Narrenschiffer
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Robert Harris - Fatherland
19.11.2018 um 22:29Wahrscheinlich die Mutter der "Deutschland hat den Krieg gewonnen"-Romane. Herausragend definitiv ist, dass es ein spannend zu lesender Thriller im nationalsozialistischen Berlin des Jahres 1964 (mit all dem Speer-Architekturklimbim) ist.
Ein paar Tage vor Hitlers 75. Geburtstag wird der Kriminalkommissar Xavier March (ich nehme den Namen der englischen Originalausgabe) in einen Mordfall gezogen, den er ermitteln soll, der ihm aber von der Gestapo unter Odilo Globocnik abgenommen wird, was Xavier jedoch nicht hindert, auf eigene Faust weiter zu arbeiten.
Im Laufe seiner Recherchen wird er immer tiefer in Machenschaften alter Nazis im Generalgouvernement Polen reingezogen, die bis auf einen allesamt auch ermordet wurden, und freundet sich mit einer US-Journalistin (Charlotte Maguire) an. Er schafft es an den Inhalt eines Schweizer Banksafes zu kommen, was ihm die Augen öffnet: es geht nicht um Kunstdiebstahl, sondern die Ermordung der europäischen Juden. Der brisante Inhalt sind die Dokumente der Wannseekonferenz und eidesstattliche Protokolle über Inspektionen in Vernichtungslagern.
Die letzten vier lange überlebenden Teilnehmer der Wannseekonferenz haben während des Kriegs die Dokumente in einem Schweizer Banksafe verwahrt und wollen sie wohl an die Öffentlichkeit bringen, als Heydrich (Nachfolger Himmlers) mit Globicnik alles dransetzen, dies zu verhindern und einen nach dem anderen ermorden lassen.
Während die US-Journalistin mit diesen Dokumenten Richtung Schweiz flieht, um sie in der New York Times veröffentlichen zu lassen, wird Xavier im Gestapo-Keller gefoltert, um ihn schließlich bei einer Scheinbefreiung in einem Auto der Amerikanerin nachfahren zu lassen. Er schafft es, den Chauffeur nach Auschwitz-Birkenau zu lotsen, wo er als Rest noch einen Ziegelstein findet.
Ende. Ob es Charlotte gelingt, die Dokumente auszuführen und zu veröffentlichen, erfahren wir nicht.
Harris dreht folgendermaßen an der historischen Schraube:
Der deutschen Wehrmacht gelang es 1942 an der Wolga, den Nachschub der Sowjets zu blockieren, jedoch nicht die gesamte Sowjetunion zu erobern. Sibirien ist noch immer in kommunistischer Hand, der Krieg ist nicht zu Ende.
Mit Großbritannien unter König Edward und Königin Wallis wurde 1944 Frieden geschlossen.
Nach dem US-Atombombenabwurf auf Hiroshima ließ Deutschland eine V-3 über New York erscheinen, um zu zeigen, dass es die USA angreifen kann. Seitdem herrscht Kalter Krieg zwischen den USA und Deutschland. Während der Roman spielt (vor dem 75. Geburtstag Hitlers) gibt es eine Annäherung, der US-Präsident Joe P. Kennedy (der Vater von John F. und verbürgter Antisemit) kündigt eine Reise nach Deutschland an.
Der polnische Widerstand ist immer noch aktiv und verübt Terroranschläge.
Westeuropa steht unter deutscher Einflussnahme, Deutschland ist der industrialisierte Wirtschaftsmotor, die Reichsmark Leitwährung. Zwölf Staaten haben sich unter der Führung Deutschlands zu einer Europäischen Gemeinschaft zusammengeschlossen. Die Flagge: zwölf gelbe Sterne im Kreis auf blauem Grund.
Manchmal etwas dick aufgetragen mit Ecken und Kanten in der Handlungslogik, aber durchaus eine Leseempfehlung.