Heilt die Zeit wirklich alle Wunden?

@ElLoCo94

Es kommt natürlich ganz auf die Wunden, die betroffene Person und die Zeitspanne an.


Weil ich schon jenseits der 60 bin, habe ich natürlich jede Menge unschöne Erinnerungen, die ich aber meist gleich wieder in die finsteren Verliese meines Verstandes verbanne.

Da hocken sie dann, rütteln an den Ketten und Gitterstäben und warten auf erneute Ausbruchsgelegenheit, wenn der Verstand schläft.

Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, wie schon Goya wusste:





Wenn ich jedes mehr oder weniger "traumatische" Erlebnis meines Lebens komplett würde aufarbeiten wollen, müsste ich noch mal so lange leben. Das habe ich nicht vor - allein schon deshalb nicht, weil sich dann ja wieder neue Erlebnisse ansammeln.

Doors schrieb:natürlich jede Menge unschöne Erinnerungen, die ich aber meist gleich wieder in die finsteren Verliese meines Verstandes verbanne.

Da hocken sie dann, rütteln an den Ketten und Gitterstäben und warten auf erneute Ausbruchsgelegenheit, wenn der Verstand schläft.

Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer

Besser hätte ich es nicht ausdrücken können, danke für deinen Beitrag :)
Also wenn ich das richtig verstanden habe,meinst du auch es ist einfach eine Art Verdrängung, keine Ahnung gemessen oft an der Zeit, aber im Grunde dann doch eine Verdrängung?

@ElLoCo94

Ich jedenfalls habe traumatische Erlebnisse, an denen mein Leben nicht ganz arm war, nicht stets und tagtäglich vor Augen. Ich habe mich daran gewöhnt, mit meinen buchstäblichen Leichen im Keller zu leben. Schliesslich geht das Leben immer weiter und wer stets nur zurück blickt, sieht nicht, wohin er geht und fällt zwangsläufig auf die Fresse.

@Doors

Doors schrieb:Ich jedenfalls habe traumatische Erlebnisse, an denen mein Leben nicht ganz arm war, nicht stets und tagtäglich vor Augen. Ich habe mich daran gewöhnt, mit meinen buchstäblichen Leichen im Keller zu leben. Schliesslich geht das Leben immer weiter und wer stets nur zurück blickt, sieht nicht, wohin er geht und fällt zwangsläufig auf die Fresse.

So sehe ich das genau so. Ich denke (bzw. mMn) muss man sich einfach dran gewöhnen, mit den Leichen im Keller mit der Zeit umgehen zu können. Sie werden ja meistens nicht weniger, sondern ganz im Gegenteil, die Leichen häufen sich mit der Zeit an...

Man muss wenn überhaupt, versuchen sie nicht mehr werden zu lassen, jedoch muss ich auch dazu sagen dass dies nicht immer so ganz einfach ist.

ElLoCo94 schrieb:Ich denke (bzw. mMn) muss man sich einfach dran gewöhnen, mit den Leichen im Keller mit der Zeit umgehen zu können.

Das ist für mich nicht mal das Schwierige, ich habe festgestellt dass ich durch den ganzen Scheiß den ich erlebt habe zwar weniger naiv bin als früher, aber den Eindruck habe dass ich auch gefühlsärmer geworden bin, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Das würde ich gerne wieder rückgängig machen, aber ich weiß nicht wie.

Häresie schrieb:aber den Eindruck habe dass ich auch gefühlsärmer geworden bin, und das gefällt mir ganz und gar nicht. Das würde ich gerne wieder rückgängig machen, aber ich weiß nicht wie.

Ich verstehe dich dahingehend zu 100%, ich weiß ganz genau was du meinst, die Erfahrung habe ich auch gemacht.

Mit der Zeit stumpft man halt extrem ab, leider, was wie du wahrscheinlich meinst nicht immer der richtige Weg ist, klar es kann Segen sein, aber leider genauso Fluch...

ist das schreiben über traumatische erlebisse nicht schon ein versuch des verarbeites ?

die frage sollte hier sein finde ich zumindest hat man sich bewusst dafür entschieden oder unbewusst ?

man könnte nun spekulieren das dies keinen echten unterschied machen würde ich denke aber das die bewusste

entscheidung dazu selbst wenn es nur die erkentnis dessen sein sollte sehr hilfreich seinen kann

es ist nur eine wilde these von mir aber ich denke das abstumpfen ist eine art begleiterscheinung des verdränges

da man ja praktisch teile des erlebten von sich selbst versucht abzutrennen und dadurch resultiert die gefühlsarmut

aus all diesen verdrängten dingen können viele dinge kommen meist eher unschöne daher finde ich sollte man

schon versuchen das erlebte aufzuarbeiten

wie bei einem bumerang

sarevok schrieb:ist das schreiben über traumatische erlebisse nicht schon ein versuch des verarbeites ?

