das sagt ja mal wirklich etwas aus............................
Die Todesumstände von König Ludwig II.
Von Dietmar Kleiner
Am Sonntag, den 9. April wurde mit großem Getöse in Füssen im Allgäu das neue »König-Ludwig-Musical« uraufgeführt. Hierfür war am Ufer des Forggensees eigens ein neues Musiktheater errichtet worden. Über den künstlerischen Wert des Werkes mögen sich die Kritiker streiten. Oder der interessierte Liebhaber leichter Muse möge sich durch einen Besuch das eigene Urteil bilden. Aus Sicht des um die historische Wahrheit bemühten Betrachters muß jedoch festgestellt werden, daß man es mit dem tragischen Ende des bayerischen »Märchenkönigs« wieder einmal nicht so genau nahm. Denn zum Schluß der Handlung begibt sich ein geistig verwirrter Monarch freiwillig in die Fluten des Starnberger Sees, um dort zu ertrinken.
Dabei hat es seit dem Tode des bayerischen Königs im Jahre 1886 immer wieder Anlaß zu Mutmaßungen über die Ungereimtheiten seines Ablebens gegeben. 1952 erschien im Verlag Hohe Warte die Schrift »Wahnsinn oder Verbrechen?«1). Die Verfasserin gibt darin einen Überblick der politischen Verhältnisse während der Regentschaft Ludwig II. Sie war vor allem vom Gegensatz zwischen jesuitisch geprägter, antipreußischer Klerikalpolitik einerseits und dem auf die Reichseinheit setzenden König andererseits bestimmt. Zu den Todesumständen wird in der Schrift berichtet, was bis zum Erscheinungsjahr als gesichert gelten konnte: Die vom Psychater Gudden gestellte Ferndiagnose, nach der Ludwig an Paranoia2) gelitten habe, ist nicht haltbar. Das Gutachten, das als Grund für die Entmündigung und Absetzung des Königs gedient hatte, wäre für einen freien und lebenden Ludwig leicht zu entkräften gewesen. Unerklärlich blieb Guddens Verhalten, der am Todesabend entgegen allen fachärztlichen Gepflogenheiten allein mit dem angeblich geisteskranken König am Ufer des Starnberger Sees spazierengeht. Nicht passend zum angeblichen Freitod Ludwigs, den Gudden vergeblich zu verhindern versucht habe und der dabei vom König erdrosselt worden sein soll, sind auch die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen die Uhr des Königs und die des Arztes stehen geblieben sind. Demnach wäre Gudden erst eine gute Stunde nach Ludwig gestorben.
Vor zwei Jahren notierte »Mensch und Maß«3), der Ludwig-Forscher Peter Glowasz glaube an Hand eines zwei Einschußlöcher aufweisenden Hemdes die Ermordung des Königs nachgewiesen zu haben.
Nun hat der Starnberger »Kreisbote«4) ausführlich den »König Ludwig II.-Denkmalverein München-Starnberg« zu Wort kommen lassen. Die dortigen Kenner der Materie behaupten, der Tod Ludwigs sei »kaltblütiger Mord« gewesen. Der amtierende Vorsitzende Albert Widemann besitzt Original-Schriftstücke des königlichen Leibfischers Jakob Lidl, die diese Aussage erhärten sollen. Allerdings ist das Hauptstück der Beweise, ein schwarzes Schulheft, in dem Lidl seine Erinnerungen aufgezeichnet haben soll, verschwunden. Es war nach Lidls Tod durch dessen Witwe auf ihren zweiten Ehemann, Martin Mertl, übergegangen. Dieser wollte es zu seinen Lebzeiten noch nicht herausgeben. Zu seinem Neffen soll er über das Schulheft gesagt haben: »Bua, wenn du einmal das Heft siehst, und deren Inhalt bekannt wird, wird die Welt aufhorchen!« Nach dem Tode Mertls im Jahre 1963 versuchte Widemann sofort, in den Besitz des Dokuments zu gelangen. Doch es fand sich nicht im Nachlaß. Eine Nachbarin soll nach Widemanns Angaben von Männern in »schwarzen Limousinen« und »dunklen Anzügen« berichtet haben, die nach Mertls Tod in dessen Haus eingedrungen seien und vermutlich beides mitgenommen hätten. Dennoch weiß Widemann zu berichten, was Mertl ihm über den Inhalt des Heftes mündlich erzählt habe.
