Weckert-Feuerzeichen

Das ist wohl die schwierigste Buchbesprechung bisher. Ingrid Weckert ist ausgebildete Theologin und war als Bibliothekarin tätig, ihre enge Verbindung zu neonationalistischen Kreisen ist dokumentiert, und in diesem Buch über die Reichsprogromnacht vom 9./10. November 1938 tritt sie 1981 als revisionistische Autorin an die Öffentlichkeit. Als Verfasser des Vorworts gewinnt sie den Freiwilligen der Legion Condor und Pressereferenten von Goebbels Wilfred von Oven.

Kernaussage des Werkes ist, dass sowohl der Mord an dem deutschen Botschaftsangestellten in Paris Ernst Eduard vom Rath als auch die Attacken gegen jüdische Geschäfte sowie Synagogen in der Reichspogromnacht von der Ligue Internationale Contre l'Antisémitisme (LICA) in Paris aus gesteuert waren. Der Attentäter Herschel Grynspan habe bei deren Hauptquartier ums Eck incognito gehaust (die Briefe seiner Familie, die zwangsausgewiesen wurde, hätten ihn nicht erreichen können) und während der Pogromnacht sei in Dokumenten immer wieder von Provokateuren die Rede, die keiner gekannt habe.

Weckert selbst hält die nationalsozialistische Politik der Trennung zwischen Deutschen und Juden für korrekt und für einen Nationalstaat entsprechend. Dabei bezieht sie sich in einem typischen Whataboutismus auf die zionistische Gründung des Staates Israel, der bezüglich Staatsbürgerschaft und Juden sowie der Heiratspolitik ähnliche gesetzliche Vorgaben habe, wie sie in den Nürnberger Gesetzen von 1935 festgeschrieben waren. Eine Abschiebung der jüdischen Deutschen, wie sie die nationalsozialistische Regierung vor dem Krieg angestrebt hat, hält Weckert für akzeptabel.

Auch wenn dieses Buch für einen kleinen Zirkel geschrieben war, wurde es einerseits breit rezipiert, andererseits sind Manipulationsmethoden, die aus aktuellen Verschwörungstheorien bekannt sind, eingesetzt.


Lügentopos

Weckert schreibt über ein Thema, bei dem einige Fakten noch immer ungeklärt sind. Ob Herschel Grynspan in NS-Haft gestorben ist oder ob er die NS-Herrschaft überlebt hat, ist bis heute nicht klar. Thesen, welche die Geschichtswissenschaft vorbringt, brandmarkt Weikert als Lüge. Dabei ist sie sich selbst nicht zu schade zu behaupten, er habe nach 1945 unter falschem Namen fröhlich weitergelebt. Wo auch immer. Belege? Keine.

Genauso zieht sie aus den unterschiedlichen Bewertungen der Pogromnacht innerhalb der NSDAP den Schluss: Die Partei hätte damit nichts zu tun gehabt, LICA habe die Fäden gezogen, einige SA-Mitglieder hätten sich mitreißen lassen. Belege? Keine.

Wie kommt Weckert auf die Idee, dass ihr nicht selbst vorgeworfen werden könnte, dass sie lügt?

Und dass sie mit der Wahrheit nicht sonderlich sorgsam umgeht, ist an ihrer sehr willkürlichen Übersetzung der sogenannten jüdischen Kriegserklärung im Daily Express vom 24. März 1933 auf der Webseite Holocaust-Referenz nachgewiesen worden.


Eine Minderheit erklärt sich zur Mehrheit

Jegliche Kritik an der nationalsozialistischen Politik wird als "antideutsch" oder "Deutschlandhetze" gebrandmarkt. Wie sehr erinnert das an das "Wir sind das Volk"-Gebrülle einiger hundert Demonstranten. Sei es in Dresden (Pegida) oder Wien (Fairdenker).


Cui Bono? Wem nützt es?

Wie oben schon beschrieben, geht Weckert davon aus, dass die Pogromnacht nicht der nationalsozialistischen Regierung, sondern dem Zionismus geholfen habe. Je prekärer die Lage für Juden in Deutschland würde, desto mehr würden ausreisen. Dies sei den Zionisten wichtig gewesen, und auf Basis dieser nicht belegten Fantasieschlussfolgerung erklärt Weckert LICA sowie den Zionisten Wladimier Jabotinsky als Drahtzieher, die Provokateure losgeschickt und per Telefon und Telegramm unter dem Deckmantel von SA und SD gefälschte Befehle gegeben hätten.


Verniedlichung von Verbrechen

Durchgehend wird die unterste Zahl der Opfer genommen, während der Geschichtsschreibung angekreidet wird, Zahlen zu verdrehen. Beleg von Weckert? Gar keiner.

Sowohl das Haavara-Abkommen als auch das Rublee-Wolthat-Abkommen, mit denen die Nationalsozialisten versucht haben, jüdische Deutsche aus Deutschland zu vertreiben, werden als großartige und humanitäre Lösung gefeiert. Deutschland würde dadurch ein Land mit völkisch einheitlicher Einwohnerschaft werden, die jüdischen Deutschen würden eine neue Heimstatt (wo auch immer) finden. Vertreibungsabkommen als humanitäre Tat? Ekelhaft.

In diesem Kontext und ohne Thema zu sein, sind auch die etwa sechs Millionen ermordeten jüdischen Menschen ab Ende 1941 für Weckert mehrfach ein Bonmot wert. Es werde nach dem Krieg gelogen wie auch über die Pogromnacht. Auch wenn sie immer wieder einflechtet, dass jede Gewalttat gegen Juden schlimm sei, so erscheint mir das schlichtweg nur als Schutzbehauptung.


Über Ingrid Weckert und ihr Buch gibt es ausreichend kritische Auseinandersetzungen auch heute noch, was den Stellenwert dieses Pamphlets unterstreicht. Methodisch ist eine Kontinuität zu aktuellen Verschwörungstheorien zu erkennen, welche von Ultrarechten befeuert werden. Die wahren Gedanken eines Küssel, Tuma, Bachmann, Ballweg oder Hildmann können erahnt werden.