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DVdEN - GG Kapitel 21: Erlösung (Hörbuch)
02.12.2015 um 18:08Abermals Entschuldigung für die Soundqualität, ist aber auch das letzte Video mit derartiger Ausuferung.
Gastsprecherin: Zerox
Die Worte ihrer Erkenntnis drangen aus Aphilas Mund als würden sie von einer Fremden ausgesprochen werden. Erst nach einigen Sekunden, realisierte sie den Inhalt ihres Satzes. Während sich ein Schock eiskalt durch ihren ganzen Körper zog verschmolzen ihre wirren Gedanken zu einem großen Fragezeichen. In diesem spiegelten sich all ihre durchlebten Momente mit Rufus an ihrer Seite wider. Von Methos und ihrer Ankunft in Rufus Gruppe, ihrem Gespräch am Lagerfeuer, der gemeinsamen Angst vor Methos und schließlich ihrer Flucht mit Aufnahme in diesem Lager, welche letztlich in einer Liebesnacht endete. All diese Erinnerungen wurden nun von einem Stich begleitet. Erst jetzt begriff sie, dass Rufus zwar ganze Zeit vor ihren Augen war – sie den Anblick seiner angeketteten Seele aber nach kürzester Zeit als einen Teil von ihm ausgeblendet hatte. Darum war Eriks Erklärung wegen den verketteten Engeln ohne eine Notiz von ihr geblieben. Ihr war dieser Umstand einfach nicht mehr bewusst.
Nun saß sie da, nur wenige Zentimeter von Rufus entfernt und wusste nichts mehr über ihn. Der Mensch Rufus, den sie beschützte und der in ihr inzwischen mehr als Sympathie weckte, gab es von einem Atemzug zum Nächsten nicht mehr. „Wer bist du?“, fragte sie mit ähnlich fremder Stimme wie zuvor, während ihr eine Strähne ins Gesicht rutschte. Rufus reagierte nicht, seit sie laut ausgesprochen hatte, wer oder was er war, saß er wie versteinert neben ihr. Aphila konnte nicht einmal ansatzweise erahnen, wie es auch in seinem Kopf rattern musste. Wenn er schon für sie seine Identität verloren hatte – was musste dann erst in ihm vorgehen?
„Entschuldigt, dass ich euch diesen neuen Umstand nicht verarbeiten lasse – aber ehrlich gesagt haben wir keine Zeit dafür“, machte sich Erik vorsichtig aber bestimmend bemerkbar. Aphila und Rufus sahen ihn an, als sei er überraschend aus dem Nichts aufgetaucht. Er gestikulierte hektisch mit seinen Händen und musste sich scheinbar zusammenreißen, ruhig zu sprechen: „Wie gesagt, heute Abend ist die beste Zeit für das Ritual. Ich muss euch den Ablauf erklären und dazu müsst ihr mir völlige Aufmerksamkeit schenken, habt ihr beide das verstanden?“ Aphila hörte seine Worte und ihr Verstand empfing auch deren Bedeutung, ihr Geist aber war noch am Erinnerungspuzzle mit Rufus beschäftigt und versuchte verpasste Eindrücke, die ihr seine wahre Natur offenbaren hätten können, zu finden. Dennoch nickte sie und machte so gut es geht einen konzentrierten Gesichtsausdruck. Erik sah sie zwar mit hochgezogenen Augenbrauen und zusammengefalteten Händen an, aber er schien zufrieden zu sein.
„Gut, ich verlange von euch nicht viel – aber das, was ich erwarte sollte auch besser von euch erfüllt werden. Gerade deine Rolle hierbei ist äußerst wichtig, Aphila“, er sprach sehr eindringlich und gestikulierte wieder mit seinen Händen in Richtung der angesprochenen Person. Sie nickte verschüchtert, fasste sich innerlich aber langsam wieder. Erik setzte fort: „Das Ritual sieht so aus; Jeder Engel wird einen Tropfen seines Blutes in eine dafür vorgesehene Schale geben. Diese Schale wird – sobald jeder“, - seine Augen wanderten für den Bruchteil einer Sekunde zu Rufus – „ Engel sein Blut gab – zu dir weitergereicht. Du wirst das Blut trinken.“ Da fiel ihm Rufus plötzlich, wie durch einen unsichtbaren Zauber von seiner Versteinerung befreit, ins Wort: „..Du sagtest, ihr braucht Aphilas Blut – was ist damit?“ Aphila war überrascht. Trotz dem Schrecken über seine eigene Identität machte er sich noch immer um sie Sorgen.
Mit einem wehleidigen Lächeln antwortete ihm Erik: „Abwarten, mein Freund. Dazu wollte ich noch kommen. Es sei dir hoch anzurechnen, dass du dich so um ihr Wohlergehen kümmerst – aber ihr müsst mir auch die Möglichkeit zur Aufklärung lassen.“ Rufus wippte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, aber beließ es dabei. Erik wendete sich wieder Aphila zu: „Tatsächlich wird dein Part schon etwas früher nötig sein, als zum Blutmahl. Dein Blut ist für das Siegel nötig, in dem du nach dem Verzehr des Schaleninhaltes stehen musst.“ Sie sagte daraufhin: „Ich muss also mein Blut geben, damit das Siegel gezeichnet werden kann – und der Blutverlust wird durch die Aufnahme des Blutes in der Schale wieder ausgeglichen.“ Erik schwenkte seinen Kopf: „Das ist natürlich auch ein Resultat daraus, der eigentliche Zweck bezieht sich allerdings mehr auf die Hauptaufgabe; Du wirst die Schriftrolle im Zentrum des Siegels öffnen und lesen. Um ihrer Macht sowie der Ausstrahlung der Engel standhalten zu können und auch um eine Verbindung zu den freizusetzenden Engeln zu besitzen, ist das Blut notwendig.“
So fasste Aphila nochmal zusammen: „Das heißt, erst wird das Blut der Engel gesammelt und von meinem Blut ein Siegel geformt. Anschließend trinke ich es und betrete zusammen mit der Schriftrolle das Siegel.“ Erik korrigierte sie: „Nicht ganz, die Schriftrolle werde ich dir erst geben, wenn du bereits im Siegel stehst. Dann bekommst du sie. Vorher würde sich die Kraft der Schriftrolle ungehindert ausbreiten, so aber wird sie vom Siegel begrenzt und wird von dir als Trägerin kontrolliert.“ Rufus warf ein: „Was bedeutet das für Aphila? Die Macht dieser Rolle wird also durch sie hindurchfließen und von ihr zu euch - uns -, ich meine… den Engeln. Hast du eine Ahnung, was dabei mit ihr passiert?“ Aphila schluckte. Sie würde der vollen Kraft dieser Rolle ausgesetzt sein. Es lief ihr schon ein Schauer bei der Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit diesem Ding durch die Flügelspitzen. Sie spürte die hypnotisch-verführerische Umarmung der Stimmen in diesem Raum noch, als sei sie noch dort. Von dem Moment an, als sie die Rolle sah, wurde ihr bewusst den Ruf der Rolle schon lange zuvor unterbewusst wahrgenommen zu haben. An dem Tag, als sie mit Rufus im Gepäck die Flucht ergriff war sie ihrem Gefühl nachgeflogen und dieses wiederum versprach ihr Linderung, Geborgenheit und Schutz. Sie hatte es nie hinterfragt, woher dieses Gefühl kam. Dazu waren zu viele Grausamkeiten um sie herum passiert, die alles Feingefühl von ihr verstumpfen ließ. Jetzt aber, just als sie darüber nachdachte, wurde es ihr klar. Sie war dem Ruf der Schriftrolle gefolgt.