Das den angeblichen Irrsinn des Königs feststellende Gutachten Guddens war am 8. Juni fertiggestellt und unterschrieben worden. Einen Tag später begab sich eine Kommission nach Hohenschwangau, um Ludwig seine Entmündigung mitzuteilen. Am Spätnachmittag des 10. Juni hatte schließlich Münchner Gendarmerie die Schlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein besetzt. Der König war praktisch ein Gefangener. Schließlich wurde er am 12. Juni auf das Schloß Berg am Starnberger See verbracht, ein von Guddens Schwiegersohn geführtes Privatirrenhaus.
Am 13. Juni 1886 habe sich nach den Gedächtnis-Aufzeichnungen des Fischers Lidl folgendes ereignet:
Lidl wußte, daß König Ludwig II. am 13. Juni fliehen wollte. Den Fluchtplan arbeitete Ludwigs Flügeladjudant Alfred Graf von Dürckheim-Montmartin aus. Gefolgstreue Diener klebten Notizen unter das Eßgeschirr des Königs. So gingen die nötigen Informationen und Anweisungen für den Plan nach draußen und wieder zurück. Schloß Berg war für den König wie ein Gefängnis. In der Türen waren Gucklöcher und Gitter sollten vor die Fenster seiner Räume kommen. Auf Schrift und Tritt wurde er von Gudden und zwei bis drei Wachen begleitet.
Der Leibfischer Lidl wußte, daß die Flucht nach Tirol an diesem Abend stattfinden sollte. In seinem Boot harrte er daher in der Nähe des Ufers von Schloß Berg aus, etwas weiter im Wasser. Wenn er am Ufer gewartet hätte, wäre die Gefahr zu groß gewesen, entdeckt zu werden. Außerdem wog Ludwig II. immerhin etwa 100 Kilo. Im seichten Wasser hätte der Kahn beim Einsteigen des Königs aufgesetzt und eine schnelle Flucht unmöglich gemacht.
Geplant war, daß Lidl den König zur Mitte des Sees rudern sollte. Dort warteten bewaffnete Gebirgler in einigen Booten, die ihn sicher an Land bringen sollten. Vier Orte am Ostufer waren als Landepunkte festgelegt worden, je nachdem in welche Richtung die Königs-Eskorte fliehen mußten: Leoni, Ammerland, Ambach oder Seeshaupt. An jedem der Orte war wiederum eine vierspännige Kutsche startbereit, die Ludwig II. erst einmal über die Grenze nach Tirol bringen sollte. Eugen Freiherr Beck von Peccoz (1843-1919) aus Eurasburg hatte die Kutschen organisiert.
Alles kam jedoch ganz änders. Am Vormittag des 13. Juni 1886 erkundigte sich Ludwig, wieviel Wachposten im Park aufgestellt seien. Dies wurde Gudden zugetragen, der daraufhin die Wache anwies, sich versteckt zu halten, damit der König sie bei seinen Spaziergängen nicht sehen könne.
Am Abend des Pfingstsonntags wollte Ludwig fliehen. Ab 18.30 Uhr hielt sich sein Leibfischer Lidl bereit. Gegen 18.45 Uhr verließen Ludwig II. und Gudden bei leichtem Regen das Schloß Richtung See. Lidl sah den König und habe die folgenden Szenen in seinem Schulheft beschrieben, erzählt Widemann:
Als der König in den Kahn steigen wollte, wären zwei Schüsse gefallen, die ihn offensichtlich sofort getötet haben. Er lag quer im Boot. In seiner Verzweiflung und Todesangst habe Lidl den toten König ins Wasser geschoben. Panisch sei er dann nach Hause gerudert, habe sich ins Bett verkrochen und auf seine Verhaftung gewartet.
Gegen 22.30 Uhr wurde Lidl geweckt, vom Assistenzarzt Dr. Franz Carl Müller und dem Hofverwalter Leonhard Huber. Wider Erwarten wurde er nicht verhaftet, sondern um Hilfe gebeten. Man sagte ihm, der König und Gudden würden seit dem Abend vermißt. Lidl solle jetzt vom See aus bei der Suche helfen. Da er den Todesort kannte, fand er sofort, wonach gesucht wurde und mußte feststellen: König Ludwig und auch Gudden lagen tot im Wasser. Lidl berichtet außerdem, daß er beide Leichen nicht sofort ins Schloß bringen mußte, sondern erst zum Bootshaus. Erst vier Stunden später wurden sie ins Schloß getragen.
