Ashtar!
16.02.2009 um 21:38
Die Navajo haben einen Namen für solche Leute wie Ashtar Commander...Plastikschamanen...ich hab auch einen Namen für sie...Arschlöcher
Ich hab ein schönes Feature von Matussek aufgegabelt...ein Vierteljahrhundert alt
"Rahelio, der Halbindianer, steht auf einer Felszunge über dem Tal, die
Hände ausgebreitet, als wolle er es segnen. Das Tal ist ein sanfter
grüner Traum aus Joshua-Bäumen und Bananen-Yuccas, aus rotblühenden
Kakteen und silbernen Chollas, und gegenüber steigt der Fels in den
Himmel wie eine Kathedrale, kupferrot, monumental, ewig. Wer hier nicht
fromm wird, ist entweder blind oder Immobilienmakler.
Den Hopi-Indianern war das Land der roten Felsen heilig. Sie betraten es,
um ihren Ahnen und ihren Göttern zu opfern, und sie legten ihre
Medizinräder aus Felsbrocken auf die rote Erde, und sie beteten, und dann
kehrten sie zurück zu den trockenen Hochebenen in den Nordosten Arizonas.
Und nun steht Rahelio dort, reglos und mit geschlossenen Augen. Er lehnt
sich hinaus wie durch ein unsichtbares Fenster ins Jenseits, und alle in
seiner Reisegruppe lehnen sich sehnsüchtig mit: Der Börsenmakler aus San
Francisco, die Ärztin aus Malibu, der Vertriebsleiter aus Florida und die
Psychologie-Studentin aus New York harren vereint, wie in einem
Spielberg-Film, auf eine Begegnung der dritten Art.
Nur Stille. Keine Schreie diesmal, keine Zusammenbrüche, keine
Geständnisse, hier auf dem magischen Punkt in den Felsen, den Rahelio
"Vortex" nennt, ein Kraftfeld, ein Energiewirbel, ein gewaltiger
Verstärker, der die Gefühle und Stimmungen und Seelenlagen seiner
Besucher aufbläst und den Kontakt zu den Geistern schafft. Im Fels
gleißen Kristalle, und im Tal krächzt ein Rabe, und Rahelio murmelt: "Der
Bote des Unterbewußten."
Rahelio sieht aus, als wäre er von den Stuyvesant-Strategen für die "Come
together"-Kampagne erfunden worden. Ein Teint aus Bronze und lange,
blauschwarze Haare bis zum Gürtel - der edle Wilde des Computerzeitalters.
Wie viele seiner Freunde war Rahelio von einer Stimme in die Canyons von
Sedona befohlen worden. Er hatte eine Vision, wie sie in der
Kirchengeschichte oft vorkommt: Er sah ein Licht. Allerdings sah er in
diesem Licht nicht die Mutter Gottes, sondern ein Ufo, weshalb Rahelio
für eine Seligsprechung nicht in Frage kommt. Aber er ist ein Apostel des
New Age, des neuen Zeitalters.
New Age ist das erste siegreiche postmoderne Glaubenssystem. Es ist die
Religion der Fernsehgeneration: fernöstlich wie Kung-Fu-Filme,
geheimnistief wie Stephen Kings Horrorbestseller und so
wissenschaftsbesessen, wie es Science-fiction nur sein kann. Und es
rehabilitiert, in sympathischen Wiedergutmachungsreflexen des
christlichen Ideenterrors, mystische Traditionen und Mythologien wie die
der Hopi-Indianer und bereitet sie auf für die Benetton-Generation. New
Age saugt, wie ein Schwamm, alles auf, was der abendländischen
Rationalität zum Opfer gefallen ist.
Hier in Sedona liegt der Wallfahrtsort der Bewegung. Eingebettet in die
roten Felsen die Hauptstraße, zwei Ampeln, ein Supermarkt und ungezählte
Bücherläden, die "Kristall-Mine" oder "Das Goldene Wort" heißen,
vegetarische Restaurants und Tempel, eine Kultur aus Traktaten und
Talismanen, aus Heiligenbildchen und Hellsehern, aus Kupferpyramiden und
"brain machines". Touristen werden in Hotels wie dem "Ort der Verzückung"
untergebracht, wo Uqualla, der Hausindianer, die Geister der Gegend
gnädig stimmt.
New Age ist spirituelle Technologie. Ihr Ziel, in einem Bild
zusammengefaßt: ein Telefonat mit Gott über den Zeitpunkt des Weltendes,
möglichst ein R-Gespräch.
