Denken
26.10.2004 um 00:17
hier eine kleine kurzgeschichte von, ich glaube peter bichsel, die wir vor kurzem in unsrem philosophie-unterreicht gelesen haben. ich persönliich bin der meinung, dass man nicht aufhörn kann zu denken. denn sobald man sich darüber gedanken macht, dass man aufhörn will zu denken, denkt man wieder. selbst wenn man (wie in der geschichte) das zimmer verdunkelt, weil man nich mehr wissen will, wie das wetter is und weil man nicht mehr wissen will, wie es is wenn es hell is, weiß man ja dann 1. immer noch, wies is, wenns dunkel is, außadem hat man eventuell seine erinnerung, allerdings weiß ich nich, ob die dann soooolange andauert, kann ich jetz nich so gut sagen und 3. weiß man ja dann sogar noch mehr als vorher, weil man dann weiß, wie es is, wenn man nix wissen will und alles dunkel is und so.....
Der Mann, der nichts mehr wissen wollte
„Ich will nichts mehr wissen“, sagte der Mann, der nichts mehr wissen wollte.
Der Mann, der nichts mehr wissen wollte, sagte: „Ich will nichts mehr wissen.“
Das ist schnell gesagt. Und schon läutete das Telefon. Und anstatt das Kabel aus
der Wand zu reißen, was er hätte tun sollen, weil er nichts mehr wissen wollte,
nahm der den Hörer ab und sagte seinen Namen. „Guten Tag“, sagte der andere.
Und der Mann sagte auch: “Guten Tag.“ „Es ist schönes Wetter heute“, sagte
der andere. Und der Mann sagte nicht: “Ich will das nicht wissen“, er sagte
sogar: „Ja sicher, es ist sehr schönes Wetter heute“.
Und dann sagte der andere auch noch etwas. Und dann sagte der Mann noch
etwas. Und dann legte er den Hörer auf die Gabel, und ärgerte sich sehr, weil er
jetzt wußte, das schönes Wetter ist. Und jetzt riß er doch das Kabel aus der
Wand und rief: „Ich will auch das nicht wissen, und ich will es vergessen.“
Das ist schnell gesagt.
Denn durch das Fenster schien die Sonne, und wenn die Sonne durch das
Fenster scheint, weiß man, daß schönes Wetter ist. Der Mann schloß die Läden,
aber nun schien die Sonne durch die Ritzen. Der Mann holte Papier und
verklebte die Fensterscheinen und saß im Dunkeln. Und so saß er lange Zeit, und
seine Frau kam und sah die verklebten Fenster und erschrak.
Sie fragte: „Was soll das?“ „Das soll die Sonne abhalten“, sagte der Mann.
„Dann hast Du kein Licht“, sagte die Frau. „Das ist ein Nachteil“, sagte der
Mann, „aber es ist besser so, denn wenn ich keine Sonne habe, habe ich zwar
kein Licht, aber ich weiß dann wenigstens nicht, daß schönes Wetter ist.“ „Was
hast Du gegen schönes Wetter?“ fragte die Frau, „schönes Wetter macht froh.“
„Ich habe“, sagte der Mann, „nichts gegen das schöne Wetter, ich habe über
nichts gegen das Wetter. Ich will nur nicht wissen, wie es ist.“
„Dann dreh wenigstens das Licht an“, sagte die Frau, und sie wollte es andrehen,
aber der Mann riß die Lampe von der Decke und sagte: „Ich will auch das nicht
mehr wissen, ich will auch nicht mehr wissen, daß man das Licht andrehen
kann.“ Da weinte seine Frau. Und der Mann sagte: „Ich will nämlich gar nichts
mehr wissen.“ Und weil das die Frau nicht begreifen konnte, weinte sie nicht
mehr und ließ ihren Mann im Dunkeln. Und da blieb er sehr lange Zeit.
Und die Leute die zu Besuch kamen, fragten die Frau nach ihrem Mann, und die
Frau erklärte ihnen: „Das ist nämlich so, er sitzt nämlich im Dunkeln und will
nämlich nichts mehr wissen.“
„Was will er nicht mehr wissen?“ fragten die Leute, und die Frau sagte: „Nichts,
gar nichts mehr will er wissen. Er will nicht mehr wissen, was er sieht – nämlich
wie das Wetter ist. Er will nicht mehr wissen, was er hört – nämlich was die
Leute sagen. Und er will nicht mehr wissen, was er weiß – nämlich wie man das
Licht andreht. So ist das nämlich“, sagte die Frau. „Ah, so ist das“, sagten die
Leute, und sie kamen nicht mehr zu Besuch.
