Thukydides
Thukydides. Royal Ontario Museum

Im Jahr 430 vor Christus wurde Athen von einer Seuche befallen, die sich vier Jahre lang hielt und auch den berühmten Staatsmann und Strategen Perikles 429 hinraffte. Der griechische Historiker Thukydides beschrieb die Symptome sehr eindringlich, und bis zum heutigen Tag ist nicht geklärt, welche Infektion die Bewohnerinnen und Bewohner von Athen dahinraffte. Hier sein Text:
Gleich mit Sommers Beginn fielen die Peloponnesier und ihre Verbündeten mit zwei Dritteln ihrer Macht, wie das erstemal, in Attika ein, geführt von Archidamos Zeuxidamos' Sohn, König von Sparta, lagerten sich und verwüsteten das Land. Sie waren noch nicht viele Tage in Attika, als in Athen zum ersten Male die Seuche ausbrach. Es hieß, sie habe schon vorher manchenorts eingeschlagen, bei Lemnos und anderwärts, doch von nirgends wurde eine solche Pest, ein solches Hinsterben der Menschen berichtet. Nicht nur die Ärzte waren mit ihrer Behandlung zunächst machtlos gegen die unbekannte Krankheit, ja, da sie am meisten damit zu tun hatten, starben sie auch am ehesten selbst, aber auch jede andre menschliche Kunst versagte: alle Bittgänge zu den Tempeln, Weissagungen und was sie dergleichen anwandten, half alles nichts, und schließlich ließen sie davon ab und ergaben sich in ihr Unglück. Sie begann zuerst, so heißt es, in Äthiopien oberhalb Ägyptens und stieg dann nieder nach Ägypten, Libyen und in weite Teile von des Großkönigs Land. In die Stadt Athen brach sie plötzlich ein und ergriff zunächst die Menschen im Piräus, weshalb auch die Meinung aufkam, die Peloponnesier hätten Gift in die Brunnen geworfen (denn Quellwasser gab es dort damals noch nicht). Später gelangte sie auch in die obere Stadt, und da starben die Menschen nun erst recht dahin. Mag nun jeder darüber sagen, Arzt oder Laie, was seiner Meinung nach wahrscheinlich der Ursprung davon war und welchen Ursachen er eine Wirkung bis in solche Tiefe zutraut; ich will nur schildern, wie es war; nur die Merkmale, an denen man sie am ehesten wiedererkennen könnte, um dann Bescheid zu wissen, wenn sie je noch einmal hereinbrechen sollte, die will ich darstellen, der ich selbst krank war und selbst andere leiden sah.

Es war jenes Jahr, wie allgemein festgestellt wurde, in bezug auf die andern Krankheiten grade besonders gesund. Wer schon vorher ein Leiden hatte, dem ging es immer über in dieses, die andern aber befiel ohne irgendeinen Grund plötzlich aus heiler Haut zuerst eine starke Hitze im Kopf und Rötung und Entzündung der Augen, und innen war sogleich alles, Schlund und Zunge, blutigrot, und der Atem, der herauskam, war sonderbar und übelriechend. Dann entwickelte sich daraus ein Niesen und Heiserkeit, und ziemlich rasch stieg danach das Leiden in die Brust nieder mit starkem Husten. Wenn es sich sodann auf den Magen warf, drehte es ihn um, und es folgten Entleerungen der Galle auf all die Arten, für die die Ärzte Namen haben, und zwar unter großen Qualen, und die meisten bekamen dann einen leeren Schlucken, verbunden mit einem heftigen Krampf, der bei einigen alsbald nachließ, bei andern auch erst viel später. Wenn man von außen anfaßte, war der Körper nicht besonders heiß, noch auch bleich", sondern leicht gerötet, blutunterlaufen und bedeckt von einem dichten Flor kleiner Blasen und Geschwüre; aber innerlich war die Glut so stark, daß man selbst die allerdünnsten Kleider und Musselindecken abwarf und es nicht anders aushielt als nackt und sich am liebsten in kaltes Wasser gestürzt hätte. Viele von denen, die keine Pflege hatten, taten das auch, in die Brunnen, vor dem unstillbaren Durst. Es war kein Unterschied, ob man viel oder weniger trank. Und die ganze Zeit quälte man sich in der hilflosen Unrast und Schlaflosigkeit. Solang die Krankheit auf ihrer Höhe stand, fiel auch der Körper nicht zusammen, sondern widerstand den Schmerzen über Erwarten. Entweder gingen daher die meisten am neunten oder siebten Tag zugrunde an der inneren Hitze, ohne ganz entkräftet zu sein, oder sie kamen darüber weg, und dann stieg das Leiden tiefer hinab in die Bauchhöhle und bewirkte dort ein starkes Schwären, wozu noch ein wäßriger Durchfall auftrat, so daß die meisten später an diesem starben, vor Erschöpfung. Denn das Übel durchlief von oben her, vom Kopfe, wo es sich zuerst festsetzte, den ganzen Körper, und hatte einer das Schlimmste überstanden, so zeigte sich das am Befall seiner Gliedmaßen: denn nun schlug es sich auf Schamteile, Finger und Zehen, und viele entrannen mit deren Verlust, manche auch dem der Augen. Andere hatten beim ersten Aufstehen rein alle Erinnerung verloren und kannten sich selbst und ihre Angehörigen nicht mehr. Denn die unfaßbare Natur der Krankheit überfiel jeden mit einer Wucht über Menschenmaß, und insbesondre war dies ein klares Zeichen, daß sie etwas anderes war als alles Herkömmliche: die Vögel nämlich und die Tiere, die an Leichen gehn, rührten entweder die vielen Unbegrabenen nicht an, oder sie fraßen und gingen dann ein. Zum Beweis: es wurde ein deutliches Schwinden solcher Vögel beobachtet; man sah sie weder sonst noch bei irgendeinem Fraß, wogegen die Hunde Spürsinn zeigten für die Wirkungen wegen der Lebensgemeinschaft.
Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Übersetzt von Georg Peter Landmann. München: Artemis und Winkler 1993, S. 251-255.