Erik räusperte sich. „Alles zur mir bekannten Wirkung der Schriftrolle, wisst ihr bereits. Sie wird auf irgendeine Weise uns Engel aus diesen Körpern befreien und wir erhalten wieder jene Engelsgestalten mit dazugehöriger Kraft“, sagte er kleinlaut. Empört schlussfolgerte Rufus: „Ihr habt also keine Ahnung, was aus ihr wird.“ Für einen Moment herrschte betreffende Stille. „Ich tue es“, kam es mit Entschlossenheit in der Stimme von Aphila. Rufus schaute sie entgeistert an, Eriks offener Mund signalisierte, dass auch er nicht mehr ganz sicher über ihre Haltung dazu war. „Aber nur unter der Bedingung, dass Rufus ein Mensch bleibt“, setzte sie nach. Diese Forderung schlug bei den Anwesenden wie eine Bombe ein. „Wie bitte?“, fragte Erik nach. Aphila aber erklärte selbstsicher: „Ich ziehe das Ritual durch und lasse das Schicksal über mich entscheiden – aber Rufus wird da rausgehalten. Ich will, dass sein Blut aus dem Spiel bleibt und er als Mensch erhalten bleibt. Das ist meine Bedingung.“ Rufus wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da kam ihm Erik zuvor: „Das ist eure Sache. Klärt das zwischen vier Augen. Ich für meinen Teil, werde jetzt alles in die Wege leiten um im Zeitplan zu bleiben. Das Timing ist für euch beide nicht ganz so wichtig, daher erklärte ich dies nicht. Ich aber, achte auf die Vorgaben und das heißt das Blut muss unbedingt im Laufe dieses Tages eingesammelt werden. Ich sehe euch dann heute Abend am Lagerfeuerplatz.“ Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Raum.
Eine angestrengte Spannung lag zwischen ihr und Rufus. Schließlich ergriff Rufus das Wort: „Was hat das zu bedeuten, Aphila? Ich meine, es ist für mich auch ein Schock. Ich und ein Engel – wer hätte damit schon gerechnet?“ Er schaute mit unsicherem Lächeln zu ihr herüber. Sie aber würdigte ihm keines Blickes, sondern hielt den Kopf gesenkt und verbarg ihr Gesicht unter ihren Haaren. Eine Mischung aus Wut und Angst brach über sie ein. Sie versuchte das Zittern ihrer Hände zu verbergen und möglichst ruhig zu atmen. Rufus sprach weiter: „Ein Engel zu sein, ich weiß nichts darüber. Doch sehe ich es als Chance, es kann nur besser als ein Menschenleben sein – nicht wahr?
Zumindest werde ich mich selbst wehren können, du musst mich dann nicht mehr wie ein Haustier bewachen.“ Er hörte zu sprechen auf, denn Aphila zog scharf Luft ein und gab eine Antwort: „Du warst für mich nie ein Haustier! Mein Bruder sagte das immer – aber für mich… für mich… warst du ein Freund, der einzige Freund. Jeden Moment, jede Sekunde in der ich dich schützte war für mich pure Hoffnung. Ich besaß etwas, für das es zu kämpfen lohnte!“ Von dieser Aussage war Rufus sichtlich überrascht. Er wollte etwas sagen, doch stattdessen offenbarte sie ihm ihre tatsächlichen Gedanken: „Rufus, wenn du zum Engel wirst – bist du nicht mehr Rufus. Du hast gehört, was den Engeln widerfahren ist! Alles, woran du dich zu erinnern glaubst ist eine eingepflanzte Lüge. Der Mensch Rufus wird in dem Moment deiner Erlösung aufhören zu existieren, damit kann ich nicht leben.“
Anschließend brach sie in Schluchzen aus. Nach all der Zeit war dies der Punkt, an dem sie nicht mehr weiter konnte. Sie fand in Rufus einen Freund, etwas wie Hoffnung. Trotz ihrer Schwäche war sie in der Lage gewesen, ihn bis hierhin zu beschützen und nun sollte er einfach verschwinden, einem Engel weichen. Plötzlich spürte sie, wie ein warmer Körper sie umschloss. Sie versuchte durch die Tränen etwas zu erkennen, doch der Geruch reichte völlig aus. Rufus war zu ihr gegangen und umarmte sie von hinten. Er flüsterte in ihr Ohr: „Habe keine Angst. Du verlierst mich nicht. Auch wenn ich nicht mehr in diesem Körper sein werde – meine Seele bleibt die, deines Freundes. Ich werde immer bei dir sein. Vertraue mir.“ Ein komisches Gefühl durchströmte Aphila. Seine Worte lösten etwas in ihr aus. Sie fühlte sich sicher, beruhigt. Rufus war anders als sonst. Es wirkte bald, als sei er sich seines Selbst bewusster geworden und hatte damit an Stärke gewonnen. Seine Worte hallten in ihrem Verstand wider. Er war vom Beschützten zum Beschützer geworden. Auf einmal kam ihr ihre Bedingung egoistisch vor. Der Gedanke an das Kommende tat weh, aber für ihn war es vielleicht wirklich das Beste. Das Blut würde sie resistent gegen seine Ausstrahlung machen, also konnte sie sich noch immer in seiner Nähe befinden. Zumindest bestand darin ihre Hoffnung. Sie drehte sich zu ihm um: „Du hast gewonnen, es ist deine Entscheidung.“ Sie sah die Erleichterung in seinem Gesicht und küsste ihn.
