Youtube: Das Vermächtnis - Aphila & Methos Kap 1 Teil 3 von 3
Das Vermächtnis - Aphila & Methos Kap 1 Teil 3 von 3
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Die neun Monate waren fast herum. Für gewöhnlich war es da eine gute Idee, Zuhause abzuwarten, bis das Baby endlich da war – doch der monatliche Großeinkauf stand wieder an. Ihr abgelegenes Heim brachte den Nachteil mit sich, dass sie zu ihrer Versorgung regelmäßig in die Großstadt fahren mussten. Philipps Mutter bestand darauf, trotz ihres Zustandes mitzukommen und sein Vater sah leider ohnehin keine andere Möglichkeit, den dringenden Einkauf zu erledigen und seine Frau im Auge zu behalten. Verwandte und Freunde waren bei ihnen knapp bemessen, durch ihr bewusst gewähltes Leben am Rand der Gesellschaft. Somit waren sie auf sich gestellt.

Der Familienausflug brachte sie zu einer Einkaufsmeile. Wobei sie Philipp mehr wie eine Gasse vorkam, nur eben mit Läden zu jeder Seite. Während seine Eltern also das Nötigste besorgten, verbrachte er seine Zeit in der Kinderecke eines Buchhandels. Nicht unbedingt der unterhaltsamste Zeitvertreib für ihn. Er durchwühlte die Leseproben der Märchenkiste und stieß auf ein Buch, dass so ganz und gar nicht dorthin zu passen schien. Das Cover zeigte einen Mann mit dem Kopf eines Tieres – Philipp glaubte eine Ziege zu erkennen – und dieser saß im Schneidersitz mit dem Zeigefinger belehrend zum Leser gerichtet. In dem Jungen keimte gleich der Verdacht auf, dass ein Erwachsener das Buch versehentlich in die Kiste gepackt haben musste. Sein Gefühl sagte ihm, dass er es jetzt sofort zurücklegen und eventuell Bescheid geben sollte. Andererseits...

Die ersten Seiten bestanden bloß aus einer Aufführung der Kapitel, mit denen war er mit seinen 5 Jahren sowieso noch überfordert. Die Bilder waren, was er suchte – und fand. Es gab sehr viele verschiedene Symbole, teils wusste er sie zuzuordnen, so bei einer Mondsichel oder den Sternzeichen. Seine Mutter las immer ihr Horoskop. So harmlos blieben die Darstellungen jedoch nicht. Es folgten bildliche Beschreibungen von Mischwesen, Menschen mit Körperteilen von Tieren grotesk ineinander verschlungen. Anleitungen, wie der gut geführte Dolch die Adern kreuzte ohne schwerwiegenden Blutverlust zu erleiden. Philipp spürte die wachsende Verstörung in sich, das Buch selbst aber wirkte wie eine Fessel, die mit dornigen Widerharken seinen Kopf in Stellung behielt, den verbotenen Inhalt aufzunehmen und die Verderbnis über die bis dahin naive Kinderseele zu streuen.

Erst mit der letzten Bilderreihe, löste er sich zittrig vom Buch und warf es pochenden Herzens zurück in die Kiste. Das Gesehene flackerte in seinen Gedanken als viel zu schnelle Diashow auf. Sein Verstand sehnte sich nach Ruhe, Zeit zu verarbeiten. Zum Glück sah er seine Mutter auf sich zukommen: "Na, hat es dir hier Spaß gemacht? Dein Vater hat leichte Probleme mit dem Auto, darum fahren wir zwei jetzt mit dem Zug nach Hause und er kommt später mit den Sachen nach." Philipp ging mit ihr zum Bahnsteig, den Vorfall verschweigend.

Ihnen blieb kaum Zeit, der Zug fuhr jeden Augenblick in den Bahnhof ein. Sie beeilten sich so sehr es der Zustand der Schwangeren erlaubte. Dabei löste sich eines von Philipps Schuhbändern. Erst als sie beide keuchend, aber rechtzeitig an den Gleisen standen, bemerkte seine Mutter es. Ihr Sohn aber, nahm noch etwas ganz Anderes wahr. Ein Dröhnen in seinem Kopf breitete sich aus. Erst leise, äußerst leise – aber mit jeder verstrichenen Sekunde wurde es lauter, fordernder. Die Erinnerung des Mannes mit dem Ziegenkopf auf dem Buchcover drängte sich hervor und mit ihm verstärkte sich das unnachgiebige Dröhnen im Kopf des Jungen.

