Ende-unendlich

Eigentlich ist das die Geschichte eines Zehnjährigen mit Allmachtsphantasien.

Der kleine, dicke, unsportliche Bastian Balthasar Bux stiehlt in einem Antiquariat ein Buch und sperrt sich in einer Dachkammer seiner Schule ein, um anstatt zum Unterricht zu gehen, in diesem Buch zu lesen, in dem das Land Phantásien beginnt, sich im Nichts aufzulösen. Die im Nichts verschwindenden Teile würden in der Menschenwelt nicht als Phantasie, sondern als Lüge weiterexistieren. Nur ein Mensch könnte Phantásien retten, und dieser sei Bastian. So wird er von dem ebenfalls zehnjährigen Boten Atréju nach Phantasien geholt. Dort bekommt er das Machtamulett der schwerkranken Kindlichen Kaiserin, der er einen neuen Namen geben muss, damit sie gesundet und Phantásien wieder leben kann. Bastian tauft sie Mondenkind. Ab diesem Zeitpunkt entsteht aus den Wünschen von Bastian eine neue Welt, zum Teil wie aus einem Horrortrip. Von einem Wunsch taumelt er zum nächsten, muss kämpfen, trifft auf wunderliche Welten und Fabelgestalten. Er muss ein Wasser erreichen, mit dem er wieder in seine reale Welt kann, dabei ist es wie eine Quest in spätmittelalterlichen Romanen, die nicht mehr durch ein Ziel zusammengehalten wird, sondern die einfach um der Action willen mäandert. Beinahe ist man froh, als Bastian es schließlich zurück in die reale Welt schafft. In die Dachkammer der Schule. Dort ist ein Tag vergangen und schulfrei, dennoch schafft er es, sich zu befreien. Sein Vater ist froh und hört ganz gespannt die Geschichte, die Bastian ihm erzählt. Und Bastian dürfte froh sein, dass im geglaubt wird und er nicht in die nächste Irrenanstalt gebracht wird.

Ganz dick trägt Ende mit Rollenklischees auf. Als Bastian sich in Phantásien in den Goldaugen der Kindlichen Kaiserin gespiegelt sieht, ist er nicht mehr klein, dick und krummbeinig, sondern er sieht das:
Es war ein Knabe, etwa in seinem Alter, doch war er schlank und von wunderbarer Schönheit. Seine Haltung war stolz und aufrecht, sein Gesicht edel, schmal und männlich. Er sah aus wie ein junger Prinz aus dem Morgenland. Sein Turban war aus blauer Seide, ebenso die silberbestickte Jacke, die er trug und die bis zu den Knien reichte. Seine Beine steckten in hohen, roten Stiefeln aus feinem, weichen Leder, deren Spitzen waren aufgebogen. Auf seinem Rücken hing von den Schultern bis zum Boden ein silberglitzernder Mantel nieder, der einen hoch aufgestellten Kragen hatte. Das schönste an diesem Jungen waren seine Hände, die feingliedrig und vornehm und doch zugleich ungewöhnlich kräftig wirkten.
Und er "genoss es, schön zu sein". Außerdem ist er "stark" und "abgehärtet", "schwindelfrei" mit "eiserne[n] Nerven" sowie willensstark.
In ihm war ein Wille von so eiserner Härte erwacht, daß weder Müdigkeit noch Entbehrung ihn bezwingen konnte. ... Seine Zähigkeit und Härte erfüllten ihn mit Stolz. ... Zu all den Gaben, die er seit seiner Begegnung mit Mondenkind empfangen hatte, war nun auch noch der Mut gekommen.
Ganz ehrlich, das klingt nach einer Beschreibung des Idealbilds eines deutschen Jungen aus der NS-Zeit.

Zum Schluss ist er der Große Wissende, der ganze Bibliotheken vollgeschrieben hat.

Zu dieser Charakterisierung kommt auch noch der Wille. Das Emblem der kindlichen Kaiserin enthält diesen egomanischen Spruch:

TU WAS DU WILLST

Es ist nicht nur das Lustprinzip, das ihn treiben soll, sein Wille soll wahr werden. Der Wille des Einzelnen, in diesem Fall eines Zehnjährigen, soll eine Welt schaffen, egal ob gut oder böse. Und so verhält er sich auch. Als er mit Atréju uneins wird, schreit er ihn an:
Halt den Mund und laß mich in Ruhe! Wenn es euch beiden nicht paßt, was ich tue und wie ich bin, dann geht doch eurer Wege! Ich halte euch nicht! Geht, wohin ihr wollt! Ich bin euch leid!
Als Bastian nach einem gescheiterten Putschverusch - er wollte die Herrschaft der Kindlichen Kaiserin an sich reißen - in die Alte Kaiser Stadt kommt, wird er mit seinesgleichen konfrontiert, die ebenso das Emblem der Kaiserin getragen und Allmachtwünsche hatten:
Dann sah Bastian die Bewohner. Es waren Männer, Frauen und Kinder. Der Gestalt nach schienen sie gewöhnliche Menschen, doch ihre Kleidung sah aus, als seien sie allesamt närrisch geworden und könnten nicht mehr unterscheiden zwischen Dingen, die zum Anziehen, und Gegenständen, die zu anderem Zwecke dienten. Auf den Köpfen trugen sie Lampenschirme, Sandeimerchen, Suppenschüsseln, Papierkörbe, Tüten oder Schachteln. Und um ihre Leiber hingen Tischtücher, Teppiche, große Stücke Silberpapier oder sogar Tonnen. Viele zogen oder schoben Handkarren und Wagen herum, auf denen alles mögliche Gerümpel aufgestapelt war, zerbrochene Lampen, Matratzen, Geschirr, Lumpen und Flitterkram. Andere wieder schleppten ähnlichen Plunder in riesigen Ballen auf dem Rücken herum. Je tiefer Bastian in die Stadt hinunterging, desto dichter wurde das Gewimmel. Doch schien keiner der Leute recht zu wissen, wohin er wollte. Mehrmals beobachtete Bastian, daß einer seinen Karren, den er mühsam in die eine Richtung gezogen hatte, nach kurzer Zeit schon wieder in die entgegengesetzte Richtung zerrte, um wenig später abermals eine neue Richtung einzuschlagen. Aber alle waren fieberhaft tätig.
Um zurückzukehren muss er seine Werte umwerten:
Was er gehofft hatte, war sein Verderben, und was er gehaßt hatte, seine Rettung.
Vom Änderhaus kommt er ins Bergwerk der Bilder, wo abgelegte Traumbilder im Felsen eingemauert sind. Er muss in der Finsternis ein Bild finden, das ihn berührt. Er findet dieses Bild, es zeigt einen Mann in einem Eisblock, der ein Gebiss in der Hand trägt. Er beginnt nun alles zu vergessen, und als er alles vergessen hat und nicht mal mehr weiß, wer er selbst ist, kann er durch einen Springbrunnen mit dem Wasser des Lebens zurück in die reale Welt. Er hat wieder seine alte Gestalt. Und vergessen hat er nichts. Er erzählt seine Geschichte ja ausführlich seinem Vater.