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Jörn Leonhard - Die Büchse der Pandora
02.09.2018 um 10:47Dies war meine Sommerlektüre, eine durchwegs interessant zu lesende tausendseitige Geschichte des Ersten Weltkriegs des Freiburger Historikers, in der er sich nicht auf Schlachtenabläufe, sondern auf den durch den Krieg initiierten weltweiten gesellschaftlichen und politischen Wandel konzentriert, wobei auch Dokumente einfacher Soldaten in die Darstellung einfließen.
Die mir ins Auge stechenden Hauptthesen sind folgende:
- Differenzierung der Alleinkriegsschuld Deutschlands
- Erstmal ein Volkskrieg mit gesellschaftlichen Auswirkungen in allen kriegsführenden Staaten
- Deutschland bleibt Großmacht, ist in Zentraleuropa durch Zusammenbruch Österreich-Ungarns gestärkt
- Im Raum der zusammengebrochenen Reiche endet die Gewalt nicht mit 11. November 1918
- Revisionsbestrebungen bestimmen die Politik zum Teil bis in die Gegenwart
Meine ausführlichen Notizen sind in diesem Spoiler
Zeitleiste
- Kriegsbeginn: Nicht nur Deutschland, auch Russland auf See blockiert ... Schwarzes Meer, Ostsee
- Herbst 1914: Marneschlacht ... Ende des Bewegungskriegs
- Besatzungsraum Ober Ost ... Militärregime als Besatzunsmacht
- 1915/16 ... Eroberung Serbiens ... Ö-U Kriegsziel erreicht
- Am 22. April 1915 erster deutscher Gasangriff bei Ypern
- Am 7. Mai 1915 Lusitania .. nach zweiter Versenkung mit US-Toten Einstellung der Angriffe gegen Handelsschiffe, um den USA keinen Kriegsgrund zu liefern.
- Am 23. Mai 1915 Kriegseintritt Italiens.
- 1916 Einführung der Wehrpflicht in Britannien
- Osteraufstand und Ausrufung der Republik Irland militärisch niedergeschlagen
- Frühjahr 1916 ... Verdun
- Zweite Hälfte 1916 ... Somme
- Am 15. September 1916 ... Einsatz erster britischer Panzer
- März 1916 ... Schlacht am Naratsch-See
- Ab Juni 1916 ... Brussilow-Offensive
- Sommer 1916 ... Unterstellung der österreichischen Armee unter deutschen Befehl
- August 1916 ... Kriegseintritt Rumäniens auf Seiten der Entente. Versprechen: Siebenbürgen, Banat, Teile der Bukowina. Absicherung gegen Bulgarien.
- Am 21. Oktober 1916 Ermordung des österreichischen Ministerpräsidenten Stürghk
- Am 21. November 1916 Tod von Kaiser Franz Joseph, Nachfolger wird der 29-jährige Karl
- November 1916 Gründung des Königreichs Polen unter Schutz von Deutschland und Österreich
- Im Dezember 1916 löste der konservative Rüstungsminister Lloyd George den Liberalen Asquith ab und installierte eine sechsköpfige Kriegsregierung mit erheblichen Vollmachten
- Hindenburg-Plan ... Zentralisierung der Wirtschaft
- Am 1. Februar 1917 begann der uneingeschränkte U-Bootkrieg
- Am 3. März 1917 dankt Zar Nikolai ab
- Am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg
- Am 9. April 1917 verließ Lenin Zürich in Richtung Russland
- Am 25. Oktober (jul.) 1917 Revolution in Russland
- Am 5. Dezember 1917 Waffenstillstand zwischen Russland und Deutschland
- Am 7. Dezember 1917 erklärten die USA den Krieg an Österreich-Ungarn
- Am 9. Februar 1918 Sonderfrieden zwischen der Ukraine und den Mittelmächten
- 1918 Beginn systematischer Luftangriffe der Deutschen und von Gegenangriffen der Entente
- Am 3. März 1918 Frieden von Brest-Litowk. Deutschland erhielt als Besatzungsmacht Polen, das gesamte Baltikum, die Ukraine und Weißrussland, Finnland wird staatlich unabhängig, fast alle Kaukasusgebiete wurden von Russland abgetrennt.
- Am 21. März 1918 Beginn der Michael-Offensive, welche die Deutschen noch einmal über die Marne brachte
- Eine österreichische Offensive ab dem 15. Juni 1918 konnte die italienische Armee am 20. Juni 1918 abwehren und bei Gegenangriffen an der Piave und in Tirol waren die österreichischen Verluste so hoch, dass sie nicht mehr kompensiert werden konnten.