Ein zweites Dröhnen kündigte den herannahenden Zug an. Der Ziegenkopf wurde präsenter, aufdringlich. Weitere Erinnerungen umwaben Philipps Geist. Der Finger, am Abzug des Gewehres – diesmal war auf dem Zielfernrohr die Rune des Jägers aus dem Buch gezeichnet – er drückte ab. Der gewaltige Rückstoß warf das Kind um, doch die Kugel jagte auf ihr Ziel zu. Haut und Fleisch wurden durchdrungen – der Jäger hatte seine Beute erlegt.

Der Zug kam näher, das Licht der Scheinwerfer erreichte den Bahnsteig.

Philipp stand in der Küche bei seiner Mutter mit dem Abwasch. Seine Hand hielt eine Athame, einen Opferdolch. Unbeachtet, schnitt er die Seite des runden Bauches auf, holte die widerliche Albtraumfratze heraus – und stach zu.

Wenige Augenblicke noch, dann fuhr der Zug ein.

Die kleinen Kinderaugen sahen eine bewusstlose Mutter am Scheiterhaufen niederbrennen, unsichtbare Hände warfen sie ein Treppenhaus herab. Jeder Aufprall auf einer Stufe machte ein schmatzendes Geräusch und hinterließ eine rote Pfütze.

Ein hypnotisierendes Gelächter erklang in Philipps Kopf. Er hörte sich sagen: "Mami, kannst du mir den Schuh zu binden?" und seine liebreizende, fürsorgliche Mutter bejahte: "Aber natürlich, mein Schatz." Vorsichtig kniete sie sich vor ihn hin. Mit so einem Bauch war das gar nicht so einfach, seinem Sohnemann die Schuhe zu binden.

Der Zug raste an ihnen vorbei – noch fast in voller Fahrt, dabei abzubremsen.

Der mütterliche Bauch starrte ihn an. Das Grauen dahinter erahnend, glaubte Philipp die Fratze aus seinem Traum dort zu sehen. Es packte ihn. Der Ziegenkopf verlieh der unschuldigen, verletzbaren Kinderseele eine Kraft, tief aus den Abgründen aus der das Buch einst stammte. Gestohlen aus der Bibliothek des Mephistopheles
und versteckt in einer gewöhnlichen Kinderecke eines Buchhandels.

Die Zeit stand still, für Philipp. Das kleine Herz in seiner Brust schlug konzentriert, sandte die fremde Macht hinaus in den Körper. Noch immer befand sich der Zug mit hoher Geschwindigkeit in Fahrt. Er bündelte die Energie – und mit einem unnatürlichen, eines Kindes unmöglichen Schubsers, befreite er sich von der verhassten Last. Die Kinderhände schoben den Mutterleib fort, die Mutter schaute in Bruchteilen von Sekunden begreifend zu ihrem Erstgeborenen. Nicht in der Lage, Widerstand zu leisten. Unwissend, warum, unwissend, wie? Ihr Gesicht verzog sich zu einer entsetzten Angstgrimasse.

Bei diesem Anblick überkam Philipp zum ersten Mal in seinem Leben ein Gefühl, welches er noch sehr genau kennenlernen würde und welches ihn jedes Mal in Ekstase versetzten täte – den Kick der Grausamkeit.

Seine schwangere Mutter kam mit dem Kopf am fahrenden Zug auf und wurde mitgerissen. Prompt in diesem Augenblick lief auch die Zeit für Philipp wieder normal.

Der dumpfe Aufprall und der stumpfe Ton des mitgezogenen Körpers, der unter dem Gleis verschwand war alles, was er von seiner verschwindenden Mutter noch wahrnahm. Schreie um ihn wurden laut, andere Reisegäste hatten das "Unglück" mitverfolgt.

Später sollte er erfahren, dass Keiner ihn selbst schubsend gesehen hatte – sondern erst die Frau, wie sie gegen den Zug flog.

Philipp fühlte nichts, als die eigene Mutter geborgen wurde. Abtransportiert, schwerstens am Kopf verletzt. Die Diagnose würde bald "Hirntod" lauten, was das bedeutete, war für ihn nur zu erahnen. Die Gefühle setzten erst ein, als die Ärzte mit seinem Vater die Lage beredeten. Ihr Beileid, seine Frau war unrettbar – aber...