Heute glauben 67 Prozent aller Amerikaner an übernatürliche
Erscheinungen, und 42 Prozent wähnen sich in Kontakt mit Toten. Für New
Ager ist Jesus eine Reinkarnation unter anderen und Erzengel Gabriel ein
Extraterrestrischer. Daß es auch böse Außerirdische gibt, weiß selbst die
Regierung: Deshalb stellt sie unter Titel 14, Section 1211 ihres "Code of
Federal Regulations" vom 16. Juli 1969 alle Versuche unter Strafe, mit
Aliens oder ihren Vehikeln Kontakt aufzunehmen. Nach Professor Carl
Raschke von der Universität von Denver ist New Age "die mächtigste
soziale Kraft im Lande". Eine wirtschaftlich potente dazu - 3,5
Milliarden Dollar setzt die amerikanische New-Age-Industrie jährlich um.
Und es ist so amerikanisch wie Coca-Cola. Das amerikanische
Weltverständnis war von jeher endzeitlich und erweckungsgläubig, geplagt
von Apokalypse-Vorstellungen und hypnotisiert von Paradies-Verheißungen.
Obwohl New Age in der okkulten Gegenkultur der sechziger Jahre wurzelt,
ist es doch homogener Bestandteil der amerikanischen Glaubensgeschichte,
die eine der Visionen, der gnostischen Religionsgründungen und
Massenekstasen ist. Woodstock, der schwärmerische Generationenaufstand,
der das nahende "Zeitalter des Wassermannes" feierte, hatte Tradition:
Schon am 6. August 1801 hatten sich in Cane Ridge, Kentucky, 25 000
versammelt, um in ekstatischen Tänzen und Gebeten, lachend und bellend
und singend, ein neues Zeitalter vorzubereiten, das Weltende und das
Reich Gottes.
Immer ist Endzeit, dieses Bewußtsein teilt New Age mit etablierten
amerikanischen Religionen. Reagans Innenminister James Watt, ein
Pentecostalist, Angehöriger einer Pfingstgemeinde, die "in Zungen redet",
strich Umweltschutzprogramme zusammen, weil die Welt, wie er öffentlich
erklärte, innerhalb der nächsten zwei Generationen ohnehin verschwinden
werde.
An das Weltende glaubt auch Rahelio, und er stützt sich dabei auf eine
Weissagung der Hopi-Indianer. "Mutter Erde schüttelt sich", kommentiert
er das Wüten des Hurrikans Andrew, "und sie wird die großen Städte
verschwinden lassen." Erleuchtete werden der Katastrophe entkommen -
Freunde Rahelios legen sich bereits Vorratskammern an.
"Schau dir an, wohin die bisherige Politik das Land gebracht hat", sagt
Rahelio. "Was spricht dagegen, etwas ganz Neues auszuprobieren?"
Während die Republikaner ihren Parteitag in Houston als eine Art
reaktionären Kirchentag ausrichten und Präsident Bush vor den Problemen
des Landes in heilige Eide auf die Fetische Fötus und Fahne flüchtet,
beten die New Ager in Sedona in einer Messe mit Kristallkugeln in der
Hand um eine Massenhimmelfahrt. Es ist nicht entschieden, welche der
beiden Veranstaltungen abwegiger, wohl aber, welche freundlicher ist.
Während die Politprediger zum Kreuzzug gegen Schwule und
Wohlfahrtsempfänger rufen, predigen New Ager Toleranz. Sie haben ein
"höheres" Bewußtsein. Sie sind für den Umweltschutz. Sie sind harmlos und
gut.
Zwei korpulente Priesterinnen, die Haare mit viel Spray zu Gebirgen
toupiert, leiten die Messe. Draußen haben sich die heiligen roten Felsen
in erhabene Wolken gehüllt, und hier drinnen stehen zwei Frauen vor ihrer
Gemeinde, die katholische Meßgewänder über ihren Übergrößen-Jeans tragen,
Osterweiß mit Silberkreuz die eine und Karfreitagsviolett die andere, und
die Stolen sind an den Rändern leicht fleckig.
Die Priesterinnen erzählen von ihren Kontakten mit dem Jenseits, von
Erzengel Gabriel, von Isis und Saint-Germain; sie schwärmen in sanftem
Irrsinn, und ihre Brillengläser sind dick wie Flaschenböden und lassen
ihre Augen zu großen Pfützen verschwimmen.
