Hackl-Sidonie

1989 erschienen, wurde dieses Buch über ein in Auschwitz-Birkenau verstorbenes Romni-Mädchen zu einem der ersten österreichischen Bestseller des Genres Dokufiktion. Der Erzähler wird zwar als "Chronist" bezeichnet, dennoch fließt seine Haltung zu den Ereignissen immer wieder ein. Inhaltlich hält sich der Roman an Realitäten, es werden auch Dokumente - zum Beispiel Behördenbriefe - wörtlich zitiert.

Der Plot: 1933 wird beim Krankenhaus der oberösterreichischen Stadt Steyr ein Neugeborenes abgelegt, vom äußeren Erscheinungsbild eindeutig eine Romni. Nach einem ersten gescheiterten Versuch, Pflegeeltern zu finden (der Mann lehnt das Mädchen ab), wird Sidonie Adlersburg von der Arbeiterfamilie Josefa und Hans Breirather aus einer kleinen Arbeitersiedlung südlich von Steyr in Pflege genommen, jedoch nicht adoptiert. 1943 wird Sidonie gegen den Willen ihrer Pflegeeltern, die auch für den Widerstand tätig sind, zu ihrer leiblichen Mutter in ein Zigeunerlager nach Hopfgarten in Tirol überstellt und von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie an Typhus stirbt.

Hackl präsentiert eine nach Zusammenbruch der Waffenindustrie in den 1920er Jahren krisengebeutelte Industrieregion mit hoher Arbeitslosigkeit. Etwa die Hälfte der mehr als 20.000 Einwohner erhält staatliche Unterstützung. Krankheiten wie Tuberkolose und Rachitis sind unter Kindern weit verbreitet. Hans Breirather schafft es, in den Steyr-Werken Arbeit zu finden, und er ist in Kontakt mit dem 1933 verbotenen Republikanischen Schutzbund (einer bewaffneten paramilitärischen Teilorganisation der österreichischen Sozialdemokratie), er versucht im Februar 1934 an einem Aufstand gegen die autoritäre Regierung teilzunehmen, der von Armee und Heimwehren (faschistische paramilitärische Organisationen) niedergeschlagen wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeitern schließt sich Breirather nicht den während der Ständestaatsdiktatur illegalen Nationalsozialisten an, sondern hält auch während der deutschen Besatzung Österreichs Kontakt zum kommunistischen Widerstand, wird jedoch nie verraten. In die Wehrmacht wird er nicht eingezogen, da er als kriegswichtiger Arbeiter gilt. Nach dem Krieg wird er als Linkssozialist kurzzeitig Bürgermeister der Gemeinde Sierning (südlich von Steyr).

Sidonie wurde mit dem Geburtsnahmen ihrer Mutter, Berger, und der Häftlingsnummer Z 6672 im Zugangsbuch des KZ Auschwitz registriert (Original im Staatlichen Museum Auschwitz)

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Sidonie Adlersburg ist am Familiengrabstein in Steyr angeführt.

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Beide Fotos auf verortungen.de

Von Sidonie sind einige Fotos überliefert, so dieses Portrait aus dem Jahr 1943:

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Diese Bilder und mehr auf der Seite der steyrerpioniere.