Wie angekündigt war Erik fleißig dabei, jeder Person aus dem Lager einen Tropfen Blut zu entnehmen. Bei der Vielzahl an – vermeintlichen – Menschen, war es tatsächlich eine Tagesaufgabe. In dieser Zeit wurde auch Aphila zum Aderlass gebeten. Es war für sie eine unwirkliche Szene. Sie, als ehemaliger Mensch zur Dämonin geworden und schließlich zum Neo-Angel aufgestiegen, half nun Engel aus ihrem menschlichen Körper zu befreien. Sie gab sogar ihren einzig gebliebenen Freund dafür auf.
Über die Zukunft vermochte sie gar nicht nachzudenken, nichts ließ für sie auf das Kommende schließen. Nach ihrer Blutabnahme wurde daraus das Siegel genau im Zentrum des Lagers gezeichnet. Grundlage bildete ein Pentagramm auf das wiederum ein ihr unbekanntes Siegel mit vielen Verschnörkelungen gemalt wurde. Nun war alles vorbereitet.
Inzwischen war es dunkel geworden – und die unruhige, fast angstvolle Erwartungshaltung im Lager wurde spürbar. Aphila und Rufus standen bereits wie bestellt vor dem Siegel und warteten auf Erik. Alle Lagerbewohner versammelten sich auf den einzelnen Ebenen des Lagers, sie alle waren in ihren schönsten Gewändern erschienen. Für sie hieß dieser Moment die Erlösung aus einer kleinen Hölle, dachte sich Aphila. Sie war fast schon etwas neidisch auf diese Leute. Vor ihr selbst lag ein ungewisses Schicksal, dass sie aus Alternativlosigkeit bejahte. Sie sah Erik auf sie zukommen und auch ihr wurde allmählich mulmig. Er hielt die Schale mit dem Blutcocktail vor sich und sah auffordernd neben Aphila. Es gab eine Bewegung neben ihr und Rufus eilte ihm entgegen. Etwas Silbriges blitzte in seiner Hand auf und ein unterdrücktes Keuchen war zu hören – dann waren einige Tropfen von seinem Arm ausgehend in die Schale fließend zu erkennen. Anschließend stillte Rufus seine Blutung mit einem Tuch und Erik machte weitere Schritte auf Aphila zu.
Sie machte schon Anstalten, ihm die Schale abzunehmen – doch er sprach in ernsthaftem Ton: „Eine Sache gebe ich dir noch auf den Weg; Ein Neo-Angel ernährt sich zwar von Blut und Fleisch, aber das hier ist kein normales Blutgemisch. Dieser Trunk enthält Macht, himmlische Kraft und wird alles Andere als lecker für dich. Darum bitte ich dich – egal wie, würge das Blut wie auch immer herunter. Zu unser aller Wohl.“ Sie sammelte all ihren längst verloren geglaubten Mut und nahm die Schale entgegen. Erik schritt ein Stück von ihr zurück. Sie setzte vorsichtig die Schale an, der eiserne Geruch des Blutes schoss ihr in die Nase und widersprüchlicher hätte ihre Reaktion nicht sein können; Während ihr Körper wie eine Verdurstende nach dem roten Lebenssaft gierte, ekelte sie sich selbst bis zum Äußersten. Die Blicke aller Anwesenden richteten sich wie ein Fluch auf sie. Ihr Unbehagen wurde auch noch nicht weniger, als die ersten Tropfen ihre Lippe benetzten. Das Blut floss wie in Zeitlupe in ihren Mund, herunter zum Hals und in ihren Magen. Jeder Schluck war ein Hochgenuss und gleichzeitig eine Tortur. Am liebsten hätte sie sich übergeben, das Ritual abgebrochen und wäre fort geflogen. An einen sicheren Ort, wo sie mit Rufus ein ruhiges Leben führte und Niemand sie je behelligte. Mit dem letzten Schluck, der die Schale leerte, holte sie die Wirklichkeit wieder ein. Einen solchen Ort gab es nicht und solch ein Leben würde sie niemals führen. Sie setzte die Schale ab und leckte sich die Lippen.
Nicht des Geschmackes wegen – sondern um sicherzugehen kein Blut übergelassen zu haben. Ihr Magen rumorte seltsam, gefüllt mit dem Blut der menschlichen Engel.
Eine Hand nahm ihr die Schale ab und ehe sie realisierte, dass Erik vor ihr stand, drückte er ihr bereits die Schriftrolle in die Hand. Das Meer von Stimmen aus der Rolle ausgehend war zwar wie zuvor wahrzunehmen – aber das Blut tat offensichtlich seine Wirkung. Das sehnsüchtige Verlangen, die Schriftrolle zu öffnen und sich ihr hinzugeben war so gut wie gar nicht zu fühlen. Eriks Hand, die ihr zuvor die Rolle gab, drängte sie nun zum Siegel. Aphila stand wie unter Drogen. Sie registrierte alles um sie herum wie aus einer fremden Perspektive. Ihre Füße fanden aus unerfindlichem Grund den Weg zur Mitte des Siegels und ihre Ohren vernahmen den Befehl, die Rolle zu öffnen. Sie selbst aber, war wie taub und sie fragte sich sehr, wie es ihre Hände schafften sich zum Briefsiegel der Rolle zu bewegen. Doch ehe sie es schaffte, das Siegel zu brechen und die Schriftrolle auszubreiten, gab es plötzlich eine starke Erschütterung am Boden. Im ersten Moment, dachte sie ihr eigener Körper hielt den Druck unter dem sie stand nicht aus oder das waren Nebenwirkungen des Blutes. Als sie jedoch hilfesuchend aufblickte, erkannte sie den Auslöser – und so vernebelt ihr Verstand auch war, der folgende Schock traf sie unvermittelt.
