"Spurensicherung. Zeitzeugen zum 17. Juni 1953" GNN Verlag
14.06.2016 um 15:06Erich Kocksch:
Stallwache mit Heugabeln
(Görlitz)
Seit Gründung der GST war ich deren Kreissekretär in Görlitz-Stadt und außerdem Mitglied des Kreisausschusses der Nationalen Front.
Am Morgen des 17. Juni 1953 fuhren ein Verantwortlicher der Nationalen Front und ich mit dem Krad nach dem Vorort Klingewalde, um dort eine Versammlung vorzubereiten. Von den Ereignissen in der Stadt hörten wir gegen 12 Uhr durch eine junge Arbeiterin aus der „Volltuch". Sie berichtete, daß in ihrem Betrieb gestreikt werde. Die meisten seien zu einer Demonstration gegangen, aber sie war lieber heimgefahren.
Natürlich kehrten wir sofort nach Görlitz zurück. Als wir vor dem Haus der Nationalen Front am Elisabethplatz anlangten, riß dort gerade ein junger Bursche mehrere Fahnen ab und wurde dabei fotografiert. Wahrscheinlich brauchte man Bilder für die Westpresse.
Der Kreisvorstand der GST befand sich in der Otto-Müller-Straße gegenüber der Arbeiter- und Bauernfakultät. Mitten auf der Straße brannte ein Haufen Bücher der ABF. Die Studenten hatten am Vormittag ihre Schule zu verteidigen versucht, waren aber von Hunderten „Demonstranten" überrannt worden, die danach alles Wertvolle verbrannten. Vor dem Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft hatte man ebenfalls Bücher und andere Gegenstände auf einen Haufen geworfen und angezündet.
Unser GST-Kreisvorstand war damals „Untermieter" in einer Privatwohnung, die im Erdgeschoß lag. Im zugehörigen Keller befanden sich u. a. unsere Kleinkalibergewehre sowie Munition. Wir hatten Glück. Denn als die „Demonstranten" eindringen wollten, hatte ihnen unsere Wirtin geistesgegenwärtig den Zutritt verwehrt und gesagt: „Hier sind nur Privaträume." Dagegen waren die im 1. Stockwerk gelegenen Räume der FDJ-Kreisleitung „besucht" und zerstört, der FDJ-Kreissekretär geschlagen worden. Wie er mir sagte, hatten sie auch mich „vornehmen" wollen. Er wirkte sehr bedrückt und war vor allem darüber enttäuscht, daß die SED-Kreisleitung uns über die Lage im unklaren gelassen hatte. Wie wir später erfuhren, waren die Genossen tatsächlich bereits am 16. Juni vorinformiert worden, hatten die Warnung aber nicht ernst genommen.
Nachdem ich die SED-Kreisleitung telefonisch nicht erreichte, rief ich alle großen GST-Grundorganisationen an. Es ging darum, unsere Kleinkaliberwaffen zu sichern und die Zerstörung der Stützpunkte zu verhindern. Bereits wenig später wurden alle Einrichtungen von zuverlässigen GST-Mitgliedern - und keineswegs nur von Genossen - bewacht. Im Reitstützpunkt Hugo-Keller-Straße waren es beispielsweise vor allem Lehrlinge aus dem VEB Waggonbau und anderen Betrieben, die, statt zu demonstrieren, zu ihren fünf Reitpferden gingen und bereit waren, den selbstgeschaffenen Stützpunkt mit der Heugabel in der Hand gegen jeden Eindringling zu verteidigen. Ich selbst kampierte noch zwei Tage und Nächte allein mit einem Schäferhund der Sektion Hundesport in den beiden Räumen der GST-Kreisleitung. So hatte unsere Organisation in Görlitz insgesamt keine Verluste. Dagegen waren die Kreisleitung der SED und das Rathaus zeitweilig von Provokateuren besetzt und verwüstet worden. Neben anderen Funktionären hatte man auch den Kreissekretär der SED, Genossen Weichold, sowie unseren Oberbürgermeister, Genossen Ehrlich, mißhandelt bzw. an der Spitze der Demonstration durch die Stadt getrieben.
Es dauerte einige Tage, bis das Leben in Görlitz wieder normal wurde. Für mich war ist der 17. Juni 1953 einer der vielen Versuche des Imperialismus, die verhasste sozialistische Ordnung zu erwürgen - so wie er es heute am liebsten mit Kuba tun möchte.
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