Was ist Magie?
28.10.2005 um 15:27Bevor wir uns mit der Praxis der Magie befassen, muessen wir natuerlich zunaechst einmal wissen, worum es dabei eigentlich geht. Es hat im Laufe der Zeit eine wahre Unzahl von Definitionen der Magie gegeben, und wir werden uns noch mit vielen von ihnen befassen muessen, wo dies der Praxis dienlich ist.
Die vielleicht bekannteste Definition stammt von einem der wichtigsten Magier des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Englaender Aleister Crowley (1875-1947):
"MAGIE IST DIE KUNST UND DIE WISSENSCHAFT, IM EINKLANG MIT DEM WILLEN VERAENDERUNGEN HERBEIZUFUEHREN."
Obwohl diese Definition tatsaechlich den Kern magischer Praxis treffend beschreibt, ist sie fuer den Laien und Anfaenger doch eher zu allgemein und zu weit gefasst. (So betrachtet waere auch das Betaetigen eines Lichtschalters zum Zwecke der Beleuchtung eines Zimmers bereits Magie. Dem ist auch tatsaechlich so, doch nur auf einer philosophischen Stufe, wie wir sie erst spaeter in diesem Lehrgang behandeln koennen und wollen.) Denn in der Regel wird vom Begriff "Magie" etwas anderes, Spezielleres erwartet, eine Disziplin naemlich, die sich eher mit "feinstofflichen" Einfluessen wie der Beeinflussung von Schicksalsfaktoren und "Zufaellen" befasst; ausserdem bietet der obige Satz keinerlei Anhaltspunkte fuer die bei der Magie verwendeten Techniken und Methoden.
Einige angelsaechsische Autoren wie Israel Regardie und Francis King haben dem Rechung getragen und versucht, Crowleys Definition zu erweitern:
"MAGIE IST DIE KUNST UND DIE WISSENSCHAFT, MIT HILFE VERAENDERTER BEWUSSTSEINSZUSTAENDE IM EINKLANG MIT DEM WILLEN VERAENDERUNGEN HERBEIZUFUEHREN."
Auch diese Loesung ist zwar nicht ganz unproblematisch, doch fuer den Anfang genuegt sie, und wir wollen sie uns einmal etwas genauer an schauen, da sie bereits eine wichtige praktische Formel enthaelt.
Wichtig sind fuer uns zunaechst einmal die Begriffe "Kunst" und "Wissenschaft". Oft ist ja von den "Geheimwissenschaften" die Rede, doch versteht der Okkultist (oder Geheimwissenschaftler) unter "Wissenschaft" in der Regel etwas anderes als dies der sogenannte "exakte" oder "Naturwissenschaftler" tut. In dem Bemuehen, von der orthodoxen Schulwissenschaft anerkannt zu werden, haben viele Okkultisten und auch Magier den Versuch unternommen, ihre Disziplin als "wissenschaftlich" zu eroertern. Das stimmt jedoch nur insofern, als die Magie mit wissenschaftlicher Methodik arbeitet. Sie ist im Fachjargon "empirisch" oder "erfahrungswissenschaftlich", zumindest gilt dies fuer die Erfolgsmagie. Das bedeutet, dass sie sich zunaechst einmal da ran orientiert, was beobachtbar erfolgreich ist.
Hingegen meint der Begriff "Kunst" den eher intuiven Bereich der Magie, wozu wir sowohl das "Fingerspitzengefuehl" und das Gefuehl ueberhaupt zaehlen, als auch die Sensitivitaet fuer feinstoffliche Energien (wie beispielsweise beim Hellsehen oder Hellfuehlen). Traum und Vision zaehlen unmittelbar zum "Kunst"-Aspekt der Magie; zum "Wissenschafts"-Aspekt dagegen gehoeren das Denken und das Wissen um Zusammenhaenge.
Fassen wir es kurz zusammen, so bedient sich die Magie sowohl der sogenannten "rationalen" als auch der sogenannten "irrationalen" Bestandteile der menschlichen Persoenlichkeit. Da das Wort "irrational" im Zeitalter des Rationalismus, das heute nach wie vor noch seine Hoehepunkte feiert, sehr negativ besetzt ist (es wird gerne gleichgesetzt mit "unvernuenftig", "aberwitzig", "wirr", "undurchdacht" usw.), sprechen wir lieber von der intuitiven Seite des Magiers.
Die moderne Gehirnforschung gibt diesem Modell, wie in der Einleitung bereits erwaehnt, weitgehend recht: der Mensch besitzt zwei Gehirnhaelften, von denen die linke Hemisphaere ueberwieged die rechte Koerperseite regiert und alles, was wir unter dem Begriff "rationale Faktoren" zusammenfassen, vom Denken bis zum Rechnen, vom Ueberlegen bis zum Planen usw. Die rechte Hirnhaelfte dagegen regiert ueberwiegend die linke Koerperhaelfte und alles "Intuitive".
Wir sehen daran, dass die Magie tatsaechlich auf die seelische Ganzheit und Einheit des Menschen abzielt, und dies schon aus rein praktischen Erwaegungen heraus, denn nur wenn beide Seiten harmonisch miteinander zusammenarbeiten, lassen sich magische Erfolge erzielen, die ja oft den Anschein haben als wuerden sie saemtliche (naturwissenschaftlichen) Naturgesetze widerlegen, was freilich, wie wir noch sehen werden, so nicht stimmt.
Nun ist Magie allerdings noch mehr als die Kunst und die Wissenschaft, eine Einheit der Seele zu erlangen. Beginnen wir mit der Erfolgsmagie, auch "Niedere Magie" genannt, was allerdings keine Abwertung bedeutet sondern sie lediglich technisch und inhaltlich von der eher mystisch-religioesen "Hohen Magie" unterscheiden soll. In der Praxis sieht es so aus, dass man fuer einen erfolgreichen magischen Akt beide Aspekte (Rationales und Intuitives) wirkungsvoll einsetzen will. Dies geschieht durch zwei der drei wichtigsten Grundbestandteile des magischen Akts: durch die Verbindung von Wille und Imagination. (Auf den dritten Faktor, naemlich den "veraenderten Bewusstseinszustand" gehen wir gleich noch ein.)
In der Abb. 1 haben wir dies veranschaulicht. Betrachten Sie die Skizze bitte eine Weile gruendlich und versuchen Sie dabei, die beiden Hauptkolonnen mit ihren Merkmalen zu ergaenzen. Stellen Sie also fest, was noch alles zum Bereich der "Kunst" zaehlt und was im Bereich der "Wissenschaft" noch ergaenzt werden koennte. Sie werden auch bemerken, dass wir eine Beziehung hergestellt haben zwischen "Kunst" und "Imagination" sowie zwischen "Wissenschaft" und "Wille". (Streng genommen muessten wir hierbei eher vom "Wollen" sprechen, da wir den Begriff "Wille" spaeter noch anders verwenden werden, doch wollen wir die Sache hier vorlaeufig nicht unnoetig verkomplizieren.)
+------------------------------+ +------------------------------+
I I I I
I KUNST I I WISSENSCHAFT I
I I I I
I * rechte Gehirnhaelfte I I * linke Gehirnhaelfte I
I I I I
I * linke Koerperhaelfte I I * rechte Koerperhaelfte I
I I I I
I * Gefuehl I I * Verstand I
I I I I
I * Vision I I * Denken I
I I I I
I * Spueren I I * Ueberlegen I
I I I I
I * Ahnen I I * Berechnen I
I I I I
I * synthetisch I I * analytisch I
I I I I
I * zyklisch I I * linear I
I I I I
I * mythisch I I * faktisch I
I I I I
I * foederalistisch I I * zentralistisch I
I I I I
I * kreatives Chaos I I * bewahrende Ordnung I
I I I I
I * symbol-logisch I I * formal-logisch I
I I I I
I * irrational I I * rational I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I IMAGINATION I I WILLE I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I I I I
I I I I
+------------+ +--------------------------------+ +--------------+
I I
I M A G I E I
I I
+------------------------------------------------------------------+
Abb. 1: DARSTELLUNG DER GRUNDSTRUKTUR DER MAGIE (I)
Die "Kunst" entspricht der "Imagination" durch ihren intuitiven Charakter, die "Wissenschaft" entspricht dagegen dem "Willen" durch ihre Reflektiertheit und ihre klare, praezise Zielsetzung.
