Narrenschiffer
Diskussionsleiter
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
dabei seit 2013Unterstützer
Profil anzeigen
Private Nachricht
Link kopieren
Lesezeichen setzen
Johann Wolfgang Goethe - Iphigenie auf Tauris
29.10.2019 um 17:58Dieses Schauspiel aus 1787 ist wohl das "klassischte", das Goethe je verfasst hat. Ein Ort (vor dem Diana-Tempel auf Tauris, hier von Skythen bewohnt, in der griechischen Mythologie auf der Krim), ein Tag, eine einzige Handlung, Blankverse (fünfhebige Jamben ohne Reim), Fünf-Akt-Struktur aus dem Lehrbuch.
Aber nicht nur dies, sondern Goethe formuliert sein Humanitätsideal: das Wort (weiblich) ist stärker als das Schwert (männlich). Wobei das Gewaltprinzip nicht ausschließlich männlich ist, sondern Iphigenie als (mehr oder weniger gezwungene) Priesterin Diana hat die Menschenopfer abgeschafft: jeder auf Tauris landende Fremde musste geopfert werden.
Der Skythen-König Thoas hat sich von Iphigenie überzeugen lassen, den Opferbrauch zu beenden, nicht zuletzt wohl auch wegen des Wunsches, Iphigenie zu ehelichen.
Der Kern der Handlung ist, dass ihr Bruder Orest (Mörder seiner Mutter Klytemnästra, die wiederum seinen Vater Agamemnon nach Rückkehr vom Trojanischen Krieg von ihrem Liebhaber meucheln ließ) Diana zurück nach Delphi führen muss, um vom Fluch der Furien befreit zu werden. Thoas führt, nach Iphigenies Weigerung ihn zu ehelichen das alte Gesetz der Fremdenopferung wieder ein, doch durch Bekenntnis der Wahrheit und die Macht des Wortes gelingt es Iphigenie, den König mild zu stimmen und ihnen mit seinem Segen die Abreise zu gestatten.
Goethe hat sehr viel von seinen Überzeugungen in dieses Stück gepackt, nicht nur dass das Wort stärker zu sein hat als Gewalt (sei es im Privaten, sei es im Politiischen).
Es sind aber auch ganz kleine Passagen, welche zu Tiefenbohrungen. So konstatiert Iphigenie, dass es das unmenschliche Verlangen eines Herrschenden ist, welches die Mitläufer zu Gewalttaten aufstachelt, sie erst zu willigen Henkern und Mördern macht (5. Aufzug, 3. Auftritt):
Ein König, der Unmenschliches verlangt,Das hat wohl Gültigkeit bis heute in Terrorstaaten.
Find't Diener g'nug, die gegen Gnad' und Lohn
Den halben Fluch der That begierig fassen;
Oder die beiläufige Bemerkung von Pylades, dem Jugendfreund Orests, dass Kinder nicht für die Taten ihrer Vorfahren bestraft werden sollen (2. Aufzug, 1. Auftritt):
Die Götter rächenWie lange hat es gebraucht, um Sippenhaftung aus den Gesetzbüchern zu tilgen. Und das noch immer nicht in allen Staaten!
Der Väter Missethat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner That hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Keine Ahnung, ob das Stück noch an Schulen gelesen wird, aber es bietet nicht nur Stoff, um über Theaterformen zu reden, sondern es sind ethische "Hooks" in diesem Werk, die aber sowas noch von aktuell sind! Nicht nur der Macho-King mit seiner Ho ;)
Online unter anderem hier: http://www.gutenberg.org/ebooks/2054 (Archiv-Version vom 09.09.2019)