EnyaVanBran
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
dabei seit 2017Unterstützerin
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Gott bewahre - Gustel und die 12 Apostel
22.10.2020 um 15:41Original anzeigen (0,3 MB)
Gott bewahre -
Gustel und die 12 Apostel
eine Kurzgeschichte von Enya van Bran
nach einer Geschichte von Markus Hettrich
Impressum
Enya van Bran / Markus Hettrich
Gott bewahre -
Gustel und die 12 Apostel
Copyright © Enya van Bran und Markus Hettrich
Oktober 2020
Titelbild: Markus Hettrich
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
1. Seppel und Mizzi 6
2. Gustel 10
3. Petz 18
1. Seppel und Mizzi
Um das Jahr 0
Genau genommen war es das Jahr XXX, denn damals wussten die Menschen noch nicht, dass ab jetzt das Jahr 0 beginnen sollte und es war ihnen vermutlich auch völlig egal. Die hatten damals sowieso andere Sorgen.
So auch der gute Seppel. Der war damals nämlich mit seiner hochschwangeren Frau Mizzi auf dem Weg nach Bethlehem, weil sich der Kaiser Augustus in den Kopf gesetzt hatte, das Volk müsse gezählt werden – hatten ja damals sonst nix anderes zu tun die Leute, als sich registrieren zu lassen. Aber wer nicht kam, wurde von den römischen Soldaten übel verdroschen, oder gar gemeuchelt, also folgten sie alle brav dem Ruf ihres Kaisers.
Seppel und seine Frau waren viel zu spät aufgebrochen. Die Mizzi hatte sich nämlich nicht entscheiden können, was sie auf dem langen Marsch alles mitnehmen sollte. Würde es windig sein? Vielleicht sogar regnerisch? Und was sollte sie bloß alles an Proviant einpacken? Nun, wie auch immer: Als die beiden endlich völlig erschöpft und zu nachtschlafender Stunde in die Stadt kamen, waren natürlich alle Unterkünfte längst ausgebucht. Völlig am Ende sank die Mizzi zu Boden und heulte, weil sie nicht mehr weiterkonnte. Wie sie da so auf den Knien lag, spürte sie einen heftigen Schmerz. Einen Schmerz, der sich anfühlte, als würde man ihr Inneres zerfetzen! Ein markerschütternder Schrei entwand sich ihrer Kehle, der wohl selbst ein paar Tote auferweckt hätte. So sollte es nun enden? Mit einer Geburt in den Slums von Bethlehem?
Maria, also Mizzi, stammte aus einem sehr armen Elternhaus. Sie sah gut aus, aber bei ihr gab es nichts zu holen, also suchten sich die Männer andere Frauen, die etwas mehr Mitgift in die Ehe mitbringen würden. Da kam eines Tages der Seppel an. Fesch war er nicht gerade. Ein hagerer, unscheinbarer Mann, doch da die Liste an Verehrern praktische nicht vorhanden war, griff Mizzi zu. Schnell stellte sich heraus, dass der Seppel nicht nur unscheinbar war, sondern obendrein auch nicht besonders hell auf der Platte. Doch er war ein hart arbeitender Mann, der zwar nicht mit Geld umgehen konnte, aber es würde dennoch reichen, um sie zu versorgen. Also wurde geheiratet. Vor der Hochzeitsnacht hatte Mizzi keine Angst, hatte sie doch schon drei Jahre zuvor ihre Unschuld an einen fahrenden Händler verloren. Und an einen Ziegenhirten. Den Bäcker. Und den Steinmetz, fünf Mal sogar. Doch was sich ihr dann in dieser Hochzeitsnacht bot, war selbst ihr beinahe zu viel gewesen. Das, was der liebe Gott am äußeren Erscheinungsbild vom Seppel gespart hatte, hatte er wohl in seine Gurke investiert. Wobei der Vergleich mit einer Gurke sogar noch untertrieben gewesen wäre. So zu tun, als wäre das ihr erstes Mal, fiel der Mizzi also gar nicht schwer.
Die Tage zogen ins Land und die Mizzi versuchte so gut es ging, dem Seppel aus dem Weg zu gehen. War ja nicht zumutbar, dem sein Ding. Aber dennoch juckte es sie immer wieder da unten und so kam es, dass sie etwas mit dem Nachbarn anfing. Der Seppel bemerkte davon freilich nichts. Es schien ihn auch nicht zu stören, dass seine Frau immer erst zu Bett ging, wenn er schon schlief. Gläubig, wie er war, dachte er wohl, dass das so sein müsse. Doch dann kam, was kommen musste: Die Mizzi wurde schwanger. Panik stieg in ihr auf. Die Hochzeitsnacht war fünf Monate her und selbst der dämliche Seppel würde ihr nicht abkaufen, dass sie bei der Geburt weit über ein Jahr schwanger gewesen war. Es musste also eine andere Lösung her. Und wie sie ihm so nachsah, wie er sich auf den Weg in den Tempel machte, um wie jeden Abend dort zu beten, kam ihr eine teuflische Idee. Sie würde das Kind dem lieben Gott unterjubeln. Also hockte sie sich auf den Boden und wartete auf ihren Mann. Als der endlich heimkam, fiel sie ihm weinend um den Hals. Unter heftigem Schluchzen erzählte sie ihm, dass ihr der Heilige Geist erschienen wäre und ihr gesagt habe, Gott habe sie auserwählt, sein Kind auf die Welt zu bringen. Dann habe ihr der Heilige Geist die Hand auf den Bauch gelegt und nun sei sie schwanger. Jeder andere Mann hätte das Weib wohl zum Teufel gejagt, doch nicht so unser Seppel. Der freute ich sogar darüber. Ein Kind! Noch dazu von Gott höchstselbst! Und statt sie auf die Straße zu setzen, umhegte er seine Mizzi liebevoll und hütete sie wie einen Schatz. Jeden Wunsch las er ihr von den Augen ab. Und nun musste er mitansehen, wie sein geliebtes Weib, welches das Kind Gottes unter ihrem Herzen trug, in der Gosse lag, während die Wehen einsetzten.
Allerdings hatte dieser Schrei, den die Mizzi aus Schmerz und Angst ausgestoßen hatte, auch etwas Gutes bewirkt. Die Leute kamen aus den Häusern, um Nachschau zu halten, wer denn da so brüllt. Und wieso. Der Seppel sagte ihnen, seine Frau bekäme ihr Kind – Gottes Kind! Und sie hatten Mitleid mit den beiden. Da trat einer der Bürger vor und meinte, seine Zimmer wären zwar alle schon vergeben, aber im Stall, beim Esel und dem Ochsen, wäre noch was frei. Keine Luxussuite, aber besser als das Kind hier auf der Straße zu bekommen, Gottes Kind noch dazu! Also schleppte Seppel die heulende und immer wieder laut kreischende Mizzi in den Stall und kaum legte er sie auf ein Büschel Stroh, da kam das Kindlein auch schon zur Welt.
