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Peter Handke - Nobelpreisrede
10.12.2019 um 01:49Hier nun die Rede, die Peter Handke am Samstag zur Nobelpreisverleihung gehalten hat.
"Spiele das Spiel. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Laß dich ein und verachte den Sieg. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar. Zeig deine Augen, wink die andern in die Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die Sonne. Vergiß die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, zerlach den Konflikt. Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über die Dörfer."Zum Nachhören:
Das sagte vor bald vierzig Jahren eine Frau zu einem Mann am Beginn eines langen Dramatischen Gedichts namens "Über die Dörfer".
In der Kindheit hat meine Mutter immer wieder, wenn es die Zeit war und wenn die Zeit es erlaubte, von den Leuten aus dem Dorf – slowenisch "Stara Vas", zu deutsch "Altes Dorf" – erzählt; keine Geschichten, sondern kurze, und doch, wenigstens für meine Ohren, unerhörte Begebenheiten. Mag sein, daß die Mutter diese zugleich auch meinen Geschwistern vortrug. Aber mir ist, als sei ich jeweils ihr einziges Publikum gewesen.
Eine jener Begebenheiten ging so: Auf einem der Bauernhöfe, schon halb im Gebirge, arbeitete eine Idiotin (oder, wie es damals hieß, "eine Schwachsinnige") als Magd. Diese wurde vom Hofherrn vergewaltigt und bekam ein Kind, dessen Mutterrolle aber die Frau des Hauses übernahm. Die Magd, die wahre Mutter, hatte sich von ihrem Kind strikt fern zu halten. In dessen Augen war die andere seine Mutter. Und eines Tages verfing sich das noch kleine, doch schon sprechfähige Wesen beim Alleinspielen in dem Drahtzaun am Rand des Anwesens und verstrickte sich dort mehr und mehr. Es schrie und schrie, bis auf einmal jetzt die Idiotin, die "Geistesschwache", oder, Wort der Erzählerin in der Mundart der Gegend zwischen Saualpe und Karawanken, "die Treapn", daher gerannt kam. Im Handumdrehen war das Kind freigehakt. Und danach aber die Frage des Kindes an seine zuletzt noch hinzugeeilte vermeintliche Mutter – die Magd schon zurück zu ihrer Arbeit, ob im Stall oder auf den Feldern –: "Mutter, warum hat die Treapn so weiche Hände?"
In dem Buch "Der kurze Brief zum langen Abschied" ist aus dieser Erzählung ein Lied geworden, eine Ballade, gesungen in einer nächtlichen Bar von Philadelphia/Pennsylvania/USA, mit dem von Strophe zu Strophe wiederholten Schrei des Sängers: "Und dieses Kind war ich! Und dieses Kind bin ich!"
Die meisten der anderen Begebenheiten, von denen die Mutter mir erzählte, handelten von den Angehörigen der Familie oder Sippe, und die Hauptperson da war fast jedesmal einer ihrer beiden dann im Weltkrieg "auf dem Feld der Ehre gefallenen" Brüder. Es sei versucht, zwei solcher kurzen, aber für mein Schreiberleben entscheidenden Episoden wiederzugeben. Die erste ging, und geht, um meiner Mutter jüngeren Bruder, den überhaupt jüngsten des Hauses, damals in der Zwischenkriegszeit, sagen wir, im Jahr 1936. Es war eine Nacht mitten im Herbst, noch eine Zeit vor der Morgendämmerung, und Hans oder, nach der slowenischen Dorfsprache Janez oder Hanzej, schon seit einem Monat außer Haus, Zögling im sogenannten "Marianum", etwa vierzig Kilometer westwärts, dem für spätere Priesterstudenten bestimmten Internat in Klagenfurt/Celovec, der Kapitale von Kärnten. Tiefe nächtliche Stille im Anwesen, das erste Hähnekrähen noch fern. Und jetzt, unvermittelt, das Geräusch eines kehrenden Besens im Hof. Und wer da kehrte, und kehrte, und nicht aufhörte, den Hof zu kehren in der Dunkelheit, das war der Benjamin der Familie, fast noch ein Kind. Und was ihn auf den Weg aus der Stadt zurück ins Dorf gebracht hatte, das war das Heimweh gewesen, domotožje (slowenisch ohne Artikel). Er, dabei erzählt, war ein guter – ein begeisterter Schüler und Lerner, war in der frühen Nacht aus einem ebenerdigen Internatsfenster gestiegen und auf der damals noch ungeteerten Landstraße nachhause gegangen. Aber statt dann einzutreten – keine Tür war je abgesperrt –, nahm er den Hofbesen und kehrte vor dem Haus den Hof. Jener Tag war nämlich, erzählte meine Mutter, ein "Samstag", der Tag vor dem Sonntag, "und am Samstag hieß es: Hofkehren!" Und der Bruder kehrte und kehrte, bis es langsam Tag wurde und einer der Hausleute – in der Phantasie ist das keiner von den Eltern, sondern seine Schwester – ihn ins Haus holte. Er ist nie mehr zurückgekehrt ins "Bischöfliche Knabenseminar" und lernte in einem Nachbardorf das Tischler- oder Schreiner-Handwerk.