- Am 18. Juli 1918 leiteten die Alliierten den Gegenangriff ein, was die Deutschen schließlich in die kriegsentscheidende Defensive brachte. Der Rückzug begann. An der Somme eröffneten die Alliierten eine neue Offensive.
- Gleichzeitig begannen alliierte Offensiven an der Salonikifront, der Alpenfront und gegen das Osmanische Reich.
- Der Panzerangriff bei Amiens am 8. August 1918 führte zu Zerfallerscheinungen bei der deutschen Armee, ganze Einheiten ergaben sich, auch die Spanische Grippe reduzierte die Einheiten, welche nicht mehr ersetzt werden konnten. Eine Stabilisierung erfolgte an der Hindenburglinie.
- 14. September 1918 Friedensnote Österreich-Ungarns
- Am 29. September 1918 Waffenstillstand mit Bulgarien
- Am 29. September 1918 informierte Ludendorff den Kaiser, dass Waffenstillstandsverhandlungen aufgenommen werden sollen und die Regierung parlamentarisiert werden soll. Die Armee könne keinen Frieden mehr aufzwingen, da die Verluste nicht ersetzt werden können, die Soldaten würden umsonst sterben.
- Am 3. Oktober 1918 wird Max von Baden Kanzler einer Parlamentsregierung mit Mehrheit von Zentrum, SPD und Linksliberalen. Baden sucht bei Wilson um Waffenstillstand auf Basis der 14 Punkte an.
- Am 18. Oktober 1918 forderte Wilson die Anerkennung eines tschechoslowakischen und jugoslawischen Staats.
- Am 21. Oktober 1918 bot Deutschland die Räumung der besetzten Gebiete und die Einstellung des U-Bootkriegs an.
- Am 23. Oktober 1918 machte Wilson klar, dass es bei Verhandlungen mit monarchischen und militärischen Führern nur eine Kapitulation geben könne.
- Am 24. Oktober 1918 erklärte Ungarn unter Premier Karolyi die Unabhängigkeit.
- Am 26. Oktober 1918 wurde Ludendorff entlassen und er ging nach Schweden ins Exil.
- Am 28. Oktober 1918 erklärte der Tschechoslowakische Nationalrat unt Masaryk die Unabhängigkeit.
- Am 29. Oktober 1918 wurde in Zagreb das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen proklamiert.
- Am 30. Oktober 1918 Einnahme von Vittorio Veneto durch Italien, Trennung der Habsburger Armeen im Süden und Tirol.
- Am 31. Oktober 1918 übergab die habsburgische Marine Pula und Cattaro an den Jugoslawischen Nationalrat und verlor damit die Adriaküste.
- Am 1. November 1918 Rückruf der ungarischen Truppen durch die ungarische Regierung, Kaiser Karl verfügte die Eingliederung der Soldaten in die jeweiligen Nationalarmeen. Das Habsburgreich gibt sich auf.
- Am 3. November 1918 besetzte Italien Triest und Trient, der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und der Entente trat in Kraft.
- Am 4. November 1918 Waffenstillstand Österreichs mit Italien, um den das AOK zwei Tage zuvor gebeten hatte. In diesen zwei Tagen wurde Triest von Italien eingenommen. Die österreichischen Verluste waren enorm.
- Am 4. November 1918 Höhepunkt des Matrosenaufstands in Kiel und Ausweitung auf ganz Deutschland.
- Am 7. November 1918 Ausrufung der Räterepublik in München.
- Am 9. November 1918 rief Scheidemann die Republik aus, Ebert wurde Kanzler des Volksdeputiertenrats. Max von Badens Aufruf an den Kaiser abzudanken war irrelevant. Ziel: Wahl einer Nationalversammlung.
- Am 11. November 1918 Abdankung Karls als österreichischer Kaiser
- Am 11. November 1918 unterzeichnet Deutschland den Waffenstillstand
- Am 12. November 1918 wurde die deutschösterreichische Republik ausgerufen.
- Am 13. November 1918 Abdankung Karls als ungarischer König
- Am 18. Jänner 1919 begannen die Pariser Friedensverhandlungen unter Ausschluss der Mittelmächte
- Am 7. Mai 1919 wurde Deutschland der Versailler Vertrag überreicht. Sämtliche deutsche Änderungswünsche wurden unter Androhung einer Besetzung Deutschlands abgelehnt. Kanzler Scheidemann trat zurück. Das Parlament nahm den Vertrag an.
