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Anton Kuh - Werke Bd. 3
09.10.2020 um 22:03Dieser Band umfasst die Zeitungsartikel von Kuh von Mitte 1923 bis Mitte 1926. Kuh lebt weiterhin in Wien, aber 1925 scheint sich seine Lage zu ändern: er hört plötzlich auf, Theaterpremieren zu rezensieren und schreibt zum Teil wirres essayistisches Zeug in der liberalen, aber boulevardesken Tageszeitung Die Stunde und lässt sich in einen Streit mit Karl Kraus ein, den er in einem tumultösen Vortrag mit dem Titel "Der Affe Zarathustras (Karl Kraus)" bezichtigt, jüdischen Selbsthass zu pflegen und intellektuelles Plebejertum zu bedienen. Knallhart sagt er: "Ob Hitler oder Kraus - es ist dasselbe." Kraus und Kuh waren sich nie grün, aber da dürfte Kuh vom Kraus-Feind und Herausgeber Imre Békessy hineingeritten worden sein.
Zuvor schreibt Kuh neben seinen Theaterrezensionen auch politisch hochinteressante Artikel aus seiner Sicht als in Wien lebender deutschsprachiger Prager Jude, in denen er auch das jüdische Großbürgertum angreift, das sich sogar dafür hergibt, deutschnationale und nationalsozialistische Organisationen zu finanzieren, nur um sich von den armen Juden der Leopoldstadt abzugrenzen. "Ordnung", "Disziplin" und "wirtschaftliche Konsolidiertheit" (für Kuh ein Euphemismus für die "Entrechtung der Arbeiter") seien ihnen wichtiger. (Die Stunde, 20. Juni 1923)
Im Prager Tagblatt prangert er einige Tage später an, dass trotz der anti-nationalsozialistischen Propaganda in Österreich vor allem die Wiener Polizei unter Schober und die Justiz die wegen nationalsozialistischen Terrors Angeklagten mit Samthandschuhen angefasst werden, auch würden bayrische Nationalsozialisten problemlos nach Österreich kommen können, um als "Hetzredner" auftreten können. (30. Juni 1923)
Dass es keinen Unterschied zwischen "deutschnational" und "deutschvölkisch" gäbe, formuliert er am 31. Oktober 1923 in der Stunde. Beide Strömungen hätten die Zerstörung der demokratischen Republik als Ziel:
In Wirklichkeit ist bekanntlich zwischen "deutschnational" und "deutschvölkisch" ungefähr ein Unterschied wie zwischen "Israelit" und "Jud". Das heißt: eine gewisse Uneinigkeit in der Methode der Republiktötung hindert nicht die Eintracht im Zwecke.Um sich gegen den Deutschnationalismus zu stellen, formuliert er im April 1925 pointiert: "Wien ist ein Sammelbecken verschiedener Nationen, eine deutschsprechende, keine deutsche Stadt." Und seine theatralische Entdeckung war zur selben Zeit Hans Moser, "ätzender, schärfer als sie alle, ein verhatschtes Spinnweben-Geschöpf, gemischt aus Wohnungsnot, Suff, Bosheit, Phlegma und Organisiertheit".
Nach diesen politischen Stellungnahmen wendet Kuh sich der Diskussion um die Hebung des Alters für sexuelle Beziehungen von 14 auf 16 zu. Als libertärer Linker lehnt er dies ab. Wer nicht mehr in die Schule zu gehen habe, solle im Privatleben vom Staat nicht gegängelt werden.
In seiner Anti-Kraus-Rede lässt er nochmal aufhorchen, wird plötzlich auch für unsere Zeit hochaktuell, als er Karl Kraus und seine Anhänger dem sogenannten "Pubertätsmenschen" zurechnet:
Der Pubertätsmensch [...] denkt nicht, er lässt sich nicht überzeugen. Das Rechthaben auf dem Niveau seiner Lebensblindheit hält er für das Sehen. Wenn einer zu ihm spräche: Die Welt ist anders - er kann nichts hören als sein Pubertäts-Ich.Danach fällt er in Betrachtungen über seine Armut, Hüte und die Verschwörungstheorie, dass Kaiser Franz Joseph schon 1890 verstorben sei und es danach fünf Doppelgänger gegeben hätte, um die Monarchie aufrecht zu erhalten (diese VT gab es im Ersten Weltkrieg wirklich, Kuh hält sie für Blödsinn).
Mal schauen, wie es weitergeht, es gibt ja noch drei weitere Kuh-Bände in meiner Bibliothek.