Diese Begebenheit geistert, sozusagen naturverwandelt, das heißt, ohne ein Zutun, von Anbeginn durch meine Bücher, meine epischen Exkursionen bzw. Ein-Mann-Expeditionen. Bei der nun folgenden steht eine solche Metamorphose aus, oder, so Gott, das Geschick oder was auch immer es vergönnt, bevor. Nach dem Buch mit Namen "Die Wiederholung": "Die zweite Wiederholung".
Ende August, Anfang September 1943, erzählte die Mutter, kam der andere, der älteste der Brüder, für ein paar Wochen "Heimaturlaub" zurück von der russischen Krimfront. Und es traf sich, daß ihm nach dem Aussteigen aus dem Postbus als erstes die Person begegnete, die in der Gegend zuständig war für das Überbringen der Unglücksnachrichten aus dem Krieg. Die Person war gerade unterwegs hin zum Dorf und zu dem einen Haus mit der Nachricht, daß der jüngste der Brüder in der Tundra den "Heldentod fürs Vaterland" gestorben sei. Und da der Todesbote unverhofft einen der Hausangehörigen vor sich hatte, konnte er sich den Weg ersparen. Er händigte dem Heimurlauber die Nachricht aus. Was dann freilich geschah: Gregor ist nachhause gegangen, ist mit Singen und Jauchzen empfangen worden – wie vor allem meine Mutter in der Jugend nicht selten ein Jauchzen hören ließ –, hat aber während sämtlicher Heimurlaubstage den Tod des Bruders, des – wie der sich selber in seinen Kriegsbriefen genannt hatte – "Tundrajünglings", vor der Familie verschwiegen. In der verbleibenden Zeit mied Gregor nach den Worten der Erzählerin, im Frieden "der Häuslichste der Familie", Haus, Eltern, Schwester[n], auch das eigene Dorf Stara Vas, und trieb sich von morgens bis abends, und manchmal auch über Nacht, in den Nachbardörfern herum, in Encelna Vas, in Lipa, in Ruda, in Globasnica, in Diekše, in Rinkolah, in Krcanje, wo er allerdings, ob bei Bekannten oder vor allem Unbekannten, so meine Mutter, "sich ausweinte. – Sich ausweinte? Er der Einäugige? – I wo. "Sein Weinen hat nicht aufgehört. Wird nimmer aufgehört haben." Und erst am letzten Tag, auf dem Weg zum Bus zurück in den Krieg, hat er der Schwester, von der er sich als einziger begleiten ließ, die Todesnachricht ausgehändigt. Und einige Wochen später war auch er unter der "fremden Erde, die ihm leicht sei!" (Laut Totenzettel, später, laut Gedenkplatte auf dem Friedhof.)