Diese Version paßt zu dem, was über Guddens merkwürdiges Verhalten am Todesabend bekannt ist. Gegen seinen eigenen fachlichen Grundsatz, daß ein Psychiater sich niemals allein mit seinem Patienten aufhalten dürfe, hatte er ausdrücklich die Abwesenheit von Pflegern beim geplanten Spaziergang angeordnet. Ebenso klar dürfte dem angesehenen Arzt gewesen sein, daß ein lebender König Ludwig II., von dessen gesundem Geisteszustand sich Gudden in den Tagen zuvor hatte eingehend überzeugen können, eine ernste Gefahr für seine fachliche Reputation bedeutet hätte. Er wäre erledigt, wenn es Ludwig gelänge, gegen das Gutachten vorgehen zu können. Ein auf der Flucht erschossener König wäre also auch ihm gelegen gekommen. Sicher hat er nicht geahnt, daß er in diesem Komplott nicht nur die Rolle eines Täters bekleiden würde, sondern auch Opfer werden sollte. Guddens Leiche wurde nicht obduziert und auf dem Münchner Ostfriedhof bestattet. Auch sein Tod ist daher ungeklärt. Albert Widemann glaubt, daß Gudden den Befehl bekam, den König vom Blut zu reinigen, damit es nicht nach Mord aussah. Dann habe man Gudden als unliebsamen Zeugen ebenfalls erschossen.
Vor diesem Hintergrund wird auch der bereits erwähnte Uhrenvergleich schlüssig. Nach offizieller Version sollen Ludwig und Gudden fast zur selben Zeit gestorben sein, Ludwig in jedem Fall aber später als Gudden. Die Uhr von Gudden war erst um 20:10 Uhr stehengeblieben, die von Ludwig bereits um 18.54 Uhr. Gudden hat demnach den König überlebt. Nach Erzählungen hatte ein gewisser Oberamtsrichter Jehlen damals die Uhren bei einem Uhrmacher untersuchen lassen. Der Handwerker fand heraus, daß beide Uhren durch das eindringende Wasser stehengeblieben sind. Denn zum Zeitpunkt des Stillstands waren sie noch ausreichend aufgezogen gewesen.
Die Obduktion der Leiche des Königs in München ergab, daß kein Wasser in den Lungen war. Ludwig war also nicht ertrunken. Auch dieser Beleg liegt wie viele andere vermutlich im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher. Trotzdem drangen diese Informationen an die Öffentlichkeit - vermutlich immer unter vorgehaltener Hand, mit Angstschweiß auf der Stirn. Der ein der andere Zeitzeuge hat sich eben nicht an das damalige aufgezwungene Schweigen gehalten. Bei einem Sektionsprotokoll mußten außer einem Arzt auch ein Richter und ein Staatsanwalt anwesend sein. Das war nicht der Fall. Erstaunlich ist auch, daß überhaupt keine Todesursache im Protokoll genannt wird.
Nach den Mitgliedern des König-Ludwig-II.-Denkmalsvereins und anderen Historikern gibt es weitere Beweise dafür, daß Ludwig II. erschossen wurde:
Widemann besitzt Erklärungen - teilweise eidesstattliche - von vier Menschen, darunter ist die von der Münchnerin Rita Löhner. Ihr Mann war eng mit Prinz Konstantin von Bayern (1920-1969) befreundet und wäre oft im Haus der Löhners gewesen. Bei einem dieser Besuche sprach Rita Löhner mit Prinz Konstantin über die Geheimnisse zum Tod Ludwig II. Konstantin erzählte ihr, daß er mit etwa elf Jahren in ein Zimmer gegangen sei, das den Kindern verboten und immer versperrt war. Doch diesmal steckte der Schlüssel. Er ging hinein und sah an einem Haken der Tür einen Mantel und eine Weste, die zwei gleiche, kreisrunde Löcher im Rückenteil hatten. Als er sich ein weiteres Kleidungsstück ansehen wollte, erwischte man ihn, berichte er Löhner, und zerrte ihn rüde aus dem Zimmer. Prinz Konstantin glaubte, daß es die Kleider vor Ludwig II. waren - mit zwei Schußlöchern.
Eine weitere Zeugenaussage gibt es vom kgl. Hofrat und prakt. Arzt Dr. Rudolf Magg, der als erster Arzt Ludwigs Leiche noch in Berg zu Gesicht bekam. Er mußte die regierungsamtliche Version bestätigen. Das war ein Befehl des Justizministeriums. Als Magg im Sterben lag, konnte er das Geheimnis nicht länger für sich behalten und bat seine Tochter Anna, alles aufzuschreiben, was er ihr erzählte. Er sprach von ,,furchtbaren Schußwunden in Ludwigs Rücken«.
