Abhörsystem Onyx
28.09.2006 um 22:37
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Von Urs Paul Engeler
Der Fichenskandal war gestern, jetzt kommt Onyx: Das Abhörsystem kann jeden Bürgerbelauschen und ist so geheim, dass selbst Parlamentarier nur den Tarnnamen kennen.
Wäre im Januar 1999 ein Gemeinderat der kleinen Berner Kommune Zimmerwald nicht etwaszu geschwätzig geworden und hätte Der Bund die kleine Information, dass die bestehendeHorch- und Auswertungszentrale auf dem Längenberg südlich der Bundesstadt ausgebautwerde, nicht aufgeschnappt und verbreitet, wüsste die Schweizer Bevölkerung bis heute garnichts. Sie wüsste nicht, wozu an drei Orten der Schweiz riesige Parabolantennenerrichtet wurden. Sie wüsste nicht, dass Hunderte von Millionen Franken am Parlamentvorbeigeschmuggelt wurden. Sie wüsste nicht, dass militärische Schnüffler sämtlicheTelefongespräche und andere Kommunikationsakte via Satellitenlinks registrieren undauswerten können. Und sie wüsste nicht, dass alle ins Ausland laufendenSatellitenverbindungen tatsächlich auch systematisch überwacht und nach bestimmten, abergeheim gebliebenen Kriterien durchforscht werden.
Was die Geheimdienstlerallerdings genau abhören und wer welches Material zu welchem Zweck erhält und wieweiterverwendet, ist auch bis heute nicht ganz klar. Zwar stellen Parlamentarier ab undzu Fragen, doch das zuständige Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport(VBS) windet sich. Der grösste und perfideste Lauschangriff der Geschichte der Schweizwurde an allen Kontrollinstanzen vorbei eingerichtet und dem Volk verschwiegen. Darum istdenkbar bis sehr wahrscheinlich, dass in einigen Jahren (wieder einmal) eineParlamentarische Untersuchungskommission (PUK) diese Anmassung der Militärs und Politikeraufarbeiten und stoppen muss.
Am Mittwoch, dem 13. August 1997, tagte derBundesrat in der Besetzung Jean-Pascal Delamuraz (FDP), Kaspar Villiger (FDP), ArnoldKoller (CVP), Flavio Cotti (CVP), Ruth Dreifuss (SP), Moritz Leuenberger (SP) und AdolfOgi (SVP). Ogi, der damalige Wehrminister, brachte den hochgeheimen Antrag ein, es seidas «Projekt Satos 3» zu starten, die dritte Stufe eines seit Anfang der neunziger Jahrelaufenden militärischen Geheimprogramms. «Satos 1» und «Satos 2» waren Systeme, mit denendie Kommunikation per Kurzwellen, Richtfunk und Faxsignale abgefangen werden konnte. Nunsollte Satos 3 die vollständige «elektronische Aufklärung von Satellitenverbindungen»ermöglichen, genau wie das grosse Vorbild, das «Echelon»-System der USA.
Ausgearbeitet hatte den Plan, von Zimmerwald aus weltweit die Telefon-, Fax- undMailverbindungen zu überwachen, der militärische Geheimdienst unter dem Kommando vonDivisionär Peter Regli. Die Kosten für den Aufbau der Infrastrukturen und für dieSoftware wurden intern auf rund fünfzig Millionen Franken geschätzt, ohne die Löhne derüber vierzig Sprachspezialisten und Informatiker, die rekrutiert werden mussten. DieLandesregierung stimmte erstens dem Vorhaben Satos 3 zu, segnete zweitens die versteckte,also illegale Finanzierung und drittens die totale Geheimhaltung ab. Der Entscheid vom13. August 1997 fehlt sogar im hochvertraulichen Verzeichnis der Beschlüsse desBundesrates. Ein Protokoll existiert offenbar auch nicht; an die Öffentlichkeit drangnichts.