"Wir alle sind göttlich", sagt die Blonde, "wir alle sind Licht", und die
Gemeinde murmelt zustimmend, und dann beten sie zusammen ein
abgewandeltes "Vaterunser", eine "Direktübersetzung aus dem Aramäischen",
in dem von einem Atem, einem Licht und einem Tempel die Rede ist.
Die Gesichter der Gemeinschaft erinnern an die der biederen Satanisten
aus dem Polanski-Film "Rosemary's Baby" - nicht fanatisch, sondern
beseelt, und eine, die ihren Arm in einem Verband trägt, hat eine
Erscheinung.
In der Predigt spricht Priesterin Helga, die Rothaarige, von dem
Jüngling, der ihr erschienen war und der mit seinen weißblonden Haaren,
seiner dicklichen Figur, seinem wallenden Satingewand als ein weicher,
erotischer Schmuseschwabbel-Traum-Jesus beschrieben wird, den sie Janin
nennt und der ihr geraten habe, mit dem Auto vorsichtig aus der Garage
herauszufahren.
Ein wenig enttäuschend ist es schon, daß die Geister, auch die
prominentesten unter ihnen, wie Jehova oder Commander Ashtar, nie ein
gültiges Rezept gegen Krieg und Hungersnöte verraten - immer nur
Anweisungen auf Kleingärtner-Ebene: Paß auf dein Auto auf, laß die Suppe
nicht verbrennen. Katastrophenverhütung für Hausfrauen.
Die Ikonographie des Andachtraumes bebildert das religiöse Begehren mit
einem merkwürdigen Kitschpotpourri. Ein Jesus in Gelb hängt da, gleich
neben einem Waldstück mit Bach und Elfen, und immer wieder Kristallkugeln
in kosmischen Räumen, die Embryos in sich bergen. Zu allem plätschert
elektronische Harfenmusik.
Alle lächeln, alle sind leise, und als es zur Kommunion kommt, die hier
"Healing Service" heißt, treten alle vor und lassen sich die Hand
auflegen, die weich und rund und dick ist. Ähnlich wie Drewermanns
homöopathischer Katholizismus verlangt auch das New Age kein Opfer. New
Age tut keinem weh - das erklärte Ziel ist Wohlgefühl, grenzenlose
Harmonie, Therapie.
Sedona, die 11 000-Seelen-Gemeinde, ist ein metaphysisches Disneyworld,
in dem Platz für alle Arten von Buden ist. Karl, schwedischer Fachmann
für Reinkarnationsanalysen, der vergangene Leben sichten kann, bedrückt
den Reporter zunächst mit der Schilderung besonders langweiliger
Wiedergeburten: Geschäftsmann in Österreich! Davor Bauer in der
Normandie, über Jahrhunderte hinweg! Karl spürt die Bestürzung in den
zaghaften Nachfragen und bessert nach: zur Römerzeit siegreicher
Feldherr. Warum nicht gleich so?
Robert Shapiro, in einem früheren Leben Staubsauger-Vertreter, steht als
Spezialist für Channeling gleich mit mehreren Geistern in Verbindung. Er
lebt in einem Trailer am Fluß und verlangt 60 Dollar die Stunde. Nie weiß
er vorher, welcher der Geister aus ihm sprechen wird. Er trägt ein
Stirnband über grauem Haar, und plötzlich sackt er in sich zusammen, ein
Röcheln und Grummeln dringt aus seiner Kehle, und dann ist da die dunkle
Stimme von "Bear Claw", Bärenklaue, einem Indianer aus dem Jahre 1520.
Bärenklaue ist der Schamane seines Stammes und kann in die Zukunft
schauen und deshalb, über Robert Shapiro, mit dem Reporter reden. Doch er
ist so mißtrauisch, als würde er am liebsten über seinen Anwalt mit ihm
verkehren. "Ich werde nichts sagen, was der weiße Mann gegen mich
verwenden kann." Die Feindseligkeiten gipfeln in einer besonders
gehässigen Reinkarnationsschilderung. "Weißer Mann war einmal ein
Packesel, auf einem anderen Planeten."
Derartig getroffen, kann weißem Mann nur noch eine Vokalheilung helfen,
welche die fünfte Chakra, die Kehlengegend, befreien und von der schönen
"Basadhra" verabreicht wird. Während die zierliche Linda von Basadhras
hohem A aus dem Teilnehmerkreis geschleudert wird, empfindet der Reporter
bei einem warmen Halbton nur noch Wohlgefühl, das ihn durch den milden
Sedona-Wahnsinn trägt.