Zur gleichen Zeit trieben sich drei Weise vor der Stadt herum. Sie folgten seit Tagen – oder besser Nächten – einem Kometen, weil sie von Astronomie keine Ahnung hatten und den Kometen für ein himmlisches Zeichen hielten, von Gott gesandt, um ihnen den Weg zu weisen. Wohin auch immer, das wussten die da noch nicht. Aber sie hatten ein paar wertvolle Dinge im Gepäck. Weihrauch und Myrre und natürlich auch Gold. Da hörten sie, wie sich zwei Männer lachend darüber unterhielten, dass in einem Stall in der Stadt wohl jetzt gerade eine Frau ein Kind gebar und ihrem Mann eingeredet hatte, es wäre das Kind Gottes. Für die drei Weisen stand fest, dass dies das Ziel ihrer Reise war. Der Stern hatte sie hierhergeführt! Und so suchten sie den Stall und fanden ein Knäblein in einer Krippe, daneben die glücklichen Eltern, dahinter ein Ochse und ein Esel. Sie sanken auf die Knie und sangen Loblieder auf das Kind, das da im Stroh lag. Dann legten sie ihm ihre Gaben vor die Krippe und versprachen, der Welt zu verkünden, dass in jener Nacht im Dezember Gottes Sohn zur Welt gekommen war.
2. Gustel
Um das Jahr 30 (die wussten das mit den Jahreszahlen auch jetzt noch nicht)
Gustel wusste, dass dies nun das Ende war. Kein Weg führte mehr zurück, niemand würde ihn retten können. In wenigen Stunden würden sie ihn ans Kreuz nageln. Doch wie waren sie ihm auf die Schliche gekommen?
Er war als Sohn eines Zimmermannes aufgewachsen. Gustels Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Er versuchte oft, deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben, doch es wollte sich nie so recht einstellen. Sein Vater hatte schon bald wieder geheiratet und mit seiner neuen Frau eine Schar weiterer Kinder gezeugt. Dumme, kleine Bälger, die den ganzen Tag plärrten und Hunger hatten. Der Vater arbeitete hart, doch das Geld reichte nie, um alle satt zu bekommen. Und schuld daran waren die Römer, die einfach in ihr Land spaziert waren, um es zu besetzen und die nun hohe Steuern von den Menschen forderten. Gustel hasste die Römer. Blutsaugende Parasiten waren das und wäre sein Vater nicht mit so viel Einfallsreichtum gesegnet gewesen, wären sie alle wohl schon längst verhungert. So ein Leben wollte er nicht führen. Jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schuften, um dann den Großteil des hart verdienten Geldes den Römern in die Taschen fallen zu lassen? Nein, Gustel würde mit der Tradition brechen und bestimmt nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten. Und Großvaters. Urgroßvaters. Und so weiter. Er hatte zwar als junger Mann noch keine konkreten Vorstellungen von seiner Zukunft (vielleicht hätte eine Jobberatung geholfen, hätte es sie denn damals schon gegeben), aber er wusste, dass er gut reden konnte und er hatte schon das eine oder andere Mal durch kleine Gaunereien etwas Geld verdienen können. Natürlich war das Betrug, doch wenn man schlau genug war, sich nicht erwischen zu lassen, würde sich daraus vielleicht wirklich ein lukratives Geschäft entwickeln. Man musste nicht hart schuften und die verdammten Römer wusste nichts von dem Zaster. Also konnten sie darauf auch keine Steuern erheben. So kam es, dass Gustels Gaunereien größer und größer wurden und er damit durchs Land zog. Reich wurde er damit freilich nicht und manchmal musste er etwas zu Essen stehlen, was ihm in der Seele wehtat, denn er war ein sehr frommer Mann und auf der Liste mit den zehn Geboten steht schließlich, man solle nicht stehlen. Sein Vater hatte fast immer nach diesen Geboten gelebt und Gustel strebte natürlich auch danach, ein guter Jude zu sein. Er sprach oft mit den Menschen über Gott und dessen Taten. Dabei hingen sie an seinen Lippen und konnten von seinen Worten gar nicht genug bekommen. Zu jener Zeit schloss er sich auch dem Widerstand gegen die Römer an, denn die Steuern wurden immer höher und damit die Zeiten immer härter. Bald schon konnte er mit seinen Betrügereien kaum noch genug Geld ergaunern, um auch nur ansatzweise satt zu werden. Die Menschen hockten auf ihren sauer verdienten Kröten wie die Henne auf dem Ei. Er musste also immer öfter stehlen und eines Tages, als sie ihn dabei fast geschnappt hätten, beschloss er, dass es so nicht weiter gehen konnte. Es musste eine neue Geschäftsidee her, eine lukrativere, die so genial war, dass die Menschen freiwillig ihre letzte Kupfermünze herausrückten. Also überlegte er. Was brauchen die Menschen? Was begehren sie am meisten? Geld! Nun, hätte es damals schon Anlageberater und Schneeballsysteme gegeben, hätte Gustel wohl diese Karriere gewählt. Er überlegte also weiter. Es musste doch noch etwas geben, was den Menschen hoch und heilig war. Gesundheit. Natürlich! Niemand wollte krank und schwach sein und alle würden dafür ihr letztes Geld geben, um wieder gesund zu werden. Allerdings war Gustel durchaus bewusst, dass es mit ein paar schönen Worten in dem Fall nicht abgetan war. Da musste schon eine größere Show her, um die Leute zu überzeugen, doch alleine würde er das nicht auf die Beine stellen können. Dazu brauchte es Personal. Mitwisser, die ihm in die Hand spielen und ihm assistieren konnten, wenn er seine „Wunder“ wirken würde. Also machte er sich auf und besuchte ein paar der finstersten Spelunken im Land. Wo sonst würde man Gesindel finden, welches verdorben genug war, um das Leid anderer Menschen auszunutzen? Und schon bald hatte er zwölf Männer um sich geschart, deren Weste schon lange nicht mehr weiß war. Allen voran Petrus, Petz genannt. Ein ausgefuchster Kerl, der sein Geld offiziell als Fischer verdiente. Doch in Wahrheit schmuggelte er in seinen Fischen allerhand Zeug und illegale Substanzen. Und man mag es kaum glauben, er besaß die Frechheit, danach den mittlerweile nicht mehr ganz so frischen Fisch auch noch zu verkaufen! Leider waren in letzter Zeit gleich vier Frauen an seinem verdorbenen Fisch elendig verreckt und so kam ihm die Gelegenheit ganz recht, sich diesem Gustel anzuschließen und die Gegend für eine Zeit lang zu verlassen.
