Mein ganzes Gemüt scheint in Phasen aufgebaut zu sein. Vorweg möchte ich erwähnen, dass ich ein sehr kontrollsüchtiger Mensch bin. Habe ich keine Kontrolle, habe ich auch ebenjene unkontrollierte Gefühle in mir, die einfach aufbrechen, wann und wie sie wollen. Gefühle, denen ich sonst keinen Austritt erlaube.

Da ist also diese kleine Schatulle in diesem penibel aufgeräumten Zimmer. Das Zimmer samt Einrichtung ist gänzlich weiß, kein Fleck an irgendeiner Stelle - selbst die Schatulle. Dieses Zimmer wird von mir bewohnt. Jeden Tag. Jede Minute. Ich bin mehr als bemüht dieses strahlende Weiß beizubehalten. Selten aber sind da diese Stimmen, die mich nicht schlafen lassen. Die mir immer und immer wieder sagen, was ich zu tun habe. So drängend, dass ich vor dieser kleinen Schatulle stehen bleibe und mit aller Kraft versuche sie nicht, wie mir mein Kopf sagt, zu öffnen. Ich würde sagen, dass ich es schätzungsweise 90% der Zeit schaffe diese Regel einzuhalten. Lass alles sauber, hinterlasse keine Spuren, bleib weg von der Schatulle.
In diesem metaphorischen Raum, der nicht wirklich existiert, sondern nur in meiner Fantasie als Mittel zum Zweck der Veranschaulichung dient, sitzt Odessa. Auf dem Bett. Ich würde nicht sagen, sie hat ein Gesicht oder einen greifbaren Körper, aber sie verdreckt. Durch das einzige Fenster sehe ich in das Nebenhaus einer anderen Person. Das gleiche Zimmer. Die gleiche Schatulle. Alles ist sauber.
In mir macht sich Panik breit. Dieses Weiß hängt anscheinend unmittelbar mit meiner Moralvorstellung zusammen. Wenn nun etwas beschmutzt ist, muss ich es sauber machen. Also putze ich und putze, während Odessa berührt und befleckt. Aber nur zaghaft. Ein schwarzer Fingerabdruck auf dem Regal. Ein Tropfen Pech auf dem Teppich. Das war der Stand von vor zwei Jahren.

Heute stehe ich in diesem Zimmer, begleitet von Odessa, welche immer mehr zu einer Schreckgestalt wird, die lang keine menschlichen Züge mehr hat. Ich stehe vor der Schatulle, sie führt meine Hände. Ich öffne sie. Hervor quillt eine Masse schwarzer Flüssigkeit und alles was ich sehe geht darin unter und alles Weiß dieser Welt verschwindet.

Egal, wie ich das hier schreibe, sie wird immer sagen, es sei zu theatralisch. Es sei unecht. Ich würde lügen. Sie existiert nicht. Ich brauche keine Hilfe suchen, denn all das wäre nur ein Produkt meiner viel zu arg arbeitenden Fantasie.
Zuletzt ausgebrochen war sie, als sich die Freundin meines Bruders mit mir anlegte. Odessa war wütend, dass er faul und ungehorsam ist, obwohl mich das nichts angeht. Ich kann kaum in Worte fassen, wie zerrissen man sich fühlt, wenn der Mund sich bewegt und spricht, man aber mit keiner Kraft der Welt verhindern kann, was genau er sagt. Wenn man sich fürchtet, sieht was passiert, man aber ohnmächtig ist. Ich habe damals oft mit meinem Therapeuten darüber gesprochen, auch darüber, dass die meisten Menschen sich in dissoziativen Momenten nicht erinnern können. Es hat mich entmutigt und schwer zurückgeworfen, dass ich es konnte und er es nicht ernstnahm.
Heute bricht in meiner Emotionswelt ein Chaos aus, wenn ich spüre, dass ich in Konflikte gezogen werde. Nach dem Disput mit besagter Freundin rannte Odessa in die Küche, schmiss mit Dingen umher und - etwas, was ich ebenfalls kaum in Worte fassen kann - es tat mir so schmerzlich leid, dass ich es nicht verhindern konnte. Je mehr sie sich zeigt und handelt, desto mehr steigt in mir der Wunsch zu verschwinden, all dem ein Ende zu bereiten, aber ich glaube nicht, dass es mir wirklich möglich ist. Die andere, sehr empathische Seite stemmt extrem gegen Selbstmordversuche, sie hebt hervor, dass ich leben muss, zumindest für mein Kind. Aber sie unterbindet diese Gedanken nicht.

Ich weiß, all das klingt wirr. Aber es ist so viel verwirrender und einschlägiger, wenn ich es fühle. Vorallem weil ich das Gefühl habe, dass da noch mehr Abarten, Egos, was-auch-immer sitzen, die darauf warten einen Punkt zu finden, an dem sie genötigt sind sich zu manifestieren.

Ich bin so müde von meinem Innenleben.