Astronomen bestimmen den Zeitpunkt, an dem das gesamte neutrale Wasserstoffgas zwischen den Galaxien, das durch den Urknall entstand, vollständig ionisiert wurde

Eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Sarah Bosman vom MPIA hat das Ende der Epoche der Reionisation auf etwa 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall genau bestimmt. Die Reionisation begann, als sich die erste Generation von Sternen nach dem kosmischen „dunklen Zeitalter“ bildete, einer Periode, in der nur neutrales Gas das Universum ohne Lichtquellen erfüllte. Das neue Ergebnis beendet eine Debatte und ergibt sich aus den Strahlungssignaturen von 67 Quasaren mit Anzeichen des Wasserstoffgases, das das Licht durchquerte, bevor es die Erde erreichte. Die genaue Bestimmung des Endes dieser „kosmischen Dämmerung“ wird helfen, die ionisierenden Quellen zu identifizieren.

Das Universum hat von seinen Anfängen bis zu seinem heutigen Zustand verschiedene Phasen durchlaufen. In den ersten 380.000 Jahren nach dem Urknall war es ein heißes und dichtes ionisiertes Plasma. Danach kühlte es so weit ab, dass sich die Protonen und Elektronen, die das Universum erfüllten, zu neutralen Wasserstoffatomen verbinden konnten. Während der meisten Zeit während dieses dunklen Zeitalters" gab es im Universum keine sichtbaren Lichtquellen. Mit dem Auftauchen der ersten Sterne und Galaxien etwa 100 Millionen Jahre später wurde dieses Gas durch die ultraviolette (UV-)Strahlung der Sterne allmählich wieder ionisiert. Bei diesem Prozess werden die Elektronen von den Protonen getrennt, so dass sie als freie Teilchen übrigbleiben. Diese Epoche wird gemeinhin als „kosmische Dämmerung“ bezeichnet. Heute ist der gesamte Wasserstoff, der sich zwischen den Galaxien ausbreitet, das intergalaktische Gas, vollständig ionisiert. Wann dies geschah, ist jedoch ein heftig diskutiertes Thema unter Wissenschaftlern und ein hart umkämpftes Forschungsgebiet.

Ein spätes Ende der kosmischen Dämmerung

Ein internationales Team von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung von Sarah Bosman vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat nun das Ende der Reionisationsepoche auf 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall genau datiert. „Ich bin fasziniert von der Vorstellung der verschiedenen Phasen, die das Universum bis zur Entstehung von Sonne und Erde durchlaufen hat. Es ist ein großes Privileg, ein neues kleines Stück zu unserem Wissen über die kosmische Geschichte beizutragen“, sagt Sarah Bosman. Sie ist die Hauptautorin des Forschungsartikels, der heute in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erscheint.

Frederick Davies, ebenfalls Astronom am MPIA und Mitverfasser des Artikels, kommentiert: „Bis vor ein paar Jahren war die vorherrschende Meinung, dass die Reionisierung fast 200 Millionen Jahre früher abgeschlossen war. Hier haben wir nun den bisher stärksten Beweis dafür, dass der Prozess viel später endete, während einer kosmischen Epoche, die mit den Beobachtungseinrichtungen der heutigen Generation leichter zu beobachten ist.“ Diese Zeitkorrektur mag angesichts der Milliarden von Jahren seit dem Urknall marginal erscheinen. Ein paar hundert Millionen Jahre mehr reichten jedoch aus, um mehrere Dutzend Sterngenerationen in der frühen kosmischen Entwicklung hervorzubringen. Der Zeitpunkt der „kosmischen Dämmerung“ gibt Aufschluss über die Art und die Lebensdauer der ionisierenden Quellen, die während der Hunderte von Millionen Jahren, die sie dauerte, vorhanden waren.

Dieser indirekte Ansatz ist derzeit die einzige Möglichkeit, die Objekte zu charakterisieren, die den Prozess der Reionisation vorangetrieben haben. Die direkte Beobachtung dieser ersten Sterne und Galaxien übersteigt die Möglichkeiten der heutigen Teleskope. Sie sind einfach zu lichtschwach, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums brauchbare Daten zu erhalten. Selbst Einrichtungen der nächsten Generation wie das Extremely Large Telescope (ELT) der ESO oder das James Webb Space Telescope täten sich mit einer solchen Aufgabe schwer.