- Am 28. Juni 1919 unterzeichnete die deutsche Delegation den Versailler Vertrag.
- Im Juni 1919 wurde die deutsche Flotte in Scapa Flow versenkt
Fortlaufende Notizen
Kriegsschuld ... keine Einhegung wie bei den Kabinettskriegen, den Kolonialkrisen oder den Balkankriegen. Hochwach, keine Schlafwandler. Österreichische und deutsche Schuld ist heruntergespielt.
Anonymisierung und Bürokratisierung des Tötens durch Artillerie, nur noch 1% der Toten durch Nahkampf. Die Verteidiger besitzen gegenüber den Angreifern aufgrund von MGs und Artillerie die Überhand.
Reichstag entmachtet sich nach Zustimmung zu Kriegskrediten. 57 Generalkommandeure und Festungskommandanten übernehmen die zivile Kontrolle.
In Österreich war schon im März das Parlament sistiert, Armeeoberkommando und Kriegsüberwachungsrat übernehmen zivile Kontrolle; in Ungarn wurden die Minderheiten marginalisiert.
Ethnische Übergriffe vor allem gegen Serben und ca. 100.000 Italiener wurden Anfang 1915 aus Südtirol evakuiert.
Nach dem Zusammenbruch von Przemysl half Deutschland und konnte große Gebiete gegen Russland erobern. 1915.
Bei Angriff Russlands auf Galizien fliehen 350.000 Juden nach Prag, Wien und Budapest.
Die Erfolgsquote deutscher U-Boote im Einsatz im Mittelmeer unter Beachtung der Prisenordnung war höher als im Zweiten Weltkrieg.
Italiens Abwendung vom Dreibund wegen der Annexion Bosniens. Später direkter Konflikt mit dem Osmanischen Reich. Neutralität 1914 wegen des defensiven Wortlauts des Dreibunds. In Verhandlungen lehnte Österreich die Abtretung des Trient wie Gebiete am Isonzo um Triest ab. Die Entente sah ihre Chance zu einer neuen Front, Italien erweiterte die Forderungen auf Südtirol und Dalmatien, in London wurde der Bündnisvertag am 26. April 1915 unterschrieben. Die italienischen Forderungen wurden erfüllt. Am 21. Mai bewillgte das Parlament die Kriegserklärung, die am 23. erfolgte.
Merkenswert: Das Trentino hatte unter der Habsburgherrschaft keine Autonomie. Der im Wiener Reichstag und im Tiroler Landtag als revolutionärer Sozialist vertretene Abgeordnete Cesare Battisti ging auf Seite Italiens in den Krieg, wurde von Österreich gefangen genommen und hingerichtet.
Kriegsziele Deutschlans 1915: Baltische Länder, Ober Ost mit Umsiedlungen, französische Kanalküste, Belgien. Das ist kein Verteidigungskrieg.
Wirtschaftlich entwickelt sich in Russland und Österreich ein Urbanisierungsprozess, der Arbeitskräfte von der Landwirtschaft in die Industrie zog. Die städtischen Lebensbedingungen verschlechterten sich rapide, was vor allem in Russland zu verstärkten Demonstrationen führte.
Zarin Alexandra (deutschstämmig) und Rasputin ... Fake News bezüglich sexueller Ausschweifungen gegen Ausländerin wie bei Marie Antoinette.
Der Massenmord an den Armeniern war Genozid, da ein Überleben nicht eingeplant war. Deutschland beteiligte sich an der Logistik, um das Bündnis wie die osmanische Ostfront zu stärken. Leitbild für die Jungtürken war ein ethnisch und religiös homogener Staat. Nach Rückzug der russischen Truppen 1917 aus Ostanatolien wurden die Massaker fortgesetzt.
Militärische Verluste Österreichs sind auf mangelnde Adaption der Kriegsziele an vorhandene Ressourcen bzw. auf das Beharren des AOK auf Eigenständigkeit (wenig Koordination mit der deutschen OHL) zurückzuführen.
Die Idee für einen Angriff auf Verdun stammt von Falkenhayn. Er sah keine Möglichkeit, den Krieg auf dem Schlachtfeld zu gewinnen. Es müsse mit Russland oder Frankreich ein Separatfrieden ohne Annexionen abgeschlossen werden. Die Entscheidung fiel auf Frankreich, ein Angriff auf die Festung Verdun solle diesem Zweck dienen.