In gewisser Weise denke ich schon, ja.

sarevok schrieb:es ist nur eine wilde these von mir aber ich denke das abstumpfen ist eine art begleiterscheinung des verdränges

Ich denke machmal ist es schlicht die Folge aus einem gewissen Erlebnis. Man hat aus seinen Fehlern gelernt u. ist dementsprechend u. U. extrem vorsichtig geworden, gerade weil man will/versucht dass so etwas sich nicht mehr wiederholt.

ElLoCo94 schrieb:Aber keine Ahnung, wieso du jetzt mit so einem krassen Extrembeispiel kommst.

na dann schreib halt (fast) alle Wunden in der Fragestellung, sonst gehe ich nämlich auch von allen Beispielen aus.

Die Wunden verheilen niemals so ganz. Die Narben können immer wieder aufplatzen.

@Pallene
Da stimme ich dir zu.

Durch Annehmen der Tatsachen und Loslassen (Verarbeitung).....ist man später besser gewappnet und die wieder offene Wunde, heilt leichter und schneller als beim Eintreten des Traumas.

ElLoCo94 schrieb:denke machmal ist es schlicht die Folge aus einem gewissen Erlebnis. Man hat aus seinen Fehlern gelernt u. ist dementsprechend u. U. extrem vorsichtig geworden, gerade weil man will/versucht dass so etwas sich nicht mehr wiederholt.

Eine Art psychische Firewall. Ich frag mich nur ob sich der verspätete Schutzmechanismus selbstständig installiert hat um den Schmerz flach zu halten, sonst würde man wohl freidrehen.

Für mich hoffe ich dass ich die Mauer wieder abbaue mit der Zeit, weil ich sie nicht mehr brauche. Abgestumpft zu sein nimmt einem ja Lebensqualität, das will doch keiner.

So auf Anhieb, könnte ich diese Frage weder mit einem Ja, noch mit einem Nein beantworten.
Es ist von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation verschieden.

Wenn ich jetzt von mir selbst als solches ausgehe: es gibt seelische Wunden, die kann keine Zeit der Welt heilen. Ich sage immer, dies sind quasi meine seelischen Verzierungen, die ich ins Grab mitnehmen werde. Ich wurde schon öfters von Menschen sehr hart in die Kritik genommen, weil diese der Meinung waren, ich müsse irgendwann damit abschließen usw. Wißt Ihr, wenn man nicht im Körper eines anderen steckt, kann man so manches sehr schwer bis gar nicht nachvollziehen.

Wunden sind manchmal wie ein Mahnmal, sie sollen uns auch daran erinnern, was uns im Leben geprägt hat. Denn ja, auch negative Erfahrungen und Erlebnisse prägen einen Menschen. Und aus heutiger Sicht kann ich sagen; ich wäre nicht diese Anna die ich bin, wenn ich nicht auch mal im Leben Scheiße gefressen hätte - etwas hart ausgedruckt.

Da die meisten von uns aber jeden Tag auf's neue funktionieren müssen, sei es im Job, in der Familie, oder anderswo. Fokussieren wir uns eben auf andere, alltägliche Dinge.
Und wenn keine Zeit da ist, sich mit den Wunden auseinander zu setzen, verblassen diese natürlich auch mit der Zeit. Aber ob sie bei den meisten auch ganz verheilen, wage ich zu bezweifeln.

-Anna- schrieb:Ich wurde schon öfters von Menschen sehr hart in die Kritik genommen, weil diese der Meinung waren, ich müsse irgendwann damit abschließen usw

Das ist nicht gut, da hat einem keiner was reinzureden, schließlich kann es keiner verstehen, außer man selbst, der es fühlt u. empfindet. Ich sage mal nicht einmal ansatzweise ist es für Außenstehende nachzuvollziehen, aber alle dann schön immer ihren Senf dazu geben. Ist zwar oft nur gut gemeint, bringt aber nicht wirklich viel.

