Narrenschiffer
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Stefan Zweig - Schachnovelle
12.12.2019 um 20:40Habe nun ein altes, schon öfter und gern gelesenes Werk wieder ausgegraben, und trotz aller Nationalklischees immer noch faszinierend.
Die Figurenkonstellation ist schon sehr gewöhnungsbedürftig:
- Der Schachweltmeister ist ein plumper, fast blöder südslawischer Bauern- und Schiffersohn
- Der Amerikaner kann sich mit Geld alles kaufen und freut sich, damit nicht persönlich verpflichtet zu sein
- Der konservative Österreicher ist ein Feingeist
Aber die Story hat schon was. Dr. B. wird als Verwalter von kirchlichem und habsburgischem Vermögen nach der Okkupation Österreichs durch Nazi-Deutschland von der Gestapo gefangen genommen, um das Geld rauszupressen. Dabei wird er für fast ein Jahr im Hotel Metropole, dem Gestapo-Hauptquartier, für fast ein Jahr in Isolationshaft genommen. Mit einem gestohlenen Schachbuch beginnt er im Kopf Schach zu spielen, bis er fast schizophren wird. Knapp am Wahnsinn wird er nach einem Angriff auf einen Wächter freigelassen und kann schließlich Österreich verlassen.
Auf einem Schiff nach Argentinien trifft er auf den Schachweltmeister Czentowicz. Gegen ihn spielt er ein Remis und einen Sieg, bei der dritten Partie übermannt ihn jedoch seine Sucht, seine Manie, sein Schachfieber wieder und er bricht ab.
Sehr gelungen sind die Passagen, wie sowohl Isolationshaft wie auch das Schachspiel im Kopf einen Menschen in den Wahnsinn treiben kann. Beinahe modern wirken zu Beginn die Kritikpunkte an einem eigentlich sinnbefreiten Spiel (heutzutage ersetzbar durch primitivere Spiele, mit denen die Hauptakteure viel Geld verdienen können).
Wie sollte ein einundzwanzigjähriger Bauernbursche aus dem Banat nicht den Eitelkeitskoller kriegen, wenn er plötzlich mit ein bißchen Figurenherumschieben auf einem Holzbrett in einer Woche mehr verdient als sein ganzes Dorf daheim mit Holzfällen und den bittersten Abrackereien in einem ganzen Jahr?Ein immer wieder sehr lesenswertes kleines Büchlein. Und die Verfilmung mit Curd Jürgens in der Hauptrolle ist auch nicht zu verachten.
[...]
Im Prinzip war mir die Tatsache von jeher verständlich, daß ein derart einmaliges, ein solches geniales Spiel sich spezifische Matadore schaffen mußte, aber wie schwer, wie unmöglich doch, sich das Leben eines geistig regsamen Menschen vorzustellen, dem sich die Welt einzig auf die enge Einbahn zwischen Schwarz und Weiß reduziert, der in einem bloßen Hin und Her, Vor und Zurück von zweiunddreißig Figuren seine Lebenstriumphe sucht, einen Menschen, dem bei einer neuen Eröffnung, den Springer vorzuziehen statt des Bauern, schon Großtat und sein ärmliches Eckchen Unsterblichkeit im Winkel eines Schachbuches bedeutet – einen Menschen, einen geistigen Menschen, der, ohne wahnsinnig zu werden, zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre lang die ganze Spannkraft seines Denkens immer und immer wieder an den lächerlichen Einsatz wendet, einen hölzernen König auf einem hölzernen Brett in den Winkel zu drängen!