Kinderdorfmutter meldet sich per Brief
Die Nachricht, dass sich die vermisste Elke Wollschläger in Berlin aufhält, hat bei ihren Kindern und im SOS-Kinderdorf für Erleichterung gesorgt. Doch einige ihrer Pflegekinder erheben auch Vorwürfe gegen die Einrichtung.
Zwickau. Die Zeit der quälenden Ungewissheit ist vorbei. Polizeiliche Ermittlungen haben ergeben, dass die SOS-Kinderdorfmutter Elke Wollschläger, die seit 1. Oktober vermisst worden war, zurzeit in Berlin lebt. Inzwischen hat sie sich auch bei ihren Kindern gemeldet. Ihr erwachsenes Pflegekind Christopher Reiser erhielt am Donnerstag einen Brief. "Darin schreibt Mama Elke, dass sie fertig mit den Nerven ist. Und auch, dass es ihr unendlich leidtut, dass sie uns allein gelassen hat", sagt der 23-Jährige. Außerdem habe im Brief eine Vollmacht von Elke Wollschläger für mehrere Kinder gesteckt, dass sie ihre Post und ihre Akten entgegennehmen dürfen. Sie werden gebeten, sich ihre Möbel zu nehmen oder diese zu verschenken beziehungsweise zu verkaufen.
Ein weiterer Brief ging an Tobias Seidler. Der 21-Jährige war mit eineinhalb Jahren zu Elke Wollschläger ins Zwickauer Kinderdorf gekommen. "Sie ist meine Mutti, auch wenn ich schon lange nicht mehr im Dorf lebe", sagt der junge Mann, der mit Freundin Angie Tölg und dem gemeinsamen Töchterchen Mia in Schedewitz wohnt. "Elke hat im gleichen Haus auch eine Wohnung, in die sie an ihren freien Tagen gekommen ist."
Mit den Nerven am Ende
Tobias Seidler, seine Freundin und sein Bruder Kevin Seidler, der auch bei Elke Wollschläger aufgewachsen ist, berichten, dass die Frau vor ihrem Verschwinden mit den Nerven am Ende gewesen sei. "Das Klima im Kinderdorf war nicht mehr so gut wie früher. Nach einem Lehrgang kurz vor ihrem Verschwinden hat sie gesagt, dass sie nicht mehr kann", erzählt Tobias Seidler.
SOS-Kinderdorfleiter Jürgen Förster dagegen berichtet von einem guten Klima in der Einrichtung. Die Arbeit sei zwar anstrengend, aber er habe nicht den Eindruck gehabt, dass Elke Wollschläger mit den Nerven am Ende war. "Sie ist nie auf uns zugekommen, um solch ein Problem anzusprechen. Sie war immer zuverlässig. Aber es wird schon irgendwelche gewichtige Gründe für ihr Weggehen geben", sagt er. "Wir sind jetzt erst einmal erleichtert, dass sie scheinbar gesund ist. Nun warten wir, dass sie Kontakt mit uns aufnimmt. Wir hoffen, dass wir anschließend gemeinsam neue und kluge Entscheidungen treffen können. Ich denke, dass wir das 20-jährige Bestehen unseres Dorfes nächstes Jahr gemeinsam mit Elke feiern können." Die fünf von ihr zuletzt betreuten Kinder seien für die nächsten Monate gut versorgt.
Dass Elke Wollschläger nach Berlin gegangen ist, wundert weder die Kollegen noch ihre Kinder. "Sie stammt von dort. Wir sind oft mit ihr bei ihren Eltern in Berlin gewesen, die für uns richtige Großeltern geworden sind", sagt Kevin Seidler. Der Opa sei inzwischen verstorben und der Oma gehe es gesundheitlich nicht gut. Auch bei Freunden haben die Kinder nachgefragt, bisher ohne Erfolg. Da die beiden Briefe an die Kinder ohne Absender waren, wollen einige von ihnen nächste Woche in die Hauptstadt aufbrechen, um ihre Mutter zu suchen.
Hoffnung auf Rückkehr
Und unabhängig davon, ob Elke Wollschläger als Mutter in das SOS-Kinderdorf zurückkehrt oder nicht: "Wir hoffen alle, dass sie wieder nach Zwickau kommt", sagt Angie Tölg. "Unsere Mia vermisst ihre Oma schon sehr. Und wir wollen sie ebenfalls gern wieder hier haben. Elke hat doch versprochen, mir ein Hochzeitskleid zu nähen und auch eine Mini-Ausgabe davon für unsere Tochter."
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