sir, wollen Sie einen Traktor kaufen?" "Äh, nicht gerade jetzt... ich bin auch nicht von hier" "Oh, Sir, wir verschiffen weltweit!" Dann zog er mich in die Kabine und fummelte an den Hebeln 'rum. (Des Traktors, nicht seinem oder meinem) Ich heuchelte Interesse, während er klagte, dass die Geschäfte so schlecht liefen und er auf Provisionsbasis arbeiten würde und unbedingt einen Traktor verkaufen müsste. Jammer, Wehklag! Mein Scherz, mit dem ich sonst Autoverkäufer auf der Insel abwehre (Das Lenkrad ist aber falsch montiert!) funktioniert beim Trecker nun mal leider nicht. Aber gerade rechtzeitig kam Eileen dazu und fragte mich, was ich wieder für einen Blödsinn anstellen würde. "Na, ich wollte dem armen Kerl hier gerade diesen Traktor abkaufen. Weisst Du, er und seine Frau und seine - äh, waren es zehn oder zwanzig Kinder, John? - die verhungern sonst."
Es folgte ein hitziger Wortwechsel zwischen Eileen und John. Wobei... Das ist nicht korrekt wiedergegeben. Eileen redete wasserfallartig auf den immer trauriger guckenden Kerl ein. Ich bekam ja nicht alles mit, aber von einem unzurechnungsfähigen Ehemann und von absolut falschen Verkaufsstrategien war die Rede. Und er solle sie mal machen lassen. Dann übernahm sie das Marketing, sprach wirklich jeden an, pries die rasch angelesenen technischen Vorzüge des Geräts, verwies auf John "Mein Assistent zeigt Ihnen die Funktionen" und ich zog weiter, die Kinder suchen. Die waren damals noch kleiner und teilten geschwisterlich Kuchen, dessen Geniessbarkeit sie in Zweifel zogen, mit Enten und Kaninchen. Um keinen Ärger mit den Tierhaltern einzuhandeln, schleppte ich meinen Nachwuchs in diverse dubiose Schleudergeräte. Das rächte sich auf der Rückfahrt bitter. But that's a different story.
Nach ein paar Stunden gingen wir mal nach Ehefrau und Mutter gucken. Am Traktor prangte das Schild "Sold" - und ein überglücklicher John lud uns zu einem Drink (irische Umschreibung für Saufen bis der Arzt kommt) in den lokalen Pub (also das lokale Lokal) ein. Aus einem wurden mehrere, die ich natürlich alle von meiner Privattrinkerin (andere haben Privatsekretärinnen) schlucken liess. Ich saufe nicht. Ich lasse saufen.
Mit drei Menschen an bzw. über der Kotzgrenze fuhr ich dann zu unseren Gastgebern zurück. Und natürlich hatte das Auto das Lenkrad auf der falschen Seite!