Der Plan war recht simpel. Es würden stets ein paar von Gustels Helfern vorausreisen und sich dann als Blinde oder Lahme in der Stadt niederlassen. Gustel kam dann Tage später nach, sprach weise Worte, legte den Männern die Hände auf und siehe da, sie konnten wieder sehen oder laufen. Die Menschen waren schier sprachlos ob dieser Wunder und so verbreiteten sich die Geschichten von diesem Wunderheiler in Windeseile in der ganzen Stadt und weit darüber hinaus. Bald schon scharten sich Hunderte um Gustel und wollten, dass er ihnen die Hände auflegte. Das tat er natürlich nur gegen eine kleine Spende. Der eigentliche Trick bestand darin, nicht zu lange zu bleiben. Schon am zweiten Tag zog er weiter in die nächste Stadt, wo bereits wieder ein paar seiner Männer als Schwerkranke verkleidet darauf warteten, von ihm geheilt zu werden. Dabei sprach Gustel immer öfter über Gott und predigte dessen Gnade, während er gleichzeitig gegen die Römer wetterte. Anfangs lief die Wundershow ja wirklich gut, doch es sprach sich auch schnell herum, dass nicht alle Menschen durch das Handauflegen wieder gesund geworden waren. Immer öfter hörte man das Wort „Betrüger“ und so mussten Gustel und seine Helfer eine Entscheidung treffen: Entweder sie würden sich absetzen und ganz wo anders neu anfangen oder sie schafften es, die Zauberkraft von Gustel zu beweisen. Da kam Petz ins Spiel. Seine Verschlagenheit, aber auch sein Wissen über Technik kam ihnen hier zugute – also entwickelte er mit der Truppe ein paar echt abgefahrene Tricks. So ließ er Gustel unter anderem übers Wasser laufen oder selbiges in Wein verwandeln. Und schon lagen ihm die Menschen wieder zu Füßen. Sie priesen seinen Namen und warfen ihm ihr Geld haufenweise hinterher. Vorbei das armselige Dasein. Von nun an wurde der Erfolg jeden Abend ausgiebig mit Wein, Weib und Gesang gefeiert. Bei einer dieser Orgien lernte Gustel auch Maria Magdalena kennen. Sie nannte sich selbst Ria Sesso und war die schamloseste Dirne im ganzen Land. Ihre Eltern waren so arm gewesen, dass sie von ihnen schon in sehr jungen Jahren auf die Straße gesetzt worden war. Dort hatte sie schnell gelernt, wie man Männer glücklich macht und um ihr Erspartes bringt. Ria hatte in ihrem Leben schon viele Männer getroffen, doch einer wie Gustel war ihr noch nie begegnet. Sie hing an seinen Lippen, wenn er von Gott redete oder wieder einmal gegen das römische Pack wetterte und sie hielt sich an seinem Gemächt fest, wenn er sich abends schlafen legte. Das Leben hätte nicht schöner sein können, für keinen aus der Truppe. Doch machte es sie träge. Oft zogen sie erst viele Tage nach der Show weiter und das gab den Menschen Zeit, über das, was sie gesehen hatten nachzudenken. Stimmen wurden laut, die an den Wundern zweifelten. Schon wieder. Und so kam es, dass von dem einst so glorreichen Erfolg bald nichts mehr übrig war. Mittlerweile war auch die jüdische Priesterschaft auf den Wunderheiler aufmerksam geworden und die hatten so gar keine Freude an den Reden, die dieser Gustel da von sich gab. Na, und dass die Römer zornig auf ihn waren, liegt wohl auf der Hand. Denn selbst wenn seine Wundershow immer mehr in Zweifel gezogen wurde, seine Hassreden gegen Rom tropften wie Öl in die Ohren der Menschen und sie begannen, ihren Unmut hinauszuschreien. Da reichte es Pontius Pilatus. Er setzte ein Kopfgeld auf diesen Rebellen aus und hoffte, seiner bald habhaft zu werden. Dieser Schlag traf die Truppe in der Tat sehr hart. Es wurde für sie alle immer schwieriger, ihre Show an den Mann zu bringen. Und wenn sie doch einen Ort fanden, so kamen kaum Menschen. Und die paar, die da waren, stellten von Anfang an klar, dass sie nicht hier waren, um irgendeinen faulen Zauber zu sehen, sie wollten Gustel über Gott reden hören und was er gegen die Römer zu unternehmen gedenke.
Die abendlichen Orgien wurden zu langweiligen Businessmeetings, statt Wein gab es schales Wasser, statt Lammbraten altes, schimmeliges Brot mit Dörrfeigen und statt der vollbusigen Weiber gab mit viel Glück eine schnelle Handnummer von Ria, die sich mittlerweile wieder Maria Magdalena nannte. Kein Wunder also, dass die Männer immer unzufriedener wurden und dies immer öfter auch unverblümt kundtaten. Vor allem Judas, dieses kleine, verschlagene Wiesel suchte immer wieder Streit mit Gustel. Er war schon immer neidisch auf ihn gewesen, wollte nicht einsehen, dass nur Gustel den Wunderheiler spielen durfte und er nicht. Und als er eines Nachts besoffen auf den Tisch der Schenke gestiegen war und zu predigen versuchte, hatte er von Petz eine aufs Maul bekommen und zur Strafe die Nacht im Stall bei den Ziegen verbringen müssen. Das hatte er nicht vergessen. Und so fasste er einen Entschluss. Hier war nichts mehr zu holen, doch Geld braucht der Mensch und wer hatte Geld im Überfluss und war bereit, es ihm zu geben? Genau: die Römer. Er musste ihnen dafür nur verraten, wo sie Gustel finden konnten. Also schaffte er mit seinen letzten Münzen Wein herbei, schenkte großzügig aus und als alle besoffen unter dem Tisch lagen, ging er los und holte die Römer.
Sie kamen nach Mitternacht und rissen den stockbesoffenen Wunderheiler aus den Armen von Maria Magdalena und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, stand Gustel vor Pontius Pilatus. Die anwesende jüdische Priesterschaft verlangte auf der Stelle den Tod des Predigers und da Pontius Pilatus ohnehin verdammt mies auf Gustel zu sprechen war, verurteilte er ihn zum Tode am Kreuz. Sie brachten ihn fort und sperrten ihn in die finsterste Zelle, die sie finden konnten. Da saß er nun und wartete auf das unausweichliche Ende, während er sich immer wieder fragte, wie es nur so schnell soweit hatte kommen können.
Derweil saßen die restlichen Männer, bis auf Judas, in der schäbigen Unterkunft und rauften sich die Haare. Was sollten sie jetzt nur machen? Ohne Gustel würde es keine Einkünfte mehr geben. Einige meinten, man müsse ihren Anführer doch aus dem Kerker holen können. Irgendwie! Doch die Mauern waren dick und die Wachen gut ausgebildet. Nein, retten konnten sie Gustel nicht mehr. Der war verloren. Doch Petz wollte nicht so schnell aufgeben. Er hatte bisher immer einen Weg gefunden, aus nichts Gold zu machen. Es würde ihm auch diesmal gelingen. Und da hatte er eine Idee. Dass Gustel in wenigen Tagen sterben würde, stand außer Zweifel. Doch was wäre, wenn man ihn nach dem Tod wieder auferstehen lassen würde? Was, wann man sagen würde, er wäre zu Gott in den Himmel gefahren? Und da erinnerte er sich an eine Geschichte, die ihm sein Vater einst erzählt hatte. Von einem Mann, dessen Weib beinahe auf offener Straße ein Kind zur Welt gebracht hätte und dass dieses Kind von Gott gekommen sein soll. Diese Geschichte würde er sich zu Nutze machen. Gustel musste aus seinem Grab auferstehen und hinauffahren in den Himmel, wo er fortan neben Gott, seinem Vater, sitzen würde, um von dort über die Menschen zu wachen.
Zwei Tage später zerrten die Römer Gustel aus der Zelle. Sie setzten ihm eine Dornenkrone aufs Haupt, luden das schwere Kreuz auf seine Schultern und trieben ihn mit Peitschen den Berg hinauf zur Hinrichtungsstätte. Da hatten die Menschen plötzlich Mitleid mit ihrem Wunderheiler. Scharenweise kamen sie herbei, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Besser hätte es für Petz gar nicht laufen können. Immer wieder brach Gustel unter der Last und dem Schmerz zusammen, doch die Menschen halfen ihm hoch und die Peitschen der Römer trieben ihn weiter.
Die Kreuzigung selbst spürte er kaum noch. Sein Geist hatte sich längst von seinem Körper gelöst und betrachtete die Welt von weit oben. Er sah, dass Maria Magdalena echte Tränen um ihn weinte. Er sah die Menschen, die da vor dem Kreuz auf die Knie fielen und er sah Petz, der da zu predigen begann und den Leuten vom Sohn Gotts erzählte. Plötzlich erkannte er, dass sein Tod wohl erst der Anfang von etwas Großem sein würde. Und dann starb er.
3. Petz
Es war vorbei und Maria empfand echte Trauer. Gustel war der beste Mann, den sie je gehabt hatte. Er war gutaussehend, klug und geschickt gewesen.
