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Helmut Ortner - Wenn der Staat tötet
12.10.2020 um 22:30Der ausgeblildete Sozialpädagoge und Journalist Helmut Ortner schreibt ein Sachbuch über die Todesstrafe. Bereits im Vorwort stellt er klar, dass es kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Sachbuch ist, das jedoch mit einem Anmerkungsapparat und einem Literaturverzeichnis versehen ist.
So ist das Buch auch nicht strukturiert, sondern mit den USA gerahmt, dazwischen finden sich Methoden der Todesstrafe von den Römern bis in die Gegenwart, dazu Einzelberichte über Henker, darunter aus den Tagebüchern von Henri Sanson, der Ludwig den XV. henkte bzw. die Lebensgeschichte des NS-Henkers Johann Reichhart, der nach dem Krieg noch etwa 150 Vollstreckungen für die US-Militäradministration in Bayern durchführte und danach wegen seiner NS-Tätigkeit verurteilt und seiner Rentenansprüche beraubt wurde, während die NS-Staatsanwälte und NS-Richter, welche die Todesurteile forderten und aussprachen, unbehelligt im BRD-Justizsystem weiterarbeiten durften und auch die Karriereleiter hochkletterten.
Schauderhaft ist auch ein langer Ausschnitt aus einem Buch über die Steinigung einer Ehebrecherin im Iran 1982. Sie wurde bis zu den Schultern in den Boden eingegraben und dann von Vater, Söhnen und ihrem Mann mit Steinen beworfen, bis ihr Kopf eine blutige Masse war, der lose am Hals hing.
Ortner positioniert sich gleich zu Beginn und deklariert, ein Gegner der Todesstrafe zu sein. Einstieg ins Buch ist die Geschichte, dass in den Nullerjahren in Arkansas der Vollzug der Todesstrafe angekurbelt wurde, weil die Pharmazeutika der Todesmischung dem Ablaufdatum entgegengingen und es Nachschubprobleme gab, weil immer mehr Pharma-Firmen den Verkauf ihrer Produkte zur Verwendung bei Todesurteilen untersagten. 2011 gab es schließlich einen EU-Beschluss, der es europäischen Pharmaproduzenten untersagte, diese Mittel an die US-Justiz zu verkaufen, die daraufhin immer mehr auf zwielichtige Internet-Vertriebe zurückgriffen.
Optimistisch stimmt Ortner, dass trotz der vielen vollzogenen Todesurteile weltweit die Zahl der Staaten sich verringert, in denen die Todesstrafe legal ist. Sein Hauptargument gegen die Todesstrafe ist neben der Entwürdigung des Menschen und der Qualen, die zugefügt werden, der Umstand, dass viele Todesurteile nicht auf Basis eines Schuldbeweises, sondern auf Basis von oft durch Folter erzwungenen Geständnissen erfolge. Vor allem in diktatorischen Regimen sei der Straftatskatalog absurd, im Iran gehe es bis hin zur "Beleidigung Gottes".
Interessant ist das Nachwort des ehemaligen Bundesrichters Thomas Fischer, der Ortner heftig dafür kritisiert, dass er dem Staat Rache- und Vergeltungsgelüste unterstelle. Dies sei nicht das Motiv der Todesstrafe, sondern sie sei immer mit einer rationalen Rechtsidee verbunden, die individualistischen Rachegelüsten mit entemotionalisierter Staatsraison gegenüberstehe. Als Gegenbeispiel bringt er eine deutsche Fernsehshow, in der das Publikum zu 70 Prozent die Todesstrafe mit am besten noch Folterung zur Geständniserzwingung einforderte. Das Gemeinwesen, der Staat selbst lehne die Todesstrafe ab, wenn er aber auch gleichzeitig Tötungen in Kriegshandlungen befürworte. Dies gehe so weit, dass die deutsche Kanzlerin Merkel die Tötung von Terroristen ohne Gerichtsurteil durch die USA befürworte.
Michael Pawlik schreibt in der FAZ einen Verriss, der sich unter anderem darauf beruft, dass Ortner es mit Fakten und Zahlen (zum Beispiel den Kosten der Todesstrafe in den USA) nicht sonderlich ernst nehme.
Nicht uninteressant zu lesen, vor allem die mit Quellen und persönlichen Erinnerungen versehenen Abschnitte, die Kritik von Fischer und Pawlik ist jedoch nachzuvollziehen, weil eine gewisse Oberflächlichkeit das Buch als Quelle desavouiert.