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Yasmina Khadra ist das Pseudonym für den algerischen Schriftsteller Mohammed Moulessehoul, der als Offizier der algerischen Armee unter Verwendung der Vornamen seiner Frau Kriminalromane zu schreiben begonnen hat und 2000 aufgrund der Verschärfung der Zensurgesetze seitens der islamistischen Regierung nach Frankreich ins Exil gegangen ist.

Dieser Roman zeichnet das Leben der Hauptfigur Younes Mahiedinne von 1935 bis 1962 nach und wird durch einen Rückblick aus dem Jahr 2008 abgerundet.

Younes erlebt als 10-Jähriger, wie die Felder seines Vaters (Erbe seiner Familie) 1935 wohl im Auftrag eines französisches Großgrundbesitzers niedergebrannt werden und er mit seinen Eltern wie seiner jüngeren, taubstummen Schwester in ein Elendsviertel von Oran ziehen musste, wo sein Vater als Tagelöhner sein Brot verdienen musste. Sein Vater ist auf seine Ehre besessen, dass ausschließlich er seine Familie zu ernähren hat, und lehnt aus diesem Grund jegliche Hilfe ab, auch von dessen jüngeren Bruder, der sich als Apotheker im Franzosenviertel von Oran etabliert hat.

Die materielle Lage seiner Eltern wird so triste, dass sein Vater schließlich das Angebot seines Bruders annimmt, Younes zu sich in die kinderlose Familie (seine Frau ist Französin) aufzunehmen. Younes lernt nun das Lebensumfeld des gehobenen arabischen Mittelstands kennen und besucht zum ersten Mal eine Schule. Um sich in das französische Umfeld integrieren zu können, wird er nun Jonas genannt. Der Kontakt zu seinen Eltern reißt ab, sein Vater verelendet, beginnt zu trinken und verlässt schließlich seine Familie. Einmal wird er seinen Vater zufällig noch treffen: als herabgekommenen Trinker, der nicht mehr in der Lage ist, sich aus der Gosse zu erheben.

Sein Onkel führt ein Doppelleben: er ist angesehener Apotheker auf der einen Seite, auf der anderen verfasst er Schriften zur ideologischen Unterstützung eines militärischen Aufstandes gegen die französische Kolonialherrschaft. Nachdem er für eine Woche aus diesem Grund eingekerkert worden ist und anscheinend unter Folter seine Kontaktpersonen verraten hat, verlässt die Familie Oran und zieht in den kleinen Ort Rio Salado (heute El Malah) westlich von Oran.

Younes besucht dort weiter die Schule, hilft in der Apotheke und befreundet sich mit gleichaltrigen Franzosen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs herrscht eine Zeit der Freiheit, die jungen Männer (arabisch und französisch) orientieren sich an einem individualistischen, von den USA geprägten Lebensstil, was jedoch nicht nachhaltig ist.

Younes hat zwei intesive platonische Liebesbeziehungen mit französischen Mädchen, deren Scheitern ihn brechen. Die erste (Isabelle) lässt ihn stehen (eine Heirat mit einem Araber sei nicht möglich), die zweite (Emilie) liebt ihn abgrundtief, aber er schlägt ihre Liebe aus. Warum? Sicherlich aus fehlendem Selbstbewusstsein, andererseits führte ihn ihre Mutter in die körperliche Liebe ein und hat ihm verboten, mit Emilie eine Beziehung anzufangen. Beide Mädchen werden von französischen Schulfreunden (seinen besten Freunden) geheiratet.

Mit dem Beginn des algerischen Aufstands 1954 zerbrechen die algerisch-französischen Freundschaften, die Besitzenden beginnen sich abzuschotten und zu verteidigen, ein Freund geht zunächst als Soldat nach Indochina und schließt sich nach Rückkehr der OAS an, ein sehr armer arabischer Freund geht zur FLN und erpresst schließlich, dass Younes die FLN mit Medikamentenlieferungen unterstützt. Nach einer Festnahme hilft ihm ein reicher Franzose, sodass er unbehelligt das Gefängnis verlassen kann.

Bis zur Unabhängigkeit Algeriens werden die Gräueltaten auf beiden Seiten immer brutaler, Younes wird Augenzeuge von Massakern an Franzosen wie an Algeriern. Mit dem Exodus der Franzosen endet eigentlich die Ich-Erzählung.

In einem Abschlusskapitel im Jahr 2008 fliegt Younes von Oran nach Marseille, um an den Trauerfeierlichkeiten nach dem Ableben von Emilie in Aix-en-Provence teilzunehmen und seine alten Freunde wieder zu treffen. Wir erfahren, dass er immer noch die Apotheke in El Malah besitzt, verheiratet ist und seine Kinder und Enkel Karriere in Algerien und Kanada gemacht haben. Beim Treffen in Aix sind alle Gräben zugeschüttet und die alten Männer erinnern sich an die schönen Zeiten, und diese waren, als sie alle sich kurzfristig nach dem Zweiten Weltkrieg im freien Lebensstil wiederentdeckt hatten und die Hoffnung existierte, dass es jenseits von Kolonialismus, Nationalismus und Islamismus eine Lebensmöglichkeit gibt, in der sie einfach freie Menschen sein können.

Einerseits ist dies ein hochinteressanter Roman, seine Längen hat er in den Ich-Reflexionen über Liebe und Frauen im Mittelteil (der ist einfach zu lange geraten). Andererseits ist es aufgrund der Religionskritik, die immer wieder im Roman durchscheint, nachvollziehbar, warum Moulessehoul als Offizier der algerischen Armee in einer Zeit aus Algerien geflohen ist, zu der Islamisten den Staat terrorisierten und dominierten.

Wikipedia: Yasmina Khadra

https://www.zeit.de/2011/07/L-B-Khadra/komplettansicht
http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/heranwachsen-im-krieg.html (Archiv-Version vom 26.07.2011)
https://www.deutschlandfunk.de/epos-ueber-ein-knappes-jahrhundert-algerischer-geschichte.700.de.html?dram:article_id=84772