Stunden nach seinem Tod legten die Römer das Kreuz wieder auf den Boden und unter Petz‘ Aufsicht nahmen vier der Männer aus seiner Gruppe Gustel herunter. Petz nannte sich nun wieder Petrus, da dies doch bei weitem seriöser klang und bei dem, was er vorhatte, war ein guter Ruf die halbe Miete.
Nachdem sie Gustel vom Kreuz genommen hatten, bildeten sie einen kleinen Trauerzug, angeführt von Maria Magdalena. Ihre Tränen waren noch immer ehrlich und aufrichtig und sie würde die Münzen, die sie von Petrus bekommen hatte, um möglichst medienwirksam zu trauern, zumindest zum Teil wieder zurückgeben. Er hatte nach Gustels Verhaftung recht schnell die Rolle des Anführers übernommen, was Maria ganz recht war, denn so musste sie vorerst nicht wieder zurück auf die Straße.
Sie brachten Gustel in eine Grabhöhle, die Petrus einem Mann abgeschwatzt hatte, der diese eigentlich für sich und seine Frau erworben hatte – doch das Luder war mit einem anderen durchgebrannt und Petrus hatte den Mann davon überzeugen können, dass die Höhle für ihn alleine viel zu groß war. Sie legten Gustel dort hinein und verschlossen danach den Eingang mit einem großen Felsen. Dann setzte sich Maria vor die Höhle und hielt dort ihre Totenwache. Ein paar junge Männer wollten sich zu ihr gesellen. Man weiß nicht, ob sie es zu Ehren von Gustel, dem Sohn Gottes, taten oder weil sie sich an Maria ranmachen wollten. Bleiben konnten sie in keinem Fall, also lockte sie Petrus mit Wein und ein paar Dirnen in die nächste Taverne, damit Maria die nächsten zwei Tage allein trauern konnte.
Am Morgen des dritten Tages, als Maria aufwachte, stand die Höhle offen. Vorsichtig spähte sie hinein und wie erwartet, war von Gustels Leichnam keine Spur zu sehen. Nun hieß es noch einmal, alles zu geben. Sie begann laut zu schreien und lief wild gestikulierend in die Stadt zu der Unterkunft, wo Petrus und die anderen Männer schon auf sie warteten. Und nun begann die eigentliche Show. Sie kehrten zurück auf die Straße, mit viel Lärm und Getue, damit die Menschen rings herum auf sie aufmerksam wurden. Dann erzählten sie den Leuten, was passiert war. Dass die arme Maria Wache vor der Höhle gehalten hatte, dass sie dabei jedoch eingeschlafen war und als sie vorhin die Augen gehöffnet hatte, war die Höhle offen gewesen und Gustels Leichnam war verschwunden. Die Menschen reagierten unterschiedlich, ein paar waren erschrocken, ein paar einfach nur neugierig, doch alle wollten sie die Grabhöhle sehen und so wurde die Menge, die in die Berge zog, immer größer und größer. Und tatsächlich: Als sie dort ankamen, stand der Eingang offen und es war nirgendwo eine Leiche zu sehen. Sie begannen zu diskutieren, wer denn dafür zur Verantwortung zu ziehen wäre, als plötzlich ein helles Licht erschien. Petrus hatte dafür ein paar fahrenden Händlern aus Asien ein spezielles Öl abgekauft, welches heller brannte als alles andere auf der Welt. Und da. Im Schein des Lichtes erschien eine Gestalt. Still wurden sie, die Menschen, ein paar fürchteten sich sogar und liefen davon, während andere voller Ehrfurcht mit offenen Mündern dastanden und in das Licht starrten. „Gustel!“ Es war Maria, die da seinen Namen rief. Sie hatte ihn erkannt und fiel vor der Lichtgestalt auf die Knie. Wie war das nur möglich? Sie alle hatten ihn am Kreuz sterben sehen oder zumindest davon gehört, dass er dort verreckt war. Wieso stand er nun hier? Und dass es Gustel war, stand außer Zweifel. Soweit man das gegen das grelle Licht erkennen konnte, waren es seine Haare. Und seine Kleider. Außerdem hatte ihn das Weib eindeutig wiedererkannt. Nein, es bestand wahrlich kein Zweifel. Und dann begann Gustel zu sprechen. Vom Reich Gottes. Davon, dass er wahrlich sein Sohn wäre und dass er für die Menschen auf Erden gestorben war, um beladen mit ihren Sünden nun endgültig in den Himmel hinaufzufahren. Er sagte ihnen, dass er dennoch immer bei ihnen sein würde und sie stets dem rechten Weg folgen sollten. Schließlich ernannte er Petrus zu seinem Nachfolger und Vertreter auf Erden und als die Menschen noch einmal zu ihm laufen wollten, um ihn noch einmal zu berühren, entschwand Gustel. Natürlich war es nicht Gustel selbst gewesen, der da gesprochen hatte. Es war Andreas, dessen Stimme der von Gustel sehr ähnlich war. Damals hatten sie ja ohnehin fast alle die gleiche Frisur gehabt und in den Sachen von ihrem ehemaligen Anführer sah er diesem tatsächlich sehr ähnlich.
Sie hatten nachts, als alle schliefen, die Leiche aus der Höhle geholt, sie versteckt und nun den Menschen Glauben gemacht, der Sohn Gottes wäre vom Tode auferstanden. Petrus hatte die Rede geschrieben, die Andreas eben vor den Menschen gehalten hatte und von dieser hing nun alles ab. Würden die Anwesenden glauben, was sie da gesehen hatten? Würden sie Gustel tatsächlich als den Sohn Gottes anerkennen und auch an seine Auferstehung glauben? Sie glaubten es. Und sie erzählten es überall. Bis zum Abend hatte jedes Kind von dem Wunder gehört, welches oben in den Bergen passiert war. Und davon, dass Petrus der Vertreter des Messias auf Erden sein würde. Also gründete dieser schon am nächsten Tag eine Glaubensgemeinschaft. Heute würde man es Sekte nennen, doch damals kannten die sowas ja noch nicht. Die Gemeinschaft wuchs und wuchs und Petrus wurde immer reicher. Interessant war, dass sich nun auch immer mehr Römer dem neuen Glauben anschlossen. Petrus wusste, dass zumeist deren Frauen dahintersteckten. Gerade hier – in der Provinz – langweilten sie sich schnell und dieser neuen Religion haftete etwas Verbotenes an, etwas Verruchtes. Also kamen sie in Scharen und warfen dem Sektenführer ihre Münzen zu Füßen. Doch Geld allein machte Petrus nicht mehr glücklich, er wollte Macht und so zog es ihn zum Nabel der Welt, nach Rom.
Er ging allein, denn seine Getreuen wollten die Reise nicht mit ihm antreten. Und als Petrus nach Rom kam, erwarteten sie ihn schon. Die Kunde von dem Wunder in den Bergen Israels hatte sich bis in Zentrum der Welt verbreitet und als Petrus endlich eintraf, war die Schar seiner Anhänger beinahe doppelt so groß wie jene in Israel. Sie hoben ihn auf ihre Schultern und priesen ihn. Ja, er hatte sein Ziel erreicht und es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Und so ließ er sich feiern. Der Anführer der Christen, Petrus, der Vertraute des Messias. Petrus, der Vertreter Gustels auf Erden.