Und der Mann saß im Dunkel. Und seine Frau brachte ihm das Essen. Und sie
fragte: „Was weißt Du nicht mehr?“ Und er sagte: „Ich weiß noch alle“, und er
war sehr traurig, weil er noch alles wußte. Da versuchte ihn seine Frau zu trösten
und sagte: „Aber du weißt doch nicht wie das Wetter ist.“ „Wie es ist, weiß ich
nicht“, sagte der Mann, „aber ich weiß immer noch, wie es sein kann. Ich
erinnere mich noch an Regentage, und ich erinnere mich an sonnige Tage.“ „Du
wirst es vergessen“, sagte die Frau. Und der Mann sagte: „Das ist schnell
gesagte.“ Und er blieb im Dunkeln, und seine Frau brachte ihm täglich Essen,
und der Mann schaute auf den Teller und sagte: „Ich weiß, daß das Kartoffeln
sind, ich weiß, daß das Fleisch ist, und ich kenne den Blumenkohl: und es nützt
alles nichts, ich werde es immer alles wissen. Und jedes Wort, das ich
sage, weiß ich.“ Und als seine Frau ihn das nächste Mal fragte: „Was weißt du
noch?“ da sagte er: „Ich weiß viel mehr als vorher, ich weiß nicht nur, wie
schönes Wetter und wie schlechtes Wetter ist, ich weiß jetzt auch, wie das ist,
wenn kein Wetter ist. Und ich weiß, daß, wenn es ganz dunkel ist, daß es dann
immer noch nicht dunkel genug ist.“ „Es gibt Dinge, die du nicht weißt“, sagt
seine Frau und wollte gehen, und als er sie zurückhielt, sagte sie: „Du weißt
nämlich nicht, wie >schönes Wetter< auf chinesisch heißt“, und sie ging und
schloß die Tür hinter sich.
Da begann der Mann, der nichts mehr wissen wollte, nachzudenken. Er konnte
wirklich kein Chinesisch, und es nützte ihm nichts, zu sagen: „Ich will auch das
nicht mehr wissen“, weil er es ja noch gar nicht wußte. „Ich muß zuerst wissen,
was ich nicht wissen will“, rief der Mann und riß das Fenster auf und öffnete die
Läden, und vor dem Fenster regnete es, und er schaute in den Regen. Dann ging
er in die Stadt, um Bücher zu kaufen über das Chinesische, und er kam
zurück und saß wochenlang hinter diesen Büchern und malte chinesische
Schriftzeichen aufs Papier.
Und wenn die Leute zu Besuch kamen und die Frau nach ihrem Mann fragten,
sagte sie: “Das ist nämlich so, er lernt nämlich Chinesisch, so ist das nämlich.“
Und die Leute kamen nicht mehr zu Besuch.
Es dauert aber Monate und Jahre, bis man das Chinesische kann, und als er es
endlich konnte, sagte er: „Ich weiß aber immer noch nicht genug. Ich muß alles
wissen. Dann erst kann ich sagen, daß ich das alles nicht mehr wissen will. Ich
muß wissen, wie der Wein schmeckt, wie der schlechte schmeckt und wie der
gute. Und wenn ich Kartoffeln esse, muß ich wissen, wie man sie anpflanzt. Ich
muß wissen, wie der Mond aussieht, denn wenn ich ihn sehe, weiß ich
noch lange nicht, wie er aussieht, und ich muß wissen, wie man ihn erreicht. Und
die Namen der Tiere muß ich wissen und wie sie aussehen und was sie tun und
wo sie leben.“
Und er kaufte sich ein Buch über die Kaninchen und ein Buch über Hühner und
ein Buch über die Tiere im Wald und eines über Insekten. Und dann kaufte er
sich ein Buch über das Panzernashorn. Und das Panzernashorn fand er schön.
Er ging in den Zoo und fand es da, und es stand in einem großen Gehege und
bewegte sich nicht. Und der Mann sah genau, wie das Panzernashorn
versuchte zu denken und versuchte, etwas zu wissen, und er sah, wie sehr im
das Mühe machte.
Und jedesmal, wenn dem Panzernashorn etwas einfiel, rannte es los vor Freude,
drehte zwei, drei Runden im Gehege und vergaß dabei, was ihm eingefallen war,
und blieb dann lange stehen – eine Stunde, zwei Stunden - und rannte, wenn es
ihm einfiel, wieder los. Und weil es immer ein bißchen zu früh losrannte, fiel ihm
eigentlich gar nichts ein. „Ein Panzernashorn möchte ich sein“,sagte der Mann,
„aber dazu ist es jetzt wohl zu spät.“ Dann ging er nach Hause und dachte
an sein Nashorn.
Und er sprach von nichts anderem mehr. „Mein Panzernashorn“, sagte er,
„denkt zu langsam und rennt zu früh los, und das ist recht so“, und er vergaß
dabei, was er alles wissen wollte, um es nicht mehr wissen zu wollen. Und er
führte sein Leben weiter wie vorher.
Nur, daß er jetzt noch Chinesisch konnte.
(Peter Bichsel)