osaki schrieb:In gemäßigten Klimazonen wird die Nahrung wahrscheinlich zu 80-90% aus pflanzlicher Nahrung bestanden haben. Kennt man sich aus, weiß man, wo man gehaltvolle Nahrung, wie z.B. Wurzeln, Sämereien, Nüsse, Beeren etc finden kann. Jagen war die Ausnahme.
Nein. Jäger- und Sammlerkulturen decken ein recht breites Spektrum darüber ab, wie hoch der Fleischanteil an der Gesamtnahrung ist. Auch in gemäßigten Breiten. Schon der Homo erectus aus dem thüringischen Bilzingsleben vor knapp 400.000 Jahren besaß Jagdwaffen (ein Speerrest wurde gefunden) und bejagte eine Vielzahl von Tieren, erstaunlicherweise sogar bevorzugt (Mengenanteil der gefundenen Speisereste) wehrhaftes Großwild wie Waldelefanten, Nashörner und Wildrinder (erst jüngere Lagerplätze späterer Menschenarten weisen einen höheren Anteil älterer Jagdbeute auf, die in Bilzingsleben gefundenen Elefantenreste gehörten fast ausschließlich zu maximal vier Jahre alten Jungtieren). Auch zahlreiche Bärenreste wurden gefunden. Man fand auch pflanzliche Nahrungsreste, keine Frage. Doch der Fleischanteil lag deutlich im zweistelligen Prozentbereich. Nach Erlegen eines Elefanten dürfte die Nahrung bis wochenlang hauptsächlich aus Fleisch bestanden haben.
Der spätere Neandertaler brachte es sogar auf bis zu 90% fleischlicher Nahrung. Aber auch der war nicht bloß unflexibler Großwildjäger, wie man lange dachte, sondern er verspeiste in jeder Region, "was die lokale Küche anbot", also Kleingetier, an der Küste auch Robben, Delfine, nicht nur Fische und Meeresfrüchte, und immer wieder auch einen gehörigen Anteil an vielfältiger pflanzlicher Kost (im Schnitt um 20%; aber wie gesagt, mit lokalen Schwankungen in beide Richtungen). Der zeitgleich mit dem Neandertaler lebende Sapiens hatte ebenfalls ein breites Spektrum an tierischer Jagdbeute, nur befand sich im Schnitt seltener besonders großes Großwild darunter.
Ach ja, nicht daß es heißt: das war ja Eiszeit. Die Regionen in Europa, in denen der Neandertaler und dann auch der hinzugekommene Sapiens lebten, waren durchaus gemäßigt, maximal hatten sie ein Klima ungefähr wie im heutigen Baltikum. Tatsächlich hielt es sogar der Sapiens noch in Gebieten aus, die um 2° im Jahresmittel kühler waren als die kältesten neandertalertauglichen Locations. Als der Homo erectus in Bilzingsleben lebte, herrschte dort sogar mediterranes Klima; da lebten auch Flußpferde und Affen.
osaki schrieb:Seßhafte mußten mit Missernten, einseitigerer Ernährung etc klarkommen.
Naja, vor allem am Anfang gab es noch viel Jagen und Sammeln nebenbei. Erst als der landwirtschaftlich erzeugte Nahrungsanteil größer geworden war, traten die Mangelerscheinungen deutlich zutage. Mißernten waren ein großes Problem; allerdings konnte das ersammelte pflanzliche Nahrungsangebot ebenfalls in schlechten Jahren ebenfalls drastisch zurückgehen, und beim Jagen gab es ebenfalls Mißerfolge, ja es gab sogar Probleme durch abgewandertes bzw. dezimiertes und schließlich ausgestorbenes Jagdwild. Gut zu erkennen daran, daß zur Zeit des Aussterbens des Neandertalers an den Rastplätzen der Sapiense der Anteil an Kaninchenbeute extrem groß wurde. Über 40% der tierischen Proteine wurden von Kaninchen gestellt. Wer schon vom "Kaninchenhunger" gehört hat (wer nicht, einfach googeln), wird wissen, daß ein hoher Kaninchenanteil an der tierischen Kost bei Jägerkulturen ein Zeichen von Fleischnahrungsmangel und ernsthafter tödlicher Bedrohung ist. Kurz nach dem Aussterben des Neandertalers in jener Zeit verschwand auch der Kaninchenverspeisende Sapiens aus Westeuropa (später kamen Sapiense von weiter östlich wieder in diese Region).
Wer sich nur minimal tierisch ernährt, der muß in Mangelzeiten für Jäger nicht so stark auf Kaninchen zurückgreifen. Der erhöhte Kaninchenverzehr ist nur verständlich, wenn Fleischkonsum einen erheblichen Anteil an der Ernährung stellte. Und ebenso stirbt keiner, der sich fast ausschließlich pflanzlich ernährt, an Kaninchenhunger, wenn er für seine geringfügige tierishe Beikost nur noch auf Kaninchen zurückgreift. Da die nordamerikanischen Prärieindianer nach der massiven Dezimierung ihrer Hauptjagdbeute, der Bisons, tatsächlich massiv unter Kaninchenhunger litten, haben wir mit ihnen auch schon mal ein Beispiel von einer sehr neuzeitlichen Jäger- und Sammlerkultur aus gemäßigten Breiten, bei der der Fleischanteil an der Ernährung sehr hoch ausgefallen sein muß. Was bei Großwildjagd ja ohnehin eigentlich klar sein dürfte.
osaki schrieb:Zudem kostet es Zeit die Behausung, Werkzeuge für die Landwirtschaft, Bevorratung u.s.w. zu erarbeiten.
So ein Hausbau ist jetzt nicht wirklich sehr viel aufwändiger. Noch in der ausgehenden Bronzezeit wurden in der Levante bestimmte einfache Wohnhäuser in Form von Nomadenzelten gebaut, und das auch mit eher einfachen Baumaterialien. Je aufwändiger ein Hausbau war (z.B. Steinhaus), desto länger hielt das dann auch, und man mußte jahre- bis jahrzehntelang nicht immer wieder neu bauen. Reparieren, Ausbessern etc. muß man auch bei Zelten. Die muß man auch stets abbauen, mitnehmen, wiederaufbauen, jedes Mal, wenn man den Platz wechselte. Tierischer Aufwand, der durch seine Regelmäßigkeit ordentlich ins Kontor schlägt. Na und auch Nomaden brauchen Werkzeuge, Vorratsbehälter usw., auch da gibts Aufwand, einen sehr vergleichbaren. Is auch nicht so, daß sich ein Bauer jeden Morgen ne neue Sense oder Hacke schnitzen muß.