Der Artilleriebeschuss der Deutschen au Verdun im Februar war so massiv, dass zen Munitionszüge pro Tag verschossen wurden. Problem: Ungenauigkeit bei den vielen Forts und der eigene Angriff wurde durch die Einschlagstrichter behindert. Aufwand und Verluste standen letztlich nicht im Verhältnis zum Ertrag. Die Artillerie vernichtete Strukturen wie Landschaft, gleichzeitig wurde Mann gegen Mann gekämpft.
Für Frankreich wurde Verdun zur nationalen Erfahrung, da wegen Petains Rotationsprinzip zwei Drittel aller Soldaten Frankreichs eingesetzt waren. Wegen seiner zu defensiv angesehenen Taktik wurde Petain durch Nivelle abgelöst, der mit seiner Feuerwalze (Artillerie und Infanterie rücken schrittweise vor) schließlich den Erfolg von Verdun für sich verbuchte. Petain galt dennoch als Nationalheld, weswegen ihm 1940 vermutlich die Aufgabe des Erhalts der französischen Nation anvertraut wurde. Nicht zuletzt weil Nivelles Offensive am Chemin des Dames scheiterte und wieder von Petain abgelöst wurde.
Nivelle galt als offensiver General und war bei Generalstab und Politik beliebt, während Petain bei den Soldaten wegen seiner Verlustreduzierung angesehen war.
Falkenhayn erreichte sein Ziel nicht, Frankreichs Verteidigungswille wurde nicht gebrochen, sondern gestärkt. Gesamtverluste: eine halbe Million Soldaten. Im August wurde er abgesetzt, Hindenburg und Ludendorff bildeten die neue OHL.
Auf die Idee mit dem Krieg aufzuhören kam keine Seite, wegen der Ehre, so wurden ab Juli die noch intensivieren Schlachten an der Somme geschlagen. Diesmal versuchten Franzosen und Briten die deutsche Front zu durchbrechen. Die Kämpfe dauerten bis November und waren die verlustreichsten des Ersten Weltkriegs.
Da die französische Armee noch in Verdun involviert war, lastete zunächst die Schlacht auf den Schultern der Briten, die im Jänner die allgemeine Wehrpflicht eingeführt hatten. Die meisten Soldaten verfügten daher über keinerlei Kampferfahrun. Trotz Überlegenheit in punkto Ausrüstung und Mannstärke wurde auch die Qualität der deutschen Stellungen unterschätzt. Auch waren ein Viertel der britischen Geschoße Blindgänger. Auch Freundbeschuss war ein britisches Fiasko und die Feuerwalze funktionierte nicht (schweres Gelände durch Geschoßtrichter gepaart mit unflexiblem zweiminütigem Vorrücken). Resultat: 10 km Gewinn bei 1,1 Mio Gesamtverlusten.
Douglas Haig erwiderte der Kritik, die Abnutzungsschlacht sei notwendig gewesen, um die Deutschen zu schwächen und sie ihrer Offensivkraft zu rauben. Strategisches Ziel sei der Frontdurchbruch und die Überleitung in einen Bewegungskrieg, denn nur an der Westfront sei der Krieg zu gewinnen. Um dies zu erreichen, muss die deutsche Armee massiv geschwächt werden.
Das Patt der Seeschlacht am Skagerrak im Mai 1916 führte in Deutschland zur Erkenntnis, dass Britannien auf See nicht niederzuringen ist. Die Strategie war nun, den Seehandel mit einem U-Boot-Krieg zu behindern.
Im März 1916 gelang Russland kein Durchbruch am Naratsch-See, was eigentlich das Ende russischer Bemühungen bedeutete. Daran konnte auch die Brussilow-Offensive gegen Österreich von Juni bis September nichts mehr ändern. Verluste: über zwei Millionen. Aufgrund der hohen Verluste war kein Gebietsgewinn nachhaltig und daher auch nicht kriegsentscheidend. Auch begann wegen der hohen Verluste der politische Konsens in den betroffenen Staaten zu erodieren.
Für Österreich änderte sich die Rolle in der Allianz: Das AOK wurde entmachtet und die österreichische Armee deutschem Kommando unterstellt. Auch war Österreich auf monatliche Hilfsleistungen in der Höhe von 100 Mio RM angwiesen. Diese Koordinierung führte aber auch zu Siegen im Osten und gegen Italien bis ins Jahr 1918.
Im Herbst 1916 konnte Rumänien zwar Hermannstadt und Kronstadt erobern, in einer Gegenoffensive nahm Deutschland Bukarest ein. Rumänien war damit ruhiggestellt und unterzeichnete im November 1917 einen Waffenstillstand.