Wie durch ein Wunder war das Ungeborene unverletzt.

Philipps Schwester wurde per Kaiserschnitt herausgeholt, die Maschinen anschließend abgestellt.

Es vergingen Tage, für Philipp aber, stand er noch am Krankenbett seiner Mutter. Die Maschinen stellten ihren Dienst ein, die Kurve ihres Herzens wurde zu einer geraden Linie. Das Neugeborene lag sicher, warm und schreiend in des Vaters Armen.

Er war zum Mörder geworden. Der Mörder seiner Mutter. Das Leben, dass er auszulöschen gedachte, war dagegen noch immer da. Sein Geschwisterchen hatte trotz Allem überlebt.


Zum ersten Mal seit der Geburt seiner Schwester, war er in dieser Nacht müde genug um einzuschlafen. Ein stürmischer Wald, ähnlich dem, in denen sie lebten, umgab ihn. Nur war er weit wilder – ja, er wirkte zornig. Philipp versuchte den Weg nach Hause zu finden und folgte einem Pfad. Was er am Ende des Pfades sah, schoss ihm Tränen in die Augen.

Da stand sie nun, seine Mutter. Ohne dicken Bauch, einfach nur die Mutter, die er eigentlich so geliebt hatte. Zögerlich, schließlich heranstürmend, rannte er zu ihr. Sie sah ihn an, lächelte. Das Lachen einer Mutter, deren Welt ihr Kind war. Wenige Schritte trennten ihn von ihr. Ein Dröhnen wurde laut. Ein Schreck durchfuhr ihn, er wollte sie warnen – zu spät.

Der Zug kam rasend auf sie zu. Philipp wollte sie zu sich zerren, war aber noch zu schnell am Rennen, unfähig zu bremsen – und schubste sie.
Ihr Schrei und die Zugbremse gaben den selben schrillen Ton von sich.

Das Blut der Überfahrenen spritzte ihm ins Gesicht und vor die schützend davor gehaltenen Hände. Er besah sich das Blut mit stockendem Atem, Unbegreifen.
Er sprach: "Nein, nein das wollte ich nicht. Sie war doch, ich war... Ich liebe meine Mutter, wir waren eine Familie!" Ein Knarzen um ihn herum lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Bäume um ihn. Auf ihnen bildeten sich Fratzen, ähnlich denen aus des Mutters Bauch in seinem Albtraum. Sie riefen zu ihm: "Mörder, Muttermörder, Mörder!"

Der Junge rannte los: "Nein, nein , nein! Das wollte ich nicht. Nicht so! Ich wollte sie bloß für mich, ihre Liebe war für mich bestimmt!" Seine Füße trugen ihn weiter und weiter und weiter. Die Fratzen jagten ihn, von Baum zu Baum, selbst der Boden tat sich auf und noch mehr monsterhafte Grimassen beschuldigten ihn des Mordes. Schließlich wurde er langsamer, seine Füße verharrten auf der Stelle. Wie eine Statue unbeeindruckt von seiner Umwelt. Tränen strömten in einem Fluß aus seinen Augen. Plötzlich völlig bestimmend sagte er in ruhigem Ton: "Aufhören."

Augenblicklich herrschte Ruhe, die Fratzen warteten ab. Langsamen Schrittes setzte der Junge seinen Weg fort, das Ende des Pfades in Sicht. Da stand es nun. Das Kinderbett seiner Schwester. Die Schwester, die lebte, obwohl er sogar ihre gemeinsame Mutter umbrachte, um sie los zu werden. Jenes Lebewesen, dass er über alles in der Welt am meisten hasste. Still und friedlich schlafend lag sie da. Philipp spürte die schrägen Blicke der Monster auf sich ruhen, seine Reaktion erwartend.

Ein gutmütiges Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. Er hob sie aus ihrem Bettchen und nahm sie in die Arme. Behutsam besah er sich sie. Die Monster näherten sich versucht unauffällig, sahen ihm über die Schultern auf das Baby.
Endlich sprach er: "Du willst leben? Koste es, was es wolle?" Wie vom Blitz getroffen veränderte sich seine Mimik, der Wahnsinn, der sich durch das Buch, den Hass auf sie und die eigene Verachtung für die Tat in seine Kinderseele eingefressen hatte, drang durch und verschwand sofort wieder unter der Oberfläche eines wohlwollenden Grinsens: "Dann lebe – mit MIR an deiner Seite!"