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Anna Rabe - Die Möglichkeit von Glück
07.10.2023 um 13:33Original anzeigen (0,2 MB)
Der erste Prosatext der aus Wismar stammenden Dramatikerin Anna Rabe wurde dieses Jahr von der Kritik sehr wohlwollend aufgenommen. Roman ist es eigentlich keiner, sondern eine nabelschauende Autofiktion der 1986 Geborenen und in der Post-DDR Aufgewachsenen. Rabes Alter Ego ist Stine, aber es dürfte so Einiges aus der eigenen Familiengeschichte übernommen worden sein.
Zentralaspekt ist Gewalt. Was die Mutter (von Beruf Erzieherin) Stine und ihrem Bruder Tim antut, fällt eigentlich unter die Kategorie Folter. So werden sie als Kleinkinder einmal "zur Abhärtung" in brühheißes Badewasser gesteckt, aus dem sie der in Panik geratene Vater reißt, ohne dass dies irgendwie Konsequenzen hat.
Über die Gewalt im Privaten hinausgehend wird die systemische Gewalt der DDR vorgestellt, hauptsächlich anhand des Großvaters Paul. Alle, welche sich nicht den Ritualen der "neuen Religion" der SED unterworfen haben, wurden verfolgt und die Entscheider mussten nichts rechtfertigen, während die Unterworfenen sich in Selbstbezichtigungsritualen irgendeiner Schuld zu bekennen hatten, was nach Stalins Tod nicht mehr unbedingt zu Lager oder Todesurteil führte, aber zu gesellschaftlichen Konsequenzen.
Die DDR nach der Wende im gesamtdeutschen Staat ist für Rabe eine Welt ohne Vergangenheit und sie fragt, wie eine solche Welt eine Zukunft haben könne. Die Ressentiments gegenüber dem neuen Staat waren nicht nur auf drohender Arbeitslosigkeit gegründet, sondern es wurde gesehen, wie sich auch oppositionelle Mitglieder des Runden Tisches nach der Wende bereichert haben. Sie hatten die notwendigen Informationen, um günstig zum Beispiel an Baugrundstücke zu kommen. Dies sei nun das Klima, in dem sich Neonazis zusammenrotten und Zustimmung erhalten konnten. Auch war es das Klima, in dem Jugendliche an den Schulen rebellierten, unbeschulbar wurden, wie aus Stines Schulerfahrung berichtet wird.
Ihr Bruder Tim hat den radikalen Weg eingeschlagen, ist nach Bayern gezogen und hat nach einem Top-Studium Karriere im Consulting-Bereich gemacht. Der Kontakt zu den Eltern ist nach der Aussage der Mutter, endlich bleibe ihr das Geld, wenn er was verdient, abgerissen.
Der Text ist schon in Ordnung, aber mehr als einmal hoffte ich beim Lesen, dass endlich mal eine der vielen angerissenen Thematiken ausführlicher erzählt wird.
Der erste Prosatext der aus Wismar stammenden Dramatikerin Anna Rabe wurde dieses Jahr von der Kritik sehr wohlwollend aufgenommen. Roman ist es eigentlich keiner, sondern eine nabelschauende Autofiktion der 1986 Geborenen und in der Post-DDR Aufgewachsenen. Rabes Alter Ego ist Stine, aber es dürfte so Einiges aus der eigenen Familiengeschichte übernommen worden sein.
Zentralaspekt ist Gewalt. Was die Mutter (von Beruf Erzieherin) Stine und ihrem Bruder Tim antut, fällt eigentlich unter die Kategorie Folter. So werden sie als Kleinkinder einmal "zur Abhärtung" in brühheißes Badewasser gesteckt, aus dem sie der in Panik geratene Vater reißt, ohne dass dies irgendwie Konsequenzen hat.
Über die Gewalt im Privaten hinausgehend wird die systemische Gewalt der DDR vorgestellt, hauptsächlich anhand des Großvaters Paul. Alle, welche sich nicht den Ritualen der "neuen Religion" der SED unterworfen haben, wurden verfolgt und die Entscheider mussten nichts rechtfertigen, während die Unterworfenen sich in Selbstbezichtigungsritualen irgendeiner Schuld zu bekennen hatten, was nach Stalins Tod nicht mehr unbedingt zu Lager oder Todesurteil führte, aber zu gesellschaftlichen Konsequenzen.
Die DDR nach der Wende im gesamtdeutschen Staat ist für Rabe eine Welt ohne Vergangenheit und sie fragt, wie eine solche Welt eine Zukunft haben könne. Die Ressentiments gegenüber dem neuen Staat waren nicht nur auf drohender Arbeitslosigkeit gegründet, sondern es wurde gesehen, wie sich auch oppositionelle Mitglieder des Runden Tisches nach der Wende bereichert haben. Sie hatten die notwendigen Informationen, um günstig zum Beispiel an Baugrundstücke zu kommen. Dies sei nun das Klima, in dem sich Neonazis zusammenrotten und Zustimmung erhalten konnten. Auch war es das Klima, in dem Jugendliche an den Schulen rebellierten, unbeschulbar wurden, wie aus Stines Schulerfahrung berichtet wird.
Ihr Bruder Tim hat den radikalen Weg eingeschlagen, ist nach Bayern gezogen und hat nach einem Top-Studium Karriere im Consulting-Bereich gemacht. Der Kontakt zu den Eltern ist nach der Aussage der Mutter, endlich bleibe ihr das Geld, wenn er was verdient, abgerissen.
Der Text ist schon in Ordnung, aber mehr als einmal hoffte ich beim Lesen, dass endlich mal eine der vielen angerissenen Thematiken ausführlicher erzählt wird.