Roczinski Bericht!
06.01.2008 um 09:14
Rainer Erler: Die Delegation
von Bernd Perplies
BRD 1970. Regie, Buch, Produktion: Rainer Erler. Kamera: Charly Steinberger. Darsteller: Walter Kohut (Will Roczinski). Länge: 97 Minuten. Anbieter: Eurovideo. Erschienen am 17.11.2005. Listenpreis: 9,97 €
Bonusmaterial: Einführung durch Rainer Erler (8 min).
Disk: Regionalcode 2
Bildformat: 1,33: 1 (4:3)
Tonformat: Mono 1.0
Untertitel: keine
Rainer Erler, der beständigste deutsche Filmemacher der 1970er und 1980er, der sich kritisch mit den Möglichkeiten und Folgen des Fortschritts beschäftigte, stand dem Etikett „Science-Fiction“ immer skeptisch gegenüber: „Science-Fiction galt in Deutschland lange Zeit nur als schlicht unterhaltsam, und das ‚Unterhaltsame‘ erhielt von Seiten der Kritik, besonders der Literaturkritik, stets das Attribut des ‚Trivialen‘. Heute ist das leider nicht viel anders.“ (Erler im Gespräch mit Manfred Durzak 1989, S. 165) Die Absichten des Regisseurs, der vor allem fürs Fernsehen arbeitete, waren vielmehr nicht selten aufklärerischer Natur. Mit einer Mischung aus „80% Spannung oder Unterhaltung und 20% Information“ (Durzak 1989, S. 166 ff.) beabsichtigte Erler in seinen Filmen, die Menschen zum Nachdenken anzuregen: in Bezug auf die Umwelt und die Wissenschaften und den Missbrauch beider durch Politik oder Wirtschaft.
Sein früher TV-Film „Die Delegation“ (BRD 1970) bildet da gewissermaßen die Ausnahme, denn hier fehlt noch der aufklärerische Impetus, stattdessen wird ein vergleichsweise klassisches Sujet der Science-Fiction, die mögliche Begegnung mit Besuchern aus dem All, bedient. Außergewöhnlich wird die Geschichte durch ihre faszinierende Verschmelzung von Fiktion und Dokumentarismus, die 20 Jahre vor „Akte X“ und seinen Nachfolgern auf ein Fernsehpublikum durchaus verstörend gewirkt haben muss (tatsächlich haben sowohl Erler als auch der Sender nach der Erstausstrahlung seinerzeit zahlreiche Nachfragen erhalten, was von der Handlung denn nun echt sei und was erfunden, so berichtet der Regisseur in der 8-minütigen Einführung zur Wiederausstrahlung 10 Jahre später, die als Bonusmaterial der DVD beigelegt ist).
In Form einer Reportage wird vom Schicksal des TV-Reporters Will Roczinski erzählt, der sich auf einer Recherche über UFOs befand, die er zunächst skeptisch, mit zunehmender Datenlage jedoch mit wachsender Faszination und Hartnäckigkeit betrieben hatte, bis er bei einem mysteriösen Unfall zu Tode gekommen war. Dieses zweifache Rätsel bestimmt die Handlung. Für die Nachrecherche des Falles Roczinski, die Klärung der beiden Fragen, ob dieser tatsächlich Beweise für eine Delegation außerirdischer Lebewesen gefunden hatte und ob sein Tod ein bedauerlicher Zufall war oder direkt mit diesen Erkenntnissen in Zusammenhang stand, stehen elf Filmrollen mit Material sowie das fragmentarische Tagebuch des Journalisten zur Verfügung, dessen Inhalt ambivalente Schlüsse zulässt.
„Der Film arbeitet mit einem dokumentarischen Darstellungsgestus, der quasi journalistisches Material analytisch ineinandermontiert und erkenntniskritische Spurensuche betreibt, und er bezieht damit zugleich in der Mittelpunktsfigur Roczinski und seiner sich allmählich verändernden Einstellung zu seinem Sujet, von Skepsis und Unglauben über zweifelnde Annäherung bis hin zur möglichen Überzeugtheit von der Faktizität der Ereignisse, auf dem Wege der Projektion die Haltung des Zuschauers in die Darstellungsweise des Films mit ein.“ (Durzak 1989, S. 185)
Obwohl „Die Delegation“ durch die Hoch-Zeit des Mystery-Genres, das für uns heute in vielfacher Variation die Frage nach dem Wunderbaren hinter der scheinbaren Normalität aufgeworfen hat, ein wenig an Wirksamkeit verloren hat, muss man Erler zugestehen, dass er mit einfachsten Mitteln der Inszenierung eine bemerkenswerte Atmosphäre scheinbarer Authentizität hat entstehen lassen. Die konsequent subjektive Perspektive von Rocziniskis Kameramann, die durch Überbelichtung, falsche Kadrierung und abrupte Sprünge grob und unverfälscht wirkenden Bilder, die knisternde, raschelnde, je nach Entfernung zum Mikrofon mal zu laute, mal zu leise Tonspur und die überzeugend ungekünstelte Darstellung des Reporters durch Walter Kohut sorgen - bei allen Unterschieden ein bisschen an „The Blair Witch Project“ (USA 1999) erinnernd - für eine seltsame Stimmung, die in ihrer Unmittelbarkeit mitunter spannender ist als vieles der bemüht geheimnisvollen Gruselkost moderner Genre-Serien.
Die DVD-Edition von Eurovideo ist akzeptabel, aber nicht berauschend. Die mäßige Bildqualität zeugt von dem alten und scheinbar in keiner Weise ge- und bereinigten Ausgangsmaterial. Zudem beschränkt sich das Bonusmaterial auf besagte 8-minütige Einführung von Rainer Erler, die uns zwar ganz kurzweilig mal den Regisseur in Aktion zeigt, jedoch ohne jede Nachbearbeitung einfach von einem Videoband ausgelesen wurde. Es liegt im Auge des Betrachters, wie man darüber urteilt. Käufer, denen bei einer DVD technische Perfektion in der Umsetzung und reichhaltiges Zusatzmaterial wichtig sind, werden mit diesem Silberling nicht viel Freude haben. Filmliebhaber indes, die schon seit langem gehofft haben, diesen TV-Klassiker von Rainer Erler, der einfach nicht auf dem Markt erhältlich war, irgendwie in die Finger zu bekommen, werden über die beschriebenen Mankos hinwegsehen und Eurovideo schon allein dafür dankbar sein, dass sie sich des ehrenwerten Unterfangens angenommen haben, die zu Unrecht in der Versenkung verschwundenen Werke eines interessanten Filmemachers wieder verfügbar zu machen.
Literatur: Durzak, Manfred: Literatur auf dem Bildschirm. Analysen und Gespräche mit Leopold Ahlsen, Rainer Erler, Dieter Forte, Walter Kempowski, Heinar Kipphardt, Wolfdietrich Schnurre und Dieter Wellershoff. Tübingen: Max Niemeyer 1989.