Fischer-Weltgeschichte-12

Verfasst wurde dieser 1967 erschienene Band von den an der École Pratique des Hautes Etudes (Hochschule für fortgeschrittene Studien) in Paris lehrenden Ruggiero Romano und Alberto Tenenti. Im Zentrum stehen die geistes- und ideengeschichtlichen Umbrüche in Westeuropa zwischen 1350 und 1550, wirtschaftliche und politische Geschichte werden eher gestreift. Stilistisch ist das Werk weniger ein Lehr- oder Handbuch, sondern eher ein langer Essay.

Wirtschaftlich wird mit 1350 ein Rückgang des Bodenertrags, eine Verarmung der Getreidearten (Gerste und Hülsenfrüchte verdrängten Weizen und Hafer), ein Rückgang des Viehbestands, eine Ausdehnung der Wälder, eine Abwanderung der Landbevölkerung in die Stadt, eine Verschlechterung des Ackerbodens bedingt durch Auslaugung wie auch Klimaverschlechterung (Ausdehnung der Gletscher im alpinen Raum), ein Übergang zur Weidewirtschaft konstatiert. Auch entwickelt sich der Feudalismus zurück, Eigenwirtschaften werden durch Lohnarbeiter betrieben. Für die Bauern bedeutete dies mehrheitlich eine Verarmung, während Einzelne die Möglichkeit hatten, Vermögen zu erlangen. Gewerbe war immer noch eine Luxusindustrie, die Bauern webten zum Beispiel ihr Tuch nach wie vor selbst.

Erst ab dem 16. Jahrhundert begann die Bevölkerung Europas wieder zu wachsen, nachdem sie zuvor ab 1350 sich auf die Hälfte reduziert hatte. Ein bedeutender Grund dafür habe in der Revitalisierung der Landwirtschaft gelegen: Intensivierung des Anbaus, die Erschließung neuen Bodens (z. B. Trockenlegung von Sümpfen), Entwaldung und Urbarmachung. Anders als im Mittelalter sei landwirtschaftlicher Boden nun Kapitalinvestition geworden. Der Eigentümer muss nicht mehr vom Land leben, er kann die Erträge lukrieren und das Land selbst als Spekulationsobjekt verwenden. Auch wurde die Produktionsweise effektiver, was sich aus der weiterhin gegebenen Landflucht in die Städte ersehen lässt.

Der Gewerbeausstoß steigerte sich quantitativ im 16. Jahrhundert, vor allem auch wegen der Kriegsproduktion. Auch lasse sich ein Trend weg von der Qualität hin zur Quantität erkennen, was gewisse Produkte für eine breitere Käuferschicht erschwinglich machte. Teure Qualität blieb weiterhin einem kleinen Kundenkreis vorbehalten. Der Handel erreichte um 1500 einen Höhepunkt.

Mit dem hohen Silberimport Spaniens aus Südamerika begann in ganz Europa sich eine Inflation zu entwickeln ("Preisrevolution"). Im 16. Jahrhundert verfünffachten sich die Preise, während die Löhne nur selten mitzogen. Da jedoch keine "Vollbeschäftigung" herrschte, sondern weite Kreise der Bevölkerung ohne Einkommen waren, konnten mit den Extraprofiten neue Unternehmen und damit Arbeitsmöglichkeiten gegründet werden. Die gesamtgesellschaftliche Lohnsumme sei dennoch gestiegen.

Politisch ist eine Tendenz zur Zentralisierung der Macht erkennbar. In den Städten wurden die Signori zu Erbdynastien, das Wahlvolk wird zu Untertanen. Der Hundertjährige Krieg schweißte Frankreich zu einer Nation zusammen, während England nach den Rosenkriegen zu einem geschlossenen Staat ohne ausländischen Einfluss wurde. Das Deutsche Reich legte in der Goldenen Bulle von Karl IV. sieben Kurfürsten fest (Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Rheinische Pfalz als weltliche Herrschaften bzw. Köln, Mainz und Trier als kirchliche). Durch die Zentralisierung entwickelte sich eine Bürokratisierung (Entfeudalisierung) der herrschaftlichen Verwaltung.

Der Klerus nutzte diese Gelegenheit und hatte nicht nur aus seinen Besitzungen (im Deutschen Reich ein Drittel der gesamten Fläche), sondern auch aus seinen Funktionen Einkommen. Kritik ließ nicht auf sich warten. So forderte John Wiclif die Enteignung kirchlichen Besitzes durch den Staat.

