In den letzten Tagen wurde das linksextreme Medienportal linksunten.indymedia vom Innenministerium verboten - einige Gedanken meinerseits zu der angewandten rechtlichen Begründung.



Quelle für alle Zitate ist der verlinkte Blog. http://blog.wawzyniak.de/plattform-und-vereinsverbot/
Aber seit wann ist eine Plattform ein Verein? Ist die Idee einer Plattform nicht vor allem Dingen die, das ein Platz zur Verfügung gestellt wird, auf dem verschiedene Leute verschieden Dinge publizieren können?
Meiner Ansicht nach wird die Vereinsfiktion nicht auf die Plattform ausgedehnt, sondern auf die im Folgenden Betreibergesellschaft genannte Personengruppe, Erklärungen folgen.
Wo kann ich finden, dass linksunten.indymedia ein Verein ist?
Unerlässlich für das weitere Verständnis ist, dass man weiß, was unter konkludentem Verhalten verstanden wird. Bitte nicht davon verwirren lassen, dass dieser Begriff in der Reichbürgerszene missbraucht wird, er ist elementares Handwerkszeug in der Rechtspflege. Achtung, Juristendeutsch Wikipedia: Schlüssiges_Handeln
Aus § 116 BGB kann mittelbar entnommen werden, was unter schlüssigem Verhalten zu verstehen ist. Danach ist von konkludentem Verhalten auszugehen, wenn der Erklärende nicht schriftlich oder mit Worten, sondern mit seinem nonverbalen Verhalten sein gewolltes Tun zum Ausdruck bringt. Diese Handlungen ermöglichen dann dem Empfänger einen mittelbaren Schluss auf den Rechtsfolgewillen des Erklärenden. Dieser Rückschluss des Empfängers auf den Rechtsbindungswillen des Erklärenden hat zur Bezeichnung „schlüssiges Verhalten“ geführt.
Vergegenwärtigen wir uns nochmal kurz den Soll-Zustand eines Vereins:

1. Es existiert ein Vereinszweck
2. Es exisitert eine Satzung
3. Es finden Vereinsversammlungen zur Beschlussfassung statt
4. Es exisitiert ein Vorstand, Kassenwart, Schriftführer
5. Es existiert Vereinsvermögen
6. Der Verein nimmt nach außen am gesellschaftlichen Leben teil, d.h. tritt öffentlich in Erscheinung, um den Vereinszweck zu verwirklichen

Wesentlich sind hier nur die Punkte 1,3 und 6. Die anderen Punkte müssen entweder überhaupt nicht (5) oder formal nur erfüllt sein, wenn es um die Eintragung ins Vereinsregister geht (2,4).

Weiter bei Wawzyniak - Bestandteil der Argumentatio des BMI:
„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“
Somit ist schonmal klar, dass es nicht um die Rechtsform geht, sondern nur um die faktische Vereinseigenschaft, ergo sind o.g. Punkte 1,3,6 zu prüfen.
Die im BGB für einen Verein vorgesehene Mindestanzahl von sieben Menschen soll für das Vereinsgesetz nicht relevant sein oder zumindest nicht, wenn es um Verbote geht. Mal sollen zwei Personen ausreichen, mal ist von drei Personen die Rede. Zumindest in der Kommentarliteratur ist die Frage der Mindestanzahl von Mitgliedern umstritten. Eine Rechtsprechung, nach der zwei Personen für einen Verein nach dem Vereinsgesetz ausreichen, habe ich in der kurzen Zeit nicht gefunden. Es gibt allerdings eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), nach der zwei Personen für eine kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB nicht ausreichend sein sollen. In der Entscheidung wird angedeutet, dass dies auch im Hinblick auf einen Verein nach Art. 9 GG gelten könne (vgl. Rdn. 8).
Wir stellen mit Adleraugen fest, dass 3 Personen als Empfänger der Verbotsnotiz fungierten (der Presse zu entnehmen). Kann man für Zufall halten, ist aber vor dem Hintergrund dieses Zitats eher bewusst gewählt.
Ein Blick in die Kommentarliteratur. Der Zusammenschluss setzt

„einen über ein nur faktisches Zusammenwirken hinausgehenden, bewussten und konstitutiven Akt voraus. Der Wille der Personen muss auf Vereinsgründung gerichtet sein und unter ihnen ein rechtliches Band knüpfen. Das kann vor allem, muss aber nicht, durch Vertrag geschehen. (…) Indizien, auf die ein Vereinigungswille gestützt werden kann, sind zB ein einheitliches Vereinsemblem, ein Auftreten der Mitglieder in geschlossener Front oder mit einheitlicher Kleidung und unter Transparenten bei Veranstaltungen oder eine bekanntermaßen eingeforderte Loyalität zwischen den Beteiligten.“ (Groh, Vereinsgesetz, § 2, Rdn. 3).
Der bewusste und konstitutive Akt ist mit dem Beschluss, eine Website zu betreiben, gegeben.