Der Historiker Prof. Dr. Karl Bosl glaubt wie Widemann an einen Staatsstreich: »Tod und Entmündigung König Ludwigs II. (...) wurden von einer ,anonymen' Ministeroligarchie beschlossen«. Manche Historiker gehen noch weiter und nennen den Namen des Mannes, der ihrer Meinung nach den Mord in Auftrag gegeben hat: Maximilian Graf von Holnstein aus Bayern. Er war Oberstallmeister und hatte sich beim Zusammentragen des Beweismaterials für Guddens Gutachten hervorgetan. Bismarck hatte gewarnt, Holnstein hasse den König. Nach Prof. Dr. Karl Möckl soll Holnstein mit Hilfe seiner Freundin Hildegard Rixinger die Unterschriften des Königs gefälscht und sich so reichlich aus der Kabinettskasse bedient haben. Er mußte fürchten, daß der Betrug auffliegt.
Eine große Rolle bei der Frage der Entmündigung hatten Ludwigs angebliche Schulden gespielt. Der König, mit finanziellen Dingen nicht befaßt, mußte erfahren, daß seine Hofkasse ein Defizit aufwies. Die von Ludwig im April 1883 auf Bismarcks Anraten unternommenen Versuche, die Angelegenheit vor den Landtag zu bringen, scheiterten an der Weigerung des Finanzausschusses, die auf Lutz zurückgeführt werden kann. Lutz, ursprünglich ein Gegener klerikaler Politik, hatte sich inzwischen zu einem Freund der Kirche gewandelt, der dem einstigen Gegner im Geheimen manchen Gefallen tat. Der Bayernkönig hatte vorgehabt, die Regierung unter Freiherr von Lutz abzusetzen und den Vorsitzenden der konservativen Partei im Landtag, Georg Freiherr von Franckenstein, zu berufen. Von Prinz Luitpold hatte Lutz die Versicherung erhalten, daß er im Falle eines Thronwechsels als Regierungschef bleiben werde. Des Königs angebliche Verschuldung hat Widemann untersucht. Ludwig habe für den Bau der drei Schlösser (Linderhof, Neuschwanstein und Herrenchiemsee) etwa 31 Millionen Mark ausgegeben. Die Aktiva seiner 22jährigen Regierungszeit betrugen dagegen 158 Millionen Mark. 1886 hatte Ludwig daher lediglich vorübergehend seinen privaten Etat überschritten - und nicht den Staatshaushalt belastet. Das Vermögen der Wittelsbacher wäre Sicherheit genug gewesen.
So mußten Ludwigs Feinde rasch handeln und ihren »eigenen König schlachten«, wie Bismarck zu dem bayerischen Gesandten in Berlin Hugo Graf von Lerchenfeld-Köfering sagte. Die endgültige Gewißheit im Mordfall König Ludwig II. wird durch das Haus Wittelsbach noch heute unterbunden, da die Familie eine Exhumierung der Leiche verhindert. Wie dem auch sei: Alles spricht für ein Gewaltverbrechen. Die verschwundenen Aufzeichnungen des Fischers Lidl deuten darauf hin, daß der König »auf der Flucht erschossen« worden ist. Wer nun den Stein ins Rollen brachte, bleibt dabei zweitrangig. Jedenfalls stellt sich bei näherer Betrachtung nichts so dar, wie es die Verschwörer der Welt vorgegaukelt haben. Weder war Ludwig ein geisteskranker Sonderling, noch waren seine finanziellen Probleme derart schwerwiegender Natur, daß von einer »Runinierung der Staatsfinanzen« zu sprechen ist. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, daß betrügerische Machenschaften zur Verschuldung geführt haben. Außerdem war der König nicht nur ein Gegner der in Bayern herrschenden klerikalen Politik, sondern war von Ministern umgeben, die seine ausgleichende Haltung gegenüber Preußen mißbilligten. Ein Mordkomplott gegen Ludwig II. ist vor diesem Hintergrund mehr als wahrscheinlich.
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Fußnoten:
Gathmann, Erika, Wahnsinn oder Verbrechen? Hinter den Kulissen der Tragödie Ludwig II. v. Bayern, Pähl 1952
Geistesstörung, die durch die Ausbildung eines ausgeprägten und komplexen, zumeist in sich stimmigen Wahnsystems gekennzeichnet ist.
»König Ludwig II. von Bayern erschossen«, in: Folge 8 v. 23.4.1997, S. 367
»Sie kämpfen um die historische ‚Wahrheit'«, in: Kreisbote - Ausgabe Starnberg v. 10.2.1999
quelle:
http://www.hohewarte.de/MuM/Jahr2000/Ludwig_II0009.html (Archiv-Version vom 11.10.2009)