Wir bekommen also bereits eine vorlaeufige Gleichung:
WILLE + IMAGINATION => MAGIE
Tatsaechlich galt dies lange Zeit als die Grundformel der Magie schlechthin. Disziplinen wie das Positive Denken, bei denen man sich gezielt (= "Wille") bestimmte Ereignisse und Lebenszustaende moeglichst plastisch vorstellt (= "Imagination"), arbeiten fast ausschliesslich danach, und dies durchaus mit gutem Erfolg. Wenn wir uns aber unsere Definition noch einmal anschauen, bemerken wir, dass in dieser Gleichung noch etwas fehlt: naemlich die "veraenderten Bewusstseinszustaende". Solche, in der Magie verwendeten veraenderten Bewusstseinszustaende nennt man die Magische Trance oder auch Gnosis. Wichtig ist dabei, dass die Magische Trance in der Regel nichts mit der hypnotischen Volltrance zu tun hat, bei der der Wille des Hypnotisierten weitgehend ausgeschaltet oder zumindest fremdbeherrscht wird. Dies wuerde auch gegen unsere Forderung "im Einklang mit dem Willen" verstossen, denn damit ist ein bewusster, erklaerter Wille gemeint. (Eine Ausnahme von dieser Regel der Nicht-Volltrance bilden die sogenannten "Besessenheitskulte", wie wir sie vornehmlich im afrikanischen und afroamerikanischen Bereich - Voodoo, Macumba usw. -
beobachten koennen. Darauf werden wir viel spaeter noch gruendlich einzugehen haben.) Doch wenn wir schon die Imagination und den Willeneinsetzen, wozu benoetigen wir dann noch die Magische Trance?
Um dies zu verstehen, muessen wir wissen, nach welchem Muster unsere Psyche aufgebaut ist und wie sie funktioniert. Denn zunaechst einmal gehen wir davon aus, dass die magische Kraft und die Faehigkeit zur Magie eine innerseelische Erscheinung ist. (Spaeter werden wir dann noch sehen, wie gross dabei auch die Rolle des Koerpers ist und wie sehr der Magier auf Koerperlichkeit achten muss.)
+-----------------------------+
I I
I BEWUSSTSEIN I
I I
+-----------------------------+
I ZENSOR I
+-----------------------------+
I I
I UNBEWUSSTES I
I I
+-----------------------------+
Abb. 2: DIE GRUNDSTRUKTUR DER PSYCHE
In Abb. 2 haben wir in vereinfachter Form das gaengige Modell der Psyche wiedergegeben, wie es uns die moderne Tiefenpsychologie anbietet. Andere Veranschaulichungsmodelle sollen noch folgen. Wir sehen als erstes das Bewusstsein, das wir gleichsetzen mit Tages- oder Wachbewusstsein. Im unteren Teil der Skizze erkennen wir das Unbewusste, das man auch das Unterbewusstsein nennt. Dieses umfasst alles, was sich unserem Bewusstsein in der Regel entzieht; zwar ist es staendig aktiv, doch bemerken wir das meistens nur beim Traeumen. Zwi-
schen Bewusstsein und Unbewusstem liegt der sogenannte Zensor. Dieser stellt eine Art "Zweiwegfilter" dar: einerseits sorgt er fuer die selektive Wahrnehmung der Reize der Aussenwelt; andererseits schuetzt er das Bewusstsein vor der unkontrollierten Ueberflutung durch die Inhalte des Unbewussten, zu denen auch Verdraengungen und Komplexe gehoeren. Dem Zensor kommt also eine lebenserhaltende Funktion zu, er sorgt auch fuer das, was wir gemeinhin als "geistige Gesundheit" bezeichnen. Es ist von grosser Wichtigkeit, dies zu erkennen, bevor wir, was leider haeufig geschieht, im Zensor einen "boesen Feind" sehen, der uns als Magiern den Spass am Leben verderben will!
Der Zensor hat freilich auch einen erheblichen Nachteil, er ist naemlich ausserordentlich konservativ. Nur ungern gestattet er es dem Bewusstsein, einen direkten, unmittelbaren Kontakt zum Unbewussten herzustellen, der sich seiner Kontrolle entzieht. Man koennte ihn mit einem etwas misstrauischen "Palastwaechter" vergleichen: ein treuer, braver Diener seines Herrn, doch manchmal allzu aengstlich um dessen Sicherheit besorgt und nicht geneigt, Neues ungeprueft zu- beziehungsweise einzulassen.
Tatsaechlich besteht nun der wichtigste "Trick" der Magie darin, den Zensor voruebergehend auszuschalten, um die "Kraftquelle Unbewusstes" direkt anzuzapfen und ihr gezielt Aufgaben zu erteilen. Dies geschieht durch die Magische oder Gnostische Trance. In diesem Zustand, der oft dem Daemmerzustand kurz vor dem Einschlafen gleicht (dort ist das Bewusstsein ja auch noch aktiv, nur eben sehr gedaempft, es findet, beispielsweise durch Bilder usw. ein direkter Austausch zwischen ihm und dem Unbewussten statt), ist der Zensor gewissermassen "eingeschlaefert"; im Idealfall wird er freilich einen sehr leichten "Schlaf" haben und stets dann, wenn echte, ernste Gefahr droht, wieder aktiv werden. (Uebrigens entspricht dies der Rolle des Schwerts in der Magie, wie wir bei unserer Beschaeftigung mit den Ritualwaffen noch sehen werden.)
Somit gelangen wir zur vollstaendigen Struktur der Magie, wie sie unserer erweiterten Definition entspricht und wie wir sie in Abb. 3 dargestellt haben.
In der Abb. 4 dagegen finden wir dieselbe Aussage noch einmal in Gestalt einer "mathemagischen Formel" wiedergegeben. Mit dieser Art der Darstellung sollten Sie sich schon jetzt gruendlich vertraut machen, am besten, indem Sie diese Formel auswendig lernen. Denn wir werden aehnlichen Formeln im Laufe dieses Lehrgangs noch haeufiger begegnen. Das ist keine blosse Spielerei, im Gegenteil: Formeln stellen mnemotische, also gedaechtnisstuetzende Abkuerzungen fuer Regeln und Gesetze dar, aus denen man praktische Ableitungen gewinnt. Wir haben es uns mit diesem Kursus zum Ziel gesetzt, die Grundstrukturen der Magie aufzuzeigen und verstaendlich zu machen. Das ist insofern neu, als der Grossteil der magischen Literatur bisher eher einen "Rezept-
buchcharakter" hatte: Anstatt die Grundgesetze zu erklaeren, nach denen Magie funktioniert, gaben vor allem aeltere Autoren haeufig nur Einzelrezepturen an: Rituale gegen Feindeinwirkung, magische Glyphen fuer Glueck und Wohlstand, Amulettzeichnungen wider Pest und Cholera, Mantras (Zauberworte) "um einen Fuersten gnaedig zu stimmen" oder um Geister zu beschwoeren, Rezepte gegen Warzen und Traenke, "um
+------------------------------+ +------------------------------+
I I I I
I IMAGINATION I I WILLE I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I I I I
I I I I
+-------+ +--------------------------------+ +---------+
I I
I T R A N C E I
I I
+-------------------------+ +-------------------------+
I I
I I
+---------------+ +---------------+
I I
I M A G I E I
I I
+------------------------------------+
Abb. 3 : DIE GRUNDSTRUKTUREN DER MAGIE (II)
*
+---------------------+
: :
: :
: M = w + i + g :
: :
: :
+---------------------+
+-----------------------------+
I Legende I
+-----------------------------+
I M = Magischer Akt I
I I
I w = Wille I
I i = Imagination I
I g = Gnosis (Mag. Trance) I
+-----------------------------+
Abb. 4: DIE ERSTE GRUNDFORMEL DER MAGIE
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die Liebe einer Frau/eines Mannes zu gewinnen" usw. Was leider immer wieder missverstanden wurde, war die Tatsache, dass solche Rezepturen nicht von allein, also etwa "automatisch" wirksam sind! Dies ist ein Irrtum, dem vor allem der Anfaenger immer wieder zum Opfer faellt. Dann sucht er nach dem "echten, wirklichen, hundertprozentig wirksamen Ritual", nach der "ultimaten Zauberformel" usw.; und es gibt noch heute jede Menge Scharlatane, die nur zu gern die Hand aufhalten und ihm Rezepte verkaufen, ohne ihm die Bedingungen zu erklaeren, unter denen sie allein wirksam werden koennen.