In dem Dramatischen Gedicht mit dem Namen "Über die Dörfer" wendet sich am Ende, das auf einem Friedhof spielt, die Frau des Anfangs noch einmal an den Mann, die Nebenperson, doch vor allem an die anderen dramatis personae, die Hauptpersonen, Schwester wie Bruder, die einander und ebenso ein jeder sich selber den Krieg erklärt haben, und jene, "Nova" genannte, Frau, welcher das Reden immer wieder sehr schwer fällt, hebt so an:
"Nur ich bin das hier, Abkömmling aus einem anderen Dorf. Doch seid gewiß: Aus mir spricht der Geist eines neuen Zeitalters, und der sagt euch jetzt folgendes. Ja, es gibt die Gefahr, und nur dadurch kann ich reden, wie ich reden werde: im Widerstand. So hört jetzt mein Dramatisches Gedicht. – Es ist schon recht, nicht mehr dahinzuträumen, aber weckt einander doch nicht mit Hundegebrüll. Keiner von euch ist der Schuldige, und gerade in euren Verzweiflungsausbrüchen habt ihr vielleicht bemerkt, daß ihr gar nicht verzweifelt seid. Verzweifelt, wärt ihr schon tot. Spielt also nicht zur Unzeit die einsamen Menschen. Es stimmt freilich, daß es in eurer Geschichte keinen einzigen stichhaltigen Trost gibt. Aber laßt das Gegrübel über Sein oder Nicht-Sein: das Sein ist und wird weitergedacht, und das Nicht-Sein ist nicht denkbar. Wißt, wie gleich ihr seid – wißt, wie ihr gleich seid. Bloß ich sage das. Aber ich bin nicht nur ich. Ich-Ich kann das Leichteste und Zarteste unter dem Himmel sein, und zugleich das Allumfassende – das Entwaffnende. "Ich!" bin der einzige Held und ihr sollt die Entwaffnenden sein. Ja, das Ich ist die menscherhaltende Menschnatur! Der Krieg ist fern von hier. Unsere Heerscharen stehen nicht grau in grau auf den grauen Betonpisten, sondern gelb in gelb in den gelben Blütenkelchen. Die Verneigung vor der Blume ist möglich. Der Vogel im Gezweig ist ansprechbar. So sorgt in der mit künstlichen Farben fertiggemachten Welt für die wiederbelebenden Farben einer Natur. Das Bergblau ist – das Braun der Pistolentasche ist nicht; und wen oder was man vom Fernsehen kennt, das kennt man nicht. Unsere Schultern sind für den Himmel da, und der Zug zwischen der Erde und ihm läuft nur durch uns. Geht langsam und werdet so selber die Form, ohne die keine Ferne Gestalt annimmt. Die Natur ist das einzig stichhaltige Versprechen. Sie kann freilich weder Zufluchtsort noch Ausweg sein. Aber sie gibt das Maß: dieses muß nur täglich genommen werden. Die ziehenden Wolken, auch wenn sie dahinjagen, verlangsamen euch. Wer sagt, daß das Scheitern notwendig ist? Habt ihr euren Krieg nicht hinter euch? So verstärkt die friedliche Gegenwart und zeigt die Ruhe der Überlebenden. Was von weitem der drohende Kopf des Todes war, entfaltet sich beim Näherkommen als Kinderspiel. Schüttelt euer Jahrtausendbett frisch. Übergeht die kindfernen Zweifler. Wartet nicht auf einen neuen Krieg: die Friedlichsten sind die im Angesicht der Natur. Bietet euren Nachkömmlingen nicht das Teufelsprofil. Das Haus der Kraft ist das Gesicht des Anderen. Hier, jetzt, ist das Fest der Erkenntlichkeit. So laßt euch nicht nachsagen, ihr habet den Frieden ungenutzt gelassen: euer Arbeiten soll ein Wirken sein – gebt weiter. Weiter geben tun aber nur, die lieben: liebt eines – es genügt für alles. Dich liebend, erwache ich zu mir. Auch wenn die meisten nicht erhebbar sind: seid die Erhebbaren. Schaut weg von den viehischen Zweibeinern. Seid wirklich. Folgt der Karawanenmusik. Geht