Düstere Legenden
01.04.2006 um 12:10
anonym
Kasermandel
Es war ein teuflischer Plan, den sich Hans Giebener ausgedachthatte. Es war während der Wintermonate und er war auf dem Weg zu einer Sennhütte, diesich seit Ewigkeiten im Familienbesitz befand. Es war kalt und überall lag knietieferSchnee. Doch er stieg weiter den Berg hinauf, so anstrengend es auch war. Wenn er denPlan ausgeführt hatte, würde er reich sein. Die ganze Beute aus einem Banküberfall, dener und ein Ehepaar verübt hatten, würde ihm gehören. Er mußte nur die beiden anderenloswerden. Deshalb war er auf dem Weg zur Sennhütte. Er hatte dort Alois Derbereinquartiert, den männlichen Part des Ehepaars, das ihm beim Überfall geholfen hatte.Dieser Idiot hatte nämlich nicht aufgepaßt, und seitdem ist sein Phantombild in allenmöglichen Zeitungen und auf Plakaten zu sehen. Klar, daß er sich verstecken mußte. Hanskam auf der Suche nach einem geeigneten Versteck die Idee, Alois von der Sennhütte zuerzählen. Dieser war begeistert. Er konnte ja nicht wissen, daß dieser Ort, der weitabvon Skipisten und -loipen und somit fern von aller Zivilisation gelegen, nicht nur einideales Versteck, sondern auch ein idealer Ort war, jemanden umzubringen.
Hanswar nicht mehr besonders weit von der Hütte entfernt, als er sich noch einmalversicherte, daß er die Waffe in seiner Jackentasche auch geladen hatte. Die Handschuhehatte er auch an - bei dieser Kälte auch verständlich, nicht nur für einen Mörder. Erwarf noch einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, ein wertvolles Einzelstück, das erselbst angefertigt hatte, bevor er weiterging. Plötzlich hörte er etwas, was zu dieserJahreszeit hier oben eigentlich nicht möglich war - das Geläute von Kuhglocken. Er tat esals Einbildung ab, hörte er es doch bisher jedesmal, wenn er hier herauf kam.Verunsichert war er jedoch trotzdem. Daher ging er unbewußt langsamer. Die Kuhglockenwaren immer lauter zu hören je näher er der Weide kam, die die Hütte umgab. Als er denBergwald verließ, konnte er seinen Augen nicht glauben. Da grasten tatsächlich Kühe aufder schneebedeckten Weide. Er blieb stehen und rieb sich die Augen, aber diese hatten ihmkeinen Streich gespielt. So unwahrscheinlich es auch war, da standen Kühe. Erst wollte ernicht weitergehen, doch dann besann er sich seines Planes und des Geldes, welches ererhalten würde. Er ging also weiter, zwar mit einem mulmigen Gefühl, aber er ging weiter.
Die Hütte sah, abgesehen vom Schnee und den Eiszapfen, die vom Dach hingen, auswie immer. Zwar immer noch ängstlich, aber fest entschlossen seinen Plan in die Tatumzusetzen, ging Hans auf die Tür zu. Er öffnete sie. Seltsamerweise war sieunverschlossen. Er hatte Alois doch gesagt, er solle sie immer abschließen. Hans betratdie Hütte. Im Innenraum saß eine Person an einem der Tische, aber diese Person war nichtAlois.
„Wer sind Sie?„ fragte er die Person im Glauben, Alois hätte das Versteckeinem Freund mitgeteilt und diesen auf die Hütte eingeladen.
„Ich bin hier derSenner. Ich hatte um diese Jahreszeit eigentlich gar keinen Besuch erwartet, aber zumeiner Überraschung sind Sie schon der zweite Gast diesen Winter.„
„Nun hören Siemal, dies ist die Hütte meiner Familie.„
„Hm, welch ein Zufall! Vielleicht im Sommer,aber im Winter ist dies meine Hütte.„
„Nein, diese Hütte gehört zu allen Jahreszeitenmeiner Familie.''
„Nun ja, genau genommen gehöre ich ja auch zu Ihrer Familie, nurbin ich schon seit einigen Jahrzehnten tot.„
„Sehr witzig.„
„Wenn es ein Witzwäre. Aber es ist nun mal keiner. Ich wurde hier im Jahre 1924 von der Gendarmerieerschossen, nachdem ich ein paar Morde begangen und mich hier verschanzt hatte. Seitdembin ich verdammt dazu, hier jeden Winter zuzubringen. Eine schlimme Strafe für meineVergehen oder können Sie sich vorstellen, wie es ist, sein Dasein in der Zwischenweltzwischen Leben und Tod hier in dieser Einöde zu verbringen.„
Hans wurde nun allesklar. Irgendein Verrückter hatte von der Geschichte seines Großonkels gehört und dachtenun, ihn hereinlegen zu müssen.
„Wo ist Alois, was haben Sie mit ihm gemacht?„
„Nun ja, das ist auch so eine Geschichte. Sie wissen nun von meiner Strafe, und ichmuß Ihnen ja wohl nicht sagen, daß sie mir nicht so sehr gefällt. Nun, es gibt eineMöglichkeit, wie ich endlich von der Strafe erlöst werden könnte.„
„Ja, klar, aberwas hat das mit Alois zu tun?„
„Das werde ich Ihnen während dem Essen erzählen.„
„Aber ich bin nicht hungrig.„
Der angebliche Hüttenbesitzer fuhr Hans böse an:„Es ist mir egal, ob Sie hungrig sind oder nicht. Sie werden essen, was ich Ihnenauftische.„
„Also gut,„ sagte Hans sauer und dachte sich, daß es nicht so schlimmwäre, nun etwas zu essen.