Ausführlich wird die Veränderung des Todesbildes dargelegt. Die mittelalterliche Todesvorstellung war noch von einem sanften Übergang in die Ewigkeit geprägt, wo das Leben ohne Qualen für die Seele weitergeht. Das irdische Dasein war nur eine zu erduldende Periode. Nun wird der Tod zu einem Gleichmacher, der alle Menschen trifft, ohne dämonisch oder göttlich zu sein. Das Augenmerk wird weniger auf das ewige Leben der Seele gelegt, sondern auf den ewigen Ruhm auf der irdischen Welt. Dies zeigt sich an den Gedenksteinen von Mausoleen wie auch durch die Porträtmalerei, die eine Altersstufe verewigen soll. Der Mensch sehe sich immer mehr als Mensch und nicht als Christ.

Dies seien die ideellen Grundlagen, auf denen der Humanismus mit seiner Hinwendung zum Individuum aufbaute. Die Geschichtsschreibung wird irdisch, die Kunst erhält einen selbständigen Wert. Es steht nicht mehr eine göttliche oder christliche Botschaft im Zentrum. Der Mensch wird zum faber fortunae, zum Schmied seines Glücks.

In der Kunst (Architektur, Skulptur, Malerei) werden nun Beobachtung der Natur und Wissen um die Perspektive zentral. Papst Clemens VII. erlaubte schließlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Sezieren, wodurch sich das anatomische Wissen stark erweiterte.

Auch die Wissenschaften florierten. Der Venezianer Hieronymus Fracastoro veröffentlichte eine Infektionslehre, die Keime und Infektionsträger kannte. Kopernikus entwickelte (noch hypothetisch) das heliozentrische Weltbild (von1616 bis 1822 auf dem katholischen Index), Tycho de Brahe entdeckte die Ellipsenbahnen der Planeten. Technik erhielt einen neuen Stellenwert. Vom Artilleriewesen bis zum Buchdruck, die Zeit wird mit Uhren gemessen, der Raum in Längen- und Breitengrade unterteilt. Währungseinheiten, Buchhaltungssysteme und Versicherungsstrukturen werden entwickelt. Der Tatsachenbeweis wird über überliefertes Buchwissen gestellt.

Die Fahrten über Europa hinaus bis 1510 wird Zeit der Entdeckungen genannt (Portugiesen an der afrikanischen Küste bis Südostasien bzw. Spanien nach Amerika), erst mit 1510 begannen die Eroberungen (Spaniens im Westen, Portugals im Osten - ganz nach dem Plan des Vertrags von Tordesillas 1494). Als Bedingungen dafür werden nicht nur die neuen wissenschaftlichen sowie seefahrerischen Kenntnisse, sondern auch demographische Spannungen und soziale Gegensätze genannt. Für junge, einkommenslose Männer bedeutete die Seefahrt oder Kolonisierung eine Perspektive, für Nachgeborene der oberen Schichten eine Herrschaftsmöglichkeit, die in der Heimat verschlossen war.

Die Frage, wie relativ wenige Invasoren ganze Völker erobern konnten, wird damit erklärt, dass nur eine herrschende Elite getauscht wurde. Den Unterdrückten sei es egal gewesen, von wem sie ausgebeutet werden, und leisteten daher keinen Widerstand. Obwohl es Ausnahmen gab: In Chile oder Argentinien wurde zum Teil bis zum 20. Jahrhundert ein Guerillakrieg geführt, der bis hin zur Ausrottung führte (Pampas, Araukaner, Fueghinos und andere).

Obwohl beeindruckende Städtegründungen (Potosi auf 4000 Metern Höhe wegen der Silberminen) existierten, gründete sich die spanische Kolonialwirtschaft auf feudalen Strukturen, die sich verhärteten, da die Wirtschaft zunächst kaum auf Handel basierte und Ausbeutung das Einkommensmodell war. Die Kosten? Millionen von Menschenleben Eingeborener. Gegenüber dem fernen Heimatland entwickelten die Kolonialherren ein eigenständiges Selbstbewusstsein. Anordnungen wurden nicht befolgt, Revolten wurden angezettelt. Die Macht der Peripherie wurde immer stärker. Dennoch sei Karl V. als Spanischer König Schöpfer des ersten modernen Kolonialreichs gewesen.

Auch Portugals Drang in den Indischen Ozean gestaltete sich neben den Widrigkeiten der Seereisen schwierig. Die Schiffe waren von Piraten bedroht, die Mannschaften von lokalen Machthabern. "So kehrten zwischen 1497 und 1572 von 625 nach Hinterindien ausgelaufenen Schiffen nur 315 nach Lissabon zurück."

Auch Europa war von Unsicherheiten gekennzeichnet. In Spanien (Kastilien und Aragon) verbanden sich Herrscherhaus (Ferdinand und Isabella) mit der Kirche, 1478 gründete Papst Sixtus IV. die Spanische Inquisition mit staatlich eingesetzten Inquisitoren. Ziel: Die Ausmerzung des getauften Kryptojudentums. Gefürchteter Oberinquisitor war der Dominikaner Tomás de Torquemada.