so lange, bis sich im Wirrwarr die Fluchtlinien zeigen; so langsam, daß euch neu die Welt gehört, so langsam, daß klar wird, wie sie euch nicht gehört. Ja, bleibt für immer fern von der als Macht auftretenden Macht. Klagt nicht darüber, daß ihr allein seid – seid noch mehr allein. Überliefert das Rauschen. Erzählt den Horizont, damit das Schöne nicht jedesmal wieder nichts war. Erzählt einander die Lebensbilder. Was gut war, soll sein. Verlangsamt euch – und erfindet: Verwandelt eure unerklärlichen Seufzer in mächtige Lieder. Unsere Kunst muß aus sein auf den Himmelsschrei! Laßt euch nicht die Schönheit ausreden – die von uns Menschen geschaffene Schönheit ist das Erschütternde. Betreibt die Enträtselung, die zugleich das Eine Rätsel verdeutlicht. Merkt euch: Sooft ihr starr angeblickt werdet vom entgegenkommenden Kind, seid ihr die Ursache. Viele Tarnungen anzunehmen, wird euer Geschick sein, und manch fröhlichen Schwindel zieht jeder öffentlichen Wahrheit vor. Spielt die Possen der Alltäglichkeit. Sich zu verlieren, gehört zum Spiel. (Und doch: Stolz geht nur der Unmaskierte!) Geht hinaus in den unbekannten Erdteil, und laßt die Illusionslosen böse grinsen: die Illusion gibt die Kraft zur Vision. Ja, überliefert form-sehnsuchtsdurchdrungen die heile Welt – das Hohnlachen darüber ist ohne Bewußtsein, es sind die Krepierlaute der Seelenkadaver. Die Toten sind euer zusätzliches Licht. Macht euch nichts aus eurer Unfähigkeit, sie anzureden: Eine Silbe genügt. Aber mehr noch gedenkt unserer Ungeborenen. Zeugt das Friedenskind! Rettet eure Helden! Sie sollen bestimmen: Krieg, laß uns in Ruhe. Ihr Leute von hier: Ihr seid die Zuständigen. Laßt euch nicht einreden, ihr wäret die Fruchtlosen einer Endzeit. Wir sind so nah am Ursprung wie je. Vielleicht gibt es keine Orte einer Wildnis mehr. Aber das Wilde, immer Neue, ist weiterhin: die Zeit. Das Ticken der Uhren besagt nichts. Die Zeit ist jenes Vibrieren, das auch durch das verfluchte Jahrhundert hilft. Zeit, ich habe dich! Jetzt ist der heilige Tag. Wirkend arbeitend, könnt ihr ihn fühlen. Vielleicht gibt es ja keinen vernünftigen Glauben, aber es gibt den vernünftigen Glauben an den göttlichen Schauder. Seht das Wunder und vergeßt es. Schafft den großen Satz. Die Freude ist die einzige rechtmäßige Macht. Erst wenn ihr euch freut, geht es mit rechten Dingen zu. – Es bleibt freilich dabei, daß es in unser aller Geschichte keinen stichhaltigen Trost gibt. Wer mißt? Die machthabenden Kindermörder verschwinden ungestraft. Die Ruhe ist nur episodisch: die rieselnden Brunnen stürzen um zu Barrikaden. Die Hoffnung ist der falsche Flügelschlag. Die Freudeverderber sind überall. Unter der Freudensonne gehend, schlucken wir zuinnerst die Bitterkeit. Liebe Leute von hier: Die Schreie des Grauens werden sich ewig fortsetzen. Euer Flehen um Gnade weckt bloß die Nichtszeichen. So richtet euch auf und seht den Mann im dunklen Anzug und weißen Hemd. Seht die Frau, die jenseits des Flusses auf dem Balkon in der Sonne steht. Beweist, mit euren Mitteln, unseren menschlichen Trotz! Jedem noch so flüchtigen Kuß einen Segen. Und jetzt jeder zurück auf seinen Platz. Dämonisiert den Raum, durch Wiederholung. Die Form ist das Gesetz, und es richtet euch auf. Der ewige Friede ist möglich. Hört die Karawanenmusik. Abmessend-wissend, seid himmelwärts. Haltet euch an dieses dramatische Gedicht. Geht ewig entgegen. Geht über die Dörfer."
