Simplicissimus

1668 erschienen, ist dieser Roman umfangreich und knüpft an mehrere Traditionen an, wie auch den Parzival. Simplicius wächst bei bäuerlichen Zieheltern auf, was er erst später erfährt, ist adliger Abkunft und flieht nach einem Überfall auf den Bauernhof als junger Bub in die Welt, erhält erzieherische Ratschläge von einem Einsiedler, der sich als sein Vater herausstellt, wird auf der Festung Hanau zum Narren gemacht, schließlich in seiner Adoleszenz Soldat, danach eine Art Robin Hood, Weit- und Weltreisender, und zuletzt zieht er sich auf eine Insel im Indischen Ozean zurück.

Doch der Handlungsverlauf ist nicht der Kern, es ist die Welt des Dreißigjährigen Kriegs, die einem vor Augen gehalten wird, und diese ist höllisch:

- Bauernhöfe werden überfallen, ausgeplündert, niedergebrannt, deren Bewohner gefoltert, vergewaltigt, ermordet
- Dieses "Fouragieren" ist Lebensgrundlage der Armeen
- Leichen liegen auf den Straßen (Gelnhausen)
- Während die Menschen (ver)hungern, wird auf der Festung Hanau gefressen und gesoffen
- Entführungen durch Soldatenwerber sind an der Tagesordnung (Simplicius mehrfach)

Um Menschenwürde zu erhalten, bleibt nur noch das Leben als Narr oder in völliger Abgeschiedenheit.

So ist es auch ein Verrückter, der sich selbst als Jupiter und Simplicius als Befreier sieht, der Ideen formuliert, die weit in die Zukunft reichen. Er konstatiert nicht nur, dass es sehr wohl Berufsgruppen gibt, die kein Interesse am Ende des Krieges haben, weil sie von ihm profitieren (darunter Schmiede, Kutschenbauer), sondern er entwirft eine Gesellschaft der Zukunft. Die Kleinstaaterei mit ihren Fürstentümern soll ein Ende haben, die Adeligen sollen entmachtet werden, ein einheitlicher deutscher Staat ohne Zollgrenzen soll entstehen, der von einem Parlament regiert wird, in das jede Stadt zwei Vertreter entsendet. Mit dieser Gesellschaftsidee ist Grimmelshausen seiner Zeit um zweihundert Jahre voraus.

Nur: diese Gesellschaft ist nicht vewirklichbar, es gibt nichts und niemanden, der dies in die Wege leiten kann, also bleibt Simplicius nur mehr die totale Abgeschiedenheit auf einer Insel im Indischen Ozean, auf der er nach einem Schiffbruch gestrandet ist und die ihm sämtliche Überlebensmöglichkeiten bietet. Als ein holländisches Schiff bei dieser Insel, um Schäden nach einem Sturm zu reparieren, eröffnet Simplicius dem Kapitän, warum er nicht beabsichtigt nach Europa zurückzukehren:
Mein Gott! was wollet Ihr mich zeihen? Hier ist Friede, dort ist Krieg; hier weiß ich nichts von Hoffart, vom Geiz, vom Zorn, vom Neid, vom Eifer, von Falschheit, von Betrug, von allerhand Sorgen, beides um Nahrung und Kleidung noch um Ehre und Reputation; hier ist eine stille Einsame ohn Zorn, Hader und Zank, eine Sicherheit vor eitlen Begierden, eine Festung wider alles unordentliche Verlangen, ein Schutz wider die vielfältigen Stricke der Welt und eine stille Ruhe, darin man dem Allerhöchsten allein dienen, seine Wunder betrachten und ihn loben und preisen kann. Als ich noch in Europa lebete, war alles (ach Jammer, daß ich solches von Christen zeugen soll!) mit Krieg, Brand, Mord, Raub, Plünderung, Frauen- und Jungfernschänden etc. erfüllet; als aber die Güte Gottes solche Plagen samt der schröcklichen Pestilenz und dem grausamen Hunger hinwegnahm und dem armen bedrangten Volk zum besten den edlen Frieden wieder sandte, da kamen allerhand Laster der Wollust, als Fressen, Saufen und Spielen, Huren, Buben und Ehebrechen, welche den ganzen Schwarm der anderen Laster alle nach sich ziehen, bis es endlich so weit kommen, daß je einer durch Unterdruckung des andern sich groß zu machen offentlich praktizieret, dabei dann keine List, kein Betrug und keine politische Spitzfindigkeit gesparet wird. Und was das allerärgste, ist dieses, daß keine Besserung zu hoffen, indem jeder vermeinet, wann er nur zu acht Tagen, wann es wohlgerät, dem Gottesdienst beiwohne und sich etwan das Jahr einmal vermeintlich mit Gott versöhne, er habe es als ein frommer Christ nicht allein alles wohl ausgerichtet, sondern Gott sei ihm noch darzu um solche laue Andacht viel schuldig. Sollte ich nun wieder zu solchem Volk verlangen?
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