Nun ist es keineswegs so, als waeren solche Rezepturen grundsaetzlich voellig nutzlos. Doch wenn wir bei ihrem Gebrauch nicht die erste Grundformel der Magie beherzigen, sind sie meistens nicht einmal das Papier wert, auf das sie gedruckt sind. Und selbst dort, wo sie gelegentlich funktionieren, laesst sich erkennen, dass Wille, Imagination und Gnosis mit im Spiel gewesen sind.
Kennt man jedoch die Grundgesetze und Grundformeln der Magie, so lassen sich ohne grossen Aufwand eigene "Rezepturen" daraus ableiten, wie ja ohnehin jeder Magier im Grunde sein eigenes Grimoire oder "Zauberbuch" schreibt. Diesen Ableitungen werden wir einen grossen Teil unserer Arbeit widmen. Wie bei jeder Disziplin muessen dazu jedoch auch hier erst die Grundlagen "sitzen" - ohne das "Kleine Einmaleins" laesst sich eben nicht rechnen! Diese Grundlagen sind die mathemagischen Strukturformeln, die wir Ihnen in immer neuen Variationen vorstellen werden.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass der Schwerpunkt der magischen Ausbildung auf der Schulung von WILLE, IMAGINATION und TRANCE liegen muss, wenn im Rahmen dieses Paradigmas (= Erklaerungsmodell) optimales Arbeiten ermoeglicht werden soll. Nun gibt es bereits eine Reihe magischer Werke, die sich diesen Punkten widmen. Beispielsweise finden Sie in den Buechern von Franz Bardon (besonders in seinem Der Weg zum wahren Adepten) zahlreiche Grunduebungen, die vor allem der Selbstdisziplinierung (= Willensschulung) und der Visualisation/ Imagination dienen. Bardons Uebungen sind im Prinzip vorzueglich aufgebaut, und man kann mit ihrer Hilfe in der Magie sehr weit kommen. Freilich geschieht dies leider nur im Schneckentempo, wenn man sich
an die von ihm so kompromisslos als "absolut" vorgeschriebenen Zeitangaben haelt. So muesste man beispielsweise einen Gegenstand zehn Minuten lang ohne jeden Konzentrationsverlust visualisieren koennen, ebenso lang Gedankenleere herstellen usw. Es ist nicht zu leugnen, dass dergleichen in der Magie sehr hilfreich sein kann. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass mit solchen Maximalforderungen vor allem der Anfaenger nur unnoetig abgeschreckt, ja sogar vom eigentlichen Prinzip der Magie abgelenkt wird. Die Angst, die Uebung nicht "richtig" zu machen oder sie noch nicht richtig zu beherrschen, erweist sich haeufig als vermeidbares Hindernis. Mit anderen Worten, es geht auch erheblich einfacher und schneller, wie vor allem die Sigillenmagie beweist, mit der wir uns im naechsten Heft befassen werden.
Das soll allerdings nicht bedeuten, dass der angehende Magier getrost auf hartes, fleissiges Arbeiten verzichten koennte - dies kann er ebensowenig wie der "Meister", dem es selbst noch nach jahrzehntelanger erfolgreicher Praxis nicht erspart bleibt, gewisse Grunduebungen immer aufs neue zu wiederholen, um nicht "einzurosten". Zumal ist vielleicht das Faszinierendste an der Magie die Tatsache, dass man in dieser Disziplin niemals ausgelernt hat - immer gibt es noch etwas Neues, etwas Unerforschtes, Unbekanntes und, vor allem, Ungemeistertes. Die Herausforderungen sind zahllos, und wer die Augen entsprechend offenhaelt, dem wird die Magie auch niemals langweilig werden. Deshalb gleich zu Anfang dieses Kursus die Grundmaxime:
FLEISSIGES, REGELMAESSIGES UEBEN IST DER SCHLUESSEL ZUM ERWERB MAGISCHER FERTIGKEITEN!
Sie wissen, dass Sie, wenn Sie an diesem Lehrgang aktiv teilnehmen, selbst ueber das Tempo Ihres Fortkommens bestimmen, dass es von Ihnen allein abhaengt, wie schnell oder wie langsam die Magie bei Ihnen "klappt". Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es so etwas wie ein "magisches Talent" gibt, das bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgepraegt ist; doch wird die Wichtigkeit dieses Talents meist stark ueberschaetzt. Begehen Sie nicht den haeufigen Anfaengerfehler, die "Naturtalente" zu beneiden, weil denen Vieles in der Magie stets auf Anhieb (also ohne muehsames Erarbeiten und vorhergehendes Ueben) zu gelingen scheint. Denn im Grunde sind diese Naturtalente meistens eher zu bedauern: Gerade weil ihnen so viel scheinbar "geschenkt" wird und gewissermassen in den Schoss faellt, fehlt es ihnen an der Selbstdisziplin und Haerte des weniger Begabten, der sich alles erst mit Schweiss und Traenen verdienen musste. Diese Selbstdisziplin und Haerte aber stellt magisch gesehen eine wichtige Erdung dar, sie ist der beste Schutz vor den beiden typischsten und gefaehrlichsten Magierkrankeiten: Selbstueberschaetzung und Verfolgungswahn. Der gute Magier muss demuetig sein im selben Sinne, wie der gute Krieger demuetig ist: Er kennt seine eigenen Grenzen viel zu genau, um sich durch Wunschdenken ueber sie hinwegzutaeuschen; er begeht nicht den Fehler, Probleme, Gegner oder Herausforderungen zu unterschaetzen; er denkt und handelt oekonomisch, also mit einem Minimum an Aufwand bei
einem Maximum an Effizienz; er ist charakterlich gefestigt, weil er im Laufe seiner Ausbildung die sinnvolle Selbstueberwindung gelernt hat und zwischen rein gefuehlsbetonten und sachlich begruendeten Urteilen zu unterscheiden weiss; er ist im Idealfall ein Techniker, ohne Technokrat zu sein, einer, der seine Disziplin aus dem Effeff beherrscht, ihre Gesetzmaessigkeiten - aber auch ihre Schwaechen - kennt; und er respektiert und achtet sein Handwerk sowie alle, die es erlernt haben und noch erlernen. All dies wird einem Menschen nur selten in die Wiege gelegt, er muss es sich vielmehr in der Regel erst aneignen. Das Naturtalent aber neigt allzu oft dazu, diese Anforderungen zu uebersehen, und so lernt es meistens nur dadurch, dass es "ins Messer" laeuft, also durch das Schmerzprinzip des Irrens und Scheiterns.
Doch das Leben ist ohnehin viel zu kurz, als dass ein einziger Mensch jemals die gesamte Magie und Geheimwissenschaft auch nur annaehernd ausloten koennte. Die Zeit draengt - ob Sie nun achtzehn Jahre alt sein moegen oder achtzig! Dies bedingt die Forderung nach didak tischer und paedagogischer Oekonomie. Dieser Forderung wollen wir da durch Rechnung tragen, dass wir nach Moeglichkeit stets Uebungen und Praktiken empfehlen, die so vielseitig und allumfassend sind, wie es im Rahmen des paedagogisch Sinnvollen zu vertreten ist. Etwas salopp ausgedrueckt versuchen wir als moderne Magier, durch unsere Uebungen moeglichst mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie sollen zugleich den Willen schulen, die Imagination entwickeln und den Zu-
gang zur kontrollierten Trance erschliessen. Aus diesem Grunde trennen wir in unserem Kursus auch nicht so scharf in Willens-, Imaginations- und Tranceschulung, wie es unser Modell eigentlich nahelegen wuerde. Im naechsten Heft werden wir naeher auf dieses Thema eingehen. Fuers erste soll es genuegen, dass Sie sich der hier aufgezeigten Grundelemente der Magie bewusst werden und eine Weile darueber reflektieren.