Gestalten mit schwarzen Flügeln landeten in Scharen am Rande des Lagers. Sofort blitzten an jenen Stellen Schwerter auf und Schreie kündeten von einem gelungenen Überraschungsangriff. Aphila war zwar träge vom Verstehen der Eindrücke aus ihrer Umgebung, jedoch arbeitete ihr Geist unterbewusst scheinbar normal weiter. So wunderte sie sich, wie die Neo-Angel es hinter die Verteidigungsmaßnahmen des Lagers geschafft hatten. Kaum war die Frage in ihr formuliert, erklärte es sich quasi von alleine – zwei Neo-Angel landeten soeben mit einem ihr durchaus bekannten Geschöpf unter ihren Armen. Als sie den Dämon erkannte, brach sie innerlich in Panik aus. Er musste stark genug gewesen sein, die Runen zu zerstören und so freie Bahn zu schaffen. Außerdem sah sie, dass er in Begleitung ihres Bruders war – ein tiefer Schlag in die Magengrube für sie, in den Wirren der Ereignisse war es jedoch nicht so erschreckend, wie es zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort der Fall gewesen wäre. Es erschloss sich ihr zwar nicht, wieso die Neo-Angel mit ihm zusammenarbeiteten – das war aber auch nicht relevant. Viel wichtiger war; sie griffen das Lager an und das mitten im Ritual!
Aphila bewegte sich nicht vom Fleck und hielt Ausschau nach Erik oder Rufus. Inzwischen waren die meisten Lagerbewohner in Kämpfe mit den noch immer zahlreich landenden Neo-Angels verwickelt.
In ihrer menschlichen Gestalt hielt ihre Gegenwehr allerdings so ziemlich nichts. Aphila überlegte sich gerade, ob sie nicht doch besser flüchten sollte – da hörte sie Eriks Stimme durch das Getöse der Schlacht: „Aphila! Lies die verdammte Schriftrolle!“
Aus ihrer Schockstarre befreit, zog sie endlich die Rolle auseinander und warf einen Blick darauf. Ein Stich der Verzweiflung durchfuhr sie, als sie sich mit Runen und Symbolen einer ihr komplett fremden Sprache konfrontiert sah. Hastig orientierte sie sich, wo sie Eriks Stimme zuletzt gehört hatte und rief: „Ich kann die Schriftrolle nicht lesen! Ich verstehe das Geschriebene nicht, Erik!“. Erst kam keine Antwort. Sie versuchte ihre Angst und ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen. Irgendwo in der Menge hallte eine Stimme wieder: „Konzentrier dich! Öffne dich der Schrift, wie du die Rolle geöffnet hast!“ Inmitten dieses blutigen Überfalles war dieser poetische Tipp wie deplatziert. Dennoch versuchte sie es. Ihre Hände erhoben die Rolle und ihre Augen starrten auf das wirsche Gekritzel. Es vergingen Sekunde um Sekunde und Aphila merkte, wie das Geflüster der Stimmen wieder lauter wurde und damit auch die Schrift sich lesbarer umformte. Mit ihrem ganzen Willen öffnete sie sich den Stimmen, ließ die Rolle ihre Macht über ihren Geist einbrechen.
Endlich war die Schrift zu lesen. Ohne auf die Details zu achten, las sie vor: „Auserwählter Diener des Herrn,...“, dort war ein Blutfleck und erst fürchtete Aphila, endgültig gescheitert zu sein. Als sie aber den besagten Fleck erreichte, stand dort wie durch Zauberei der Name eines Engels: „Achaiah, ich erlöse dich!“ Plötzlich gab es eine Art Explosion mitten in einer der kämpfenden Mengen und ein grelles Licht zeugte vom Erscheinen eines Engels. Schnell las Aphila weiter vor: „Auserwählter Diener des Herrn, Itqal, ich erlöse dich.“ Es war schlicht und ergreifend derselbe Satz, bloß immer mit dem Namen des jeweiligen Engel. So ging das noch eine ganze Weile, Aphila las die befreienden Sätze vor und das Licht erschien irgendwo auf dem Schlachtfeld. Manchmal geschah auch gar nichts, dann war der genannte Engel bereits im Kampf verstorben. Mit jedem Satz fühlte sich Aphila jedoch auch vom Ort des Geschehens weggezogen. Während sie inzwischen automatisch weiter vorlas, überkam sie eine Vision.
Erst sah sie das Lager von oben, dann flog ihr Geist an eine Stelle etwas nordöstlich des Lagers. Ein normaler Flug dorthin hätte wohl eine Viertelstunde betragen, doch sie war in Bruchstücken von Sekunden am Ziel. Es war eine Höhle, ungefähr so groß und breit wie zu früheren Zeiten eine Kirche. Im Inneren gab es hinter dem Eingang einen grob gehauenen Gang. Von diesem kam man in eine große Halle. Stufen führten vom Gang hinauf auf ein Plateau. Es war sehr breit und weitläufig, jedoch erschloss sich kein direkter Nutzen aus dieser räumlichen Freiheit. Schließlich sah Aphila am hinteren Ende des Plateaus etwas an der Wand. Ein Siegel, welches augenscheinlich ein Tor darstellte. Die Stimmen, die Aphila inzwischen fast schon ausblendete bekamen nun einen Einklang. Aus den vielen geflüsterten Botschaften formten sich mit dem Blick auf das Siegel zwei Wörter: „Gottes Gnade“.
Die Stimme, welche die Worte aussprach, war so herrlich wie nichts für Aphila vergleichbares. Mit einem Mal durchströmte sie ein Wohlgefühl. Sie wusste, hier und jetzt war sie geborgen und in Sicherheit. Tief in ihrem Herzen lösten sich die Klammern der Angst, der Unfreiheit und der Erniedrigung auf und sie fiel in ein Meer voller Liebe. Es überkam sie und ihr Geist sowie ihr Körper wurden von der Macht der Schriftrolle auf eine vorher unbekannte Stufe der Macht hervorgehoben.
Sie fühlte sich wie neugeboren. Da bemerkte sie, wieder im Lager zu sein. Eingehüllt in eine unsagbar mächtige Aura. Die Schriftrolle in ihrer Hand war gewichen und stattdessen lag dort ein in schwarzes Feuer gehülltes Schwert fest in ihrem Griff. Ihr Körper war von Runen überzogen. Sie spürte eine Selbstsicherheit und den Drang nach Taten, sie war bereit zu kämpfen!
Jetzt erst fiel ihr die Stille um sie herum auf. Etwas war anders, neben ihr spürte sie nun eine weitere neue Präsenz. Sie schaute auf und erblickte einen Engel mit Pistole in der Hand, wenige Meter vor ihr stehend.