Komplex die Lage in Griechenland. König Konstantin und Oberbefehlshaber Metaxa für eine wohlwollende Neutralität gegenüber den Mittelmächten, Regierungschef und Parlament für Kriegseintritt auf Seite der Entente. Diese war mit Salonikitruppen bereits im Land, beschoss Athen und Griechenland trat Ende 1917 in den Krieg ein. Die Grundlage für einen Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg war gegeben.
Großbritannien ist Ende 1916 mehr oder weniger bankrott und hofft auf weitere Kredite aus den USA. Auch in Deutschland ist der Staatsschatz aufgebraucht" Kriegsanleihen und das Drucken von Geld waren die Hauptfinanzierungswege, die einen Siegfrieden voraussetzten.
In Deutschland führte der Hindenburg-Plan zu einer engeren Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, da Menschen Arbeit erhielten und auch regulär bezahlt wurden. Dennoch ist die Versorgungslage schlecht. Im Krieg starben etwa 700.000 Menschen an Unterernährung. Wobei der Schwarzmarkt das Problem der Unterversorgung verstärkte.
1916 wurden auf Drängen der Ultrarechten Judenzählungen durchgeführt. Eine KFZ-Einheit ließ alle Juden an vorderste Front in Himmelsfahrtskommandos versetzen.
Österreich war von Lebensmittelknappheit, Inflation und Wohnungsnot geprägt. Vor allem Wien und Prag waren mit Flüchtlingen überfüllt. Aber auch Landflucht wie die Einziehung zum Militär verschärften die Lage.
Im Exil verstärkten Masaryk und Benesch die Bemühungen für einen unabhängigen tschechoslowakischen Staat. Ungarn blieb auch nach dem Tod von Franz Joseph bei seiner Politik der Ausgrenzung von Minderheiten und der Überzeugung, das Habsburgreich sei für die Sicherheit am besten.
In Russland verstärkte sich die Lage durch die katastrophalen Zustände, die hohen Opferzahlen und die ausbleibenden Siege. Die Legitimierung Zar Nikolaus' erodierte zusehends und im Dezember 1916 wurde der Vertraute der Zarin, Rasputin, ermordet. Die Liberalen in der Duma setzten sich zwar für eine Republik ein, wollten jedoch die Fortsetzung des Krieges nach Vorbild der Französischen Revolution.
Ein weiteres Merkmal Russlands war die ethnische Angst vor dem inneren Feind. Balten, Polen, Ukrainer, Kaukasier galten als unzuverlässig und illoyal. Diese Scheidung in inneren und äußeren Feind wurde auch ein Grundzug der bolschewistischen Herrschaft. Deutschland nutzt die ethnischen Konflikte im Westen Russlands sowohl für militärische Einheiten (zum Beispiel finnische) bzw. zur Erklärung der Unabhängigkeit inklusive Appell an US-Präsidenten Wilson.
Medizinisch wurden große Fortschritte im Bereich Chirurgie und Triage zur Erhöhung der Überlebensrate erzielt, psychische Traumata wurden bei Mannschaften versucht durch Gegentraumata zu heilen, die Methoden jedoch können getrost als Folter klassifiziert werden. Hintergrund ist, dass psychisch Traumatisierte als Drückeberger gesehen wurden und später ins Bild der Dolchstoßlegende passten.
Für Kriegsinvalide galt vor allem in Deutschland das Prinzip der Reintegration. Die Kriegsgesellschafft wollte nicht, dass ihre Opfer ihr auf der Tasche liegen. Daher wurde viel in die Entwicklung von Prothesen gesteckt, einem boomenden Wirtschaftszweig.
Um die Meinungshoheit zu erlangen, wurden verschiedenste Mittel eingesetzt. Die Briten kappten das Seekabel von Kontinentaleuropa in die USA, um ein Nachrichtenmonopol zu erlangen, und in praktisch allen kriegsführenden Ländern wurden Pressebüros errichtet und Zensurmaßnahmen eingeleitet. Aber viele Berichterstatter waren patriotisch gesinnt und dienten als eine Art eingebettete Journalisten, die Informationen vom Militär übernahmen.
Die Propaganda verlor sich jedoch häufig. Im hungernden Deutschland wurden Fotos von wohlgenährten Soldaten befremdlich aufgenommen, im Osmanischen Reich konnten sich die meisten keine Medienprodukte leisten, falls sie überhaupt lesen konnten. Da die Behörden sich dessen bewusst waren, lassen sich vor allem in den letzten beiden Kriegsjahren Tendenzen zum Überwachungsstaat erkennen.