Anstatt Sie, wie manche magische Autoren es gerne tun, monate-, wochen- und jahrelang mit Uebungen hinzuhalten, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zur magischen Praxis zu stehen scheinen (was freilich oft nur das Fehlurteil des Anfaengers ist!), moechten wir Sie mit diesem Lehrgang sofort und ohne grosse Vorarbeiten in die Praxis der Magie selbst einweisen. Dies bedingt allerdings, dass die Uebungen, die am Schluss dieses Lehrbriefs stehen, an den einen oder anderen Leser am Anfang schier unmoeglich zu erreichende Anforderungen zu stellen scheinen. Keine Bange - auch in der Magie wird nur mit Wasser gekocht! Bemuehen Sie sich einfach so gut es geht, und seien Sie sich stets darueber im klaren, dass vieles erst durch die Praxis selbst zu erreichen ist.
WISSE, WOLLE, WAGE, SCHWEIGE
Bevor wir zum praktischen Teil dieses ersten Briefs uebergehen, wollen wir Ihnen eine weitere Maxime mit auf den Weg geben, die in der ganzen Esoterik immer wieder auftaucht und zurecht hochgeschaetzt wird. "Wisse, wolle, wage, schweige" lautet die Aufforderung an den Geheimwissenschaftler. Dies wollen wir hier nur ganz kurz erlaeutern, es soll Ihnen zur weiterfuehrenden Meditation dienen. Spaeter werden diese hier nur skelettartig wiedergegebenen Leitsaetze ausgefuellt und staerker mit eigenem Leben erfuellt. Sie tun jedoch gut daran, im naechsten Monat oefter darueber nachzudenken.
WISSE
Ohne Wissen um das, was wir als Magier tun, sind wir nicht nur ziellos, wir laufen auch Gefahr, grundlegende Gesetze unseres magischen Tuns zu verkennen und bisweilen verheerende Fehler zu begehen. Allerdings gab es auch Zeiten, da dieses "Wissen" falsch verstanden oder stark ueberschaetzt wurde. Es ist naemlich damit nicht allein ein reines Kopf- oder Verstandeswissen gemeint, das freilich auch dazu gehoert; dieses wollen wir im vorliegenden Kurs umfassend vermitteln. In erster Linie geht es jedoch um intuitives oder Bauchwissen, und das laesst sich nur durch die eigene Erfahrung erlangen. Jeder Lehrer kann dem Schueler bestenfalls zeigen, wie er zu diesem intuitiven "Fleischeswissen" gelangt, den Lernprozess selbst kann er ihm jedoch nicht abnehmen.
WOLLE
Ein Magier, der nicht weiss, was er will, ist schlussendlich hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Nur der unbeugsame Wille (und das ebenso kompromisslose Wollen - was nicht dasselbe ist!) fuehrt gefahrlos ans Ziel. Tatsaechlich sehen viele Magier der Neuzeit im Erkennen des eigenen wahren Willens (Thelema) das eigentliche Ziel jeder hohen Magie. Geraet das Wollen ins Schwanken, "kippt" auch die ganze magische Operation fast automatisch. Willensschulung bedeutet daher stets auch Erkenntnisschulung und Disziplinierung. Denn jeder Mensch neigt dazu, allein nach dem Lustprinzip zu handeln, wenn man es ihm gestattet. Daran ist zwar nichts Prinzipielles auszusetzen, doch fuehrt es leider oft zu Fahrlaessigkeit und Bequemlichkeit. Dem beugt das dezidierte Befolgen des eigenen Willens wirkungsvoll vor.
WAGE
Dies ist vielleicht der Grundsatz, gegen den in der Magiegeschichte am allerhaeufigsten verstossen wurde: Die nackte Angst vor der Praxis springt uns auf zahllosen Seiten magischer Autoren an, die sich geradezu davor zu fuerchten scheinen, dass die Magie tatsaechlich funktionieren koennte! Dies tut sie natuerlich auch, doch wirklich effizient kann nur der Magier sein, der den Mut hat, auch durch die Tat fuer das einzustehen, was ihm sein Wille als notwendig und erstrebenswert eingegeben hat. Beachten Sie bitte, dass wir bisher noch nichts ueber die Gefahren der Magie gesagt haben: Es ist nicht so, als gaebe es diese nicht. Doch ist Magie tatsaechlich nicht viel gefaehrlicher als das Autofahren. Eine gruendliche Ausbildung und nuechterne Praxis sind die beste Voraussetzung fuer erfolgreiches, risikoarmes Arbeiten. Wenn man den angehenden Fahrschueler unentwegt damit erschreckt, wie gefaehrlich all sein Tun doch ist, erzieht man ihn lediglich zu einem veraengstigten - und somit schlechten - Autofahrer, der Unfaelle und Fehlverhalten geradezu anzulocken scheint. Ebenso verhaelt es sich mit dem Magier. Hueten Sie sich also vor den Warnungen "wohlmeinender" Nicht-Praktiker, die Sie schon in der Hoelle oder im Irrenhaus schmoren sehen, wenn Sie sich auch nur theoretisch mit Magie beschaeftigen sollten! Vertrauen Sie lieber auf erfahrene "Morgenlandfahrer" und Psychonauten, die genau wissen, welche Gefahren tatsaechlich drohen und welche nur eingebildet sind (und das sind die meisten!). Denken Sie an Martin Luthers Satz: "Aus einem verzagten Arsch kommt niemals ein froehlicher Furz." Tatsaechlich stellt die Angst vor der Magie die groesste Gefahr auf dem magischen Weg dar! Gerade aus diesen Ueberlegungen heraus ist auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Aengsten von nicht zu unterschaetzender Wichtigkeit.
SCHWEIGE
Viel Unfug ist in der Vergangenheit mit der Verpflichtung zum Schweigen getrieben worden. Oft wurde dieses Gebot mit einer Aufforderung verwechselt, die eigene Unwissenheit hinter geheimnisvollen
Andeutungen ("darueber muss ich schweigen", "wahre Eingeweihte werden wissen, was gemeint ist" usw.) zu verbergen. Oft sollte auch der "profanen Masse" geheimes Wissen eifersuechtig vorenthalten werden. Doch ist dies bestenfalls das Verhalten einer verknoecherten Priesterschaft, die um ihre Vorherrschaft (welche auf der Unwissenheit der Beherrschten fusst) bangt; schlimmstenfalls soll der Unwissende damit gezielt in die Irre gefuehrt werden, wodurch er um so leichter ausgebeutet werden kann. In Wirklichkeit schuetzen die Mysterien sich ausnahmslos selbst und koennen ueberhaupt nicht "entweiht" werden! Denn ihr eigentliches "Geheimnis" ist die Erfahrung, die der Adept mit ihnen macht - und diese Erfahrungsdimension kann ihm niemand
nehmen, sie kann von keinem Aussenseiter und Unwissenden befleckt werden. Dennoch ist es ratsam, die eigenen okkulten Interessen nicht allzu offenherzig preiszugeben - zu gross sind nach wie vor die Vor- urteile, die dem Magier in unserer angeblich "aufgeklaerten" und "toleranten" Zeit begegnen, zu gross die Energie, die er sonst darauf verwenden muss, sich selbst gegen diese Widerstaende zu behaupten. Das bindet unnoetig Kraefte und ist deshalb tunlichst zu vermeiden. Ausserdem bedeutet das Schweigen, dass, um wieder ein Bild zu gebrauchen, "der Topf auf den Deckel" gelegt wird, damit entsprechender Druck erzeugt werden kann. Dieser Druck ist die magische Kraft, die wir Magis nennen.