Gastsprecherin: Zerox
DVdEN - GG Kapitel 21: Erlösung
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Die Worte ihrer Erkenntnis drangen aus Aphilas Mund als würden sie von einer Fremden ausgesprochen werden. Erst nach einigen Sekunden, realisierte sie den Inhalt ihres Satzes. Während sich ein Schock eiskalt durch ihren ganzen Körper zog verschmolzen ihre wirren Gedanken zu einem großen Fragezeichen. In diesem spiegelten sich all ihre durchlebten Momente mit Rufus an ihrer Seite wider. Von Methos und ihrer Ankunft in Rufus Gruppe, ihrem Gespräch am Lagerfeuer, der gemeinsamen Angst vor Methos und schließlich ihrer Flucht mit Aufnahme in diesem Lager, welche letztlich in einer Liebesnacht endete. All diese Erinnerungen wurden nun von einem Stich begleitet. Erst jetzt begriff sie, dass Rufus zwar ganze Zeit vor ihren Augen war – sie den Anblick seiner angeketteten Seele aber nach kürzester Zeit als einen Teil von ihm ausgeblendet hatte. Darum war Eriks Erklärung wegen den verketteten Engeln ohne eine Notiz von ihr geblieben. Ihr war dieser Umstand einfach nicht mehr bewusst.
Nun saß sie da, nur wenige Zentimeter von Rufus entfernt und wusste nichts mehr über ihn. Der Mensch Rufus, den sie beschützte und der in ihr inzwischen mehr als Sympathie weckte, gab es von einem Atemzug zum Nächsten nicht mehr. „Wer bist du?“, fragte sie mit ähnlich fremder Stimme wie zuvor, während ihr eine Strähne ins Gesicht rutschte. Rufus reagierte nicht, seit sie laut ausgesprochen hatte, wer oder was er war, saß er wie versteinert neben ihr. Aphila konnte nicht einmal ansatzweise erahnen, wie es auch in seinem Kopf rattern musste. Wenn er schon für sie seine Identität verloren hatte – was musste dann erst in ihm vorgehen?
„Entschuldigt, dass ich euch diesen neuen Umstand nicht verarbeiten lasse – aber ehrlich gesagt haben wir keine Zeit dafür“, machte sich Erik vorsichtig aber bestimmend bemerkbar. Aphila und Rufus sahen ihn an, als sei er überraschend aus dem Nichts aufgetaucht. Er gestikulierte hektisch mit seinen Händen und musste sich scheinbar zusammenreißen, ruhig zu sprechen: „Wie gesagt, heute Abend ist die beste Zeit für das Ritual. Ich muss euch den Ablauf erklären und dazu müsst ihr mir völlige Aufmerksamkeit schenken, habt ihr beide das verstanden?“ Aphila hörte seine Worte und ihr Verstand empfing auch deren Bedeutung, ihr Geist aber war noch am Erinnerungspuzzle mit Rufus beschäftigt und versuchte verpasste Eindrücke, die ihr seine wahre Natur offenbaren hätten können, zu finden. Dennoch nickte sie und machte so gut es geht einen konzentrierten Gesichtsausdruck. Erik sah sie zwar mit hochgezogenen Augenbrauen und zusammengefalteten Händen an, aber er schien zufrieden zu sein.
„Gut, ich verlange von euch nicht viel – aber das, was ich erwarte sollte auch besser von euch erfüllt werden. Gerade deine Rolle hierbei ist äußerst wichtig, Aphila“, er sprach sehr eindringlich und gestikulierte wieder mit seinen Händen in Richtung der angesprochenen Person. Sie nickte verschüchtert, fasste sich innerlich aber langsam wieder. Erik setzte fort: „Das Ritual sieht so aus; Jeder Engel wird einen Tropfen seines Blutes in eine dafür vorgesehene Schale geben. Diese Schale wird – sobald jeder“, - seine Augen wanderten für den Bruchteil einer Sekunde zu Rufus – „ Engel sein Blut gab – zu dir weitergereicht. Du wirst das Blut trinken.“ Da fiel ihm Rufus plötzlich, wie durch einen unsichtbaren Zauber von seiner Versteinerung befreit, ins Wort: „..Du sagtest, ihr braucht Aphilas Blut – was ist damit?“ Aphila war überrascht. Trotz dem Schrecken über seine eigene Identität machte er sich noch immer um sie Sorgen.
Mit einem wehleidigen Lächeln antwortete ihm Erik: „Abwarten, mein Freund. Dazu wollte ich noch kommen. Es sei dir hoch anzurechnen, dass du dich so um ihr Wohlergehen kümmerst – aber ihr müsst mir auch die Möglichkeit zur Aufklärung lassen.“ Rufus wippte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, aber beließ es dabei. Erik wendete sich wieder Aphila zu: „Tatsächlich wird dein Part schon etwas früher nötig sein, als zum Blutmahl. Dein Blut ist für das Siegel nötig, in dem du nach dem Verzehr des Schaleninhaltes stehen musst.“ Sie sagte daraufhin: „Ich muss also mein Blut geben, damit das Siegel gezeichnet werden kann – und der Blutverlust wird durch die Aufnahme des Blutes in der Schale wieder ausgeglichen.“ Erik schwenkte seinen Kopf: „Das ist natürlich auch ein Resultat daraus, der eigentliche Zweck bezieht sich allerdings mehr auf die Hauptaufgabe; Du wirst die Schriftrolle im Zentrum des Siegels öffnen und lesen. Um ihrer Macht sowie der Ausstrahlung der Engel standhalten zu können und auch um eine Verbindung zu den freizusetzenden Engeln zu besitzen, ist das Blut notwendig.“
So fasste Aphila nochmal zusammen: „Das heißt, erst wird das Blut der Engel gesammelt und von meinem Blut ein Siegel geformt. Anschließend trinke ich es und betrete zusammen mit der Schriftrolle das Siegel.“ Erik korrigierte sie: „Nicht ganz, die Schriftrolle werde ich dir erst geben, wenn du bereits im Siegel stehst. Dann bekommst du sie. Vorher würde sich die Kraft der Schriftrolle ungehindert ausbreiten, so aber wird sie vom Siegel begrenzt und wird von dir als Trägerin kontrolliert.“ Rufus warf ein: „Was bedeutet das für Aphila? Die Macht dieser Rolle wird also durch sie hindurchfließen und von ihr zu euch - uns -, ich meine… den Engeln. Hast du eine Ahnung, was dabei mit ihr passiert?“ Aphila schluckte. Sie würde der vollen Kraft dieser Rolle ausgesetzt sein. Es lief ihr schon ein Schauer bei der Erinnerung an ihre letzte Begegnung mit diesem Ding durch die Flügelspitzen. Sie spürte die hypnotisch-verführerische Umarmung der Stimmen in diesem Raum noch, als sei sie noch dort. Von dem Moment an, als sie die Rolle sah, wurde ihr bewusst den Ruf der Rolle schon lange zuvor unterbewusst wahrgenommen zu haben. An dem Tag, als sie mit Rufus im Gepäck die Flucht ergriff war sie ihrem Gefühl nachgeflogen und dieses wiederum versprach ihr Linderung, Geborgenheit und Schutz. Sie hatte es nie hinterfragt, woher dieses Gefühl kam. Dazu waren zu viele Grausamkeiten um sie herum passiert, die alles Feingefühl von ihr verstumpfen ließ. Jetzt aber, just als sie darüber nachdachte, wurde es ihr klar. Sie war dem Ruf der Schriftrolle gefolgt.