Haben die von meiner Mutter erzählten kleinen Begebenheiten mir den Anstoß für mein nun fast lebenslanges Schreiberleben gegeben, so die Werke der Kunst, und nicht bloß die Bücher, sondern in gleicher Weise die Bilder, die Filme (vor allem die "Western" von John Ford und die "Eastern" des Japaners Yasujirô Ozu), die Lieder (zuletzt, zum Beispiel, die von Johnny Cash und Leonard Cohen gesungenen) mir die zum An- und Erklingenlassen des Anstoßes lebensnotwendigen Formen, Rhythmen oder, bescheidener ausgedrückt, Schwingungen und Schwungkräfte gegeben. Die frühesten Schwingungen oder Schwungkräfte kamen freilich nicht von den Künsten, sondern bewegten und durchdrangen das Kind, das ich war, mit den slowenisch-slawischen religiösen Litaneien unter den romanischen Bögen der Kirche nah dem Geburtsort Stara Vas. Und jene monotonen und zugleich so melodiösen Anrufungen himmelwärts durchdringen und beatmen mich inzwischen Siebenundsiebzigjährigen weiterhin; zupfen die Saiten für meinen weiteren Schreiberweg; summen mir Himmelstonleitern und Kadenzen, tonlose, wie etwa in der wunderlangen zur Mutter Gottes gebeteten Lauretanischen Litanei; die paar hier zitierten, aus den vielleicht hundert Namen und Anrufungen, eigens unübersetzt gelassen (bis auf das jeweilige Responsorium: "Prosi za nas" = Bitte für uns!):
Mati Stvarnikova – prosi za nas
Mati Odresenikova – prosi za nas
Sadež modrosti – prosi za nas
Začetek našega veselja – prosi za nas
Posoda duhovna – prosi za nas
Posoda časti vredna – prosi za nas
Posoda vse svetosti – prosi za nas
Roža skrivnostna – prosi za nas
Stolp Davidov – prosi za nas
Stolp slonokosteni – prosi za nas
Hiša zlata – prosi za nas
Skrinja zaveze – prosi za nas
Vrata nebeška – prosi za nas
Zgodnja danica – prosi za nas
Vor einigen Jahren war ich in Norwegen, dank Henrik Ibsen. Aber nicht von dem Dramatiker und seinem wie unserem "Peer Gynt" will ich jetzt zu guter Letzt – liebes deutsches Wort – erzählen, sondern von zwei so kleinen wie unerhörten norwegischen Begebenheiten. Die erste betrifft einen von den fünf oder sechs Leibwächtern, bodyguards, mit denen ich einen ganzen Nachmittag und Abend verbringen durfte. Zu später Stunde nämlich rezitierte mir jener Mann in einem stillen Hafenlokal von Oslo auf seinem Mobiltelephon gespeicherte eigene Gedichte, zuerst norwegisch, dann englisch, und das waren sämtlich Liebesgedichte, sehr zarte.
Und an einem der folgenden Abende, den ich zuletzt allein, auf einer Kreuz- und Quer-Wanderung durch das mitternächtlich leere Oslo (oder Kristiania, wie die Hauptstadt im "Hunger" – Buch des junges Knut Hamsun noch heisst), verbrachte, traf ich vor dem beleuchteten Schaufenster einer Buchhandlung auf die Silhouette eines Mannes, und als ich mich neben ihn stellte, wendete er sich zu mir und zeigte zugleich auf eines der ausgestellten Bücher. "Da: mein erstes Buch!", sagte er. "Und heute erschienen! Der erste Tag!" Sehr jung war der Mensch, fast noch ein Kind, oder so: ein "Jüngling", wie er im Buche steht. Und der freute sich – eben wie nur ein Kind sich freuen kann. Und das Freudestrahlen, das von ihm, dem Autor, dem Urheber, ausging, ist bis heute nicht vergangen. Möge nie vergehen!
So benutze ich jetzt den Moment, den zweien, dem Mann im Osloer Hafen und dem Jungen vor dem Bücherfenster, einen Gruß zukommen zu lassen, westwärts oder wohin auch immer.
Zu bedauern dabei ist vielleicht, daß ich hier keines der Liebesgedichte meines damaligen Leibwächters vortragen kann; zwar habe ich mir an dem Abend einige kopiert, jedoch den Zettel verloren. An seiner Stelle jetzt aber ein anderes Gedicht, das eines Soulguards, eines Seelenwächters (Nachsicht für das Wortspiel):
Romanska bågar
Inne i den väldiga romanska kyrkan trängdes turisterna i halvmörket.
Valv gapande bakom valv och ingen överblick.
Några ljuslågor fladdrade.
En ängel utan ansikte omfamnade mig
och viskade genom hela kroppen:
”Skäms inte för att du är människa, var stolt!
Inne i dig öppnar sig valv bakom valv oändligt.
Du blir aldrig färdig, och det är som det skall.”
Jag var blind av tårar
och föstes ut på den solsjudande piazzan
tillsammans med Mr och Mrs Jones, Herr Tanaka och Signora Sabatini
och inne i dem alla öppnade sig valv bakom valv oändligt.
Nobel Lecture: Peter Handke, Nobel Prize in Literature 2019
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Foto: Screenshot/nobelprize.org/kleinezeitung.at
Gedicht von Tomas Tranströmer auf lyrikline.org
Text von Handkes Rede auf