Quelle: von Frater V.'.D.'.
(\_/)
(o.o)
(
Die vielleicht bekannteste Definition stammt von einem der wichtigsten Magier des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Englaender Aleister Crowley (1875-1947):
"MAGIE IST DIE KUNST UND DIE WISSENSCHAFT, IM EINKLANG MIT DEM WILLEN VERAENDERUNGEN HERBEIZUFUEHREN."
Obwohl diese Definition tatsaechlich den Kern magischer Praxis treffend beschreibt, ist sie fuer den Laien und Anfaenger doch eher zu allgemein und zu weit gefasst. (So betrachtet waere auch das Betaetigen eines Lichtschalters zum Zwecke der Beleuchtung eines Zimmers bereits Magie. Dem ist auch tatsaechlich so, doch nur auf einer philosophischen Stufe, wie wir sie erst spaeter in diesem Lehrgang behandeln koennen und wollen.) Denn in der Regel wird vom Begriff "Magie" etwas anderes, Spezielleres erwartet, eine Disziplin naemlich, die sich eher mit "feinstofflichen" Einfluessen wie der Beeinflussung von Schicksalsfaktoren und "Zufaellen" befasst; ausserdem bietet der obige Satz keinerlei Anhaltspunkte fuer die bei der Magie verwendeten Techniken und Methoden.
Einige angelsaechsische Autoren wie Israel Regardie und Francis King haben dem Rechung getragen und versucht, Crowleys Definition zu erweitern:
"MAGIE IST DIE KUNST UND DIE WISSENSCHAFT, MIT HILFE VERAENDERTER BEWUSSTSEINSZUSTAENDE IM EINKLANG MIT DEM WILLEN VERAENDERUNGEN HERBEIZUFUEHREN."
Auch diese Loesung ist zwar nicht ganz unproblematisch, doch fuer den Anfang genuegt sie, und wir wollen sie uns einmal etwas genauer an schauen, da sie bereits eine wichtige praktische Formel enthaelt.
Wichtig sind fuer uns zunaechst einmal die Begriffe "Kunst" und "Wissenschaft". Oft ist ja von den "Geheimwissenschaften" die Rede, doch versteht der Okkultist (oder Geheimwissenschaftler) unter "Wissenschaft" in der Regel etwas anderes als dies der sogenannte "exakte" oder "Naturwissenschaftler" tut. In dem Bemuehen, von der orthodoxen Schulwissenschaft anerkannt zu werden, haben viele Okkultisten und auch Magier den Versuch unternommen, ihre Disziplin als "wissenschaftlich" zu eroertern. Das stimmt jedoch nur insofern, als die Magie mit wissenschaftlicher Methodik arbeitet. Sie ist im Fachjargon "empirisch" oder "erfahrungswissenschaftlich", zumindest gilt dies fuer die Erfolgsmagie. Das bedeutet, dass sie sich zunaechst einmal da ran orientiert, was beobachtbar erfolgreich ist.
Hingegen meint der Begriff "Kunst" den eher intuiven Bereich der Magie, wozu wir sowohl das "Fingerspitzengefuehl" und das Gefuehl ueberhaupt zaehlen, als auch die Sensitivitaet fuer feinstoffliche Energien (wie beispielsweise beim Hellsehen oder Hellfuehlen). Traum und Vision zaehlen unmittelbar zum "Kunst"-Aspekt der Magie; zum "Wissenschafts"-Aspekt dagegen gehoeren das Denken und das Wissen um Zusammenhaenge.
Fassen wir es kurz zusammen, so bedient sich die Magie sowohl der sogenannten "rationalen" als auch der sogenannten "irrationalen" Bestandteile der menschlichen Persoenlichkeit. Da das Wort "irrational" im Zeitalter des Rationalismus, das heute nach wie vor noch seine Hoehepunkte feiert, sehr negativ besetzt ist (es wird gerne gleichgesetzt mit "unvernuenftig", "aberwitzig", "wirr", "undurchdacht" usw.), sprechen wir lieber von der intuitiven Seite des Magiers.
Die moderne Gehirnforschung gibt diesem Modell, wie in der Einleitung bereits erwaehnt, weitgehend recht: der Mensch besitzt zwei Gehirnhaelften, von denen die linke Hemisphaere ueberwieged die rechte Koerperseite regiert und alles, was wir unter dem Begriff "rationale Faktoren" zusammenfassen, vom Denken bis zum Rechnen, vom Ueberlegen bis zum Planen usw. Die rechte Hirnhaelfte dagegen regiert ueberwiegend die linke Koerperhaelfte und alles "Intuitive".
Wir sehen daran, dass die Magie tatsaechlich auf die seelische Ganzheit und Einheit des Menschen abzielt, und dies schon aus rein praktischen Erwaegungen heraus, denn nur wenn beide Seiten harmonisch miteinander zusammenarbeiten, lassen sich magische Erfolge erzielen, die ja oft den Anschein haben als wuerden sie saemtliche (naturwissenschaftlichen) Naturgesetze widerlegen, was freilich, wie wir noch sehen werden, so nicht stimmt.
Nun ist Magie allerdings noch mehr als die Kunst und die Wissenschaft, eine Einheit der Seele zu erlangen. Beginnen wir mit der Erfolgsmagie, auch "Niedere Magie" genannt, was allerdings keine Abwertung bedeutet sondern sie lediglich technisch und inhaltlich von der eher mystisch-religioesen "Hohen Magie" unterscheiden soll. In der Praxis sieht es so aus, dass man fuer einen erfolgreichen magischen Akt beide Aspekte (Rationales und Intuitives) wirkungsvoll einsetzen will. Dies geschieht durch zwei der drei wichtigsten Grundbestandteile des magischen Akts: durch die Verbindung von Wille und Imagination. (Auf den dritten Faktor, naemlich den "veraenderten Bewusstseinszustand" gehen wir gleich noch ein.)
In der Abb. 1 haben wir dies veranschaulicht. Betrachten Sie die Skizze bitte eine Weile gruendlich und versuchen Sie dabei, die beiden Hauptkolonnen mit ihren Merkmalen zu ergaenzen. Stellen Sie also fest, was noch alles zum Bereich der "Kunst" zaehlt und was im Bereich der "Wissenschaft" noch ergaenzt werden koennte. Sie werden auch bemerken, dass wir eine Beziehung hergestellt haben zwischen "Kunst" und "Imagination" sowie zwischen "Wissenschaft" und "Wille". (Streng genommen muessten wir hierbei eher vom "Wollen" sprechen, da wir den Begriff "Wille" spaeter noch anders verwenden werden, doch wollen wir die Sache hier vorlaeufig nicht unnoetig verkomplizieren.)
+------------------------------+ +------------------------------+
I I I I
I KUNST I I WISSENSCHAFT I
I I I I
I * rechte Gehirnhaelfte I I * linke Gehirnhaelfte I
I I I I
I * linke Koerperhaelfte I I * rechte Koerperhaelfte I
I I I I
I * Gefuehl I I * Verstand I
I I I I
I * Vision I I * Denken I
I I I I
I * Spueren I I * Ueberlegen I
I I I I
I * Ahnen I I * Berechnen I
I I I I
I * synthetisch I I * analytisch I
I I I I
I * zyklisch I I * linear I
I I I I
I * mythisch I I * faktisch I
I I I I
I * foederalistisch I I * zentralistisch I
I I I I
I * kreatives Chaos I I * bewahrende Ordnung I
I I I I
I * symbol-logisch I I * formal-logisch I
I I I I
I * irrational I I * rational I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I IMAGINATION I I WILLE I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I I I I
I I I I
+------------+ +--------------------------------+ +--------------+
I I
I M A G I E I
I I
+------------------------------------------------------------------+
Abb. 1: DARSTELLUNG DER GRUNDSTRUKTUR DER MAGIE (I)
Die "Kunst" entspricht der "Imagination" durch ihren intuitiven Charakter, die "Wissenschaft" entspricht dagegen dem "Willen" durch ihre Reflektiertheit und ihre klare, praezise Zielsetzung.