Erik räusperte sich. „Alles zur mir bekannten Wirkung der Schriftrolle, wisst ihr bereits. Sie wird auf irgendeine Weise uns Engel aus diesen Körpern befreien und wir erhalten wieder jene Engelsgestalten mit dazugehöriger Kraft“, sagte er kleinlaut. Empört schlussfolgerte Rufus: „Ihr habt also keine Ahnung, was aus ihr wird.“ Für einen Moment herrschte betreffende Stille. „Ich tue es“, kam es mit Entschlossenheit in der Stimme von Aphila. Rufus schaute sie entgeistert an, Eriks offener Mund signalisierte, dass auch er nicht mehr ganz sicher über ihre Haltung dazu war. „Aber nur unter der Bedingung, dass Rufus ein Mensch bleibt“, setzte sie nach. Diese Forderung schlug bei den Anwesenden wie eine Bombe ein. „Wie bitte?“, fragte Erik nach. Aphila aber erklärte selbstsicher: „Ich ziehe das Ritual durch und lasse das Schicksal über mich entscheiden – aber Rufus wird da rausgehalten. Ich will, dass sein Blut aus dem Spiel bleibt und er als Mensch erhalten bleibt. Das ist meine Bedingung.“ Rufus wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da kam ihm Erik zuvor: „Das ist eure Sache. Klärt das zwischen vier Augen. Ich für meinen Teil, werde jetzt alles in die Wege leiten um im Zeitplan zu bleiben. Das Timing ist für euch beide nicht ganz so wichtig, daher erklärte ich dies nicht. Ich aber, achte auf die Vorgaben und das heißt das Blut muss unbedingt im Laufe dieses Tages eingesammelt werden. Ich sehe euch dann heute Abend am Lagerfeuerplatz.“ Mit diesen Worten erhob er sich und verließ den Raum.
Eine angestrengte Spannung lag zwischen ihr und Rufus. Schließlich ergriff Rufus das Wort: „Was hat das zu bedeuten, Aphila? Ich meine, es ist für mich auch ein Schock. Ich und ein Engel – wer hätte damit schon gerechnet?“ Er schaute mit unsicherem Lächeln zu ihr herüber. Sie aber würdigte ihm keines Blickes, sondern hielt den Kopf gesenkt und verbarg ihr Gesicht unter ihren Haaren. Eine Mischung aus Wut und Angst brach über sie ein. Sie versuchte das Zittern ihrer Hände zu verbergen und möglichst ruhig zu atmen. Rufus sprach weiter: „Ein Engel zu sein, ich weiß nichts darüber. Doch sehe ich es als Chance, es kann nur besser als ein Menschenleben sein – nicht wahr?
Zumindest werde ich mich selbst wehren können, du musst mich dann nicht mehr wie ein Haustier bewachen.“ Er hörte zu sprechen auf, denn Aphila zog scharf Luft ein und gab eine Antwort: „Du warst für mich nie ein Haustier! Mein Bruder sagte das immer – aber für mich… für mich… warst du ein Freund, der einzige Freund. Jeden Moment, jede Sekunde in der ich dich schützte war für mich pure Hoffnung. Ich besaß etwas, für das es zu kämpfen lohnte!“ Von dieser Aussage war Rufus sichtlich überrascht. Er wollte etwas sagen, doch stattdessen offenbarte sie ihm ihre tatsächlichen Gedanken: „Rufus, wenn du zum Engel wirst – bist du nicht mehr Rufus. Du hast gehört, was den Engeln widerfahren ist! Alles, woran du dich zu erinnern glaubst ist eine eingepflanzte Lüge. Der Mensch Rufus wird in dem Moment deiner Erlösung aufhören zu existieren, damit kann ich nicht leben.“
Anschließend brach sie in Schluchzen aus. Nach all der Zeit war dies der Punkt, an dem sie nicht mehr weiter konnte. Sie fand in Rufus einen Freund, etwas wie Hoffnung. Trotz ihrer Schwäche war sie in der Lage gewesen, ihn bis hierhin zu beschützen und nun sollte er einfach verschwinden, einem Engel weichen. Plötzlich spürte sie, wie ein warmer Körper sie umschloss. Sie versuchte durch die Tränen etwas zu erkennen, doch der Geruch reichte völlig aus. Rufus war zu ihr gegangen und umarmte sie von hinten. Er flüsterte in ihr Ohr: „Habe keine Angst. Du verlierst mich nicht. Auch wenn ich nicht mehr in diesem Körper sein werde – meine Seele bleibt die, deines Freundes. Ich werde immer bei dir sein. Vertraue mir.“ Ein komisches Gefühl durchströmte Aphila. Seine Worte lösten etwas in ihr aus. Sie fühlte sich sicher, beruhigt. Rufus war anders als sonst. Es wirkte bald, als sei er sich seines Selbst bewusster geworden und hatte damit an Stärke gewonnen. Seine Worte hallten in ihrem Verstand wider. Er war vom Beschützten zum Beschützer geworden. Auf einmal kam ihr ihre Bedingung egoistisch vor. Der Gedanke an das Kommende tat weh, aber für ihn war es vielleicht wirklich das Beste. Das Blut würde sie resistent gegen seine Ausstrahlung machen, also konnte sie sich noch immer in seiner Nähe befinden. Zumindest bestand darin ihre Hoffnung. Sie drehte sich zu ihm um: „Du hast gewonnen, es ist deine Entscheidung.“ Sie sah die Erleichterung in seinem Gesicht und küsste ihn.
