Knausgard-Sterben

Dies ist das erste Buch von Knausgards Nabelschau-Hexagolie, die im Norwegischen Min kamp betitelt und durchnummeriert ist. Für die deutsche Ausgabe aus verständlichen Gründen ein No-Go.

Knausgard, der - wie er schreibt und auch in Interviews von sich gegeben hat - Einzigartiges schaffen wollte, hat zu einer Einzigartigkeit gefunden, zu sich selbst und seinem familiären Umfeld, das er in Einzelteile zerlegt.

Nach einer kurzen Reflexion über das Sterben und den Tod, in der er befremdet ist, dass der Tod und die Toten verdrängt, aus den Augen geschafft werden, dass es doch besser sei, die Toten liegen zu lassen - in Häusern, auf den Straßen - wendet er sich - zunächst assoziativ und durchaus durch Zeit und Raum springend - selbst zu.

Es geht zunächst um seinen Übervater, den er als Kind gefürchtet hat, aber gleichzeitig immer dazu hat bringen wollen, dass er stolz auf ihn ist. Der Vater wird als sehr verschlossener, akribisch seinen Tätigkeiten nachgehender, pedantischer und die Familie dominierender Mann beschrieben, der die Kinder auf Sparflamme hält. Selbst das Laufen ist im Haus verboten. Beruflich ist er Lehrer.

Kontrastiert wird dies mit dem Vatersein Knausgards in seiner zweiten Ehe, dass ihm die Familie eher Last ist, die ihn vom Schreiben abhält, und dass er das Gefühl hat, dass seine kleinen Kinder ihm auf der Nase rumtanzen. Das Verhalten selbst seiner zweijährigen Tochter treibt ihn dazu, sie immer wieder niederzubrüllen.

Wir springen in die Pubertätsjahre in einem kleinen Dorf und später in Kristiansand auf dem Gymnasium. Ausgiebigst wird geschildert, wie seine Besäufnisse ablaufen, wie er an der Schule provoziert, wie er eine schlechte Band gründet, dass er sich anderen wegen seines Musikgeschmacks überlegen fühlt, wie seine ersten sexuellen Regungen ablaufen und seine ersten Knutschereien, aber auch wie er oftmals vergeblich versucht, sich Cliquen anzuschließen. Er studiert schließlich in Bergen Literatur und Kunstgeschichte und wird an einem Schriftstellerseminar aufgenommen. Nebenbei ist er für eine Studentenzeitschrift journalistisch tätig.

Cut. Zweiter Teil. Knausgard ist dreißig, sein Vater mit 52 verstorben. Er hat sich nach der Scheidung mit seiner Lebensgefährtin versoffen, hat mehrfach Schulen gewechselt bis er arbeitslos geworden ist. Er zieht zu seiner Mutter, säuft (wohl auch mit ihr), das Haus wird innerhalb von ein paar Jahren verwüstet und eine Müllhalde, und schließlich stirbt er. Knausgard organisiert mit seinem älteren Bruder das Begräbnis, beide beginnen das Haus zu putzen. Eine Woche und weit über hundert Seiten lang. Sie planen, die Zehrung in diesem Haus zu organisieren. Während des Putzens weint Karl Ove andauernd. Bei der Leichenbesichtigung fällt ihnen auf, dass die Leiche ihres Vaters blutverschmiert ist und das Nasenbein gebrochen. Sie wollen das klären, doch sein Bruder reist ab, Karl Ove nimmt einen Drink mit seiner Großmutter, das Buch bricht ab.

In Norwegen ein Bestseller, im deutschsprachigen Raum von der Kritik gemischt aufgenommen. Schreiben kann er ja, und vielleicht ist es ja gerade dies, dass alles irgendwie hingeplappert ist, nichts greifbar ist, was dieses Buch ausmacht, was diese beinahe beliebige Betrachtung des Selbst in verschiedenen Lebensaltern von einem bleibt, solange die Erinnerung funktioniert. Aber am Ende schreibt er, dass er sich ja nichts merken kann, was Leute sagen, aber an Dialogen gibt es eine Menge in diesem Text. Was also ist rekonstruierte und was ist konstruierte Selbstbeschau?

Im Augenblick halte ich es mit Knausgard, der schreibt, er habe Adorno gelesen, um einer zu sein, der Adorno liest. Ich also bin jetzt einer, der Knausgard gelesen hat.