13.03.2017 um 19:07 Uhr
Endlich steigt weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle auf. Der 266. Nachfolger Petrus, neues Oberhaupt der katholischen Kirche und damit Stellvertreter Gustels auf Erden, wurde gewählt. Sein Name ist Papst Franziskus
Gott bewahre -
Gustel und die 12 Apostel
eine Kurzgeschichte von Enya van Bran
nach einer Geschichte von Markus Hettrich
Impressum
Enya van Bran / Markus Hettrich
Gott bewahre -
Gustel und die 12 Apostel
Copyright © Enya van Bran und Markus Hettrich
Oktober 2020
Titelbild: Markus Hettrich
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
1. Seppel und Mizzi 6
2. Gustel 10
3. Petz 18
1. Seppel und Mizzi
Um das Jahr 0
Genau genommen war es das Jahr XXX, denn damals wussten die Menschen noch nicht, dass ab jetzt das Jahr 0 beginnen sollte und es war ihnen vermutlich auch völlig egal. Die hatten damals sowieso andere Sorgen.
So auch der gute Seppel. Der war damals nämlich mit seiner hochschwangeren Frau Mizzi auf dem Weg nach Bethlehem, weil sich der Kaiser Augustus in den Kopf gesetzt hatte, das Volk müsse gezählt werden – hatten ja damals sonst nix anderes zu tun die Leute, als sich registrieren zu lassen. Aber wer nicht kam, wurde von den römischen Soldaten übel verdroschen, oder gar gemeuchelt, also folgten sie alle brav dem Ruf ihres Kaisers.
Seppel und seine Frau waren viel zu spät aufgebrochen. Die Mizzi hatte sich nämlich nicht entscheiden können, was sie auf dem langen Marsch alles mitnehmen sollte. Würde es windig sein? Vielleicht sogar regnerisch? Und was sollte sie bloß alles an Proviant einpacken? Nun, wie auch immer: Als die beiden endlich völlig erschöpft und zu nachtschlafender Stunde in die Stadt kamen, waren natürlich alle Unterkünfte längst ausgebucht. Völlig am Ende sank die Mizzi zu Boden und heulte, weil sie nicht mehr weiterkonnte. Wie sie da so auf den Knien lag, spürte sie einen heftigen Schmerz. Einen Schmerz, der sich anfühlte, als würde man ihr Inneres zerfetzen! Ein markerschütternder Schrei entwand sich ihrer Kehle, der wohl selbst ein paar Tote auferweckt hätte. So sollte es nun enden? Mit einer Geburt in den Slums von Bethlehem?
Maria, also Mizzi, stammte aus einem sehr armen Elternhaus. Sie sah gut aus, aber bei ihr gab es nichts zu holen, also suchten sich die Männer andere Frauen, die etwas mehr Mitgift in die Ehe mitbringen würden. Da kam eines Tages der Seppel an. Fesch war er nicht gerade. Ein hagerer, unscheinbarer Mann, doch da die Liste an Verehrern praktische nicht vorhanden war, griff Mizzi zu. Schnell stellte sich heraus, dass der Seppel nicht nur unscheinbar war, sondern obendrein auch nicht besonders hell auf der Platte. Doch er war ein hart arbeitender Mann, der zwar nicht mit Geld umgehen konnte, aber es würde dennoch reichen, um sie zu versorgen. Also wurde geheiratet. Vor der Hochzeitsnacht hatte Mizzi keine Angst, hatte sie doch schon drei Jahre zuvor ihre Unschuld an einen fahrenden Händler verloren. Und an einen Ziegenhirten. Den Bäcker. Und den Steinmetz, fünf Mal sogar. Doch was sich ihr dann in dieser Hochzeitsnacht bot, war selbst ihr beinahe zu viel gewesen. Das, was der liebe Gott am äußeren Erscheinungsbild vom Seppel gespart hatte, hatte er wohl in seine Gurke investiert. Wobei der Vergleich mit einer Gurke sogar noch untertrieben gewesen wäre. So zu tun, als wäre das ihr erstes Mal, fiel der Mizzi also gar nicht schwer.
Die Tage zogen ins Land und die Mizzi versuchte so gut es ging, dem Seppel aus dem Weg zu gehen. War ja nicht zumutbar, dem sein Ding. Aber dennoch juckte es sie immer wieder da unten und so kam es, dass sie etwas mit dem Nachbarn anfing. Der Seppel bemerkte davon freilich nichts. Es schien ihn auch nicht zu stören, dass seine Frau immer erst zu Bett ging, wenn er schon schlief. Gläubig, wie er war, dachte er wohl, dass das so sein müsse. Doch dann kam, was kommen musste: Die Mizzi wurde schwanger. Panik stieg in ihr auf. Die Hochzeitsnacht war fünf Monate her und selbst der dämliche Seppel würde ihr nicht abkaufen, dass sie bei der Geburt weit über ein Jahr schwanger gewesen war. Es musste also eine andere Lösung her. Und wie sie ihm so nachsah, wie er sich auf den Weg in den Tempel machte, um wie jeden Abend dort zu beten, kam ihr eine teuflische Idee. Sie würde das Kind dem lieben Gott unterjubeln. Also hockte sie sich auf den Boden und wartete auf ihren Mann. Als der endlich heimkam, fiel sie ihm weinend um den Hals. Unter heftigem Schluchzen erzählte sie ihm, dass ihr der Heilige Geist erschienen wäre und ihr gesagt habe, Gott habe sie auserwählt, sein Kind auf die Welt zu bringen. Dann habe ihr der Heilige Geist die Hand auf den Bauch gelegt und nun sei sie schwanger. Jeder andere Mann hätte das Weib wohl zum Teufel gejagt, doch nicht so unser Seppel. Der freute ich sogar darüber. Ein Kind! Noch dazu von Gott höchstselbst! Und statt sie auf die Straße zu setzen, umhegte er seine Mizzi liebevoll und hütete sie wie einen Schatz. Jeden Wunsch las er ihr von den Augen ab. Und nun musste er mitansehen, wie sein geliebtes Weib, welches das Kind Gottes unter ihrem Herzen trug, in der Gosse lag, während die Wehen einsetzten.
Allerdings hatte dieser Schrei, den die Mizzi aus Schmerz und Angst ausgestoßen hatte, auch etwas Gutes bewirkt. Die Leute kamen aus den Häusern, um Nachschau zu halten, wer denn da so brüllt. Und wieso. Der Seppel sagte ihnen, seine Frau bekäme ihr Kind – Gottes Kind! Und sie hatten Mitleid mit den beiden. Da trat einer der Bürger vor und meinte, seine Zimmer wären zwar alle schon vergeben, aber im Stall, beim Esel und dem Ochsen, wäre noch was frei. Keine Luxussuite, aber besser als das Kind hier auf der Straße zu bekommen, Gottes Kind noch dazu! Also schleppte Seppel die heulende und immer wieder laut kreischende Mizzi in den Stall und kaum legte er sie auf ein Büschel Stroh, da kam das Kindlein auch schon zur Welt.
Zur gleichen Zeit trieben sich drei Weise vor der Stadt herum. Sie folgten seit Tagen – oder besser Nächten – einem Kometen, weil sie von Astronomie keine Ahnung hatten und den Kometen für ein himmlisches Zeichen hielten, von Gott gesandt, um ihnen den Weg zu weisen. Wohin auch immer, das wussten die da noch nicht. Aber sie hatten ein paar wertvolle Dinge im Gepäck. Weihrauch und Myrre und natürlich auch Gold. Da hörten sie, wie sich zwei Männer lachend darüber unterhielten, dass in einem Stall in der Stadt wohl jetzt gerade eine Frau ein Kind gebar und ihrem Mann eingeredet hatte, es wäre das Kind Gottes. Für die drei Weisen stand fest, dass dies das Ziel ihrer Reise war. Der Stern hatte sie hierhergeführt! Und so suchten sie den Stall und fanden ein Knäblein in einer Krippe, daneben die glücklichen Eltern, dahinter ein Ochse und ein Esel. Sie sanken auf die Knie und sangen Loblieder auf das Kind, das da im Stroh lag. Dann legten sie ihm ihre Gaben vor die Krippe und versprachen, der Welt zu verkünden, dass in jener Nacht im Dezember Gottes Sohn zur Welt gekommen war.