Wir bekommen also bereits eine vorlaeufige Gleichung:
WILLE + IMAGINATION => MAGIE
Tatsaechlich galt dies lange Zeit als die Grundformel der Magie schlechthin. Disziplinen wie das Positive Denken, bei denen man sich gezielt (= "Wille") bestimmte Ereignisse und Lebenszustaende moeglichst plastisch vorstellt (= "Imagination"), arbeiten fast ausschliesslich danach, und dies durchaus mit gutem Erfolg. Wenn wir uns aber unsere Definition noch einmal anschauen, bemerken wir, dass in dieser Gleichung noch etwas fehlt: naemlich die "veraenderten Bewusstseinszustaende". Solche, in der Magie verwendeten veraenderten Bewusstseinszustaende nennt man die Magische Trance oder auch Gnosis. Wichtig ist dabei, dass die Magische Trance in der Regel nichts mit der hypnotischen Volltrance zu tun hat, bei der der Wille des Hypnotisierten weitgehend ausgeschaltet oder zumindest fremdbeherrscht wird. Dies wuerde auch gegen unsere Forderung "im Einklang mit dem Willen" verstossen, denn damit ist ein bewusster, erklaerter Wille gemeint. (Eine Ausnahme von dieser Regel der Nicht-Volltrance bilden die sogenannten "Besessenheitskulte", wie wir sie vornehmlich im afrikanischen und afroamerikanischen Bereich - Voodoo, Macumba usw. -
beobachten koennen. Darauf werden wir viel spaeter noch gruendlich einzugehen haben.) Doch wenn wir schon die Imagination und den Willeneinsetzen, wozu benoetigen wir dann noch die Magische Trance?
Um dies zu verstehen, muessen wir wissen, nach welchem Muster unsere Psyche aufgebaut ist und wie sie funktioniert. Denn zunaechst einmal gehen wir davon aus, dass die magische Kraft und die Faehigkeit zur Magie eine innerseelische Erscheinung ist. (Spaeter werden wir dann noch sehen, wie gross dabei auch die Rolle des Koerpers ist und wie sehr der Magier auf Koerperlichkeit achten muss.)
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I I
I BEWUSSTSEIN I
I I
+-----------------------------+
I ZENSOR I
+-----------------------------+
I I
I UNBEWUSSTES I
I I
+-----------------------------+
Abb. 2: DIE GRUNDSTRUKTUR DER PSYCHE
In Abb. 2 haben wir in vereinfachter Form das gaengige Modell der Psyche wiedergegeben, wie es uns die moderne Tiefenpsychologie anbietet. Andere Veranschaulichungsmodelle sollen noch folgen. Wir sehen als erstes das Bewusstsein, das wir gleichsetzen mit Tages- oder Wachbewusstsein. Im unteren Teil der Skizze erkennen wir das Unbewusste, das man auch das Unterbewusstsein nennt. Dieses umfasst alles, was sich unserem Bewusstsein in der Regel entzieht; zwar ist es staendig aktiv, doch bemerken wir das meistens nur beim Traeumen. Zwi-
schen Bewusstsein und Unbewusstem liegt der sogenannte Zensor. Dieser stellt eine Art "Zweiwegfilter" dar: einerseits sorgt er fuer die selektive Wahrnehmung der Reize der Aussenwelt; andererseits schuetzt er das Bewusstsein vor der unkontrollierten Ueberflutung durch die Inhalte des Unbewussten, zu denen auch Verdraengungen und Komplexe gehoeren. Dem Zensor kommt also eine lebenserhaltende Funktion zu, er sorgt auch fuer das, was wir gemeinhin als "geistige Gesundheit" bezeichnen. Es ist von grosser Wichtigkeit, dies zu erkennen, bevor wir, was leider haeufig geschieht, im Zensor einen "boesen Feind" sehen, der uns als Magiern den Spass am Leben verderben will!
Der Zensor hat freilich auch einen erheblichen Nachteil, er ist naemlich ausserordentlich konservativ. Nur ungern gestattet er es dem Bewusstsein, einen direkten, unmittelbaren Kontakt zum Unbewussten herzustellen, der sich seiner Kontrolle entzieht. Man koennte ihn mit einem etwas misstrauischen "Palastwaechter" vergleichen: ein treuer, braver Diener seines Herrn, doch manchmal allzu aengstlich um dessen Sicherheit besorgt und nicht geneigt, Neues ungeprueft zu- beziehungsweise einzulassen.
Tatsaechlich besteht nun der wichtigste "Trick" der Magie darin, den Zensor voruebergehend auszuschalten, um die "Kraftquelle Unbewusstes" direkt anzuzapfen und ihr gezielt Aufgaben zu erteilen. Dies geschieht durch die Magische oder Gnostische Trance. In diesem Zustand, der oft dem Daemmerzustand kurz vor dem Einschlafen gleicht (dort ist das Bewusstsein ja auch noch aktiv, nur eben sehr gedaempft, es findet, beispielsweise durch Bilder usw. ein direkter Austausch zwischen ihm und dem Unbewussten statt), ist der Zensor gewissermassen "eingeschlaefert"; im Idealfall wird er freilich einen sehr leichten "Schlaf" haben und stets dann, wenn echte, ernste Gefahr droht, wieder aktiv werden. (Uebrigens entspricht dies der Rolle des Schwerts in der Magie, wie wir bei unserer Beschaeftigung mit den Ritualwaffen noch sehen werden.)
Somit gelangen wir zur vollstaendigen Struktur der Magie, wie sie unserer erweiterten Definition entspricht und wie wir sie in Abb. 3 dargestellt haben.
In der Abb. 4 dagegen finden wir dieselbe Aussage noch einmal in Gestalt einer "mathemagischen Formel" wiedergegeben. Mit dieser Art der Darstellung sollten Sie sich schon jetzt gruendlich vertraut machen, am besten, indem Sie diese Formel auswendig lernen. Denn wir werden aehnlichen Formeln im Laufe dieses Lehrgangs noch haeufiger begegnen. Das ist keine blosse Spielerei, im Gegenteil: Formeln stellen mnemotische, also gedaechtnisstuetzende Abkuerzungen fuer Regeln und Gesetze dar, aus denen man praktische Ableitungen gewinnt. Wir haben es uns mit diesem Kursus zum Ziel gesetzt, die Grundstrukturen der Magie aufzuzeigen und verstaendlich zu machen. Das ist insofern neu, als der Grossteil der magischen Literatur bisher eher einen "Rezept-
buchcharakter" hatte: Anstatt die Grundgesetze zu erklaeren, nach denen Magie funktioniert, gaben vor allem aeltere Autoren haeufig nur Einzelrezepturen an: Rituale gegen Feindeinwirkung, magische Glyphen fuer Glueck und Wohlstand, Amulettzeichnungen wider Pest und Cholera, Mantras (Zauberworte) "um einen Fuersten gnaedig zu stimmen" oder um Geister zu beschwoeren, Rezepte gegen Warzen und Traenke, "um
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I I I I
I IMAGINATION I I WILLE I
I I I I
+------------+ +--------------+ +------------+ +--------------+
I I I I
I I I I
I I I I
+-------+ +--------------------------------+ +---------+
I I
I T R A N C E I
I I
+-------------------------+ +-------------------------+
I I
I I
+---------------+ +---------------+
I I
I M A G I E I
I I
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Abb. 3 : DIE GRUNDSTRUKTUREN DER MAGIE (II)
*
+---------------------+
: :
: :
: M = w + i + g :
: :
: :
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I Legende I
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I M = Magischer Akt I
I I
I w = Wille I
I i = Imagination I
I g = Gnosis (Mag. Trance) I
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Abb. 4: DIE ERSTE GRUNDFORMEL DER MAGIE
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die Liebe einer Frau/eines Mannes zu gewinnen" usw. Was leider immer wieder missverstanden wurde, war die Tatsache, dass solche Rezepturen nicht von allein, also etwa "automatisch" wirksam sind! Dies ist ein Irrtum, dem vor allem der Anfaenger immer wieder zum Opfer faellt. Dann sucht er nach dem "echten, wirklichen, hundertprozentig wirksamen Ritual", nach der "ultimaten Zauberformel" usw.; und es gibt noch heute jede Menge Scharlatane, die nur zu gern die Hand aufhalten und ihm Rezepte verkaufen, ohne ihm die Bedingungen zu erklaeren, unter denen sie allein wirksam werden koennen.
