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Foto: Nemanja Cabric Xinhua/eyevine/laif

Dieses schwerbewaffnete Militär bewacht die totale Ausgangssperre von 17 bis 5 Uhr in Belgrad, Menschen über 65 dürfen gar nicht mehr aus den eigenen vier Wänden raus.
[...] in Serbien wurde für Senioren über 65 Jahren eine absolute Ausgangssperre verhängt. Für die Überschreitung dieser Verordnung muss man eine Geldbuße von rund 1.300 Euro zahlen, für serbische Rentner, die im Schnitt mit 350 Euro über die Runden kommen müssen, eine unbezahlbare Summe. Kontrolle dieser Maßnahme übt nicht nur die Polizei aus, sondern auch Dreierpatrouillen der Militärpolizei mit schussbereiten Maschinenpistolen.
So beschreibt der 91-jährige Holocaust-Überlebende Ivan Ivanji das Leben in Belgrad Ende März 2020.

Und weiter:
Wie gefährdet bin ich persönlich? Mit mindestens 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit hätte ich am 27. Mai 1944 ermordet werden sollen. An diesem Tag wurde ich als 15-Jähriger in Auschwitz an einem übermüdeten SS-Arzt vorbeigetrieben, der mit einer Handbewegung entschied, dass ich arbeitsfähig bin und nicht der Sonderbehandlung (sprich Gaskammer) unterzogen werde.

In einer furchtbaren Lage befand ich mich vom 18. Februar bis zum 13. April 1945 im Außenkommando des KZ Buchenwald in Langenstein, einem Dorf nahe Halberstadt. Von den rund 7.000 Häftlingen überlebten etwa 2.500. Aus heutiger Sicht ist für mich noch schrecklicher als die Arbeit in den Stollen der Harzer Thekenberge, dass wir keine Betten hatten, sondern auf halb verfaultem Stroh so dicht beieinanderliegen mussten. Keiner konnte sich auf die andere Seite drehen, ohne Dutzende Mithäftlinge zu bewegen. Man musste starr liegen bis zum Morgen. [...]

Heute befinde ich mich, 91 Jahre alt, wegen der Coronavirus-Pandemie wieder im Gefängnis, allerdings in einer sehr bequemen Einzelhaft. Meine „Zelle“ ist 68 Quadratmeter groß, hat Fensterwände in zwei Himmelsrichtungen und eine nach Südwesten ausgerichtete Terrasse. Von der blicke ich auf einen schönen kleinen Rasenplatz. Es ist 22 Grad warm, die Bäume sind dabei, ihr erstes Grün anzulegen, mehrere Bänke sind frei. Ich verstehe nicht, warum ich mich in größere Gefahr bringen würde, säße ich eine halbe Stunde im Park.
Sein Ausblick ist düster:
Die jetzige Situation und die Verschwörungstheorien werden psychische Erkrankungen verschlimmern und rassistische Aggressionen schüren, Isolationisten und Nationalisten überall stärken, und letztendlich wird die Demokratie dort, wo sie besteht, erschüttert, und wo sie nicht besteht, mit noch mehr Verachtung als bisher behandelt. Insofern glaube ich tatsächlich, dass sich die Welt nach dieser Pandemie verändern wird.
Der gesamte Text ist hier zu lesen:
https://taz.de/Corona-Isolation-in-Serbien/!5672855/


Ivan Ivanji ist Architekt und Germanist und war von 1974 bis 1978 jugoslawischer Kulturattaché in Bonn sowie von 1982 bis 1988 Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes.


Die Deutsche Welle hat einen interessanten Beitrag über Ivanyi mit einem Video, in dem er aus einem Text liest.
https://www.dw.com/de/ivan-ivanji-ns-opfer-kommunist-literat/a-44103297