Haslinger-Opernball

1995 war dieser Roman Haslingers ein Bestseller zumindest in Österreich. Politischer Hintergrund war wohl die rassistisch motivierte Attentatsserie von Franz Fuchs einerseits und der beginnende Aufstieg Jörg Haiders, der im Roman als Jup Bärenthaler leicht zu erkennen ist, andererseits.

Die europäische private Fernsehstation ETV überträgt den Opernball in Wien, als binnen kurzer Zeit aufgrund durch das Belüftungssystem eingeleiteter Blausäure alle sich in der Wiener Oper befindlichen Ballgäste sowie Personal und Medienleute sterben. Der Sohn des ETV-Leiters Wien, Kurt Fraser, stirbt als Kameramann ebenfalls. Fraser, eigentlich ein Kriegsreporter, geht dem Geschehen nach und interviewt unter anderem den einzigen überlebenden Täter (alle anderen haben sich beim Einleiten des Gases selbst vergiftet) auf Mallorca sowie einen Polizisten, des weiteren Ballgäste, die überlebt haben. Die Rolle des Erzählers übernimmt Fraser selbst, einen kommentierenden Erzähler gibt es nicht, die Interviews werden als Tonbandtranskripte präsentiert.

Somit bleiben die Hintergründe offen, die Beschaffung des Giftgases aus dem Irak wird angedeutet, eine mögliche Unterstützung der rechtsradikalen Attentäter durch hochstehende Finanziers wie hochrangige Polizeibeamte, die einen Putsch befördern möchten, wird angedeutet.

Nicht stimmig ist dann doch, dass das Attentat durch eine neunköpfige Gruppe aus Bauarbeitern, einem Bauzeichner, einem Studenten und einem Arbeitslosen, der eine Erbschaft erhalten hat, durchgeführt werden kann, die sich zunächst als Bewegung der Volkstreuen bezeichnet und später Die Entschlossenen nennt, in Wien auf der Straße Ausländer verprügelt, ein Haus am Wiener Gürtel niederbrennt (mit 24 Toten), und dessen Anführer nach dem Gürtelhausbrand in die USA flieht, sich chirurgisch ein neues Gesicht verpasst, um als US-amerikanischer Mormone nach Wien zurückzukehren und das Giftgasattentat logistisch im Alleingang zu planen und durchzuführen.

Das Interview mit dem Bauzeichner findet auf Mallorca statt, während Fraser mit einer Pistole in Schach gehalten wird, und am Ende der Bandaufzeichnungen erschießt sich der Attentäter. Aber auch dieses Interview ist nicht stimmig. Die Ausführungen sind hochintellektuell, sie zeichnen ein Bild einer rechtsradikalen Szene, die sich über den politischen Weg streitet, die einen ethnopluralistischen Weg eines weißen Europa einschlagen will, in dem die Nationalstaaten Volksgemeinschaften bilden sollen, und die Hitlers Verbohrtheit gegenüber den Juden abzulehnen beginnt, ihn als einen Loser betrachtet.

Haslinger schafft es, einen Denkweg vorzuzeichnen, den später die Identitären einschlagen werden, und das durchaus überzeugend. Und dies irritiert. Die Monologe des Bauzeichners von den Brutalitäten befreit können durchaus als ein Pamphlet durchgehen, als kodierter Text im Text, wie auch die Entschlossenen mit kodierten Texten kommunizieren. Nur: Das traue ich Haslinger trotz seines heutigen Ukraine-Standpunkts nicht zu, für mich ist er ein eloquenter Post-Linker, der manche seiner eigenen Gedankenprodukte nicht ganz durchschaut.

Zu lesen ist der Roman streckenweise mit Faszination (Interviews mit dem Bauzeichner sowie dem Polizisten, der bei den Anti-Opernballdemonstrationen im Einsatz war), weist aber mühsame Längen auf, vor allem wenn private Lebensgeschichten, auch Frasers und dessen ehemals heroinabhängigen Sohns, breitgetreten werden. Und immer wieder scheint der Roman eine brutalisierte Version von Thomas Bernhards Dauerbrenner zu sein, dass die Österreicher:innen sowieso mehrheitlich noch immer Nazis sind.

Fazit nach 27 Jahren: Das Ding hätte gerne straffer erzählt werden können.