Mysteriöser Gedächtnisschwund
Bis die lokalen Behördenschwatzten. Der Generalstab reagierte mit einem summarischen Communiqué des spärlichenInhalts, dass er «zwecks elektronischer Aufklärung sicherheitspolitisch bedeutsameInformationen» sammeln wolle. Ende der Durchsage. «Weiter gehen wir, im Interesse desProjekts, nicht», erklärte Divisionär Regli, Chef der Untergruppe Nachrichtendienst(Una), im betriebsinternen Blättchen, «wir müssen auch dafür sorgen, dass wir es der‹Gegenseite› nicht zu leicht machen.» Wobei er und seine Geheimdienstler mit «Gegenseite»offensichtlich vorab das Parlament und das Volk meinten.
Erst einige Wochennachdem das Vorhaben durch die Info-Panne publik geworden war, also knapp zwei Jahre nachdem Beschluss und nach ersten Pressemeldungen, bequemte sich Generalstabschef Hans-UlrichScherrer, die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) knapp einzuweihen. Die sechsGPDel-Mitglieder, verantwortlich für die parlamentarische Kontrolle der Geheimbereiche,hielten sich brav an die von der VBS-Spitze ausgegebene Order («Es wurde strengstesStillschweigen befohlen!») und konnten sich wie SVP-Ständerat Bernhard Seiler, Präsidentdes behördentreuen Ausschusses, bald «an gar nichts mehr erinnern».
Diesicherheitspolitischen Kommissionen wurden gar nie informiert. Nur deren Präsidenten,Nationalrat Jean-Pierre Bonny (FDP, BE) und Ständerat Eric Rochat (LPS, VD), erhieltennachträglich eine vertrauliche Abreibung mit dem Ziel der Vertuschung und Verwedelung. Inkeinem parlamentarischen Ausschuss wurde das folgenschwere Projekt je andiskutiert.
In fast fahrlässiger Ahnungslosigkeit hatte darum das Parlament zuerst unter nichtnäher deklarierten Rubriken, später unter dem verschleiernden Titel «Neubau einesMehrzweckgebäudes in Zimmerwald» blind ab 1997 regelmässig Kredittranchen bewilligt.Unter den «verschiedenen Zwecken» der Anlage, die nie genau benannt wurden, sind Dutzendevon Arbeitsplätzen für die elektronischen Überwacher, Antennen sowie der Einbau vonGrossrechnern zu verstehen. Die Abhöranlage war bereits konzipiert, viele Einrichtungenerstellt, als ausgewählte Vertreter des Parlaments erstmals davon erfuhren. Als derNationalrat das Projekt kurz besprach (die Ständeräte verzichteten auf jedeWortmeldung!), waren erste Probeläufe schon absolviert. Im April 2000 nahm dasmittlerweile in «Onyx» umgetaufte System zum ersten Mal seinen Betrieb auf; im April 2001ging es in einen «operationellen Probebetrieb» über. Ab 2004 läuft der «operationelleBetrieb». Ab 2005 soll Onyx mit voller Leistung arbeiten; dazu wird die Zahl derParabolantennen nochmals verdoppelt.
Bereits die verdeckte, illegaleFinanzierung des gigantischen Systems ist ein Skandal, wenn auch noch der kleinste. Daszweite Ärgernis ist der steile Anstieg der Kosten. Gemäss inoffiziellen Angabenbewilligte der Bundesrat im August 1997 einen Betrag von 50 Millionen für das Projekt.Diese Summe hat sich laut GPDel-Berichterstatterin, FDP-Ständerätin Helen Leumann (LU),bis Mitte 2003 bereits verdreifacht. Experten sprechen sogar davon, dass die derzeiterwarteten (aber nie bestätigten) Gesamtkosten für das ausser Kontrolle geratene Vorhabennicht bei 150 Millionen, sondern bei rund 400 Millionen Franken lägen. Die Betriebskostenwerden, je nach Quelle, auf 10 bis 30 Millionen Franken jährlich beziffert. Die Zahlenwerden dem Steuerzahler aus Gründen der Geheimhaltung verschwiegen.