Quasare als kosmische Sonden

Um zu untersuchen, wann das Universum vollständig ionisiert war, wenden Wissenschaftler verschiedene Methoden an. Eine davon besteht darin, die Emission von neutralem Wasserstoffgas in der berühmten 21-Zentimeter-Spektrallinie zu messen. Sarah Bosman und ihre Kollegen analysierten stattdessen das von starken Hintergrundquellen empfangene Licht. Sie untersuchten 67 Quasare, die hellen Scheiben aus heißem Gas, die die zentralen massereichen schwarzen Löcher in weit entfernten aktiven Galaxien umgeben. Bei der Betrachtung eines Quasarspektrums, das die Intensität des Lichts über die beobachteten Wellenlängen verteilt darstellt, finden die Astronomen Muster, in denen das Licht zu fehlen scheint. Dies bezeichnen die Wissenschaftler als Absorptionslinien. Neutrales Wasserstoffgas absorbiert diesen Teil des Lichts auf seinem Weg von der Quelle zum Teleskop. Die Spektren dieser 67 Quasare sind von einer noch nie dagewesenen Qualität, was für den Erfolg dieser Studie entscheidend war.

Bei der Methode wird eine Spektrallinie untersucht, die einer Wellenlänge von 121,6 Nanometern entspricht (ein Nanometer ist ein Milliardstel eines Meters). Diese Wellenlänge gehört zum UV-Bereich und ist die stärkste Spektrallinie des Wasserstoffs. Durch die kosmische Expansion verschiebt sich das Quasarspektrum jedoch zu größeren Wellenlängen, je weiter sich das Licht ausbreitet. Daher kann die Rotverschiebung der beobachteten UV-Absorptionslinie in eine Entfernung von der Erde umgerechnet werden. In dieser Studie hatte der Effekt die UV-Linie in den Infrarotbereich verschoben, als sie das Teleskop erreichte.

Je nach dem Verhältnis zwischen neutralem und ionisiertem Wasserstoffgas erreicht der Absorptionsgrad bzw. umgekehrt die Durchlässigkeit durch eine solche Wolke einen bestimmten Wert. Wenn das Licht auf eine Region mit einem hohen Anteil an ionisiertem Gas trifft, kann es die UV-Strahlung nicht so effizient absorbieren. Genau nach dieser Eigenschaft hat das Team gesucht.

Das Quasarlicht durchläuft auf seinem Weg viele Wasserstoffwolken in unterschiedlichen Entfernungen, die jeweils bei kleineren Rotverschiebungen vom UV-Bereich ihren Abdruck hinterlassen. Theoretisch sollte die Analyse der Änderung der Durchlässigkeit pro rotverschobener Linie den Zeitpunkt oder die Entfernung ergeben, zu der das Wasserstoffgas vollständig ionisiert war.

Modelle helfen, konkurrierende Einflüsse zu unterscheiden

Leider ist die Sachlage noch komplizierter. Seit dem Ende der Reionisation ist nur der intergalaktische Raum vollständig ionisiert. Es gibt ein Netz aus teilweise neutraler Materie, das Galaxien und Galaxienhaufen miteinander verbindet, das so genannte „kosmische Netz“. Wo der Wasserstoff neutral ist, hinterlässt er im Quasarlicht ebenfalls seine Spuren.

Um diese Einflüsse unterscheiden zu können, wandte das Team ein physikalisches Modell an, das Veränderungen im Licht reproduziert, die in einer viel späteren Epoche gemessen wurden, als das intergalaktische Gas bereits vollständig ionisiert war. Als sie das Modell mit ihren Ergebnissen verglichen, entdeckten sie eine Abweichung bei einer Wellenlänge, bei der die 121,6-Nanometer-Linie um einen Faktor von 5,3 verschoben war, was einem kosmischen Alter von 1,1 Milliarden Jahren entspricht. Dieser Übergang zeigt den Zeitpunkt an, an dem Veränderungen im gemessenen Quasarlicht nicht mehr mit den Fluktuationen des kosmischen Netzes allein vereinbar sind. Das war also der späteste Zeitraum, in dem neutrales Wasserstoffgas im intergalaktischen Raum vorhanden gewesen sein muss und anschließend ionisiert wurde. Das war das Ende der „kosmischen Dämmerung“.

Aussicht auf eine strahlende Zukunft

„Dieser neue Datensatz ist ein entscheidender Prüfstein, an dem sich numerische Simulationen der ersten Milliarden Jahre des Universums in den kommenden Jahren messen lassen werden“, sagt Frederick Davies. Sie werden helfen, die ionisierenden Quellen, die allerersten Generationen von Sternen, zu charakterisieren.
„Die aufregendste Richtung für unsere weitere Arbeit ist die Ausweitung auf noch frühere Zeiten, auf die Mitte des Reionisationsprozesses“, betont Sarah Bosman. „Leider bedeuten größere Entfernungen, dass diese früheren Quasare deutlich schwächer sind. Daher wird die größere Sammelfläche von Teleskopen der nächsten Generation wie dem ELT entscheidend sein.“

https://www.mpia.de/aktuelles/wissenschaft/2022-10-cosmicdawn