61E0bPdWcVL. SX324 BO1204203200

1000 Seiten akribische Dokumentation des Massenmords an den in der UN-Sicherheitszone Srebrenica befindlichen männlichen Bosniaken durch reguläre und irreguläre Einheiten der Serbischen Republik sind keine leichte Lektüre.

Fink dokumentiert die Ereignisse minutiös anhand von Primärquellen (Dokumente des Internationalen Strafgerichtshofs, originale Zeitdokumente, Satellitenaufnahmen, forensische Ermittlungen), die er über Jahre hinweg zusammengetragen hat, stellt sie in einen Kriegszusammenhang und diskutiert am Ende Schuld und Verantwortung.

Die Ursache des Mordens vom Juli 1995 sieht Fink nicht in einem wildgewordenen serbischen Nationalismus oder in einem Rachefeldzug wegen des in Ostbosnien seit 1992 von beiden Seiten oft verbrecherisch geführten Krieges, in dem sowohl bei der serbischen wie bei der bosniakischen Bevölkerung es sehr viele zivile Opfer von Kriegsverbrechen (Zerstörung von Dörfern und Bauernhäusern samt Ermordung ihrer Bewohner - Männer, Frauen, Kinder), sondern in der Politik der Serbischen Republik (diese gibt es auch heute noch als eine der beiden Teilstaaten Bosnien-Herzegowinas).

Die tiefe Ursache, warum es zu diesem Massaker kam, lag für Fink in den vom Parlament der damals nicht anerkannten Serbischen Republik beschlossenen Kriegsziele vom 12. Mai 1992, welche sechs Punkte umfassten:

1. "Trennung von den beiden anderen Volksgruppen" (d.h. von Bosniaken und Kroaten)
2. Korridor zwischen Semberija und Krajina
3. Korridor im Drinatal
4. Errichtung einer Grenze an den Flüssen Una und Neretva
5. Teilung von Sarajevo in einen serbischen und einen moslemischen Teil
6. Zugang zum Meer für die Serbische Republik

Bei dieser Sitzung erkannte Ratko Mladic, dem Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Armee, bereits, dass die Trennung zweier Volksgruppen, die seit Jahrhunderten im selben Gebiet lebten, nur durch Vertreibung der Bosniaken durchgeführt werden kann, und er sah voraus, dass diese nicht freiwillig gehen werden. Er merkte bei dieser Parlamentssitzung an: "Ich weiß nicht, wie Herr Krajisnik und Herr Karadzic das der Welt erklären werden. Leute, das ist Völkermord."

Diese Erkenntnis hinderte Mladic jedoch nicht daran, die Massenmorde vom Juli 1995 zu organisieren und zu leiten, an denen nach der umfangreichen Dokumentation der vorhandenen Quellen kein Zweifel besteht, schon gar nicht mehr, da seit Anfang der 2000er Jahre es möglich ist, die Toten in den durch Satellitenaufnahmen schon 1995 belegten Massengräbern mittels DNA-Proben zu identifizieren. Zweifel an der Täterschaft bosnisch-serbischer Einheiten (Militär und Polizei) können nicht bestehen, viele der Täter sind namentlich bekannt und wurden zum Teil auch ausgeforscht.

Am Ende wird die Frage nach der Verhinderbarkeit bzw. den Verantwortlichkeiten Jugoslawiens (Serbien und Montenegro), der UN und der bosnischen Regierung unter Izetbegovic gestellt.

Ein Gutheißen oder eine Beteiligung durch das offizielle Jugoslawien sei nicht zu bewiesen. Milosevic habe mehrfach gedrängt, den von der sog. Kontaktgruppe vorgelegten Teilungsplan Bosniens, der eine große Serbische Republik und eine kroatisch-bosniakische Konföderation vorsah, anzunehmen, da diese Teilung praktisch alle serbischen Kriegsziele beinhalte, den Krieg beende und die Sanktionen gegen Jugoslawien beende. Die Republik Serbien unter Karadzic lehnte den Plan ab, da bosniakische Enklaven in Ostserbien nicht akzeptabel seien.

Die in der Sicherheitszone stationierten niederländischen UN-Einheiten waren machtlos, was aber nicht an ihnen selbst gelegen sei, sondern sie mussten unter Bedingungen handeln, welche ihre Möglichkeiten bei weitem überschritten:

- Massive Unterversorgung an Material
- Keine Befehle, Angriffe abzuwehren, sondern Befehl, sich bei Angriffen zurückzuziehen
- Kein UN-General verhandelte mit General Mladic, sondern Oberstleutnant Karremans (Assymetrie)
- Die angeforderte Luftnahunterstützung beim serbischen Angriff wurde abgelehnt

Für Fink lagen die Unzulänglichkeiten nicht bei den Holländern, sondern bei den höchsten Verantwortlichen des UN-Einsatzes. Die Holländer wurden alleine gelassen und schließlich zum Sündenbock.

Kritik wird auch an bosnischer Seite geübt. Die Regierung Izetbegovic habe mehr oder weniger ausschließlich Interesse an Sarajevo gehabt, die 28. Divison der bosnischen Armee war ebenso wie die Holländer mehr oder weniger auf sich allein gestellt und dementsprechend desorganisiert und disziplinlos. Für eine Abwehr eines bosnisch-serbischen Angriffs war sie nicht gerüstet und dies war wohl der Grund, warum der Großteil der Soldaten Tage vor dem serbischen Angriff in einer Kolonne einen Ausbruchsversuch auf die bosniakische Seite versuchte (nur wenige gelangten in Sicherheit, die meisten wurden gefangen genommen und erschossen).

Ob es einen Handel zwischen Izetbegovic und Karadzic gegeben hat, die ostbosnischen Enklaven gegen serbische Vororte auszutauschen, und deswegen die 28. Division nicht unterstützt wurde, ist laut Fink nicht belegbar, auszuschließen sei es aufgrund von Indizien, wie vorgegangen wurde, jedoch nicht.

Infolinks im Spoiler

Der Autor:
https://www.zeit.de/2015/28/massaker-von-srebrenica-serbien-1995-vorhersehen-verhinderung (Artikel)

Rezensionen:
https://www.sueddeutsche.de/politik/jugoslawien-krieg-der-geplante-massenmord-1.2593477
https://www.deutschlandfunkkultur.de/srebrenica-die-verschwoerung-des-schweigens.1270.de.html?dram:article_id=327710