2. Gustel
Um das Jahr 30 (die wussten das mit den Jahreszahlen auch jetzt noch nicht)
Gustel wusste, dass dies nun das Ende war. Kein Weg führte mehr zurück, niemand würde ihn retten können. In wenigen Stunden würden sie ihn ans Kreuz nageln. Doch wie waren sie ihm auf die Schliche gekommen?
Er war als Sohn eines Zimmermannes aufgewachsen. Gustels Mutter war bei seiner Geburt gestorben. Er versuchte oft, deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben, doch es wollte sich nie so recht einstellen. Sein Vater hatte schon bald wieder geheiratet und mit seiner neuen Frau eine Schar weiterer Kinder gezeugt. Dumme, kleine Bälger, die den ganzen Tag plärrten und Hunger hatten. Der Vater arbeitete hart, doch das Geld reichte nie, um alle satt zu bekommen. Und schuld daran waren die Römer, die einfach in ihr Land spaziert waren, um es zu besetzen und die nun hohe Steuern von den Menschen forderten. Gustel hasste die Römer. Blutsaugende Parasiten waren das und wäre sein Vater nicht mit so viel Einfallsreichtum gesegnet gewesen, wären sie alle wohl schon längst verhungert. So ein Leben wollte er nicht führen. Jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schuften, um dann den Großteil des hart verdienten Geldes den Römern in die Taschen fallen zu lassen? Nein, Gustel würde mit der Tradition brechen und bestimmt nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten. Und Großvaters. Urgroßvaters. Und so weiter. Er hatte zwar als junger Mann noch keine konkreten Vorstellungen von seiner Zukunft (vielleicht hätte eine Jobberatung geholfen, hätte es sie denn damals schon gegeben), aber er wusste, dass er gut reden konnte und er hatte schon das eine oder andere Mal durch kleine Gaunereien etwas Geld verdienen können. Natürlich war das Betrug, doch wenn man schlau genug war, sich nicht erwischen zu lassen, würde sich daraus vielleicht wirklich ein lukratives Geschäft entwickeln. Man musste nicht hart schuften und die verdammten Römer wusste nichts von dem Zaster. Also konnten sie darauf auch keine Steuern erheben. So kam es, dass Gustels Gaunereien größer und größer wurden und er damit durchs Land zog. Reich wurde er damit freilich nicht und manchmal musste er etwas zu Essen stehlen, was ihm in der Seele wehtat, denn er war ein sehr frommer Mann und auf der Liste mit den zehn Geboten steht schließlich, man solle nicht stehlen. Sein Vater hatte fast immer nach diesen Geboten gelebt und Gustel strebte natürlich auch danach, ein guter Jude zu sein. Er sprach oft mit den Menschen über Gott und dessen Taten. Dabei hingen sie an seinen Lippen und konnten von seinen Worten gar nicht genug bekommen. Zu jener Zeit schloss er sich auch dem Widerstand gegen die Römer an, denn die Steuern wurden immer höher und damit die Zeiten immer härter. Bald schon konnte er mit seinen Betrügereien kaum noch genug Geld ergaunern, um auch nur ansatzweise satt zu werden. Die Menschen hockten auf ihren sauer verdienten Kröten wie die Henne auf dem Ei. Er musste also immer öfter stehlen und eines Tages, als sie ihn dabei fast geschnappt hätten, beschloss er, dass es so nicht weiter gehen konnte. Es musste eine neue Geschäftsidee her, eine lukrativere, die so genial war, dass die Menschen freiwillig ihre letzte Kupfermünze herausrückten. Also überlegte er. Was brauchen die Menschen? Was begehren sie am meisten? Geld! Nun, hätte es damals schon Anlageberater und Schneeballsysteme gegeben, hätte Gustel wohl diese Karriere gewählt. Er überlegte also weiter. Es musste doch noch etwas geben, was den Menschen hoch und heilig war. Gesundheit. Natürlich! Niemand wollte krank und schwach sein und alle würden dafür ihr letztes Geld geben, um wieder gesund zu werden. Allerdings war Gustel durchaus bewusst, dass es mit ein paar schönen Worten in dem Fall nicht abgetan war. Da musste schon eine größere Show her, um die Leute zu überzeugen, doch alleine würde er das nicht auf die Beine stellen können. Dazu brauchte es Personal. Mitwisser, die ihm in die Hand spielen und ihm assistieren konnten, wenn er seine „Wunder“ wirken würde. Also machte er sich auf und besuchte ein paar der finstersten Spelunken im Land. Wo sonst würde man Gesindel finden, welches verdorben genug war, um das Leid anderer Menschen auszunutzen? Und schon bald hatte er zwölf Männer um sich geschart, deren Weste schon lange nicht mehr weiß war. Allen voran Petrus, Petz genannt. Ein ausgefuchster Kerl, der sein Geld offiziell als Fischer verdiente. Doch in Wahrheit schmuggelte er in seinen Fischen allerhand Zeug und illegale Substanzen. Und man mag es kaum glauben, er besaß die Frechheit, danach den mittlerweile nicht mehr ganz so frischen Fisch auch noch zu verkaufen! Leider waren in letzter Zeit gleich vier Frauen an seinem verdorbenen Fisch elendig verreckt und so kam ihm die Gelegenheit ganz recht, sich diesem Gustel anzuschließen und die Gegend für eine Zeit lang zu verlassen.
