Thomas Hettche - Pfaueninsel
17.10.2019 um 21:43Mit diesem Roman verbinde ich gemischte Gefühle. Einerseits sprachlich wunderschön, andererseits Pseudotiefe und Holzhammerprovokation.
Hauptfigur bzw. Hauptperson ist die kleinwüchisige Maria Dorothea Strakon (1800 - 1880), die als "Schlossfräulein" wirklich seit 1806 mit ihrem ebenfalls kleinwüchsigen Bruder Christian auf der Berliner Pfaueninsel im Gärtnerumfeld gelebt hat.
Worauf Hettche wirklich hinaus will, erschließt sich mir nicht.
Marias Leben wird in "Highlights", die sich über Jahrzehnte dehnen, erzählt: erster Sex mit ihrem Bruder; Liebe zum Gärtnersohn Gustav; Kind mit Gustav, Kind wird ihr weggenommen, vielleicht ist er 50 Jahre später ein aus Ceylon kommender Besucher; Gustav ermordet ihren Bruder im Palmenhaus, als er bei einer Feier sexuell auszuckt; Altersliebe zu einem Koch, den sie im sich industrialisierenden Berlin besucht (das einzige Mal, dass sie Berlin verlässt, und der Alterssex ist frustrierend); Tod bei einem Brand im Palmenhaus. Den Rest ihrer Zeit scheint sie nur zu lesen.
Der Rest ist eine monarchoid-romantische Begeisterung für das Natürliche, das zunächst durch Lenné (Gartenarchitekt) und Schinkel (Architekt des Palmenhauses) schon gestört wird, für Maria aber eine Idylle ist. Rationales Denken zerstört schließlich dieses Arkadien (kein Geld mehr da, die exotischen Tiere werden weggebracht, die exotischen Pflanzen gehen ein), und in Berlin wird industrialisiert. Kein Platz mehr für "Monstrositäten" wie Kängurus oder Schlossfräuleins.
Nett das Ganze, gut geschrieben, aber in die Tiefe geht der Roman nicht, dazu ist einfach eine zu lange Zeitspanne abgedeckt. Vielleicht hält Hettche es für tief, wenn Inzestsex pornographisch dargestellt wird, eine Kleinwüchsige dem König einen bläst und ein Kleinwüchsiger bei einer Feier seinen knallroten Schwanz rausholt. Diese Passagen zerstören das Lesevergnügen, da der Roman in diesen plötzlich sehr primitiv wirkt.