Wie angekündigt war Erik fleißig dabei, jeder Person aus dem Lager einen Tropfen Blut zu entnehmen. Bei der Vielzahl an – vermeintlichen – Menschen, war es tatsächlich eine Tagesaufgabe. In dieser Zeit wurde auch Aphila zum Aderlass gebeten. Es war für sie eine unwirkliche Szene. Sie, als ehemaliger Mensch zur Dämonin geworden und schließlich zum Neo-Angel aufgestiegen, half nun Engel aus ihrem menschlichen Körper zu befreien. Sie gab sogar ihren einzig gebliebenen Freund dafür auf.
Über die Zukunft vermochte sie gar nicht nachzudenken, nichts ließ für sie auf das Kommende schließen. Nach ihrer Blutabnahme wurde daraus das Siegel genau im Zentrum des Lagers gezeichnet. Grundlage bildete ein Pentagramm auf das wiederum ein ihr unbekanntes Siegel mit vielen Verschnörkelungen gemalt wurde. Nun war alles vorbereitet.
Inzwischen war es dunkel geworden – und die unruhige, fast angstvolle Erwartungshaltung im Lager wurde spürbar. Aphila und Rufus standen bereits wie bestellt vor dem Siegel und warteten auf Erik. Alle Lagerbewohner versammelten sich auf den einzelnen Ebenen des Lagers, sie alle waren in ihren schönsten Gewändern erschienen. Für sie hieß dieser Moment die Erlösung aus einer kleinen Hölle, dachte sich Aphila. Sie war fast schon etwas neidisch auf diese Leute. Vor ihr selbst lag ein ungewisses Schicksal, dass sie aus Alternativlosigkeit bejahte. Sie sah Erik auf sie zukommen und auch ihr wurde allmählich mulmig. Er hielt die Schale mit dem Blutcocktail vor sich und sah auffordernd neben Aphila. Es gab eine Bewegung neben ihr und Rufus eilte ihm entgegen. Etwas Silbriges blitzte in seiner Hand auf und ein unterdrücktes Keuchen war zu hören – dann waren einige Tropfen von seinem Arm ausgehend in die Schale fließend zu erkennen. Anschließend stillte Rufus seine Blutung mit einem Tuch und Erik machte weitere Schritte auf Aphila zu.
Sie machte schon Anstalten, ihm die Schale abzunehmen – doch er sprach in ernsthaftem Ton: „Eine Sache gebe ich dir noch auf den Weg; Ein Neo-Angel ernährt sich zwar von Blut und Fleisch, aber das hier ist kein normales Blutgemisch. Dieser Trunk enthält Macht, himmlische Kraft und wird alles Andere als lecker für dich. Darum bitte ich dich – egal wie, würge das Blut wie auch immer herunter. Zu unser aller Wohl.“ Sie sammelte all ihren längst verloren geglaubten Mut und nahm die Schale entgegen. Erik schritt ein Stück von ihr zurück. Sie setzte vorsichtig die Schale an, der eiserne Geruch des Blutes schoss ihr in die Nase und widersprüchlicher hätte ihre Reaktion nicht sein können; Während ihr Körper wie eine Verdurstende nach dem roten Lebenssaft gierte, ekelte sie sich selbst bis zum Äußersten. Die Blicke aller Anwesenden richteten sich wie ein Fluch auf sie. Ihr Unbehagen wurde auch noch nicht weniger, als die ersten Tropfen ihre Lippe benetzten. Das Blut floss wie in Zeitlupe in ihren Mund, herunter zum Hals und in ihren Magen. Jeder Schluck war ein Hochgenuss und gleichzeitig eine Tortur. Am liebsten hätte sie sich übergeben, das Ritual abgebrochen und wäre fort geflogen. An einen sicheren Ort, wo sie mit Rufus ein ruhiges Leben führte und Niemand sie je behelligte. Mit dem letzten Schluck, der die Schale leerte, holte sie die Wirklichkeit wieder ein. Einen solchen Ort gab es nicht und solch ein Leben würde sie niemals führen. Sie setzte die Schale ab und leckte sich die Lippen.
Nicht des Geschmackes wegen – sondern um sicherzugehen kein Blut übergelassen zu haben. Ihr Magen rumorte seltsam, gefüllt mit dem Blut der menschlichen Engel.
Eine Hand nahm ihr die Schale ab und ehe sie realisierte, dass Erik vor ihr stand, drückte er ihr bereits die Schriftrolle in die Hand. Das Meer von Stimmen aus der Rolle ausgehend war zwar wie zuvor wahrzunehmen – aber das Blut tat offensichtlich seine Wirkung. Das sehnsüchtige Verlangen, die Schriftrolle zu öffnen und sich ihr hinzugeben war so gut wie gar nicht zu fühlen. Eriks Hand, die ihr zuvor die Rolle gab, drängte sie nun zum Siegel. Aphila stand wie unter Drogen. Sie registrierte alles um sie herum wie aus einer fremden Perspektive. Ihre Füße fanden aus unerfindlichem Grund den Weg zur Mitte des Siegels und ihre Ohren vernahmen den Befehl, die Rolle zu öffnen. Sie selbst aber, war wie taub und sie fragte sich sehr, wie es ihre Hände schafften sich zum Briefsiegel der Rolle zu bewegen. Doch ehe sie es schaffte, das Siegel zu brechen und die Schriftrolle auszubreiten, gab es plötzlich eine starke Erschütterung am Boden. Im ersten Moment, dachte sie ihr eigener Körper hielt den Druck unter dem sie stand nicht aus oder das waren Nebenwirkungen des Blutes. Als sie jedoch hilfesuchend aufblickte, erkannte sie den Auslöser – und so vernebelt ihr Verstand auch war, der folgende Schock traf sie unvermittelt.