Er führt Gespräche mit Erzengel Michael und der Göttin Gaia, erhält
fotografische Beweise für den allerheftigsten Ufo-Flugverkehr über den
roten Felsen und wissenschaftliche Belege für Marsbesiedlungen, schlägt
bedauernd Einladungen zu erotischen Vortex-Ekstasen ab und erlebt
Mentalverstärkung durch Marihuana und Kristallkugeln sowie
Lichterscheinungen durch Hyperventilation.
Doch Sedonas mildes Irrsinnslächeln täuscht - das Tal der roten Felsen
ist für manche ein Schlachtfeld. Etwa für den Reverend Jerald Bushman. Er
trägt eine braune Krawatte zu seinem dicken braunen Winteranzug, er hat
Gallenfalten, und im Restaurant bestellt er sich weißes Hühnerfleisch
zwischen zwei trockenen Brötchenhälften. Das Obst läßt er stehen. Er
würgt auf seinem Brötchen herum und erzählt von seinem Kampf gegen den
Satan. Rund ein Fünftel der Einwohner Sedonas hält er für aktive
Christen. "Und wenn man die Katholiken hinzurechnet, ungefähr die
Hälfte." Unter dem heillosen Rest wütet der Satan.
Der Reverend verschwendet keinen Blick an Snoopy Rock, der hinter der
Panoramascheibe seine Farben angeberisch glühen läßt. "Vor fünf Jahren
kamen sie hierher", erzählt Bushman, "die Anbeter Satans, die
New-Age-Leute, die sich selber göttlich nennen. Damals gab es eine
planetare Konstellation, die sie Harmonic conversion nannten, Sonne,
Erde, Mond auf einer Linie." Für sie war es das Zeichen des Aufbruchs ins
Zeitalter des Wassermannes, ins Neue Zeitalter. Doch er erkannte es als
Zeichen des Satans.
Der Reverend Bushman ist auf die Entscheidungsschlacht vorbereitet. Er
zieht das Neue Testament aus der Tasche, und er findet die Stelle
mühelos. Paulus im 1. Timotheus-Brief 4,1: "Der Geist sagt deutlich, daß
in den letzten Zeiten einige von diesem Glauben abfallen und
irreführenden Geistern und teuflischen Lehren anhängen werden, verleitet
durch Heuchelei der Lügenredner . . ." Die letzten Zeiten, meint der
Reverend, erschöpft auf seinem trockenen Trockensandwich kauend, seien
jetzt angebrochen. Er schätzt: noch 20 Jahre bis zum Jüngsten Gericht.
Eines hat Bushman mit den New Agern gemeinsam: Er mag nicht auf
wissenschaftliche Beweise seines Glaubens verzichten. "Ein russischer
Wissenschaftler", sagt er, "hat kürzlich den eindeutigen Beweis für die
Existenz Gottes geliefert."
Hier, in Sedona, wo die Felsen rot sind und der Sand glüht wie in den
Wüsten Palästinas, ist Offenbarungsstunde, wie vor 2000 Jahren. Ein
Stimmengewirr von Sehern und Predigern, von Prophezeiungen und Deutungen,
die, wie alle Wahnsysteme, eines gemeinsam haben: Sie entdecken einen
Geheimplan hinter der chaotischen Wirklichkeit, prächtige, poetische
Blaupausen einer Weltvernunft und ebenso prächtige Systeme von
Weltverschwörungen.
Der Geheimplan in der politischen Sphäre wird Konspiration genannt; auch
im Konspirationsverdacht verbirgt sich die Sehnsucht nach Ordnung. Gleich
neben den Kristalläden und den New-Age-Reiseveranstaltern "Mystic Tours"
und "Earth Wisdom Tours" liegt die Tankstelle von Sedona. Sie wird von
dem Serben Cedic betrieben. Cedic ist frei vom New-Age-Verdacht - er
betet orthodox. Doch er kultiviert ein eigenes, ein politisches
Wahnsystem. In seinem Kassenhaus hat Cedic ein großes Poster aufgestellt:
"Amerika erwache. Geheimhaltung ist gefährlich. Die Regierung muß für
alle dasein." Cedic will die amerikanische Regierung zwingen, alle Karten
auf den Tisch zu legen. Er hat Beweise für ein Komplott: James Baker und
Kurt Waldheim wollen die Menschheit vernichten. Innerhalb der nächsten
fünf Jahre wird es zum Weltkrieg kommen.
"So ähnlich sehen das die Hopi-Indianer auch", sagt der Reporter. "Eine
globale Katastrophe. Allerdings ohne Waldheim." Cedic runzelt die Brauen.
