Leben wie im Jahr 1996, aber doch nicht so
17.04.2014 um 16:25Der folgende Text stammt aus der Internetseite vice.com. Es geht darum, das Autorin des Artikels eine Woche lang gelebt hat, wie im Jahr 1996. Was sagt ihr dazu?
http://www.vice.com/de/read/ich-habe-eine-woche-lang-wie-im-jahr-1996-gelebt (Archiv-Version vom 24.02.2014)
(Der komplette Text enthält Bilder, außerdem findet man dort den kompletten Text, ich kürze ihn hier etwas ab, weil es sonst zuviel wäre.)
Ich habe eine Woche lang keine technische Geräte benutzt, die nach 1996 erfunden wurden. Sieben Tage. Kein Handy, keinen Computer, kein Internet, keine DVDs, kein iPhone—ich werde keine detaillierte Liste widergeben, aber im Grunde blieb kaum noch etwas übrig. Ich musste mich auch zwingen, No Doubt zu hören.
Montag
Beobachtung Nummer eins: Weil ich ständig mein iPhone verliere, ist es ziemlich normal für mich, von der Welt abgeschnitten zu sein. Das Erste, was ätzend war, war die Musik. Ich hatte einen Discman, der schwerer war als die Bibel, und die Leute schauten mich ungläubig an, wenn sie mitbekamen, was ich hörte.
Der Tag verlief mehr oder weniger normal. Ich hatte nicht ein einziges Mal das Bedürfnis, eine SMS zu verschicken oder irgendeinen Scheiß auf Facebook zu schreiben. Als ich abends zu Hause war und aß, klingelte mein Festnetztelefon. Aus Reflex ging ich nicht ran—ich habe mir immer eingeredet, dass man mich auf dem Handy anruft, wenn man mich erreichen will. Was ein Problem ist, wenn man kein Handy hat. Ich schloss den fetten quadratischen Fernseher an, um Mario Kart zu spielen, aber es gab keine Fernbedienung.
Unter normalen Umständen wäre ich in diesem Fall online gegangen, um in einem Forum nach jemandem mit dem gleichen Problem zu suchen, doch 1996 sind keine normalen Umstände. Ich sagte mir, dass es OK ist, denn ich hatte ja noch den Videorecorder. Bis ich bemerkte, dass man ihn mir OHNE KABEL verkauft hatte. Ich wollte das Arschloch töten, das mir einen kabellosen Videorecorder angedreht hatte. Meine Wut hielt nur kurz an und ich entschloss mich, einfach
schlafen zu gehen. Beobachtung Nummer zwei: 1996 war alles komplizierter.
Dienstag
Ohne Internet zu leben, ist nicht sehr praktisch. Das Gleiche gilt für ein Leben ohne Handy. Es war nachmittags um halb vier und ich musste kurz zurück ins Büro, aber an meinem Bahnhof waren wegen eines verdächtigen Pakets alle fünf Linien lahmgelegt. Ich wollte mein Smartphone rausholen und eine andere Verbindung suchen oder ein Fahrrad ausleihen und GPS benutzen, aber das ging natürlich nicht. Ich wünschte, ich könnte meinen Chef anrufen und ihm Bescheid sagen, dass ich später komme—aber nein, auch das war 1996 noch nicht möglich.
Ich fragte also Passanten, wo ich den nächsten Bus finden würde. 1996 hatte jeder seine eigenen Wege zum Ziel. Ich richtete mich nach den Anweisungen der Mehrheit. Die betreffende Bushaltestelle war jedoch unmöglich ausfindig zu machen und ich hab mich auch noch verlaufen. Im Büro wurde ich angebrüllt.
Als ich wieder zu Hause war, stand mein Computer spöttisch vor mir. Ich vermisste ihn. Beziehungsweise nicht nur den Computer, sondern die kühle Milde des digitalen Zeitalters. Ich wollte mich nur noch vor einen Film oder eine Fernsehsendung setzen und abwarten, bis alles vorbei wäre.