Der Plan war recht simpel. Es würden stets ein paar von Gustels Helfern vorausreisen und sich dann als Blinde oder Lahme in der Stadt niederlassen. Gustel kam dann Tage später nach, sprach weise Worte, legte den Männern die Hände auf und siehe da, sie konnten wieder sehen oder laufen. Die Menschen waren schier sprachlos ob dieser Wunder und so verbreiteten sich die Geschichten von diesem Wunderheiler in Windeseile in der ganzen Stadt und weit darüber hinaus. Bald schon scharten sich Hunderte um Gustel und wollten, dass er ihnen die Hände auflegte. Das tat er natürlich nur gegen eine kleine Spende. Der eigentliche Trick bestand darin, nicht zu lange zu bleiben. Schon am zweiten Tag zog er weiter in die nächste Stadt, wo bereits wieder ein paar seiner Männer als Schwerkranke verkleidet darauf warteten, von ihm geheilt zu werden. Dabei sprach Gustel immer öfter über Gott und predigte dessen Gnade, während er gleichzeitig gegen die Römer wetterte. Anfangs lief die Wundershow ja wirklich gut, doch es sprach sich auch schnell herum, dass nicht alle Menschen durch das Handauflegen wieder gesund geworden waren. Immer öfter hörte man das Wort „Betrüger“ und so mussten Gustel und seine Helfer eine Entscheidung treffen: Entweder sie würden sich absetzen und ganz wo anders neu anfangen oder sie schafften es, die Zauberkraft von Gustel zu beweisen. Da kam Petz ins Spiel. Seine Verschlagenheit, aber auch sein Wissen über Technik kam ihnen hier zugute – also entwickelte er mit der Truppe ein paar echt abgefahrene Tricks. So ließ er Gustel unter anderem übers Wasser laufen oder selbiges in Wein verwandeln. Und schon lagen ihm die Menschen wieder zu Füßen. Sie priesen seinen Namen und warfen ihm ihr Geld haufenweise hinterher. Vorbei das armselige Dasein. Von nun an wurde der Erfolg jeden Abend ausgiebig mit Wein, Weib und Gesang gefeiert. Bei einer dieser Orgien lernte Gustel auch Maria Magdalena kennen. Sie nannte sich selbst Ria Sesso und war die schamloseste Dirne im ganzen Land. Ihre Eltern waren so arm gewesen, dass sie von ihnen schon in sehr jungen Jahren auf die Straße gesetzt worden war. Dort hatte sie schnell gelernt, wie man Männer glücklich macht und um ihr Erspartes bringt. Ria hatte in ihrem Leben schon viele Männer getroffen, doch einer wie Gustel war ihr noch nie begegnet. Sie hing an seinen Lippen, wenn er von Gott redete oder wieder einmal gegen das römische Pack wetterte und sie hielt sich an seinem Gemächt fest, wenn er sich abends schlafen legte. Das Leben hätte nicht schöner sein können, für keinen aus der Truppe. Doch machte es sie träge. Oft zogen sie erst viele Tage nach der Show weiter und das gab den Menschen Zeit, über das, was sie gesehen hatten nachzudenken. Stimmen wurden laut, die an den Wundern zweifelten. Schon wieder. Und so kam es, dass von dem einst so glorreichen Erfolg bald nichts mehr übrig war. Mittlerweile war auch die jüdische Priesterschaft auf den Wunderheiler aufmerksam geworden und die hatten so gar keine Freude an den Reden, die dieser Gustel da von sich gab. Na, und dass die Römer zornig auf ihn waren, liegt wohl auf der Hand. Denn selbst wenn seine Wundershow immer mehr in Zweifel gezogen wurde, seine Hassreden gegen Rom tropften wie Öl in die Ohren der Menschen und sie begannen, ihren Unmut hinauszuschreien. Da reichte es Pontius Pilatus. Er setzte ein Kopfgeld auf diesen Rebellen aus und hoffte, seiner bald habhaft zu werden. Dieser Schlag traf die Truppe in der Tat sehr hart. Es wurde für sie alle immer schwieriger, ihre Show an den Mann zu bringen. Und wenn sie doch einen Ort fanden, so kamen kaum Menschen. Und die paar, die da waren, stellten von Anfang an klar, dass sie nicht hier waren, um irgendeinen faulen Zauber zu sehen, sie wollten Gustel über Gott reden hören und was er gegen die Römer zu unternehmen gedenke.
Die abendlichen Orgien wurden zu langweiligen Businessmeetings, statt Wein gab es schales Wasser, statt Lammbraten altes, schimmeliges Brot mit Dörrfeigen und statt der vollbusigen Weiber gab mit viel Glück eine schnelle Handnummer von Ria, die sich mittlerweile wieder Maria Magdalena nannte. Kein Wunder also, dass die Männer immer unzufriedener wurden und dies immer öfter auch unverblümt kundtaten. Vor allem Judas, dieses kleine, verschlagene Wiesel suchte immer wieder Streit mit Gustel. Er war schon immer neidisch auf ihn gewesen, wollte nicht einsehen, dass nur Gustel den Wunderheiler spielen durfte und er nicht. Und als er eines Nachts besoffen auf den Tisch der Schenke gestiegen war und zu predigen versuchte, hatte er von Petz eine aufs Maul bekommen und zur Strafe die Nacht im Stall bei den Ziegen verbringen müssen. Das hatte er nicht vergessen. Und so fasste er einen Entschluss. Hier war nichts mehr zu holen, doch Geld braucht der Mensch und wer hatte Geld im Überfluss und war bereit, es ihm zu geben? Genau: die Römer. Er musste ihnen dafür nur verraten, wo sie Gustel finden konnten. Also schaffte er mit seinen letzten Münzen Wein herbei, schenkte großzügig aus und als alle besoffen unter dem Tisch lagen, ging er los und holte die Römer.
Sie kamen nach Mitternacht und rissen den stockbesoffenen Wunderheiler aus den Armen von Maria Magdalena und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, stand Gustel vor Pontius Pilatus. Die anwesende jüdische Priesterschaft verlangte auf der Stelle den Tod des Predigers und da Pontius Pilatus ohnehin verdammt mies auf Gustel zu sprechen war, verurteilte er ihn zum Tode am Kreuz. Sie brachten ihn fort und sperrten ihn in die finsterste Zelle, die sie finden konnten. Da saß er nun und wartete auf das unausweichliche Ende, während er sich immer wieder fragte, wie es nur so schnell soweit hatte kommen können.
Derweil saßen die restlichen Männer, bis auf Judas, in der schäbigen Unterkunft und rauften sich die Haare. Was sollten sie jetzt nur machen? Ohne Gustel würde es keine Einkünfte mehr geben. Einige meinten, man müsse ihren Anführer doch aus dem Kerker holen können. Irgendwie! Doch die Mauern waren dick und die Wachen gut ausgebildet. Nein, retten konnten sie Gustel nicht mehr. Der war verloren. Doch Petz wollte nicht so schnell aufgeben. Er hatte bisher immer einen Weg gefunden, aus nichts Gold zu machen. Es würde ihm auch diesmal gelingen. Und da hatte er eine Idee. Dass Gustel in wenigen Tagen sterben würde, stand außer Zweifel. Doch was wäre, wenn man ihn nach dem Tod wieder auferstehen lassen würde? Was, wann man sagen würde, er wäre zu Gott in den Himmel gefahren? Und da erinnerte er sich an eine Geschichte, die ihm sein Vater einst erzählt hatte. Von einem Mann, dessen Weib beinahe auf offener Straße ein Kind zur Welt gebracht hätte und dass dieses Kind von Gott gekommen sein soll. Diese Geschichte würde er sich zu Nutze machen. Gustel musste aus seinem Grab auferstehen und hinauffahren in den Himmel, wo er fortan neben Gott, seinem Vater, sitzen würde, um von dort über die Menschen zu wachen.
Zwei Tage später zerrten die Römer Gustel aus der Zelle. Sie setzten ihm eine Dornenkrone aufs Haupt, luden das schwere Kreuz auf seine Schultern und trieben ihn mit Peitschen den Berg hinauf zur Hinrichtungsstätte. Da hatten die Menschen plötzlich Mitleid mit ihrem Wunderheiler. Scharenweise kamen sie herbei, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Besser hätte es für Petz gar nicht laufen können. Immer wieder brach Gustel unter der Last und dem Schmerz zusammen, doch die Menschen halfen ihm hoch und die Peitschen der Römer trieben ihn weiter.
Die Kreuzigung selbst spürte er kaum noch. Sein Geist hatte sich längst von seinem Körper gelöst und betrachtete die Welt von weit oben. Er sah, dass Maria Magdalena echte Tränen um ihn weinte. Er sah die Menschen, die da vor dem Kreuz auf die Knie fielen und er sah Petz, der da zu predigen begann und den Leuten vom Sohn Gotts erzählte. Plötzlich erkannte er, dass sein Tod wohl erst der Anfang von etwas Großem sein würde. Und dann starb er.
3. Petz
Es war vorbei und Maria empfand echte Trauer. Gustel war der beste Mann, den sie je gehabt hatte. Er war gutaussehend, klug und geschickt gewesen.