Im Frühling 1917 änderte Deutschland seine Strategie. Einerseits wurde der uneingeschränkte U-Bootkrieg ausgerufen, andererseits gab es in Frankreich einen Frontrückzug auf die Siegfriedlinie mit etwa 110 km. Teil des Unternehmens Alberich war die komplette Zerstörung des Gebietes. Etwa 100.000 Einwohner mussten fliehen. Die französische Nivelle-Offensive scheiterte, es kam zu Fraternisierungen, etwa 20.000 französische Soldaten liefen zu den Deutschen über, Nivelle wurde durch Petain ersetzt, Foch wurde Oberbefehlshaber. Auch die britische Offensive bei Messines im Juni scheiterte. Die Schlacht beim Dorf Passchendaele wurde zur Ikone. Auch die Schlacht bei Cambrai zeitigte trotz britischer Überlegenheit keine Erfolge.
Die Deutschen sahen bei der Schlacht von Cambrai den Schreck vor Panzern überwunden, dennoch wurde die britische Art der Offensive mittels Verbindung von Infanterie und Panzer in den folgenden Kriegen des 20. Jahrhunderts prägend.
Die russische Februarrevolution entwickelte sich für die Mittelmächte anders als erwartet. Die neue Regierung setzte auf einen Verhandlungsfrieden und sah ab Mai mit dem Kriegsminister Kerenski die Kriegsführung in der Tradition der französischen Revolution. Ein Diktatfrieden war ausgeschlossen. Die Kerenski-Offensive scheiterte Ende Juli, in der russischen Armee begannen sich Auflösungserscheinungen zu zeigen. Die Deutschen leiteten eine Gegenoffensive ein.
Die zwölfte Isonzoschlacht Ende 1917 brachte für Österreich gemeinsam mit deutschen Truppen einen großen Erfolg. Italien konnte die Front erst knapp vor Venedig stabilisieren. Die italienische Armee flüchtete panisch. Für Italien war diese Schlacht Grundlage einer Dolchstoßlegende, dass Liberale und Linke diesen Krieg boykottierten. Einer der Gründe, wie Mussolini die Nachkriegsgesellschaft manipulieren konnte.
Der Kriegseintritt der USA ist auf den uneingeschränkten U-Bootkrieg und das Angebot Deutschlands an Mexiko zur Rückgewinnung von US-Territorien (Texas, Arizona, New Mexico) zurückzuführen (Zimmermann-Note), aber auch das Angebot eines Verständigungsfriedens (House-Grey-Memorandum) scheiterte. Wilson entwickelte die Idee von selbstbestimmten demokratischen Staaten, freiem Handel und einem globalen Sicherheitssystem. Für ihn wurde der Krieg zu einem Volkskrieg gegen alte aristokratische Herrschaften.
Mit dieser Internationalisierung stand Wilson Lenin gar nicht so weit entfernt, der den Krieg zu einem internationalen Bürgerkrieg umfunktionieren wollte.
Russland 1917 war geprägt von hoher Inflation und Versorgungsschwierigkeiten der wachsenden und sich industrialisierenden Städte. Es fehlten nicht nur Importe von Düngemitteln, sondern durch Mobilisierung und Landflucht fehlten Arbeitskräfte. Auch war die Transportkapazität zu gering, um ausreichend Lebensmittel in die Städte zu bringen. Generalstreiks, das Scheitern der Auflösung der Duma, die Bildung des Petrograder Sowjets und von Soldatenräten sowie Meutereien auf Kriegsschiffen und in Häfen führte dazu, dass am 3. März Zar Nikolai abdankte. Sein Bruder Michail lehnte die Zarenkrone ab.Die provisorische Regierung unter Lwow visierte ein Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung an, setzte jedoch auch den Krieg fort und konnte die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen. Die enttäuschte Erwartungshaltung der Bevölkerung bereitete den Boden für weitergehende Änderungen. Die nicht gewählte Duma wurde am 6. Oktober entlassen.
Kerenski legitimierte die Fortführung des Krieges einerseits mit Idealen der Französischen Revolution, andererseits sollte Russland gleichberechtigter Partner der Entente-Mächte sein. Die Kerenski-Offensive scheiterte weniger an der durch die Entente-Mächte aufgestockten Ausrüstung, sondern am Zweifel am Sinn einer Expansion sowie am Fehlen einer Identifikationsfigur. Identifikation boten die Bolschewiki, nämlich Frieden und Land.