Der Wille zur "Vereins"gründung kann problemlos daraus abgeleitet werden, dass man natürlich vorhat, diese Seite gemeinsam weiterzubetreiben und dies auch über Jahre getan hat. Der Indizienkatalog liest sich wie eine Checkliste für linksunten: Vereinsemblem ist gegeben, einheitliches Auftreten, geschlossene Front und auch Transparente gab es. Über die Loyalitätsforderung brauchen wir nicht reden, diese sind der Linkenszene immanent (vg. Anna und Arthur...)
Für eine Einstufung als Verein muss ein gemeinsamer Zweck verfolgt werden. Dieser soll die ausschlaggebende Motivation der Mitglieder sein. Denkbar sind alle möglichen Zwecke. So kann der Zweck ein politischer sein, ein sportlicher, ein künstlerischer oder ein wirtschaftlicher. Was ist der gemeinsame Zweck von Plattformbetreiber*innen? Die einen mögen sich für Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzen, andere wiederum für die Propagierung einer bestimmten politischen Richtung und wieder andere wollen gern richtig fett verdienen.
Hier irrt mMn Wawzyniak bzw. sie bleibt eine Metaebene zu tief - der Zweck der Plattform in ihrem Beispiel ist tatsächlich zu diffus. Nimmt man aber die Fiktion der "Betreibergesellschaft" an, ist der Zweck klar - der Betrieb der Plattform!
Bleibt als letztes Kriterium noch die organisierte Willensbildung, die ebenfalls Bedingung ist um ein Verein zu sein. Und hier stellt sich explizit die Frage, ob Betreiber*innen einer Plattform hinsichtlich der auf der Plattform eingestellten Inhalte einer organisierten Willensbildung unterliegen. [1]

„Ein eigenständiges Vereinsleben, das auch seine organisierte Gefährlichkeit ausmacht, kann ein Verein nur entfalten, wenn er als geschlossene Organisation agieren kann, die die einzelnen Handlungen von Mitgliedern systematisch koordiniert. Die vereinsintern organisierte Willensbildung ist daher das wichtigste Merkmal eines Vereins. (…) Weder muss die Organisation der Willensbildung satzungsmäßig festgelegt sein. Noch brauchen spezifische Vereinsorgane wie ein Vorstand oder eine Mitgliederversammlung eingesetzt zu sein. Auch die Beschlussfassung selbst muss nicht in bestimmter Weise – demokratisch oder hierarchisch – organisiert sein. (…) Um ein Verein zu sein, müssen sich die betreffenden Personen zum Einen subjektiv untereinander als einheitlicher Verband fühlen (…) Zum Anderen muss ihre Organisationsstruktur wenigstens faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lassen.“ [2](Goth, Vereinsgesetz, § 2, Rdn. 9)

Und wie soll eine systematische Koordinierung der Meinungsbildung stattfinden, wenn es keine Satzungsbestimmung, keine spezifischen Vereinsorgane oder Mitgliederversammlungen gibt? Vielleicht hilft ja das Bundesverwaltungsgericht weiter. Dieses entschied im Mai 2015:

„Die vom Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung, der die Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin prinzipiell untergeordnet sein müssen bzw. die diese kraft eigenen Entschlusses als prinzipiell beachtlich werten, erfordert weder eine Satzung noch spezifische Vereinsorgane. Ausreichend ist eine Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt.“

Das BVerwG hat in einer weiteren Entscheidung gesagt, es reiche für eine organisierte Willensbildung eine auf faktische Unterwerfung beruhende autoritäre Organisationsstruktur aus. [3]
[1] Da zum Einen linksunten scharf moderiert war, es zum Anderen laut Behördenangaben regelmäßige Treffen in der Freiburger KTS gab, auf denen die gemeinsame Linie zumindest informell geklärt wurde, dürfte dieser Tatbestand erfüllt sein.

[2] Das Fühlen als organisatorische Einheit ist vielfach durch Eigenzitate belegt, so z.B. "Der Angriff gilt uns allen" usw.

[3] Das ließe sich auch begründen - de facto ist eine hierarchische Struktur schon durch den technischen Aufbau von Websites gegeben - Hosting-Verantwortlicher steht über Admin über Mod über User. Die Person, auf die das Hosting läuft bzw. die es bezahlt, ist im Effekt auch der Vereinsvorstand, da ohne deren Zustimmung jederzeit das Projekt beendet werden kann.