Stunden nach seinem Tod legten die Römer das Kreuz wieder auf den Boden und unter Petz‘ Aufsicht nahmen vier der Männer aus seiner Gruppe Gustel herunter. Petz nannte sich nun wieder Petrus, da dies doch bei weitem seriöser klang und bei dem, was er vorhatte, war ein guter Ruf die halbe Miete.
Nachdem sie Gustel vom Kreuz genommen hatten, bildeten sie einen kleinen Trauerzug, angeführt von Maria Magdalena. Ihre Tränen waren noch immer ehrlich und aufrichtig und sie würde die Münzen, die sie von Petrus bekommen hatte, um möglichst medienwirksam zu trauern, zumindest zum Teil wieder zurückgeben. Er hatte nach Gustels Verhaftung recht schnell die Rolle des Anführers übernommen, was Maria ganz recht war, denn so musste sie vorerst nicht wieder zurück auf die Straße.
Sie brachten Gustel in eine Grabhöhle, die Petrus einem Mann abgeschwatzt hatte, der diese eigentlich für sich und seine Frau erworben hatte – doch das Luder war mit einem anderen durchgebrannt und Petrus hatte den Mann davon überzeugen können, dass die Höhle für ihn alleine viel zu groß war. Sie legten Gustel dort hinein und verschlossen danach den Eingang mit einem großen Felsen. Dann setzte sich Maria vor die Höhle und hielt dort ihre Totenwache. Ein paar junge Männer wollten sich zu ihr gesellen. Man weiß nicht, ob sie es zu Ehren von Gustel, dem Sohn Gottes, taten oder weil sie sich an Maria ranmachen wollten. Bleiben konnten sie in keinem Fall, also lockte sie Petrus mit Wein und ein paar Dirnen in die nächste Taverne, damit Maria die nächsten zwei Tage allein trauern konnte.
Am Morgen des dritten Tages, als Maria aufwachte, stand die Höhle offen. Vorsichtig spähte sie hinein und wie erwartet, war von Gustels Leichnam keine Spur zu sehen. Nun hieß es noch einmal, alles zu geben. Sie begann laut zu schreien und lief wild gestikulierend in die Stadt zu der Unterkunft, wo Petrus und die anderen Männer schon auf sie warteten. Und nun begann die eigentliche Show. Sie kehrten zurück auf die Straße, mit viel Lärm und Getue, damit die Menschen rings herum auf sie aufmerksam wurden. Dann erzählten sie den Leuten, was passiert war. Dass die arme Maria Wache vor der Höhle gehalten hatte, dass sie dabei jedoch eingeschlafen war und als sie vorhin die Augen gehöffnet hatte, war die Höhle offen gewesen und Gustels Leichnam war verschwunden. Die Menschen reagierten unterschiedlich, ein paar waren erschrocken, ein paar einfach nur neugierig, doch alle wollten sie die Grabhöhle sehen und so wurde die Menge, die in die Berge zog, immer größer und größer. Und tatsächlich: Als sie dort ankamen, stand der Eingang offen und es war nirgendwo eine Leiche zu sehen. Sie begannen zu diskutieren, wer denn dafür zur Verantwortung zu ziehen wäre, als plötzlich ein helles Licht erschien. Petrus hatte dafür ein paar fahrenden Händlern aus Asien ein spezielles Öl abgekauft, welches heller brannte als alles andere auf der Welt. Und da. Im Schein des Lichtes erschien eine Gestalt. Still wurden sie, die Menschen, ein paar fürchteten sich sogar und liefen davon, während andere voller Ehrfurcht mit offenen Mündern dastanden und in das Licht starrten. „Gustel!“ Es war Maria, die da seinen Namen rief. Sie hatte ihn erkannt und fiel vor der Lichtgestalt auf die Knie. Wie war das nur möglich? Sie alle hatten ihn am Kreuz sterben sehen oder zumindest davon gehört, dass er dort verreckt war. Wieso stand er nun hier? Und dass es Gustel war, stand außer Zweifel. Soweit man das gegen das grelle Licht erkennen konnte, waren es seine Haare. Und seine Kleider. Außerdem hatte ihn das Weib eindeutig wiedererkannt. Nein, es bestand wahrlich kein Zweifel. Und dann begann Gustel zu sprechen. Vom Reich Gottes. Davon, dass er wahrlich sein Sohn wäre und dass er für die Menschen auf Erden gestorben war, um beladen mit ihren Sünden nun endgültig in den Himmel hinaufzufahren. Er sagte ihnen, dass er dennoch immer bei ihnen sein würde und sie stets dem rechten Weg folgen sollten. Schließlich ernannte er Petrus zu seinem Nachfolger und Vertreter auf Erden und als die Menschen noch einmal zu ihm laufen wollten, um ihn noch einmal zu berühren, entschwand Gustel. Natürlich war es nicht Gustel selbst gewesen, der da gesprochen hatte. Es war Andreas, dessen Stimme der von Gustel sehr ähnlich war. Damals hatten sie ja ohnehin fast alle die gleiche Frisur gehabt und in den Sachen von ihrem ehemaligen Anführer sah er diesem tatsächlich sehr ähnlich.
Sie hatten nachts, als alle schliefen, die Leiche aus der Höhle geholt, sie versteckt und nun den Menschen Glauben gemacht, der Sohn Gottes wäre vom Tode auferstanden. Petrus hatte die Rede geschrieben, die Andreas eben vor den Menschen gehalten hatte und von dieser hing nun alles ab. Würden die Anwesenden glauben, was sie da gesehen hatten? Würden sie Gustel tatsächlich als den Sohn Gottes anerkennen und auch an seine Auferstehung glauben? Sie glaubten es. Und sie erzählten es überall. Bis zum Abend hatte jedes Kind von dem Wunder gehört, welches oben in den Bergen passiert war. Und davon, dass Petrus der Vertreter des Messias auf Erden sein würde. Also gründete dieser schon am nächsten Tag eine Glaubensgemeinschaft. Heute würde man es Sekte nennen, doch damals kannten die sowas ja noch nicht. Die Gemeinschaft wuchs und wuchs und Petrus wurde immer reicher. Interessant war, dass sich nun auch immer mehr Römer dem neuen Glauben anschlossen. Petrus wusste, dass zumeist deren Frauen dahintersteckten. Gerade hier – in der Provinz – langweilten sie sich schnell und dieser neuen Religion haftete etwas Verbotenes an, etwas Verruchtes. Also kamen sie in Scharen und warfen dem Sektenführer ihre Münzen zu Füßen. Doch Geld allein machte Petrus nicht mehr glücklich, er wollte Macht und so zog es ihn zum Nabel der Welt, nach Rom.
Er ging allein, denn seine Getreuen wollten die Reise nicht mit ihm antreten. Und als Petrus nach Rom kam, erwarteten sie ihn schon. Die Kunde von dem Wunder in den Bergen Israels hatte sich bis in Zentrum der Welt verbreitet und als Petrus endlich eintraf, war die Schar seiner Anhänger beinahe doppelt so groß wie jene in Israel. Sie hoben ihn auf ihre Schultern und priesen ihn. Ja, er hatte sein Ziel erreicht und es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Und so ließ er sich feiern. Der Anführer der Christen, Petrus, der Vertraute des Messias. Petrus, der Vertreter Gustels auf Erden.
13.03.2017 um 19:07 Uhr
Endlich steigt weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle auf. Der 266. Nachfolger Petrus, neues Oberhaupt der katholischen Kirche und damit Stellvertreter Gustels auf Erden, wurde gewählt. Sein Name ist Papst Franziskus