Gestalten mit schwarzen Flügeln landeten in Scharen am Rande des Lagers. Sofort blitzten an jenen Stellen Schwerter auf und Schreie kündeten von einem gelungenen Überraschungsangriff. Aphila war zwar träge vom Verstehen der Eindrücke aus ihrer Umgebung, jedoch arbeitete ihr Geist unterbewusst scheinbar normal weiter. So wunderte sie sich, wie die Neo-Angel es hinter die Verteidigungsmaßnahmen des Lagers geschafft hatten. Kaum war die Frage in ihr formuliert, erklärte es sich quasi von alleine – zwei Neo-Angel landeten soeben mit einem ihr durchaus bekannten Geschöpf unter ihren Armen. Als sie den Dämon erkannte, brach sie innerlich in Panik aus. Er musste stark genug gewesen sein, die Runen zu zerstören und so freie Bahn zu schaffen. Außerdem sah sie, dass er in Begleitung ihres Bruders war – ein tiefer Schlag in die Magengrube für sie, in den Wirren der Ereignisse war es jedoch nicht so erschreckend, wie es zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort der Fall gewesen wäre. Es erschloss sich ihr zwar nicht, wieso die Neo-Angel mit ihm zusammenarbeiteten – das war aber auch nicht relevant. Viel wichtiger war; sie griffen das Lager an und das mitten im Ritual!
Aphila bewegte sich nicht vom Fleck und hielt Ausschau nach Erik oder Rufus. Inzwischen waren die meisten Lagerbewohner in Kämpfe mit den noch immer zahlreich landenden Neo-Angels verwickelt.
In ihrer menschlichen Gestalt hielt ihre Gegenwehr allerdings so ziemlich nichts. Aphila überlegte sich gerade, ob sie nicht doch besser flüchten sollte – da hörte sie Eriks Stimme durch das Getöse der Schlacht: „Aphila! Lies die verdammte Schriftrolle!“
Aus ihrer Schockstarre befreit, zog sie endlich die Rolle auseinander und warf einen Blick darauf. Ein Stich der Verzweiflung durchfuhr sie, als sie sich mit Runen und Symbolen einer ihr komplett fremden Sprache konfrontiert sah. Hastig orientierte sie sich, wo sie Eriks Stimme zuletzt gehört hatte und rief: „Ich kann die Schriftrolle nicht lesen! Ich verstehe das Geschriebene nicht, Erik!“. Erst kam keine Antwort. Sie versuchte ihre Angst und ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen. Irgendwo in der Menge hallte eine Stimme wieder: „Konzentrier dich! Öffne dich der Schrift, wie du die Rolle geöffnet hast!“ Inmitten dieses blutigen Überfalles war dieser poetische Tipp wie deplatziert. Dennoch versuchte sie es. Ihre Hände erhoben die Rolle und ihre Augen starrten auf das wirsche Gekritzel. Es vergingen Sekunde um Sekunde und Aphila merkte, wie das Geflüster der Stimmen wieder lauter wurde und damit auch die Schrift sich lesbarer umformte. Mit ihrem ganzen Willen öffnete sie sich den Stimmen, ließ die Rolle ihre Macht über ihren Geist einbrechen.
Endlich war die Schrift zu lesen. Ohne auf die Details zu achten, las sie vor: „Auserwählter Diener des Herrn,...“, dort war ein Blutfleck und erst fürchtete Aphila, endgültig gescheitert zu sein. Als sie aber den besagten Fleck erreichte, stand dort wie durch Zauberei der Name eines Engels: „Achaiah, ich erlöse dich!“ Plötzlich gab es eine Art Explosion mitten in einer der kämpfenden Mengen und ein grelles Licht zeugte vom Erscheinen eines Engels. Schnell las Aphila weiter vor: „Auserwählter Diener des Herrn, Itqal, ich erlöse dich.“ Es war schlicht und ergreifend derselbe Satz, bloß immer mit dem Namen des jeweiligen Engel. So ging das noch eine ganze Weile, Aphila las die befreienden Sätze vor und das Licht erschien irgendwo auf dem Schlachtfeld. Manchmal geschah auch gar nichts, dann war der genannte Engel bereits im Kampf verstorben. Mit jedem Satz fühlte sich Aphila jedoch auch vom Ort des Geschehens weggezogen. Während sie inzwischen automatisch weiter vorlas, überkam sie eine Vision.
Erst sah sie das Lager von oben, dann flog ihr Geist an eine Stelle etwas nordöstlich des Lagers. Ein normaler Flug dorthin hätte wohl eine Viertelstunde betragen, doch sie war in Bruchstücken von Sekunden am Ziel. Es war eine Höhle, ungefähr so groß und breit wie zu früheren Zeiten eine Kirche. Im Inneren gab es hinter dem Eingang einen grob gehauenen Gang. Von diesem kam man in eine große Halle. Stufen führten vom Gang hinauf auf ein Plateau. Es war sehr breit und weitläufig, jedoch erschloss sich kein direkter Nutzen aus dieser räumlichen Freiheit. Schließlich sah Aphila am hinteren Ende des Plateaus etwas an der Wand. Ein Siegel, welches augenscheinlich ein Tor darstellte. Die Stimmen, die Aphila inzwischen fast schon ausblendete bekamen nun einen Einklang. Aus den vielen geflüsterten Botschaften formten sich mit dem Blick auf das Siegel zwei Wörter: „Gottes Gnade“.
Die Stimme, welche die Worte aussprach, war so herrlich wie nichts für Aphila vergleichbares. Mit einem Mal durchströmte sie ein Wohlgefühl. Sie wusste, hier und jetzt war sie geborgen und in Sicherheit. Tief in ihrem Herzen lösten sich die Klammern der Angst, der Unfreiheit und der Erniedrigung auf und sie fiel in ein Meer voller Liebe. Es überkam sie und ihr Geist sowie ihr Körper wurden von der Macht der Schriftrolle auf eine vorher unbekannte Stufe der Macht hervorgehoben.
Sie fühlte sich wie neugeboren. Da bemerkte sie, wieder im Lager zu sein. Eingehüllt in eine unsagbar mächtige Aura. Die Schriftrolle in ihrer Hand war gewichen und stattdessen lag dort ein in schwarzes Feuer gehülltes Schwert fest in ihrem Griff. Ihr Körper war von Runen überzogen. Sie spürte eine Selbstsicherheit und den Drang nach Taten, sie war bereit zu kämpfen!
Jetzt erst fiel ihr die Stille um sie herum auf. Etwas war anders, neben ihr spürte sie nun eine weitere neue Präsenz. Sie schaute auf und erblickte einen Engel mit Pistole in der Hand, wenige Meter vor ihr stehend.