Narrenschiffer
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Heinrich Mann - Der Untertan
06.10.2024 um 13:40Dieser Roman Heinrich Manns erschien von Januar 1914 bis Juli 1914 in Fortsetzungen, der Überfall auf Belgien im Rahmen des Frankreichfeldzugs ist also noch nicht bekannt. Mit Diederich Heßling charakterisiert Mann einen national gesinnten Provinzunternehmer in der fiktiven Provinzstadt Netzig.
Heßling wird während seines Chemiestudiums in Berlin Mitglied der schlagenden Verbindung Neuteutonia und er ist ein glühender Verehrer Wilhelms II., dem er in Berlin während einer Arbeitslosendemonstration begegnet und später in Rom als Groupie nachstellt.
Der Großteil des Romans spielt in Netzig, wo Heßling sich von einem eher heruntergekommenen Papierunternehmer zu einem provinziellen Monopolisten hocharbeitet, indem er ein Konkurrenzunternehmen in den Ruin treibt und billig übernimmt. In diesem Ort wird er auch Stadtrat und gründet eine nationale Partei, die immer mehr Einfluss in dieser bislang freisinnigen (liberalen) Stadt einnimmt und Heßling als wortgewandten Führer der nationalen Sache akzeptiert.
Heßling ist wie eigentlich alle Honoratioren dieser Stadt extrem egoistisch und es werden gegeneinander hässliche Intrigen gesponnen. Ein freisinniger Unternehmer, der seine Mitarbeiter an Gewinnen beteiligt, wird von Heßling dahingehend provoziert, dass er in der Verteidigung der jüdischen Menschen sich zu der Äußerung hinreißen lässt, auch im Hochadel gäbe es jüdische Vorfahren. Dieser Ausspruch wird vor einem Gericht als Majestätsbeleidigung angesehen, der Unternehmer Lauer wird zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt.
Um gegen die freisinnige Partei vorzugehen, verbündet sich Heßling zu den Reichsratswahlen mit seinem Maschinenmeister Napoleon Fischer, der Kandidat für die Sozialdemokraten ist. Sie vereinbaren, bei Stichwahlen gegen die Freisinnigen die jeweils andere Partei zu unterstützen (eine Querfront wird gebildet). Preis: die Sozialdemokraten unterstützen ein Kaiser Wilhelm-Denkmal, die Nationalen ein Gewerkschaftshaus. So kommt es auch: die Sozialdemokraten gewinnen die Stichwahlen und der Roman endet mit der Einweihung des Denkmals, einem Slapstick: Heßling hält seine Rede bei einem Gewitterwolkenbruch.
Ende des Romans: Der alte Unternehmer Buck, ein Liberaler, stirbt, eine neue Ära bricht an.
Die Charakterisierung Heßlings ist eher holzschnittartig und nicht immer nachvollziehbar. So ist er als Kind von seinem Vater geschlagen worden, akzeptiert dies jedoch und übernimmt dessen hierarchische Weltvorstellung. Nach oben buckeln (zuoberst der Kaiser, dann Adelige und Offiziere), nach unten treten und gegen die Peers Intrigen schmieden. Dazu kommt ein unbändiger Aufstiegswillen, der auch mit Lügen verbunden ist. So verabschiedet er sich mit falschen Arztbefunden aus dem Militärdienst, gebiert sich jedoch als soldatischer Mann. Langatmig geraten sind der Gerichtsprozess gegen den Unternehmer Lauer (Intrigen zwischen Männern) und eine Theateraufführung (Intrigen zwischen Frauen und Familien).
Frauen sind für Heßling nur Objekt. Als Student schwängert er eine Agnes Göppel, unterstützt sie bei einer illegalen Abtreibung (in Netzig ist er gegen ein Säuglingsheim, das die Liberalen wünschen) und verlässt sie. Guste Daimchen heiratet er nur wegen des Geldes und weil sie feist ist.
... das dicke, rosige Gesicht mit dem fleischigen Mund und der kleinen, frech eingedrückten Nase; das weißliche Haar, nett glatt und ordentlich, den Hals, der jung und fett war, und in den Halbhandschuhen die Finger, die die Wurst hielten und selbst rosigen Würstchen glichen.Seine drei Kinder werden ihm alles sein, seine Frau nichts.
Auf den Punkt bringt Heinrich Mann die politische Lage der 1890er Jahre im Deutschen Reich. Heßling unterstützt in seinen Reden das Weltmachtstreben Deutschlands und die damit verbundene Aufrüstung des Militärs auch mit einer Flotte. Heßling:
„Der Ozean ist unentbehrlich für Deutschlands Größe. Der Ozean beweist uns, daß auf ihm und jenseits von ihm ohne Deutschland und ohne den Deutschen Kaiser keine Entscheidung mehr fallen darf, denn das Weltgeschäft ist heute das Hauptgeschäft!"Gänsehaut erzeugt der gewaltsame Antisemitismus (Heßling verprügelt als Student einen Juden, weil er Jude ist) sowie der Vernichtungswille gegen Behinderte:
Blödsinnige und Sittlichkeitsverbrecher waren durch einen chirurgischen Eingriff an der Fortpflanzung zu verhindern.Und in seinem Innersten sehnt sich Heßling nach einer brutalen Diktatur, welche die Feinde ausmerzt. So nach einem Streit mit dem Freisinnigen Brietzen:
„Wenn Sie meinen, für Ihre Frechheiten bewilligen wir Ihnen auch noch die Militärvorlage! Sie sollen sehen, was Umsturz ist!"Zwei Jahrzehnte später wurde diese von Heßling ausgesprochene Drohung Realität.
Draußen in der einsamen Allee wütete er weiter, zeigte dem unsichtbaren Feinde die Faust und stieß Drohungen aus. „Das kann euch schlecht bekommen! Wenn wir mal Schluß machen!"