Dann kommt bei Wawzyniak einiges zu Rechtsfolgen und Widerspruch, finde ich heute erstmal uninteressant. Weiter geht es aber:
Und hier ist jetzt die konkrete Verbotsverfügung interessant. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat 1971 klare Kriterien aufgestellt: Die betroffene Vereinigung muss so bestimmt bezeichnet sein, dass ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in einer die Vollziehung ermöglichenden Weise gekennzeichnet wird und dass die missverständliche Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen nicht betroffene Personen ausgeschlossen ist. Darüberhinaus ist eine ihrem Wesen nach rechtlich unbedenkliche Vereinigung nicht deshalb, weil sie sich mit einem Teil ihrer Betätigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, verboten und aufzulösen, sofern die verfassungsfeindliche Tätigkeit mit milderen Verwaltungsmitteln wirksam verhindert werden kann.
Das erklärt, warum nur die Personen, die mutmaßlich mit dem Hosting zusammenhängen, belangt werden: lässt sich technisch feststellen (Bankverbindung, IP-logging bei Seitenwartungen bzw. Admin-Handlungen)...
Da wird dann der § 3 Vereinsgesetz noch einmal interessant, wenn berücksichtigt wird, dass es sich um eine Plattform handelt. Ein Verbot kann nur ausgesprochen werden, wenn die Zwecke oder die Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Es müsste jetzt also konkret nachgewiesen werden, dass das Betreiben der konkreten Plattform Strafgesetzen zuwiderläuft („Zweck“) oder die konkrete Tätigkeit oder gegen die verfassungsgemäße Ordnung gerichtet ist.

[...]

Wenn bei der Plattform linksunten.indymedia auch zu Straftaten aufgerufen worden ist, dann muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit geprüft werden ob dies ein Teil der Tätigkeit der Plattform war oder die ausschließliche Tätigkeit.

Eine strafbare Tätigkeit iS des Art. 9Abs. 2 GG liegt nur vor, wenn sie von den Organen des Vereins angeordnet oder wenigstens mit deren Wissen und Einverständnis begangen wird. Immer muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die in innerem Zusammenhang mit dem Verein steht. Einzelne Straftaten des Vereins sind nicht bereits eine strafbare Tätigkeit (…). Es kommt vielmehr darauf an, ob sich der Gesamtcharakter der Vereinstätigkeit als strafbar erweist. Die strafbare Tätigkeit muss so im Vordergrund stehen, dass sie der Vereinigung das Gepräge gibt (…). Anders ist es nur, wenn der Verein gerade zur Begehung der Einzelhandlungen gegründet wurde, wenn also der strafbare Zweck und die strafbare Tätigkeit zusammenfallen (…). Auch hier gilt, dass nur Tätigkeiten in Betracht kommen, die dem Verein zuzurechnen sind.“ (Erbs/Kolhaas/Wache, VereinsG, § 3, Rdn. 13).
Wissen und Einverständnis der einzelnen unstrittig vorhandenen strafbaren Handlungen kann angenommen werden, weil linksunten wie bekannt stark moderiert wurde und z.B. politische Statements von rechten Gruppen, aber auch interne Auseinandersetzungen der Freiburger Szene regelmäßig entfernt wurden. Dementsprechend (Konkludenz!) muss angenommen werden, dass strafbare Inhalte, die regelmäßig oder auf längere Zeit stehenblieben, geduldet wurden.
Im Sinne der Verhältnismäßigkeit bliebe noch zu prüfen, ob es nicht gerade im Hinblick darauf, dass es sich um eine Plattform handelt bei der -so habe ich das verstanden- verschiedene Menschen/Organisationen verschieden Positionen/Meinungen vertreten, mildere Mittel gibt. Es wäre insoweit an eine Anweisung zu denken, konkrete Beiträge die Straftaten darstellen, zukünftig -auch strafbewährt bei Zuwiderhandlung-zu unterlassen, insbesondere wenn es sich um Kommentare zu Beiträgen handelt.
Das bleibt tatsächlich zu prüfen und wird noch spannend.

Ein Wort noch zum Vereinsvermögen:

Wenn wir die Fiktion der "Betreibergesellschaft" fortführen, existiert natürlich Vereinsvermögen. Zum Einen ist der reine Webspace zu nennen, der dem Verein zur Verfügung gestellt wird (dieser hat ja materiellen Gegenwert), zum Anderen ist es in ständiger Rechtsprechung allgemein anerkannt dass auch der Wiedererkennungswert von Wort- oder Bildmarken und Symbolen des Vereins (d.h. das Logo, das Design und die die bekannte Domain) einem materiellen Wert entsprechen und somit das Vereinsvermögen konstituieren. Eventuell extra zum Betrieb der Seite angeschaffte "saubere" Computer (in der Szene nicht unüblich, Stichwort Demohandy) etc. kommen ggf. noch dazu.

So, soweit die maximal Maas-freundliche Interpretation des Sachverhalts aus meiner Laiensicht.