Christine-NoestlingerDas-Austauschkind

1982 veröffentlicht, lässt Nöstlinger aus der Sicht des 13-jährigen Ewald Mittermeier tagebuchartig einen Sommer mit einem Austauschkind aus England bei einer Wiener Familie Revue passieren. Ewald ist ein guter Schüler, hat aber nur eine Drei in Englisch, da er im Mündlichen schlecht ist und das "th" nicht gut aussprechen kann. Eine Sommerschule in Oxford kann er noch mit Geschichten über Saufereien und Liebeleien abwimmeln, aber dass ein Austausschüler aus England die Ferien in der Familie verbringt, kann er nicht mehr stoppen.

Wegen eines Unfalls kommt nicht der angekündigte Schüler, sondern dessen 14-jähriger Halbbruder Jasper. Und der ist ein Schock für die konservative Familie (Mutter auf peinlichste Sauberkeit bedacht, Vater durchaus cholerisch Ohrfeigen austeilend). Jasper, rotblond und dick, bringt nicht nur eine Steinesammlung mit, sondern ist soziopathisch, jähzornig, unordentlich und unhygienisch. Er zieht sich in das Zimmer zurück, das er wegen seines lauten Schnarchens alleine bewohnt, verweigert sich zu waschen und an den gemeinsamen Mahlzeiten teilzunehmen. Dafür holt er sich nächtens Marmelade, Fischdosen und Ketchup aus der Speisekammer. Die Reste verstreut er am Boden.

Der Hauptteil der Geschichte besteht darin, Jasper in die Gemeinschaft zurückzuführen. Ewalds Vater wäscht ihn mehr oder weniger unter Anwendung von Gewalt, Ewalds fünfzehnjährige Schwester Sybille findet einen Zugang zu ihm, indem sie mit ihm, als die Kinder wegen eines Vorfalls von den Eltern in der Wohnung eingesperrt werden, mit Hilfe des Hausmeisters und dem Ersatzschlüssel in den Wiener Vergnügungspark Prater abhaut.

Langsam taut Jasper auf, und als über einen Mitschüler, der dessen Bruder von früheren Austauschprogrammen kennt, erzählt, dass Jasper von seiner Mutter und seinem Stiefvater mehrfach in Internate abgeschoben worden ist sowie am liebsten bei seiner Stiefmutter Mary leben möchte, beginnt die Familie den Versuch, Jasper zu verstehen.

Während der Urlaubsreise bringt Jasper die Familie dazu in Richtung Rom zu fahren, da dort Mary lebt. Nach einem Aufenthalt in Bozen, wo Sybille und die Mutter Unmengen an Kleidung einkaufen, wird von Florenz aus telefonisch Kontakt zu Mary aufgenommen, die in Rom ihren Urlaub verbringt, doch sie möchte nicht, dass Jasper zu ihr kommt, sondern erst dann wieder Kontakt aufnimmt, wenn er erwachsen ist. Auch wenn Jasper bereits mitentscheiden kann, bei wem er leben möchte, betrifft dies nicht Stiefmütter. Nach der abschlägigen Auskunft zerlegt Jasper das Hotelzimmer.

Zurück in Wien gesteht er, dass er Sybille liebt und sich mir ihr verloben möchte, was die Eltern gegen den Willen Sybilles zulassen. Es wird eine Verlobungsfeier veranstaltet und Jasper fliegt mit der Aussicht zurück nach England, im darauffolgenden Jahr wiederzukommen. Ein ziemlicher Cop-Out aus dem bis dahin sehr zugänglichen Roman mit Witz und Tiefgang. Soviel ich weiß, gibt es auch keine Fortsetzung, was auch schwer möglich ist bei einem Ende mit einem gefälschten Eheversprechen. Auch sind die Steinesammlung und der dicke englische Junge, der Unmengen an Ketchup, Pommes und Fischen verschlingt doch etwas übertrieben. Was gelungen ist: Die Einfühlung in die Denkweise von pubertierenden Teenagern. Das wirkt immer noch zeitgemäß.