Nun ist es keineswegs so, als waeren solche Rezepturen grundsaetzlich voellig nutzlos. Doch wenn wir bei ihrem Gebrauch nicht die erste Grundformel der Magie beherzigen, sind sie meistens nicht einmal das Papier wert, auf das sie gedruckt sind. Und selbst dort, wo sie gelegentlich funktionieren, laesst sich erkennen, dass Wille, Imagination und Gnosis mit im Spiel gewesen sind.
Kennt man jedoch die Grundgesetze und Grundformeln der Magie, so lassen sich ohne grossen Aufwand eigene "Rezepturen" daraus ableiten, wie ja ohnehin jeder Magier im Grunde sein eigenes Grimoire oder "Zauberbuch" schreibt. Diesen Ableitungen werden wir einen grossen Teil unserer Arbeit widmen. Wie bei jeder Disziplin muessen dazu jedoch auch hier erst die Grundlagen "sitzen" - ohne das "Kleine Einmaleins" laesst sich eben nicht rechnen! Diese Grundlagen sind die mathemagischen Strukturformeln, die wir Ihnen in immer neuen Variationen vorstellen werden.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass der Schwerpunkt der magischen Ausbildung auf der Schulung von WILLE, IMAGINATION und TRANCE liegen muss, wenn im Rahmen dieses Paradigmas (= Erklaerungsmodell) optimales Arbeiten ermoeglicht werden soll. Nun gibt es bereits eine Reihe magischer Werke, die sich diesen Punkten widmen. Beispielsweise finden Sie in den Buechern von Franz Bardon (besonders in seinem Der Weg zum wahren Adepten) zahlreiche Grunduebungen, die vor allem der Selbstdisziplinierung (= Willensschulung) und der Visualisation/ Imagination dienen. Bardons Uebungen sind im Prinzip vorzueglich aufgebaut, und man kann mit ihrer Hilfe in der Magie sehr weit kommen. Freilich geschieht dies leider nur im Schneckentempo, wenn man sich
an die von ihm so kompromisslos als "absolut" vorgeschriebenen Zeitangaben haelt. So muesste man beispielsweise einen Gegenstand zehn Minuten lang ohne jeden Konzentrationsverlust visualisieren koennen, ebenso lang Gedankenleere herstellen usw. Es ist nicht zu leugnen, dass dergleichen in der Magie sehr hilfreich sein kann. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass mit solchen Maximalforderungen vor allem der Anfaenger nur unnoetig abgeschreckt, ja sogar vom eigentlichen Prinzip der Magie abgelenkt wird. Die Angst, die Uebung nicht "richtig" zu machen oder sie noch nicht richtig zu beherrschen, erweist sich haeufig als vermeidbares Hindernis. Mit anderen Worten, es geht auch erheblich einfacher und schneller, wie vor allem die Sigillenmagie beweist, mit der wir uns im naechsten Heft befassen werden.
Das soll allerdings nicht bedeuten, dass der angehende Magier getrost auf hartes, fleissiges Arbeiten verzichten koennte - dies kann er ebensowenig wie der "Meister", dem es selbst noch nach jahrzehntelanger erfolgreicher Praxis nicht erspart bleibt, gewisse Grunduebungen immer aufs neue zu wiederholen, um nicht "einzurosten". Zumal ist vielleicht das Faszinierendste an der Magie die Tatsache, dass man in dieser Disziplin niemals ausgelernt hat - immer gibt es noch etwas Neues, etwas Unerforschtes, Unbekanntes und, vor allem, Ungemeistertes. Die Herausforderungen sind zahllos, und wer die Augen entsprechend offenhaelt, dem wird die Magie auch niemals langweilig werden. Deshalb gleich zu Anfang dieses Kursus die Grundmaxime:
FLEISSIGES, REGELMAESSIGES UEBEN IST DER SCHLUESSEL ZUM ERWERB MAGISCHER FERTIGKEITEN!
Sie wissen, dass Sie, wenn Sie an diesem Lehrgang aktiv teilnehmen, selbst ueber das Tempo Ihres Fortkommens bestimmen, dass es von Ihnen allein abhaengt, wie schnell oder wie langsam die Magie bei Ihnen "klappt". Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es so etwas wie ein "magisches Talent" gibt, das bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgepraegt ist; doch wird die Wichtigkeit dieses Talents meist stark ueberschaetzt. Begehen Sie nicht den haeufigen Anfaengerfehler, die "Naturtalente" zu beneiden, weil denen Vieles in der Magie stets auf Anhieb (also ohne muehsames Erarbeiten und vorhergehendes Ueben) zu gelingen scheint. Denn im Grunde sind diese Naturtalente meistens eher zu bedauern: Gerade weil ihnen so viel scheinbar "geschenkt" wird und gewissermassen in den Schoss faellt, fehlt es ihnen an der Selbstdisziplin und Haerte des weniger Begabten, der sich alles erst mit Schweiss und Traenen verdienen musste. Diese Selbstdisziplin und Haerte aber stellt magisch gesehen eine wichtige Erdung dar, sie ist der beste Schutz vor den beiden typischsten und gefaehrlichsten Magierkrankeiten: Selbstueberschaetzung und Verfolgungswahn. Der gute Magier muss demuetig sein im selben Sinne, wie der gute Krieger demuetig ist: Er kennt seine eigenen Grenzen viel zu genau, um sich durch Wunschdenken ueber sie hinwegzutaeuschen; er begeht nicht den Fehler, Probleme, Gegner oder Herausforderungen zu unterschaetzen; er denkt und handelt oekonomisch, also mit einem Minimum an Aufwand bei
einem Maximum an Effizienz; er ist charakterlich gefestigt, weil er im Laufe seiner Ausbildung die sinnvolle Selbstueberwindung gelernt hat und zwischen rein gefuehlsbetonten und sachlich begruendeten Urteilen zu unterscheiden weiss; er ist im Idealfall ein Techniker, ohne Technokrat zu sein, einer, der seine Disziplin aus dem Effeff beherrscht, ihre Gesetzmaessigkeiten - aber auch ihre Schwaechen - kennt; und er respektiert und achtet sein Handwerk sowie alle, die es erlernt haben und noch erlernen. All dies wird einem Menschen nur selten in die Wiege gelegt, er muss es sich vielmehr in der Regel erst aneignen. Das Naturtalent aber neigt allzu oft dazu, diese Anforderungen zu uebersehen, und so lernt es meistens nur dadurch, dass es "ins Messer" laeuft, also durch das Schmerzprinzip des Irrens und Scheiterns.
Doch das Leben ist ohnehin viel zu kurz, als dass ein einziger Mensch jemals die gesamte Magie und Geheimwissenschaft auch nur annaehernd ausloten koennte. Die Zeit draengt - ob Sie nun achtzehn Jahre alt sein moegen oder achtzig! Dies bedingt die Forderung nach didak tischer und paedagogischer Oekonomie. Dieser Forderung wollen wir da durch Rechnung tragen, dass wir nach Moeglichkeit stets Uebungen und Praktiken empfehlen, die so vielseitig und allumfassend sind, wie es im Rahmen des paedagogisch Sinnvollen zu vertreten ist. Etwas salopp ausgedrueckt versuchen wir als moderne Magier, durch unsere Uebungen moeglichst mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Sie sollen zugleich den Willen schulen, die Imagination entwickeln und den Zu-
gang zur kontrollierten Trance erschliessen. Aus diesem Grunde trennen wir in unserem Kursus auch nicht so scharf in Willens-, Imaginations- und Tranceschulung, wie es unser Modell eigentlich nahelegen wuerde. Im naechsten Heft werden wir naeher auf dieses Thema eingehen. Fuers erste soll es genuegen, dass Sie sich der hier aufgezeigten Grundelemente der Magie bewusst werden und eine Weile darueber reflektieren.