"Die Hopi?" sagt er, "haben Sie Schriftstücke, Beweise?"
"Halt", sagt Jeanmarie leise. Vor uns in der flimmernden Hitze ein
endloses Band aus Asphalt, das karges, verbranntes Land durchschneidet.
Hopi-Land. Wir steigen aus. Jeanmarie schaut hinauf. Über uns in der
blauen Himmelsstille kreist lautlos ein Falke. Jeanmarie nimmt Tabak aus
einem Beutel und Piwi, heiliges Oblatenbrot aus blauem Mais, das sie
zerreibt. "Danke, Bruder Falke", sagt sie und streut die Mischung zu
Boden, "daß du hier auf uns gewartet hast, um uns zu Großvater zu führen.
Wir kommen mit guten Absichten. Wir versprechen dir, dein Land mit
Respekt zu betreten."
Natürlich ist es völlig bescheuert, in der Mittagsglut auf einer Straße
zu stehen und mit einem Vogel zu reden. Aber in Jeanmaries Worten liegt
eine schöne, ungekünstelte Ehrfurcht. Und hat nicht auch der heilige
Franziskus zu den Tieren gesprochen?
Jeanmarie, Professorentochter aus Dakota, hatte in den frühen siebziger
Jahren einen Blackfoot-Indianer zum Mann. Als der sich weigerte, das
gemeinsame Kind anzuerkennen, das blond war und blauäugig, fand Jeanmarie
bei den Hopi-Indianern Aufnahme. Skywoman wird sie von ihnen genannt,
"Himmelsfrau", und Jeanmarie arbeitet im Reservat und wird geachtet.
Jeanmarie besucht ihren adoptierten Großvater, Häuptling Eugene
Sekaquaptewa, einen Schlangenpriester auf der dritten Mesa, einer
Hochebene, die wie ein riesiger Tisch in die Halbwüste gestellt ist.
Eugenes Dorf Oraibi ist über 10 000 Jahre alt und damit die älteste
ständig bewohnte Ansiedlung Nordamerikas.
Weites Land, trauriges Land: Die Überlebenden des amerikanischen
Völkermordes leben in tristen Reservatsbaracken in erster Linie von
Wohlfahrts-Schecks. "Die Alkoholismus-Rate liegt hier bei 100 Prozent",
sagt Jeanmarie, und die Indianerbeauftragten der Regierung, fügt
Häuptling Eugene hinzu, "sind korrupt bis ins Mark".
Überdies sind die Hopi mit den Navajo in einen absurden Landstreit
verwickelt, der sich seit 20 Jahren hinzieht. Der edle Wilde - ihn gibt
es nur noch als Hollywood-Klischee.
Häuptling Eugene führt uns zum "Prophezeiungsfelsen" in der Nähe des
Dorfes. Bierflaschen liegen im Schatten der Gebetsstelle. Und der
Schlangenpriester spricht über das alte Hopi-Orakel. "Koyaanisqatsi",
sagt Eugene, "die letzte Zeit ist angebrochen. Großmutter Erde wird sich
von ihren Geschwüren befreien, es wird regnen, und wir alle, die wir das
Geheimnis kennen, werden bereit sein, und danach wird es keine Hautfarben
mehr geben, nur noch Menschen."
"Koyaanisqatsi" sagt am Abend auch Jeanmaries Freund Two Birds (Zwei
Vögel), als er die indianische Schwitz- und Reinigungszeremonie
vorbereitet. Auf Jeanmaries Ranch zum "Lächelnden Apachen" wurde ein
Erdloch ausgehoben und darüber ein Zelt aus Zweigen und Decken errichtet.
Rahelio ist mit seiner Freundin und vier weiteren blonden Mädchen
erschienen, von denen eines in die Zeremonie der Pfeife eingeführt wird.
"Lange wird es nicht mehr dauern", sagt Häuptling Two Birds, der Gedichte
schreibt und das "große Geheimnis" beschwört, und er reicht die Pfeife
weiter und singt ein altes indianisches Lied. Neun nackte Menschen sitzen
im Dunkel der Zelthöhle um glühende Steine herum, und sie singen und
schwitzen und beten. Sie könnten die ersten Menschen sein oder die
letzten Überlebenden. Drei Männer und sechs Frauen - immerhin, damit wäre
ein Neuanfang möglich.
Draußen, im Mondlicht, werfen die Felsen hohe schwarze Schatten. Sie
haben 330 Millionen Jahre gebraucht, um zu wachsen. Und sie sehen
ziemlich gleichgültig aus."