Die osmanische Flotte drang nach der Eroberung Konstantinopels (1453) nach Italien ein, die von Papst Kalixt III. mühsam zusammengestellte Kreuzfahrerflotte wandte sich jedoch der Piraterie zu. Das Papsttum selbst wurde ab Kalixt III. ein Amt einer italienischen Oligarchie der Familien Borgia, Della Rovere, Piccolomini, Medici, Farnese und Carafa. Und 1484 gab Papst Innozenz VIII. mit der Bulle Summis desiderantes den Startschuss zur Hexenjagd. "Personen beiderlei Geschlechts unterhielten verwerfliche Beziehungen mit den Dämonen, ihre verbrecherischen Hexenkünste verursachten den Tod von Kindern".

Das christliche Westeuropa sei nach wie vor auf den geistigen Grundlagen des Mittelalters gegründet, aber aus den Fugen geraten. Eine Neuordnung ohne Christentum sei nicht angedacht. Gegenpositionen nahmen christliche Sekten ein, von denen sich das Luthertum und der Calvinismus durchsetzen konnten. Die radikalen und gewalttätigen Wiedertäufer wurden vernichtet.

Luther, ein Augustinermönch, begründete seinen Kampf gegen die römische Kirche mit der Anmaßung des Papstes, eine absolute Autorität über die Kirche auszuüben. Die Loslösung von Rom fand schnell Anhänger bei deutschen Fürsten. Thüringen, Sachsen und Süddeutschland waren bald reformierte Länder, 1529 anerkannte der Reichstag von Speyer die Religionsausübung der Lutheraner (diesen war das zu wenig und sie protestierten). Nord- und Nordostdeutschland inklusive Preußen wurden protestantisch. 1555 schließlich wurde das Prinzip, dass der Fürst die Religion der Bevölkerung bestimmt, beschlossen (Augsburger Religionsfriede). Die Menschen gewann Luther mit der Idee, dass einzig der Glaube zur Vergebung der Sünden reiche. Keine guten Taten, keine Ablasszahlungen können die Gnade Gottes kaufen.

Den Bauern, welche sich auf die soziale Sprengkraft bezogen und bewaffnete Aufstände für eine neue soziale wie religiöse Ordnung führten, entzog Luther die Unterstützung. Obrigkeitsheere zerschlugen die Bauernarmeen. Für die Landesfürsten jedoch war die Reformation und die Loslösung von Rom auch ein wirtschaftlicher Segen:
Die Herzöge von Mecklenburg und Pommern, die Kurfürsten von Sachsen, von Brandenburg, von der Pfalz, der Landgraf von Hessen bemächtigten sich des kirchlichen Besitzes. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Besitzergreifung der Güter des Deutschordens im Jahre 1525 durch einen Hohenzollern, Albrecht von Brandenburg.
In England war die Abkehr von der römischen Kirche dynastisch bedingt (Heinrich VIII. wollte sich scheiden lassen). Der Calvinismus wiederum war eine sehr moralisch geprägte Strömung und aufgrund der Prädestinationslehre (Gottes Gnade zeigt sich am Wohlleben) eine bürgerliche Sekte, die zum Teil gewalttätig sein konnte (Verbrennung von Herätikern).

In der katholischen Kirche reagierte Ignazius von Loyola mit der Gründung der Gesellschaft Jesu, der Jesuiten. Diese waren eine Abkehr von den Bettelorden, Liegenschaften zur Sicherung des Unterhalts waren Pflicht. Gefordert wurde ein unbedingter Gehorsam dem Papst und den Dogmen der katholischen Kirche gegenüber. Sie sahen sich als politische Priester.

Mitte des 16. Jahrhunderts sei Europa schließlich durch das Entstehen von Reichen geprägt: neben dem Deutschen Reich das Osmanische (mit Eroberungen bis Ostmitteleuropa), das Spanische Weltreich sowie eine Zeit lang Portugal. Diese Tendenz zur Reichsbildung sei zukunftsprägend gewesen. Die Wirkmächtigkeit dieser Reiche ist zwiespältig. Einerseits trugen sie durch Handel zu einer Verbesserung der Ernährungssituation wie des Lebensstandards in Europa bei, andererseits bedeutete dies für Völker außerhalb Europas Verschleppung, Sklaverei, Vernichtung.

Innerhalb der Reiche entstand eine postfeudale Verwaltung und damit eine Struktur zur Bildung eines Staates, für die vier Faktoren als bestimmend gesehen werden (alle vier müssten gegeben sein):

  • eine territoriale Grundlage
  • eine starke Zentralgewalt
  • Einschränkung oder Vernichtung der alten Feudalmacht
  • Schaffung einer Infrastruktur (Verwaltung, Finanzen, Heer, Diplomatie)