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Emile Zola - Das Glück der Familie Rougon
24.02.2017 um 21:33Dies ist das erste Buch des 20-bändigen Rougon-Macquart-Zyklus, das 1871 erschienen ist.
Im Zentrum des Zyklus stehen die Nachkommen der vielen Halbgeschwister Rougon und Macquart, und dieser erste Band spielt im Dezember 1851 während des Putsches von Napoleon III., wodurch die Republik zerstört wurde, in einem erfundenen Ort namens Plassans in der Nähe von Nizza.
Die Mutter aller ist Adelaide Fouquet, eine nervenkranke Frau, die zweimal verheiratet war: einmal mit einem Arbeiter (der Rougon-Zweig) und nach seinem Tod mit einem Alkoholiker, der als Schmuggler und Wilderer sein Leben fristete (der Macquart-Zweig).
Gerahmt ist der Roman mit der Liebe zwischen dem 17-jährigen Silvère Mouret und der 13-jährigen Miette Chantegreil, die beide sich den Truppen der Republiksverteidiger anschließen und dabei sterben (Miette wird bei einem Angriff von regulären Truppen erschossen, Silvère bei der Gefangennahme von einem sadistischen Wächter ermordet).
Die Rückblende, als die beiden sich als 15- bzw. 11-Jährige kennen und lieben lernten, ist kulturhistorisch sehr, sehr interessant. Heutzutage wären sie wohl Kinder bzw. Silvère ein Pädo. Miette wird von ihren Zieheltern als Bauernmagd gehalten und als Kind bereits eine vollwertige Arbeitskraft und durchtrainiert, wie Zola sie beschreibt. Silvère ist ein stolzer Arbeiter, der von Miette eben wegen ihrer Hingebung zur Arbeit und ihrem starken Körper wie Intellekt angezogen ist.
Kern des Romans ist jedoch Pierre (Peter) Rougon, der sich in eine Kleinbürgerfamilie (Ölhändler) eingeheiratet hat. Seine Frau vor allem sieht im Putsch und der möglichen Machtergreifung der reaktionären Kräfte, wie Zola sie nennt, im Alter von weit über 50 eine Chance, aus dem Kleinbürgertum zu entkommen. Ihr Ziel ist, dass Pierre Steuereinnehmer in Plassans wird.
Um dies zu erreichen, wird während der chaotischen Umsturztage, als die Stadtregierung von den Verteidigern der Republik festgenommen und aus der Stadt gebracht worden ist, von der Familie Rougon genutzt, um einen Scheinangriff auf das Rathaus zu organisieren. Die betrogenen Republiksanhänger (mit Geld bestochen) werden niedergemetzelt, Rougon erhält aus Paris einen Orden, und mit der Feier aus Anlass der Ordensverleihung endet der Roman.
Der Ort Plassans ist Zolas Heimatort Aix-en-Provence nachgestaltet, aber sehr idealisiert, und mit der Teilung in drei Bezirke wird die Trennung der Gesellschaft sehr gut nachgezeichnet: ein Bezirk mit Adeligen und Großbürgern (spielt fast keine Rolle), ein Bezirk mit der bürgerlichen Mittelschicht (Anhänger der Reaktion und des Putsches) und ein Bezirk mit Arbeitern und Habenichtsen (Anhänger der Republik).
Wie viele Erstlinge ist dieser Roman doch sehr überfrachtet. Zu viele Personen, die allesamt Hauptfiguren sein könnten, aber sich letztlich zerfleddern. Erst gegen Ende findet der Roman seinen Fokus und Zola zeigt, welch Talent er ist.
Ein Aspekt, warum der Roman zum Teil etwas zäh zu lesen ist, liegt auch in der naturalistischen Überzeugung Zolas. Der Charakter von Personen ist geprägt von der genetischen Abstammung, und dies zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten. Somit begegnen wir letztlich nur egoistischen Opportunisten als Hauptfiguren. Ein sehr statisches und pessimistisches Menschenbild wird vermittelt.