Mittwoch
Bevor ich morgens ins Büro fuhr, machte ich einen Termin beim Zahnarzt—oh Freude! Die U-Bahn war wieder ausgefallen. Es ist offiziell: Ich habe einfach das größte Pech der Welt. 1996 gab es noch überall Telefonzellen—was cool war—, aber mittlerweile sind alle verschwunden.
Ohne Internet ist es kaum möglich, irgendetwas auf die letzte Minute zu machen. Alles wird im Voraus geplant. Du kannst nicht wirklich „abwarten und mal sehen“. Im 20. Jahrhundert hatten Pläne noch eine Bedeutung.
Ich wurde es langsam leid, wie ein Einsiedler zu leben. Also rief ich zwei Freunde an, die Festnetztelefone besitzen, um sie zu fragen, ob sie nicht ein paar Stunden mit mir in der realen Welt verbringen möchten. Wir unterhielten uns, als wären wir in einer Folge Daria. Als wir fertig waren, legten wir den Telefonhörer auf.
Donnerstag
Verdammt, ich vermisste das Internet. Ich habe immer gedacht, dass Facebook sinnlos ist—bis ich ohne leben musste. Ich wünschte mir nichts mehr, als dass Leute meine Fotos kommentieren und ich brannte darauf, mein soziales Netzwerk in all seiner Sinnlosigkeit zu liken. Facebook ist der praktischste Weg, mit den Leuten aus meinem Daseinsgefüge zu kommunizieren. Facebook fehlte mir. Ich wollte mit Facebook schlafen. Ich spreche jetzt nur von Facebook, aber eigentlich war es das gesamte Internet, mit dem ich Körperflüssigkeiten austauschen wollte. Stattdessen gesellte ich mich zu ein paar Freunden in der realen Welt, so wie es Studenten vor mir getan haben.
Freitag
Am Abend zuvor hatte ich meinen Mantel in einem Club liegen gelassen. Weil es mir natürlich nicht möglich war, die Telefonnummer des Clubs im Internet zu finden, fasste ich den Entschluss, einfach vorbeizugehen. Doch als ich dort ankam, war er geschlossen—es war noch zu früh. Ich beschloss, ein anderes Mal wiederzukommen.
Das Wochenende fürchtete ich mehr als alles andere in dieser Woche. Ich wusste, dass ich ausgehen und viele Leute anrufen wollen würde, aber ich hatte von niemandem die Nummer und konnte auch nicht einfach auf Facebook schauen, was die Leute machen. „Bleib tapfer, Wallis—nur noch 48 Stunden“, redete ich mir ein und dachte daran, wie befreiend es ist, nicht gestört zu werden. Dann dachte ich: „48 Stunden, das ist zu lange.“ Verdammt, es ist Freitag, der Tag, an dem man ausgeht, billige Drinks trinkt und zu elektronischer Musik tanzt. Ich fühlte mich verloren, aber manchmal ist es befreiend, nicht gefunden zu werden.
Samstag
Samstag passierte nichts Besonderes. An Samstagen vor 17 Jahren passierte auch nichts Besonderes. Die Leute hörten The Prodigy, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich hatte ein unheimliches Verlangen nach einem mexikanischen Mittagessen, aber dann fiel mir ein, dass ich in meiner Gegend keinen Mexikaner kenne. Ohne Internet keine Fajitas. Ich verkroch mich bis Sonntag zu Hause und las traurige Bücher.
