Marc Dutroux galt bereits kurz nach der Entführung von Julie und Melissa als Verdächtiger und war die ganze Zeit über von Polizisten observiert worden. Wie war es da möglich, dass man die Tötung der beiden Mädchen nicht verhindern konnte und Dutroux auch noch vier weitere Mädchen entführen konnte? Wie war es möglich, dass Marc Dutroux nach seiner überfälligen Festnahme entkommen konnte und die Polizei eine ganze Stunde wartete, bis sie die Verfolgung aufnahm?
Als der erste Untersuchungsrichter Jean-Marc Connerotte nun kurz nach der Festnahme von Dutroux alle Belgier aufforderte, alles, was sie über einschlägige Verbrechen an Kindern wüssten, mitzuteilen, brach eine Lawine von Informationen über die Ermittler herein. Darunter Aussagen von mehreren jungen Frauen, die Unglaubliches zu Protokoll gaben: Sie wüssten von Sex-Partys in den frühen achtziger Jahren in den besten Kreisen, auf denen Kinder gefoltert und getötet worden seien. Dutroux und den Mitangeklagten Nihoul habe man gesehen. Bücher kursierten, in denen auch der jetzige belgische König Albert II. als Besucher von Sex-Partys genannt wird. Wieso wurde der Untersuchungsrichter Jean-Marc Connerotte, der diese Ermittlungen geleitet, die Befreiung von Laetitia und Sabine und die Festnahme von Dutroux eingeleitet hatte, von der Leitung der Affaire entfernt? Die offizielle Begründung war, es sei befangen, weil er an einer Wohltätigkeitsveranstaltung für die ermordeten An und Eefje teilgenommen und ein Geschenk (einen Kugelschreiber) angenommen hatte.
Wieso hat es acht Jahre lang gedauert, bis endlich der Prozess gegen Dutroux eröffnet wurde? Als der Prozess dann stattfand breitete der Untersuchungsrichter vier Tage lang seine Version der Dinge aus. Das Ergebnis: Die siebenjährigen Ermittlungen hätten ergeben, dass Dutroux ein Einzeltäter war. Basta. Und das, obwohl alles darauf hindeutete, dass hinter Dutroux ein ganzes Kinderporno-Netzwerk steht. Die Familien der Opfer waren entsetzt und warfen dem Untersuchungsrichter vor, er habe sich manipulieren lassen. 27 (!) Zeugen, die im Prozess aussagen wollten, sind bisher ums Leben gekommen (ZDF-Reportage). Zum Teil unter mysteriösen Umständen. Wie kann der Untersuchungsrichter vor diesem Hintergrund davon sprechen, dass sich hinter Dutroux kein kriminelles Netzwerk befände?
Schon vor der Festnahme Dutrouxs hatten einige Zeugen bei der Polizei Aussagen gemacht, die Ähnliches berichteten und die Ermittler auf Spuren führten, mit denen sich später auch die Dutroux-Ermittlungen kreuzten. Das Protokoll einer solchen Zeugenaussage sagt folgendes:
"In einem Zusatz des Dossiers mit dem Datum 2. Juni 1997 vervollständigt Zeugin X3 ihre Aussage. Sie spricht von einem Schloss, in Mitten eines Parks, wo Kinder, in Käfige eingeschlossen, darauf warten, "dranzukommen". Im kleinen Turm des Schlosses befände sich eine kleine Ausstellung der Leichen von Kindern. Die Gruppe von Erwachsenen sei immer die selbe - an die fünfzig - unter denen sie nur wenige kannte. Dort endeten die Abende nie ohne einem Todesfall. Die Prominenten machten Jagdpartien mit Doggen auf die Kinder, die nackt in den Park freigelassen würden. Kinder würden an Bretter gebunden und mit Rasierklingen und Nadeln gefoltert."
(Verhör von X3, BSR, 2. Juni 1997, Protokollziffer 151.829.)
Über diese Zeugenaussage sagte ein ein Mitglied der Ermittlungskommission:
"Was die Aussage von X3 über das Königshaus angeht, muss man sich bewusst sein, daß bis zum heutigen Tag dieses Zeugnis noch nicht in das Verfahren einbezogen worden ist (Entscheidung von Langlois [Untersuchungsrichter im Dutroux-Prozess]). Ich habe die Gelegenheit genutzt, um den Berater Marique wissen zu lassen, daß keiner der 'enqueteurs' der Neufchâteau-Abteilung Ermittlungen gegen Personen anstellt, die Unantastbarkeit, Immunität oder Jurisdiktionsprivilegien oder sonstige Privilegien genießen. Im gleichen Sinne habe ich klar gemacht, daß kein einziger Richter Ermittlungen gegen solche Personen angeordnet hatte." (Notiz von Jean-Luc Decker an den 'Major' Guissard, vom 'Commandant' Duterme in Kenntnis genommen, 23. September 1997, nY250/Ant.).
Quelle :
http://www.radicalparty.org/belgium/lettera290300_t.htm (Archiv-Version vom 16.12.2004)Was kann man daraus schließen? Der Richter Langlois hat entschieden, daß man nicht gegen Mitglieder des Königshauses oder andere Unantastbare aussagen darf.
Für die Vermutung, dass Dutroux für hochrangige Persönlichkeiten Kinder beschaffte, spricht auch dass er für die Stasi gearbeitet hat, wie die Berliner Morgenpost berichtete. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hat mit Kinderpornografie einflussreiche Persönlichkeiten in Westeuropa erpresst. Das erklärt der ehemalige Verbindungsoffizier zwischen dem früheren sowjetischen Geheimdienst KGB und dem MfS, Wanja Götz, in einer eidesstattlichen Versicherung, die der Berliner Morgenpost vorliegt. Nach Recherchen der Zeitung hat auch Marc Dutroux zeitweise im Auftrag der Stasi gearbeitet "Es gab in der Tat Hinweise, wonach sich solche Informationen in dem Stasi-Material wieder finden, das dem amerikanischen Geheimdienst CIA zugespielt wurde. Der belgische Geheimdienst wäre gut beraten, diese Unterlagen gründlich auszuwerten", sagt der ehemalige Geheimdienstkoordinator der Regierung Kohl, Bernd Schmidbauer (CDU). ("Berliner Morgenpost" vom 9.2.2003)
Während des Prozesses gegen Dutroux nahmen die Nachlässigkeiten der Justiz jedenfalls kein Ende. Unter anderem war in der Nähe von Dutrouxs Zelle ein Schlüssel gefunden worden, der zu seinen Handschellen passte. Ein andermal fuhr er mit unverschlossener Autotür zum Gerichtsgebäude, wieder ein andermal war in seinem Gefangenentransporter eine Rasierklinge gefunden worden. Es scheint, man wollte verhindern, dass beim Prozess bestimmte Dinge zur Sprache gebracht werden.
Siehe auch eine sehr aufschlussreiche Reportage über rituellen Kindesmissbrauch und das Netzwerk hinter Marc Dutroux vom 3.01.2004 (N24):
http://www.denkmalnach.org/download/Ritueller_Missbrauch_Dutraux_N24.aviReportage über Kindsmissbrauch vom 3.1.04 (SAT1), die zusätzlich zu den Opfern der N24-Reportage noch einen Bruder eines der Opfer interviewt:
http://www.denkmalnach.org/download/Ritueller_Missbrauch_Dutraux_Sat1.avi