Treffen sichvier Selbstmordkandidaten auf dem Dach eines Hochhauses... Das Buch fängt an wie einschlechter Witz. Doch die Pointen steigern sich, nach und nach wird es richtig lustig daoben am Abgrund. Man könnte das auch tragikomisch nennen. Aber literarische Schnörkelsind nicht Nick Hornbys Sache. Er schreibt, wie es ist. Früher über Jungs, die Fußballlieben und Platten sammeln. Und jetzt über Lebensmüde, die doch nicht springen. Einfachso. Dafür schätzen die Leser ihren Bestsellerautor. Einfach? So?
Huch, einMoralist
Dabei beginnen die Schwierigkeiten schon auf dem Umschlag. A long way downheißt der neue Roman. Wie alle Titel des Autors (About a Boy, 31 Songs...) ist er nichtübersetzt. Hornby wird als der Typ fürs Authentische, fürs Originale verkauft. Obwohl erbekennender Rock-Fanatiker ist, gilt der Brite als Pop-Literat. Also müssen seine Bücherdiesen Anstrich von Jugendlichkeit und Coolness haben, der anscheinend in einem deutschenTitel nicht rüberkommt.
Jung und cool ist leider genau das, was die vier Menschenauf dem Londoner Hochhaus nicht sind. Jess ist zwar erst 18, aber sie ist Punk pur,zugedröhnt mit Bacardi und aggressiv wie Salzsäure, seitdem ihre Schwester von einerKlippe gesprungen ist. Ex-TV-Moderator Martin wollte "die Krankheit des Älterwerdens"durch Sex mit einer 15-Jährigen kurieren - bekam eine Gefängnisstrafe und verlor Job undFamilie. JJ wurde von seiner Band verlassen. Er hält Selbstmord tatsächlich für einecoole Lösung à la Kurt Cobain - bis er auf dem Dach Maureen trifft, die Frau inGesundheitsschuhen, die seit 20 Jahren ihren Sohn im Wachkoma pflegt und keine Kraft mehrhat.
Weil keiner der vier damit gerechnet hat, dass es auf dem Selbstmord-Hochhaus"am Silvesterabend zugehen würde wie auf dem Piccadilly Circus", beschließt man, dasAbleben drei Monate zu vertagen - und es bis dahin zu versuchen, gemeinsam. Das klingtverdächtig uncool nach Nächstenliebe und Punks auf dem Pilgerpfad. Die Überraschung füralle Anhänger poppiger Bücher: Genau so ist es gemeint. Nick Hornby ist Moralist. Dass erdrei Menschen, die ihr Leben fahrlässig verbockt haben, die Mutter einesSchwerbehinderten vor die Nase setzt, ist keine Effekthascherei, sondern aus dem Lebengegriffen, aus dem eigenen. Hornby hat einen autistischen Sohn.
Ja, ein Buch, dasbetroffen macht. Mit Vergnügen. Weil der Autor entgegen aller Gerüchte nicht einfachschreibt, sondern einfach genial. Nick Hornby hebt den moralischen Zeigefinger, um seineLeser damit auszukitzeln. Maureen erzählt auf dem Hochhaus-Sims, sie habe nichtsgegessen, "weil mit vollem Magen vom Dach zu springen, das wäre, als würde man einvollgetanktes Auto verkaufen" - und wir sind nicht sicher, ob wir uns vor Lachen oder ausWeltschmerz krümmen. Banalität und Bodenlosigkeit liegen bei Hornby eng beieinander, dochder Brite hält immer die Balance, auch auf dem schmalen Sims einesHochhauses.
Sentimental und saukomisch
Es ist diese Mischung aus sentimentalund saukomisch, die in der deutschen Literatur keine Entsprechung hat. Den Titel dagegenkann man locker übersetzen. A long way down - beschreibt keinen langen Abstieg, sondernein langsames Wiederhochkommen