Sonntag, tagsüber
Der letzte Tag in der Hölle. Ich musste den Fernseher zurück zu seiner Besitzerin bringen. Ich würde ihn nicht vermissen, er war eh unbrauchbar. Bei ihr angekommen, beschwerte ich mich über die fehlende Fernbedienung. Sie erklärte mir, dass man keine Fernbedienung braucht, um die Kanäle zu wechseln. Ich kam mir dumm vor und fuhr mit meinem schweren Discman mit der U-Bahn nach Hause.
http://www.vice.com/de/read/ich-habe-eine-woche-lang-wie-im-jahr-1996-gelebt (Archiv-Version vom 24.02.2014)
(Der komplette Text enthält Bilder, außerdem findet man dort den kompletten Text, ich kürze ihn hier etwas ab, weil es sonst zuviel wäre.)
Ich habe eine Woche lang keine technische Geräte benutzt, die nach 1996 erfunden wurden. Sieben Tage. Kein Handy, keinen Computer, kein Internet, keine DVDs, kein iPhone—ich werde keine detaillierte Liste widergeben, aber im Grunde blieb kaum noch etwas übrig. Ich musste mich auch zwingen, No Doubt zu hören.
Montag
Beobachtung Nummer eins: Weil ich ständig mein iPhone verliere, ist es ziemlich normal für mich, von der Welt abgeschnitten zu sein. Das Erste, was ätzend war, war die Musik. Ich hatte einen Discman, der schwerer war als die Bibel, und die Leute schauten mich ungläubig an, wenn sie mitbekamen, was ich hörte.
Der Tag verlief mehr oder weniger normal. Ich hatte nicht ein einziges Mal das Bedürfnis, eine SMS zu verschicken oder irgendeinen Scheiß auf Facebook zu schreiben. Als ich abends zu Hause war und aß, klingelte mein Festnetztelefon. Aus Reflex ging ich nicht ran—ich habe mir immer eingeredet, dass man mich auf dem Handy anruft, wenn man mich erreichen will. Was ein Problem ist, wenn man kein Handy hat. Ich schloss den fetten quadratischen Fernseher an, um Mario Kart zu spielen, aber es gab keine Fernbedienung.
Unter normalen Umständen wäre ich in diesem Fall online gegangen, um in einem Forum nach jemandem mit dem gleichen Problem zu suchen, doch 1996 sind keine normalen Umstände. Ich sagte mir, dass es OK ist, denn ich hatte ja noch den Videorecorder. Bis ich bemerkte, dass man ihn mir OHNE KABEL verkauft hatte. Ich wollte das Arschloch töten, das mir einen kabellosen Videorecorder angedreht hatte. Meine Wut hielt nur kurz an und ich entschloss mich, einfach
schlafen zu gehen. Beobachtung Nummer zwei: 1996 war alles komplizierter.
Dienstag
Ohne Internet zu leben, ist nicht sehr praktisch. Das Gleiche gilt für ein Leben ohne Handy. Es war nachmittags um halb vier und ich musste kurz zurück ins Büro, aber an meinem Bahnhof waren wegen eines verdächtigen Pakets alle fünf Linien lahmgelegt. Ich wollte mein Smartphone rausholen und eine andere Verbindung suchen oder ein Fahrrad ausleihen und GPS benutzen, aber das ging natürlich nicht. Ich wünschte, ich könnte meinen Chef anrufen und ihm Bescheid sagen, dass ich später komme—aber nein, auch das war 1996 noch nicht möglich.
Ich fragte also Passanten, wo ich den nächsten Bus finden würde. 1996 hatte jeder seine eigenen Wege zum Ziel. Ich richtete mich nach den Anweisungen der Mehrheit. Die betreffende Bushaltestelle war jedoch unmöglich ausfindig zu machen und ich hab mich auch noch verlaufen. Im Büro wurde ich angebrüllt.
Als ich wieder zu Hause war, stand mein Computer spöttisch vor mir. Ich vermisste ihn. Beziehungsweise nicht nur den Computer, sondern die kühle Milde des digitalen Zeitalters. Ich wollte mich nur noch vor einen Film oder eine Fernsehsendung setzen und abwarten, bis alles vorbei wäre.
