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Nach Jahrzehnten habe ich mir den Nachfolgeroman von Der Richter und sein Henker reingezogen und muss festestellen, dass die Komplexität nicht weitergeführt wurde. Während im ersten Bärlach-Roman zwischen Gut und Böse nicht mehr getrennt werden kann, ist in diesem 1951/52 veröffentlichten Roman Gut und Böse klar geschieden: der Schweizer Arzt, der sich den Deutschen anbiederte und im KZ Stutthof unter falschem Namen aus reinem Sadismus Operationen ohne Narkose an Häftlingen durchführt sowie schließlich nach dem Krieg in der Schweiz ein Luxuskrankenhaus leitet, in dem er reiche Patienten auf dieselbe Art tötet, ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen.

Der Arzt Emmenberger schafft es für sein Engagement in Deutschland, den Namen eines Doppelgängers anzunehmen (Nehle), den er seine Äußerlichkeiten (eine Narbe bei der Augenbraue und eine Brandwunde am linken Unterarm) anoperiert, und diesen zu motivieren, dass er in Chile unter seinem Namen als Arzt arbeitet. Der Hook ist, dass der ursprüngliche Nehle als Nicht-Mediziner eine Scharlatan-Existenz als Arzt aufgebaut hat und somit erpressbar ist.

Bärlach kommt nach seiner Magenkrebsoperation mit Hilfe seines Arztes Samuel Hungertobel, der Emmenberger vom Studium kennt, hinter die Schliche Emmenbergers zu kommen, der Nehle in Hamburg ermordet hat, indem er ihm eine Zyankali-Kapsel in den Mund genötigt hat. Somit ist der falsche KZ-Arzt offiziell tot und Emmenberger entlastet. Nur: der richtige Nehle hat aus Chile Artikel für medizinische Fachzeitschriften geschrieben, in denen klar geworden ist, dass Nehle weder Schweizer (er ist Berliner und verwechselt Akkusativ und Dativ) noch Arzt ist (wie er es schafft, in Fachzeitschriften damit Texte zu veröffentlichen, bleibt im Dunkel). Aufgrund seines Verdachts lässt sich Bärlach in die Privatklinik Emmenbergers aufnehmen.

Dort kommt es sofort zum Showdown und zu philosophischen Gesprächen über Nihilismus und Idealismus. Auch outet sich Bärlach ziemlich plump. Emmenberger beschließt ihn durch eine Operation ohne Narkose zu töten. Die Rettung Bärlachs schafft nur ein Deus ex machina. Ein befreundetes jüdisches Opfer von Emmenberg aus Stutthof, das offiziell tot ist, im Untergrund lebt und über eine beinahe übermenschliche Kraft verfügt, aber von Bärlach über sein Vorhaben informiert war, dringt in die Klinik ein und tötet Emmenberger auf die gleiche Art und Weise, wie dieser Nehle ermordet hat: durch eine Zyankali-Kapsel, die er ihm in den Mund schiebt, und offiziell wird daraus ein Selbstmord.

Die Story holt die Zeit des Nationalsozialismus in die Schweiz, ist jedoch für mich nicht überzeugend. Die Konstellationen, wie Bärlach auf Emmenbergers Spur kommt, ist bereits sehr konstruiert (sein Arzt Hungertobel erkennt ihn an einem im Life-Magazin veröffentlichten Foto, welches das oben erwähnte jüdische Opfer fotografiert und aus Stutthof geschmuggelt hat). Dass Bärlach einen Text von einem armen Schriftsteller in dessen Literaturzeitschrift über Emmenberger veröffentlichen lässt, um die Fiktion von vorhandenen Beweisen zu streuen und somit Emmeberger zu erpressen, was den Literaten (der als Alkoholiker stilisiert ist) das Leben kostet, ist unmotivert. Auch dass die Geliebte und Assistentin Emmenbergers sich an ihn als inhaftierte Kommunistin rangemacht hat, um zu überleben und bei ihm geblieben ist, gehört zu den toten Motiven, auch wenn sie von ihrem Idealismus auf brutalste Weise enttäuscht worden ist, da sie nach dem Hitler-Stalin-Pakt aus der Sowjetunion nach Deutschland abgeschoben worden ist, in die sie 1933 geflohen ist.

Was in die Zukunft Dürrenmatts weist: Bärlach im Luxusspital ist ein Weg zu der strengen Komposition eines Kammerspiels, welche im Theaterstück Die Physiker acht Jahre später zur (gelungenen) Vollendung gebracht wurde.