Der vermeintlich Verrückte ging in den Nebenraum und kammit einem Teller wieder, auf dem etwas lag, das wie ein rohes Organ eines Tieres aussah.
„Was ist das?„ fragte er mit angewidertem Blick.
„Das ist die Leber IhresFreundes.„
„Was?„ Hans glaubte seinen Ohren kaum, was er da hörte. „Sie sind ja wohltotal bescheuert. Was haben Sie mit ihm gemacht?„
„Nur das, was Sie auch vorhatten,mit ihm zu tun. Ich habe Ihn umgebracht.„
Hans zog seine Waffe aus der Jackentaschehervor, entsicherte sie und zielte auf den Verrückten. „Kommen Sie mir keinen Schrittnäher oder ich erschieße Sie!„
„Versuchen Sie es nur,„ sagte dieser und ging mit demTeller in der Hand auf Hans zu.
„Ich warne Sie! Kommen Sie mir nicht näher!„ schriedieser nun, aber seine Worte stießen auf taube Ohren, denn der Verrückte kam weiterhinauf ihn zugelaufen.
Voller Angst drückte Hans ab. Doch die Kugel traf nicht seinGegenüber, sondern die Holzwand hinter diesem.
„Sehn Sie, es hat keinen Sinn. Siekönnen mich nicht töten, ich bin schon tot.„
Hans ließ seine Waffe fallen, als er voneinem Schlag des Verrückten erfaßt wurde und zu Boden ging. Er konnte nicht mehraufstehen, nein, vielmehr konnte er sich nicht mehr bewegen. Der Verrückte, oder bessergesagt der Geist, nahm Alois' Leber in die Hand und stopfte sie dem wehrlosen Hans in denMund. Dieser erbrach sie, kurz nachdem er sie verschluckt hatte, wieder.
„Was istlos? Schmeckt Ihnen mein Mahl nicht? Das ist aber schade. Lassen Sie mich nun erklären.Um meine Strafe endlich loszuwerden, muß ich einige Verbrecher in die Hölle schicken. IhrFreund ist schon dort, und Sie werden ihm bald folgen.„
„Halt, nein, warten Sie!Reicht der Tod von Alois denn nicht aus, um Sie zu erlösen.„
„Nein, leider nicht. Ichmuß dazu mindestens drei Verbrecher töten.„
„Nein, nein, lassen Sie mich am Leben,„winselte Hans.
„Nun ja, ich könnte Sie am Leben lassen, aber Sie müßten mir etwasgeben.„ Der Geist überlegte. „Ja, genau, geben Sie mir Ihre Uhr. Die gefällt mir nämlichsehr.„
Hans nahm die Uhr von seinem Handgelenk und gab sie der ruhelosen Seele. „Hiernehmen Sie! Diese Uhr ist unbezahlbar. Ich habe sie selbst gefertigt.„
„Ich weiß,„antwortete der Geist und nahm die Uhr an sich. „Ach ja, Ihre Waffe werde ich auchbehalten. Und nun verschwinden Sie von hier und kommen Sie nie wieder an einem Wintertaghierher.„
Hans stand auf und verließ die Hütte. Er flüchtete über die Weide mit dengrasenden Kühen in den Bergwald, von wo aus er sich an den Abstieg durch den Schneemachte.
Es war wieder Frühling und der Schnee war geschmolzen, als Hans'Türklingel betätigt wurde. Hans öffnete die Tür und sah Inge, Alois' Ehefrau, vor sich.
„Hallo, Inge!„ begrüßte er sie.
„Die Gendarmerie hat seine Leiche gefunden.„
„Wessen Leiche?„ fragte Hans und eine seltsame Vermutung stieg in ihm auf.
„DieLeiche meines Mannes. Er wurde in der Hütte ermordet, erschossen mit einer Waffe, wie dusie besitzt.„
„Solche Waffen gibt es Tausende. Das hat nichts zu sagen.„
„Stimmt,aber die Gendarmerie hat eine Uhr gefunden, deine Uhr. Du hast ihn umgebracht.„
„Halt, warte, nein, das stimmt nicht, aber ich weiß, wer es war.„
„Da bin ichaber gespannt. Wer war es denn?„
„Hör mal, du wirst mir das nicht glauben, aber esist wahr.„
„Wer war es?„ fragte Inge ein weiteres Mal und verlieh ihrer Frage diesesMal mit einer Pistole, die sie aus ihrer Handtasche gezogen hatte, Nachdruck.
„Waswillst du denn damit?„ fragte Hans mit geweiteten Augen.
„Antworte!„ befahl ihm Inge.
„Nun gut, es war ein, ein, äh, ein Geist.„
„Sehr lustig. Tolle Ausrede,„ meinteInge und schoß Hans eine Kugel zwischen die Augen, bevor sie sich die Pistole in den Mundsteckte und ein weiteres Mal abdrückte.
Und fernab in einer Sennhütte freute sich einGeist über seine Genialität, die es ihm ermöglicht hatte, innerhalb eines Jahres seineStrafe, die über 70 Jahre anhielt, zu beenden und endlich ins Reich der Toten einzugehen.