Ursache

Dies ist der 1975 erschienene erste Band von Thomas Bernhards fünfbändiger Autobiographie, die jedoch sprachlich und inhaltlich gebrochen ist. Es gibt keinen einzigen Absatz, Informationen widersprechen sich. Zum Beispiel erinnert er sich einmal im Detail, warum er beim dritten Bombenangriff auf Salzburg nicht in den Stollen ging, sondern in den Keller musste, ein paar Seiten weiter schreibt er, dass er es nicht mehr wüsste. Verwirrt? Vermutlich nicht, eher ein Signal, dass persönliches Erinnern irren kann. Dieses Thema greift er mehrmals auf, indem er schildert, dass Menschen, die er in Salzburg trifft, sich an den Schrecken der Bombenzeit nicht mehr erinnern können. Ein weiteres Signal dafür ist, dass Bernhard zwischen der Ich-Form und der Er-Form hin und her springt. Bei den hochkomplexen Satzbauten ist es schwer vorstellbar, dass dies Fehler sind. Es scheint sich um sprachliche Botschaften zu handeln.

Dieser Text, der die Zeit von 1944 bis 1946 abhandelt, Thomas Bernhard im Alter von 13 bis 15, scheint die prägende Epoche in Bernhards Leben wiederzugeben. An den Beginn sind die seine Werke durchziehenden Phrasen gestellt. Salzburg (in anderen Werken Österreich) sei "ein menschenfeindlicher architektonisch-bischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischer Todesboden", bewohnt von einem "Menschengestrüpp aus Gemeinheit und Niedertracht".

Bernhard ist bereits als Kind von seiner nicht in Salzburg lebenden Mutter in ein Internat in Salzburg abgeschoben. Es gibt Verwandte in Salzburg, die reich sind, aber sich um ihn nicht kümmern, und einen verarmten Onkel, der sich als Kommunist und Erfinder durchs Leben schlägt. Aber letztlich ist er allein. Im Hauptschulinternat werden die Kinder von einem SA-Mann gedrillt, nach dem Krieg als Gymnasiast im selben, nun katholischen Internat von einem Pater Franz. Einen Unterschied in der Menschenführung kann er nicht erkennen.
Jetzt pilgerten wir ganz einfach gleich nach der ebenso wie in der Nazizeit ungründlichen Reinigungsprozedur in die Kapelle, um die Messe zu hören und um die Heilige Kommunion zu empfangen, genauso wie in der Nazizeit in den Tagraum, um die Nachrichten und die Instruktionen des Grünkranz zu hören, sangen jetzt Kirchenlieder, wo wir vorher Nazilieder gesungen hatten, und der Tagesablauf gestaltete sich auf katholisch als der gleiche im Grunde menschenfeindliche Züchtigungsmechanismus wie der nationalsozialistische.
Und weiter:
Das Internat hat mir dieses katholisch-nationalsozialistische Wesen tagtäglich mit der Eindringlichkeit des Authentischen vorgeführt, geistig eingeklemmt zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus sind wir aufgewachsen und schließlich zerquetscht worden zwischen Hitler und Jesus Christus als volksverdummenden Abziehbildern.
Während der Beginn der Internatszeit noch als Zeit von Selbstmordgedanken und von improvisiertem Violinspiel in einer Schuhkammer beschrieben wird, richtet sich mit Annäherung der Kriegshandlung der Blick nach außen, und dieser ist verstörend, in dieser Form von mir noch nicht gelesen. So mussten die Bewohner Salzburgs und auch die Internatskinder bei Fliegeralarm in Stollen in den verschiedenen Bergen Salzburgs. Dort waren die Verhältnisse so eng und schlecht belüftet, dass Bernhard bei jedem Alarm viele ohnmächtige und verstorbene Menschen gesehen hat, die erstickt sind.

Luftangriffe haben schließlich Teile Salzburgs zerstört, Bernhard beschreibt Menschen, die verschüttet worden sind und deren Überreste nie aus dem Schutt geholt worden sind. Nie einem Begräbnis zugeführt worden sind. Über sie wurde schließlich nach dem Krieg drübergebaut. Beklemmend die Schilderung, wie er nach einem Bombenangriff auf einen abgrissenen Arm eines Mädchens getreten ist.

In den letzten Kriegsmonaten konnte er nicht mehr im beschädigten Internat leben, sondern fuhr täglich mit dem Zug aus dem bayrischen Traunstein, wo seine Mutter und sein Großvater lebten, nach Salzburg, kam aber oft nicht an. Gezielt wurden Lokomotiven aus der Luft beschossen. Und wenn er ankam, sah er permanent am zerstörten Salzburger Bahnhof liegengebliebene Leichen. An Schule war nicht mehr zu denken.

Nach Kriegsende begann er auf Wunsch seines Großvaters eine Gymnasialbildung in Salzburg und wohnte wieder im selben Schülerheim wie während des Kriegs (siehe oben). Die Schulausbildung selbst war für ihn eine Qual, er sah sie als geistesvernichtend. Besonders nahm ihn mit, wie ein wegen Polio gelähmter Mitschüler und ein verwachsener, hässlicher, jedoch hochintelligenter Geografielehrer Spott und Hohn ausgesetzt waren. Bernhard verallgemeinert seine individuellen Erfahrungen:
Die Gemeinschaft als Gesellschaft findet immer den Schwächsten und setzt ihn skrupellos ihrem Gelächter und ihren immer neuen und immer fürchterlicheren Verspottungs- und Verhöhnungstorturen aus
Da die Grenze zwischen Österreich und Deutschland nach Kriegsende geschlossen war, wagte Bernhard alle zwei Wochen für ein Wochenende einen illegalen Grenzübertritt von Salzburg nach Traunstein und zurück, um seine Familie, vor allem seinen Großvater zu besuchen. Als jedoch Deutschland binnen kürzster Zeit eine Entscheidung bezüglich Staatsbürgerschaft einforderte, entschied sich seine Familie für Österreich und Salzburg.

Der Text endet, dass Bernhard als 15-Jähriger aufs Arbeitsamt geht, weil ihn das Gymnasium nur mehr nervt, und eine dreijährige Lehre in einem Lebensmittelgeschäft beginnt.