Mittwoch
Bevor ich morgens ins Büro fuhr, machte ich einen Termin beim Zahnarzt—oh Freude! Die U-Bahn war wieder ausgefallen. Es ist offiziell: Ich habe einfach das größte Pech der Welt. 1996 gab es noch überall Telefonzellen—was cool war—, aber mittlerweile sind alle verschwunden.
Ohne Internet ist es kaum möglich, irgendetwas auf die letzte Minute zu machen. Alles wird im Voraus geplant. Du kannst nicht wirklich „abwarten und mal sehen“. Im 20. Jahrhundert hatten Pläne noch eine Bedeutung.
Ich wurde es langsam leid, wie ein Einsiedler zu leben. Also rief ich zwei Freunde an, die Festnetztelefone besitzen, um sie zu fragen, ob sie nicht ein paar Stunden mit mir in der realen Welt verbringen möchten. Wir unterhielten uns, als wären wir in einer Folge Daria. Als wir fertig waren, legten wir den Telefonhörer auf.
Donnerstag
Verdammt, ich vermisste das Internet. Ich habe immer gedacht, dass Facebook sinnlos ist—bis ich ohne leben musste. Ich wünschte mir nichts mehr, als dass Leute meine Fotos kommentieren und ich brannte darauf, mein soziales Netzwerk in all seiner Sinnlosigkeit zu liken. Facebook ist der praktischste Weg, mit den Leuten aus meinem Daseinsgefüge zu kommunizieren. Facebook fehlte mir. Ich wollte mit Facebook schlafen. Ich spreche jetzt nur von Facebook, aber eigentlich war es das gesamte Internet, mit dem ich Körperflüssigkeiten austauschen wollte. Stattdessen gesellte ich mich zu ein paar Freunden in der realen Welt, so wie es Studenten vor mir getan haben.
Freitag
Am Abend zuvor hatte ich meinen Mantel in einem Club liegen gelassen. Weil es mir natürlich nicht möglich war, die Telefonnummer des Clubs im Internet zu finden, fasste ich den Entschluss, einfach vorbeizugehen. Doch als ich dort ankam, war er geschlossen—es war noch zu früh. Ich beschloss, ein anderes Mal wiederzukommen.
Das Wochenende fürchtete ich mehr als alles andere in dieser Woche. Ich wusste, dass ich ausgehen und viele Leute anrufen wollen würde, aber ich hatte von niemandem die Nummer und konnte auch nicht einfach auf Facebook schauen, was die Leute machen. „Bleib tapfer, Wallis—nur noch 48 Stunden“, redete ich mir ein und dachte daran, wie befreiend es ist, nicht gestört zu werden. Dann dachte ich: „48 Stunden, das ist zu lange.“ Verdammt, es ist Freitag, der Tag, an dem man ausgeht, billige Drinks trinkt und zu elektronischer Musik tanzt. Ich fühlte mich verloren, aber manchmal ist es befreiend, nicht gefunden zu werden.
Samstag
Samstag passierte nichts Besonderes. An Samstagen vor 17 Jahren passierte auch nichts Besonderes. Die Leute hörten The Prodigy, um sich die Zeit zu vertreiben. Ich hatte ein unheimliches Verlangen nach einem mexikanischen Mittagessen, aber dann fiel mir ein, dass ich in meiner Gegend keinen Mexikaner kenne. Ohne Internet keine Fajitas. Ich verkroch mich bis Sonntag zu Hause und las traurige Bücher.
Sonntag, tagsüber
Der letzte Tag in der Hölle. Ich musste den Fernseher zurück zu seiner Besitzerin bringen. Ich würde ihn nicht vermissen, er war eh unbrauchbar. Bei ihr angekommen, beschwerte ich mich über die fehlende Fernbedienung. Sie erklärte mir, dass man keine Fernbedienung braucht, um die Kanäle zu wechseln. Ich kam mir dumm vor und fuhr mit meinem schweren Discman mit der U-Bahn nach Hause.