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Napoleoni ist Ökonomin der London School of Economics und als Journalistin wie Schriftstellerin tätig. Dieses nun acht Jahre alte Buch setzt sich mit den ökonomischen und politischen Entwicklungen seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems 1989/1991 auseinander.

Theoretischer Ausgangspunkt ist Philip Bobbitts These der Transformierung des Nationalstaats zum Marktstaat, der nicht mehr im Interesse aller Bürger/innen handelt, sondern wirtschaftlichen Interessen freie Hand gibt.

Von Napoleonis vielen Einzelbeispielen möchte ich ihre interessantesten hervorheben.

Der Zusammenbruch der sowjetischen Wirtschaft habe die für die globale kapitalistische Wirtschaft verfügbare Arbeitskraft weltweit verdoppelt Dies sei die Ursache, dass Arbeitsbedingungen und Löhne in vormals "westlichen" kapitalistischen Staaten stagniert seien oder sich verschlechtert hätten. Das Outsourcing nach Osten habe nicht nur Westeuropa betroffen, sondern sehr brutal auch Arbeitskräfte in Mittelamerika.

Überhaupt sei der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Systems im sowjetischen Einflussbereich weltweit traumatisch gewesen, und für die Menschen in der ehemaligen Sowjetunion eine Katastrophe: zunächst seien sie von mobilen Banditen (Oligarchen wie Chodorkowski), die legal Unmengen an Staats- und somit Gemeinschaftseigentum für sich ins Ausland verfrachtet hätten, ausgeplündert worden.

Der angebliche Retter Putin sei jedoch auch nur als stationärer Bandit anzusehen: er lässt denjenigen, die er plündert, ein Minimum an Wirtschaftskraft, da er andernfalls die Wirtschaftskraft verlieren würde, welche er ausraubt.

Auch der westliche Wirtschaftsraum kommt nicht besser weg. Die Staaten werden zu Marktstaaten, und diesen interessiert nicht mehr eine menschenwürdige Existenz ihrer Bürger, sondern ausschließlich die Wirtschaftskraft. Dass sich dabei eine Schurkenwirtschaft in verschiedensten Varianten (slawische Sexsklavinnen, Drogenhandel, organisiertes Verbrechen etc.) frei entwickeln kann, sei dem geschwächten Marktstaat egal. Und damit unterscheide sich der Westen immer weniger vom totalitären Marktstaat China ("Werdet reich" - Deng Xiaoping).

Arbeitsbedingungen, Umweltschutz, Bevölkerungsinteressen ... wurscht, Hauptsache das Geld rollt (auch wenn Meere überfischt werden und auf chinesischen illegalen Fischereischiffen die Arbeiter jahrelang versklavt schuften müssen und nie an Land gehen können, weil sie keine Pässe haben. Und wenn an der westafrikanischen Küste ein Fischereischiff untergeht und die Mannschaft ersäuft, interessiert es auch niemanden).

Und mit solchen Beispielen geht das Buch weiter, und schließlich die Prognose für die nächsten Jahrzehnte: Entwicklungsländer werden nicht mehr nur die Werkbank des Westens sein, sondern durch Produktpiraterie großen Stils schließlich auch die Produktentwicklung an sich reißen. Nordamerikanische wie europäische Arbeiter/innen werden das globale Sweat-Shop-Proletariat bilden.

Am Ende versucht Napoleoni ihre eigene Dystopie zu relativieren. Das als Schurkenwirtschaftsraum zu Beginn des Buchs verteufelte Internet würde die beobachtbare Tribalisierung der globalen Gesellschaft aufgrund des Bildungspotenzials überwinden und das zinsfreie und solidarische islamische Bankwesen könnte die Weltwirtschaft auf neue Füße stellen.

Wie das funktionieren soll in einer westlichen Gesellschaft, deren Politk nicht mehr von Überzeugungen, sondern von Meinungsforschungsinstitutionen, welche die Ansichten der Wechselwähler für wahlsiegrelevant den ehemals ideologisch geprägten Parteien verkaufen und somit Populisten (rechts wie links - Musterbeispiele sind Berlusconi und Chavez) aufwerten bzw. in einer asiatischen Gesellschaft, in der China den Wirtschaftenden freie Hand gibt und politisch kritisch Denkenden die Staatsmachtkeule auf den Schädel schmettert, bleibt offen.

Dennoch: ein hochinteressant und gewinnbringend zu lesendes Buch. Auch sprachlich wendet sich Napoleoni nicht an wissenschaftliches Publikum.

Ein paar Infolinks im Spoiler

Die Autorin:
http://lorettanapoleoni.net/
Wikipedia: Loretta Napoleoni

Rezensionen:
https://www.socialnet.de/rezensionen/8975.php
http://www.suedwind-magazin.at/die-zuhaelter-der-globalisierung
http://oe1.orf.at/artikel/213412