Anstatt Sie, wie manche magische Autoren es gerne tun, monate-, wochen- und jahrelang mit Uebungen hinzuhalten, die in keinem erkennbaren Zusammenhang zur magischen Praxis zu stehen scheinen (was freilich oft nur das Fehlurteil des Anfaengers ist!), moechten wir Sie mit diesem Lehrgang sofort und ohne grosse Vorarbeiten in die Praxis der Magie selbst einweisen. Dies bedingt allerdings, dass die Uebungen, die am Schluss dieses Lehrbriefs stehen, an den einen oder anderen Leser am Anfang schier unmoeglich zu erreichende Anforderungen zu stellen scheinen. Keine Bange - auch in der Magie wird nur mit Wasser gekocht! Bemuehen Sie sich einfach so gut es geht, und seien Sie sich stets darueber im klaren, dass vieles erst durch die Praxis selbst zu erreichen ist.
WISSE, WOLLE, WAGE, SCHWEIGE
Bevor wir zum praktischen Teil dieses ersten Briefs uebergehen, wollen wir Ihnen eine weitere Maxime mit auf den Weg geben, die in der ganzen Esoterik immer wieder auftaucht und zurecht hochgeschaetzt wird. "Wisse, wolle, wage, schweige" lautet die Aufforderung an den Geheimwissenschaftler. Dies wollen wir hier nur ganz kurz erlaeutern, es soll Ihnen zur weiterfuehrenden Meditation dienen. Spaeter werden diese hier nur skelettartig wiedergegebenen Leitsaetze ausgefuellt und staerker mit eigenem Leben erfuellt. Sie tun jedoch gut daran, im naechsten Monat oefter darueber nachzudenken.
WISSE
Ohne Wissen um das, was wir als Magier tun, sind wir nicht nur ziellos, wir laufen auch Gefahr, grundlegende Gesetze unseres magischen Tuns zu verkennen und bisweilen verheerende Fehler zu begehen. Allerdings gab es auch Zeiten, da dieses "Wissen" falsch verstanden oder stark ueberschaetzt wurde. Es ist naemlich damit nicht allein ein reines Kopf- oder Verstandeswissen gemeint, das freilich auch dazu gehoert; dieses wollen wir im vorliegenden Kurs umfassend vermitteln. In erster Linie geht es jedoch um intuitives oder Bauchwissen, und das laesst sich nur durch die eigene Erfahrung erlangen. Jeder Lehrer kann dem Schueler bestenfalls zeigen, wie er zu diesem intuitiven "Fleischeswissen" gelangt, den Lernprozess selbst kann er ihm jedoch nicht abnehmen.
WOLLE
Ein Magier, der nicht weiss, was er will, ist schlussendlich hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Nur der unbeugsame Wille (und das ebenso kompromisslose Wollen - was nicht dasselbe ist!) fuehrt gefahrlos ans Ziel. Tatsaechlich sehen viele Magier der Neuzeit im Erkennen des eigenen wahren Willens (Thelema) das eigentliche Ziel jeder hohen Magie. Geraet das Wollen ins Schwanken, "kippt" auch die ganze magische Operation fast automatisch. Willensschulung bedeutet daher stets auch Erkenntnisschulung und Disziplinierung. Denn jeder Mensch neigt dazu, allein nach dem Lustprinzip zu handeln, wenn man es ihm gestattet. Daran ist zwar nichts Prinzipielles auszusetzen, doch fuehrt es leider oft zu Fahrlaessigkeit und Bequemlichkeit. Dem beugt das dezidierte Befolgen des eigenen Willens wirkungsvoll vor.
WAGE
Dies ist vielleicht der Grundsatz, gegen den in der Magiegeschichte am allerhaeufigsten verstossen wurde: Die nackte Angst vor der Praxis springt uns auf zahllosen Seiten magischer Autoren an, die sich geradezu davor zu fuerchten scheinen, dass die Magie tatsaechlich funktionieren koennte! Dies tut sie natuerlich auch, doch wirklich effizient kann nur der Magier sein, der den Mut hat, auch durch die Tat fuer das einzustehen, was ihm sein Wille als notwendig und erstrebenswert eingegeben hat. Beachten Sie bitte, dass wir bisher noch nichts ueber die Gefahren der Magie gesagt haben: Es ist nicht so, als gaebe es diese nicht. Doch ist Magie tatsaechlich nicht viel gefaehrlicher als das Autofahren. Eine gruendliche Ausbildung und nuechterne Praxis sind die beste Voraussetzung fuer erfolgreiches, risikoarmes Arbeiten. Wenn man den angehenden Fahrschueler unentwegt damit erschreckt, wie gefaehrlich all sein Tun doch ist, erzieht man ihn lediglich zu einem veraengstigten - und somit schlechten - Autofahrer, der Unfaelle und Fehlverhalten geradezu anzulocken scheint. Ebenso verhaelt es sich mit dem Magier. Hueten Sie sich also vor den Warnungen "wohlmeinender" Nicht-Praktiker, die Sie schon in der Hoelle oder im Irrenhaus schmoren sehen, wenn Sie sich auch nur theoretisch mit Magie beschaeftigen sollten! Vertrauen Sie lieber auf erfahrene "Morgenlandfahrer" und Psychonauten, die genau wissen, welche Gefahren tatsaechlich drohen und welche nur eingebildet sind (und das sind die meisten!). Denken Sie an Martin Luthers Satz: "Aus einem verzagten Arsch kommt niemals ein froehlicher Furz." Tatsaechlich stellt die Angst vor der Magie die groesste Gefahr auf dem magischen Weg dar! Gerade aus diesen Ueberlegungen heraus ist auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Aengsten von nicht zu unterschaetzender Wichtigkeit.
SCHWEIGE
Viel Unfug ist in der Vergangenheit mit der Verpflichtung zum Schweigen getrieben worden. Oft wurde dieses Gebot mit einer Aufforderung verwechselt, die eigene Unwissenheit hinter geheimnisvollen
Andeutungen ("darueber muss ich schweigen", "wahre Eingeweihte werden wissen, was gemeint ist" usw.) zu verbergen. Oft sollte auch der "profanen Masse" geheimes Wissen eifersuechtig vorenthalten werden. Doch ist dies bestenfalls das Verhalten einer verknoecherten Priesterschaft, die um ihre Vorherrschaft (welche auf der Unwissenheit der Beherrschten fusst) bangt; schlimmstenfalls soll der Unwissende damit gezielt in die Irre gefuehrt werden, wodurch er um so leichter ausgebeutet werden kann. In Wirklichkeit schuetzen die Mysterien sich ausnahmslos selbst und koennen ueberhaupt nicht "entweiht" werden! Denn ihr eigentliches "Geheimnis" ist die Erfahrung, die der Adept mit ihnen macht - und diese Erfahrungsdimension kann ihm niemand
nehmen, sie kann von keinem Aussenseiter und Unwissenden befleckt werden. Dennoch ist es ratsam, die eigenen okkulten Interessen nicht allzu offenherzig preiszugeben - zu gross sind nach wie vor die Vor- urteile, die dem Magier in unserer angeblich "aufgeklaerten" und "toleranten" Zeit begegnen, zu gross die Energie, die er sonst darauf verwenden muss, sich selbst gegen diese Widerstaende zu behaupten. Das bindet unnoetig Kraefte und ist deshalb tunlichst zu vermeiden. Ausserdem bedeutet das Schweigen, dass, um wieder ein Bild zu gebrauchen, "der Topf auf den Deckel" gelegt wird, damit entsprechender Druck erzeugt werden kann. Dieser Druck ist die magische Kraft, die wir Magis nennen.
Quelle: von Frater V.'.D.'.
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