@klompje1 Als "vom Glück geküsst" würde ich mich nun wahrlich nicht bezeichnen. Nicht umsonst gibt es das deutsche Sprichwort "Glück und Glas, wie leicht bricht das". Das weiss ich aus bitterer Erfahrung. Eben noch verabschiedet man sich beinahe beiläufig am Flughafen - und dann ist der geliebte Mensch für immer fort und wird niemals wieder kommen.
Als sich im Sommer 1982 die politische und militärische Lage im Libanon durch die Intervention Israels wieder zuspitzte, sah es meine damalige Ehefrau Salwa als ihre vordringliche politische und humanitäre Aufgabe an, den Palästinensern in dieser Situation beizustehen und nicht im fernen Deutschland tatenlos zu zu sehen. Ich blieb mit unserer Tochter in Deutschland.
Am Abend des 16. September drangen christliche Milizen in das Palästinenserlager Sabra ein, das zuvor von der israelischen Armee abgeriegelt worden war. Dort ermordeten sie zwischen 800 und 1000 palästinensische Männer, Frauen und Kinder, darunter auch nahezu das gesamte medizinische Personal eines kleinen Lazaretts, in dem meine Frau zu diesem Zeitpunkt tätig war.
Nach Wochen der Ungewissheit erhielt ich dann am 23. Dezember einen Anruf eines deutschen PFLP-Vertreters, der mir die Mitteilung vom Tode meiner Frau machte.
Was da in mir vorging, kann ich nicht so einfach in Worte fassen.
Anfang 1983 flog ich noch einmal in den Libanon, um Nachforschungen anzustellen, Zeugen zu befragen, mit der deutschen Botschaft dort zu sprechen etc. Obwohl meine Frau deutsche Staatsbürgerin war, zeigten sich die Behörden nicht sehr kooperativ. Für diese galt sie als verfassungsschutzmässig observiertes PFLP-Mitglied nämlich als "Terroristin". Da war man in den zuständigen Ministerien und der Botschaft wahrscheinlich nur froh, diese Akte schliessen zu können. Man hatte zwar keine Leiche und keinen Totenschein - aber für die war der Fall erledigt. Danach begann der jahrelange Kampf mit ihrer Versicherungsgesellschaft. Die will nämlich einen Totenschein. Sonst ist es nix mit der Lebensversicherung. Aber die christliche Falange stellte nun mal keine Urkunden für ihre Mordopfer aus. Letztlich ging der Prozess dann auch verloren.
Die Mörder meiner ersten Ehefrau laufen frei herum. Es hat sie keiner gesucht, keiner gefasst oder angeklagt, keiner gerichtet.
Am schlimmsten fand ich es, unserer damals vierjährigen Tochter zu Weihnachten zu eröffnen, dass ihre Mutter niemals wiederkäme. Das wünsche ich niemandem.
Als Leila ihr erstes Jahr zur Schule ging, fragte die Religionslehrerin die Klasse in der Vorweihnachtszeit, was Christen so zu Weihnachten machen.
Leila antwortete ihr: "Meine Mutter totschiessen!"
Wir standen damals von heute auf morgen nahezu komplett ohne Geld da. Salwa war als Ärztin die Einkommensstütze der Familie, während ich als freier Journalist quasi nichts verdiente. Da folgten dann unsere Hunger- und Wanderjahre, alleinerziehender Vater mit kleiner Tochter in unstetigen Beschäftigungsverhältnissen. Rein in die Kita, raus aus der Kita, rein in die Schule, raus aus der Schule. Rein in die Wohnung oder ins WG-Zimmer - und wieder raus. Kreuz und quer durch die Republik - immer einem Hungerlohn-Schreiberlingsjob hinterher. Es waren harte Jahre, es waren anstrengende Jahre - aber es waren auch schöne Jahre, in denen wir viel von einander und über einander gelernt haben. Zumindestens rückblickend lässt sich schrecklichen Erfahrungen auch noch etwas positives abgewinnen und zumindestens für meine Älteste und mich kann ich sagen, dass wir an diesem Schicksalsschlag nicht zerbrochen, sondern gewachsen sind. Mir ist schon klar, dass das nicht für alle gilt - ebenso wenig wie die Frage, ob Glück oder Unglück irgendwas mit Charakter oder gar verschwurbeltem Karma zu tun haben.