Anfang Juli versuchten die Roten Garden, Angehöriger der Petrograder Garnison und Kronstätter Matrosen einen Umsturz, der scheiterte. Lenin floh nach Finnland. General Kornilow übernahm den Oberbefehl, versuchte den Einfluss Kerenskis und des Petrograder Sowjet zurückzudrängen und sogar abgesetzt. Kerenski, mittlerweile Regierungschef, führte am 9. September mehr oder weniger eine Regierungsdiktatur ein. Infolge schnitten die Bolschewiki bei Wahlen zu Sowjets sehr gut ab und Lenin kehrte nach Russland zurück.
Nach der Einnahme von Riga und deutschen Erfolgen im Baltikum bereitete die Regierung Russlands den Rückzug nach Moskau vor. Die Bolscheiki gründeten am 15. Oktober ein Militärisches Revolutionskomitee zur Verteidigung Petrograds. Dieses übernahm am 25. Oktober die Petrograder Garnison, besetzte strategische Punkte der Stadt und das Winterpalais. Kerenski floh in die US-Botschaft.
Am 26. Oktober verabschiedete der Allrussische Sowjetkongress eine Erklärung für einen annexionsfreien Frieden und ein Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie zur internationalen Revolution. Auch wurde das geheime Kriegszielabkommen zwischen Russland, Frankreich und Großbritannien veröffentlicht. Letztere wandten sich nun von Russland ab.
Die Landaufteilung von Großgrundbesitz und Kirchengütern - oft wild vollzogen - wurde legitimiert, Die Exekutive übernahm der Rat der Volkskommissare unter Führung von Lenin. Die bestehenden Sowjets wurden ihrer Exekutivgewalt beraubt, die im November demokratisch gewählte Verfassungsgebende Nationalversammlung wurde im Jänner 1918 gewaltsam aufgelöst. Die Bolschewiki bekamen nur 22,5 % der Stimmen.
Das Beamtentum wurde abgeschafft wie auch alte Hierarchien, Fabriken wurden Arbeiterkomitees unterstellt, Banken wurden verstaatlicht, Gerichte durch Revolutionstribunale ersetzt.
Oberbefehlshaber Duchonin weigerte sich mit Deutschland Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen, wurde erschossen und sein Nachfolger Krylenko nahm diese auf und wurde am 5. Dezember unterzeichnet.
Während der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk spielte Trotzki auf Geheiß von Lenin auf Zeit, um europäischen Revolutionen Raum zu geben. Deutschland rückte vor und förderte Sezessionsbestrebungen. Am 9. Februar 1918 schloss die Ukraine einen Sonderfrieden mit Deutschland und Österreich-Ungarn.
Medienkrieg über Nachrichtenagenturen, Reuters, Havas, AP. Besonderer Medienhype war Lawrence von Arabien, obwohl der Sykes-Picot-Plan weder für Araber noch für Juden (Balfour-Deklaration) eine Unabhängigkeit vorsah. Wirklich erfolgreich war auch die britische Armee in Palästina, die schließlich auch Jerusalem einnahm. In diese Armee waren auch drei rein jüdische Bataillone integriert.
Die sogenannte Friedensresolution des Reichstags (SPD, Liberale, Zentrum) am 19. Juli 1917 tritt für einen Frieden ohne Annexionen bzw. Reparationen ein. Falls die Entente nicht dazu bereit ist, wird der Krieg zur Entscheidung geführt.
Für die jüdischen Flüchtlinge aus Galizien wurde die Lage schlimmer. Deutschland schloss die Grenzen, in Österreich-Ungarn wurden sie der Feindspionage verdächtigt bzw. als Krankheitsüberträger gebrandmarkt. Während sie in der Monarchie noch Reichsbürger waren, hatten sie nach dem Krieg ihre Heimat verloren und galten als Fremde.
Österreich-Ungarn verlor innerhalb der Mittelmächte seinen Einfluss, als der Sixtus-Brief Kaiser Karls vom 24. März 1917 Anfang 1918 von Frankreich veröffentlicht wurde, in dem Karl einen Sonderfrieden anstrebte.
Dem Frieden von Brest-Litowsk stimmten die Bolschewiki nach langer Zeit der Hinhaltetaktik und großen Gebietsverlusten schließlich zu, um die Lage im Inneren zu stabilisieren, da erhoffte Revolutionen bei den Mittelmächten nicht stattgefunden haben. damit verlor Russland aber auch 89% der Kohlebergwerke sowie 73% der Eisenindustrie. Im Verlauf des Bürgerkriegs bis 1921 konnten die Ukraine, Georgien, Armenien und Aserbaidschan zurückerobert werden.