GenaueBeträge will auch die spät auf den delikaten Fall aufmerksam gewordene EidgenössischeFinanzkontrolle (EFK) nicht nennen. Sie monierte indes in ihrem Jahresbericht 2003erstmals, «dass die geschätzten Kosten, die dem Entscheid des Bundesrates zugrunde gelegtwurden, zu wenig fundiert waren beziehungsweise ungenügende Hinweise auf Unsicherheitenund Risiken gemacht wurden». Mit der Abwicklung des Projektes über drei verschiedeneBudgetrubriken werde zudem die finanzielle Transparenz eingeschränkt. Mehr hat diezahlende Öffentlichkeit bisher nicht vernommen. Offensichtlich ist das Projekt Satos-Onyxden internen Revisoren bereits definitiv entglitten.
Denn auch dieFinanzdelegation des Parlaments, die sich am 1. April 2004 zum Problem äusserte, erklärtesich für überfordert. Sie «erkannte am Beispiel von Satos gewisse Schwächen bei derBewilligung von Krediten bei Projekten, bei denen ein Geheimhaltungsbedürfnis besteht undbei denen aus diesem Grund den parlamentarischen Organen und der Öffentlichkeit nicht diesonst üblichen Informationen gegeben werden können». Resignierend stellte sie fest, dasssie bei der Kontrolle «dieses schwierigen Projekts» an ihre Grenze stosse: «Kreditteilesind aber verstreut in verschiedenen Krediten, was von den Finanzaufsichtsorganen einenspeziellen Effort verlangt, um sich einen Überblick zu verschaffen.» Die skeptischgewordenen Oberaufseher versprachen, später «auch Fragen über das Verhältnis von Aufwandund Ertrag bei Onyx zu thematisieren».
Illegale Volksbeschnüffelung
Zwischenzeitlich aber werden über verdeckte Zusatz- und Ergänzungskredite laufendDutzende von Millionen Franken für Onyx abgezweigt, und zwar weiterhin so, «dass sienicht ohne weiteres von jeder Person in Erfahrung gebracht werden können», wie derBundesrat die wiederholte Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erst kürzlichwieder begründete.
Konsequent hat das Verteidigungsdepartement darum per 2005 imSammelkredit Projektierung, Erprobung und Vorbereitung von Rüstungsbeschaffungen (PEB)wieder zehn Millionen Franken versteckt, die der Weiterentwicklung der Onyx-Technologiedienen, wie das VBS auf Nachfragen herausrückt. Der neue Tarnbegriff stammt wie derHalbedelstein Onyx aus der Mineralogie und lautet «Malachit». Ob unter diesem Namen dasjetzige System erweitert, schon neu konzipiert oder einfach anders verschleiert wird,muss offen bleiben.
Die geheimen Spionageanlagen werden von derGeneralstabsabteilung Elektronische Kriegsführung (EFK) betrieben. DieFührungsunterstützungsbrigade 41 führt Recherchieraufträge aller Art aus. Auftraggeberund Abnehmer ist offiziell der Strategische Nachrichtendienst (SND), wie der militärischeAuslandgeheimdienst inzwischen heisst. Obwohl die rechtlichen Grundlagen dazu fehlen,wird die Einrichtung indes auch von zivilen Stellen genutzt, besonders vom Dienst fürAnalyse und Prävention (DAP), dem früher und klarer Bundespolizei oder Fichenpolizeigenannten Inlandgeheimdienst, aber auch vom Departement für auswärtige Angelegenheiten(EDA). Die Bewilligungen erteilt, ohne öffentliche Orientierung, der Bundesrat, der diegrossen Onyx-Ohren vom Aus- auch ins Inland lenken kann, etwa zur Überwachung vonGrossanlässen wie dem WEF in Davos oder dem G-8-Gipfel. Der Grund für diese schlankeErweiterung der Kompetenzen ist ebenso einfach wie illegitim: Für die traditionelleTelefon- und Faxkontrolle braucht es einen dringenden Tatverdacht und eine richterlicheVerfügung. Dank Onyx werden die Bundespolizei und politische Instanzen neu formlos undfrei Haus und unkontrolliert mit den gewünschten Informationen beliefert.