-Anna- schrieb:Wunden sind manchmal wie ein Mahnmal, sie sollen uns auch daran erinnern, was uns im Leben geprägt hat.

Ja da ist was dran.

Nein meine ist nach all den Jahren wieder aufgegangen.
Ausgelöst durch ein Trauma und Burnout bedingt durch meine Kündigung.

ElLoCo94 schrieb:Ist zwar oft nur gut gemeint, bringt aber nicht wirklich viel.

Zumeist ist es von den Menschen gut gemeint, ja. Deshalb kann ich es auch niemanden übel nehmen. Die Schwierigkeit besteht eher darin, wie wir ja schon geschrieben haben, dass man nicht in der Haut des anderen steckt.

Die Zeit hat bisher keine meiner Wunden geheilt.
Auch nicht das sich damit auseinandersetzen.
Die Wunden sind geblieben und werden es wohl bis zum Ende auch - man schaut nur noch, dass man nicht permanent Salz hinein bekommt.

Auch ich bin dadurch irgendwie gefühlskalt geworden, sehr vorsichtig was meine privatheiten angeht, sehr aufmerksam wenn mir jemand komisch vorkommt. Ich gebe nicht mehr jedem erstmal eine Chance, wer was von mir will kann sich bemühen- genauso halte ich es bei anderen auch. Ich erwarte nicht das mir jeder gleich einen Vertrauensvorschuss gewährt weil das in meinen Augen naiv ist.
Vertrauen gibt es bei mir erst, wenn ich meine, das ich die Person einschätzen kann und die wahren Absichten erahnen kann.

Die Wunden, die mir in meinem Leben schon zugefügt wurden, reichen von seelischer Misshandlung bishin zu körperlicher. Vertrauensbrüche könnte ich an 20 Händen nicht abzählen. Enttäuschungen noch weniger.

Naja, Zeit ist schon ein Faktor im Heilungsprozess, körperlich und seelisch, dennoch gibt es in beiden Bereichen Verletzungen, die einfach nicht mehr komplett abheilen, also dauerhafte Schädigungen hinterlassen, um die man sich kümmern, die man nachbehandeln kann, aber was bleibt, ist halt so etwas wie eine Verkrüppelung, eine tiefe Narbe, ein seelisches Ungleichgewicht, mit dem man dann lernen muss zu leben, anstatt auf Raten daran zu Grunde zu gehen.

Ich betrachte dies als eine Bringschuld dem wunderbaren Zufall des eigenen Dasein gegenüber.

@Streuselchen
Ja, irgendwann zieht man dicke Mauern hoch und lässt niemanden mehr an sich heran. Man hat dann zwar einen Schutzwall errichtet, aber dahinter ist man sehr einsam und allein. Ein Teufelskreis, aus dem man nicht mehr so schnell herausfindet.
Ich wünsche Dir, dass sich Deine Wunden irgendwann schließen und dass eines Tages die Sonne wieder für Dich scheint.

@all
Es gibt Wunden, die das Leben schlägt. Krankheiten oder der Tod eines geliebten Menschen. Das ist sehr schlimm und nur schwer zu verkraften, weil wir es nicht beeinflussen können.

Aber noch schlimmer finde ich, was Menschen anderen Menschen antun können. Meist aus ganz niederen Beweggründen wie Neid, Hass, Missgunst, Egoismus oder ganz einfach nur aus Dummheit. Es sind seelische oder auch körperliche Grausamkeiten, die man niemals so ganz verwindet. Wenn dann auch noch materieller Schaden (Verlust der Arbeit, der Wohnung etc.) hinzukommt, erholt man sich nur ganz langsam oder vielleicht auch gar nicht mehr.

Manchmal frage ich mich, ob die Menschheit wirklich ein stückweit rücksichtsloser und brutaler geworden ist. Oder kommt es mir nur so vor? Wo bleibt das Miteinander, die Nächstenliebe, die Hilfsbereitschaft, die gegenseitige Wertschätzung und der Respekt?
Müssen wir ständig um uns schlagen und andere verletzen?

Ich hoffe, ich weiche jetzt nicht allzu sehr vom Thema ab.