Die Ukraine ist ein Musterbeispiel für ein Gebiet, das kein Staat wurde. Außerhalb von Kiew konnte sich keine Macht durchsetzen, die Rada nicht, der von den Deutschen eingesetzte Hetman nicht. Warlords beherrschten das Territorium zum Teil bis 1924, Teile der Westukraine wurdun Rumänien, der Tschechoslowakei und Polen zugesprochen. Gewalt bestimmte das Land in unvorstellbarem Ausmaß, eine Generation bis zur Zeit Stalins prägend.
Die OHL versuchte im Frühjahr 1918 durch die Michael-Offensive den Krieg zu entscheiden. Optimistisch stimmte die frei werdenden Divisionen sowie Streiks und Meutereien in Frankreich. Auch wollte man ausnutzn, dass die amerikanischen Truppen noch nicht voll einsatzbereit waren. Unterschätzt wurde die durch Überdehnung schwieriger werdende Versorgungslage, sodass die Front stark verkürzt werden musste. Die Alliierten errichteten erstmals ein gemeinsames Oberkommando unter General Foch, auch wurden Lehren aus 1914 gezogen, sodass die Verlustrate geringer gehalten werden konnte.
Für beide Seiten kam nun nur mehr ein Siegfrieden in Frage, um die Kriegskosten ausgleichen zu können. Frankreich und Großbritannien fürchteten wegen der hohen Verschuldung bei den USA auch um ihre Weltmachtstellung. Die USA werden der einzige Staat sein, der wirtschaftlich vom Krieg profitierte.
Dass Deutschland sich an der Hindenburglinie stabilisieren konnte' lag auch darin begründet, dass Foch sich wegen der schieren Masse an amerikanischen Soldaten wieder auf verlustreiche Infanterieangriffe versteifte und nicht auf kombinierte Angriffe von Artillerie, Luftwaffe und Infanterie setzte.
Dennoch waren die deutschen Verluste so hoch, dass sie nicht mehr ersetzt werden konnten und die OHL einen Waffenstillstand anstrebte, der schließlich am 11. November 1918 unterzeichnet wurde. Die Bedingungen glichen eher einer Kapitulation: Elsass-Lothringen ging an Frankreich, der Rhein wurde Militärgrenze, die Flotte musste vernichtet werden. Eine bedingungslose Kapitulation mit Besetzung Deutschlands war jedoch auch nicht möglich, da die Alliierten ebenso nicht mehr die Kraft hatten, den Krieg nach Deutschland zu tragen. Auch fürchteten sie eine Infiltrierung ihrer Soldaten mit revolutionärem Gedankengut.
Das Kriegsende war für die alliierten Soldaten kein Weg nach Hause, sie wurden oft nach Deutschland oder in den Nahen Osten verlegt.,
Die Pariser Vororteverträge hinterließen sehr instabile Verhältnisse nicht zuletzt, da Wilsons Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht ausreichend umgesetzt wurde und die Form des Friedensvertrags sich fundamental von früheren unterschied, da mit der Festsetzung eines Alleinschuldigen eine moralische Komponente einfloss. Deutschland hatte noch ein mildes Los, da es aufgrund britischer Interessen den Großmachtstatus beibehielt. Die Schwächung 1815 war im Vergleich viel größer. Das östliche Europa und Anatolien blieben nach 1918 jedoch Kriegsraum.
Das kommunistische Russland, das nicht zu den Friedensverhandlungen geladen war, nutzte das Vakuum und schloss 1921 einen Freundschafts- und Brüderlichkeitsvertrag mit Kemal Mustafas Nationalversammlung sowie 1922 in Rapallo einen Vertrag über wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit ab, womit die Pariser Verträge de facto unterlaufen wurden. nachzulesen.
Infolinks zum Buch in diesem Spoiler
Verlagsinfo:
https://www.chbeck.de/leonhard-buechse-pandora/product/13152377 (Archiv-Version vom 19.09.2020)
Rezensionen:
http://www.sehepunkte.de/2014/07/24634.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/joern-leonhard-die-buechse-der-pandora-kollektive-irrtuemer-und-grosse-opfer-12882766.html
https://www.zeit.de/2014/15/joern-leonhard-buechse-der-pandora
http://www.fr.de/politik/zeitgeschichte/ersterweltkrieg/joern-leonhard-die-buechse-der-pandora-willentliche-eskalation-und-enthemmung-a-604482
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/die-buechse-der-pandora-und-die-sinnlosigkeit-1.18382385
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