Christoph Martin Wieland - Geschichte der Abderiten
17.08.2020 um 23:58Auch wenn Wieland mit Schubart, Goethe, Schiller und Herder befreundet war und in seinem langen Leben mit dem Sturm und Drang und der Weimarer Klassik in Kontakt stand, zählt dieser fünfbändige Roman von 1777 bis 1780 zu den Höhepunkten der Literatur der Aufklärung.
Wieland wählte für sein Werk die antike griechische Stadt Abdera, die bereits in der Antike berühmt für ihre Narrheit war (unter allen möglichen Entscheidungen entschließen sie sich für die schlechteste), eine Art antikes Schilda. Für Wieland repräsentiert sie eine durchaus liebenswerte Provinzialität, der er ein weltgewandtes und vernünftiges Kosmopolitentum gegenüberstellt.
In den ersten drei Büchern werden den lauten, naiven Bürgern von Abdera drei Geistesgrößen gegenübergestellt. Der materialistische Philosoph Demokrit, der wirklich aus Abdera stammte, weit gereist war und dort lebte, macht sich über die ihn belästigenden Bürger lustig, die unter anderem nicht erkennen können, dass Schwarzafrikaner ein anderes Schönheitsideal haben können und demgemäß auch schwarze Menschen als schön empfinden können, dem Arzt Hippokrates unterstellen sie Geisteskrankheit (wobei er ihnen Nieswurz - eigentlich ein Gift, aber in der Volksmedizin ein Mittel gegen Narrheit - verschrieb) und der athenische Tragödienschrifteller Euripides, der mit seinem Ensemble auf Durchreise ist, bringt sie nach Aufführung eines seiner Stücke zum Schweigen, nachdem er zuvor dasselbe Stück in der polternden abderitischen Aufführung kritisiert hat.
Das vierte Buch ändert die Struktur, den Abderiten wird keine Berühmtheit mehr gegenübergestellt, sondern es wird deren Rechtswesen persifliert. Es geht um den nichtigen Streit zwischen einem Eseltreiber und einem Zahnarzt. Der Zahnarzt mietet einen Esel, und der Eseltreiber will eine zusätzliche Gebühr, weil der Zahnarzt den Esel während einer Reitpause als Schattenspender genutzt hat. Den Schatten habe er nicht vermietet. In erster Instanz wird dem Eseltreiber nicht recht gegeben, in der zweiten Instanz halten die beiden Sykophanten (Anwälte) großartige Plädoyers (ein Höhepunkt des Romans), doch löst sich der Streit, als der Esel von einer Menschenmenge am Marktplatz in einem Anfall von Wahnsinn getötet und in seine Einzelteile zerrissen wird. Der Eseltreiber erhält aus der Stadtkasse drei neue Esel, der Rechtsfall ist gelöst.
Das fünfte Buch ist vielleicht das bekannteste. In Abdera gibt es einen Latona-Kult. Die Göttin Latona hat vor Ewigkeiten milinische Bauern in Frösche verwandelt, da diese ihr Labung verweigert haben, als sie selbst an Durst gelitten hat. In Abdera gibt es daher einen Froschgraben, doch mit der Zeit haben sich die Frösche so sehr vermehrt, dass immer mehr Froschgräben angelegt werden müssten. Als nun eine Mäuse- und Rattenplage die Stadt heimsucht, sind die Abderiten von Fröschen, Mäusen und Ratten so weit bedrängt, dass für sie selbst kein Lebensraum mehr bleibt. Der Philosoph der Akademie schlägt daher vor, nur einen Froschgraben zu belassen und die Frösche zu verspeisen, da sie sowieso keine verwandelten Bauern mehr sein können. Der Oberpriester der Latona lehnt dies ab, und da keine Einigung erzielt werden kann, wandern die Abderiten nach Makedonien aus, dessen König sie unter seinen Schutz stellt.
Für Wieland ist dies kein Märchen aus vergangenen Zeiten, sondern er versucht seiner eigenen Zeit einen Spiegel vorzuhalten, wohin es führt, wenn vernünftigen Menschen bzw. vernünftigen Entscheidungen kein Gehör geschenkt wird. Er schränkt jedoch sein Publikum durch die vielen Bezüge zur antiken Literatur und Philosophie bzw. durch den sehr gehobenen Stil mit vielen griechischen und lateinischen Ausdrücken bzw. einem sehr verschachtelten Satzstil ein. Anders als die Schildbürgergeschichten spricht der Text ausschließlich universitär Gebildete an. So ist dieser Roman zwar heute auch noch eine sehr ansprechende Lektüre, aber man muss sich darauf einlassen, da er eben nicht ein leicht zugänglicher Schenkelklopfer ist.
Online ist dieser Text unter anderem in mehreren Formaten auf zeno.org zugänglich.