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Oskar
15.04.2014 um 16:07Oskar hieß eigentlich nicht Oskar sondern Jeronimus. Seinen Eltern hatte er bis heute nicht verziehen, dass sie ihm diesen altmodischen Namen gaben. Er hätte sich auch Jerry nennen können oder Jero, aber Oskar gefiel ihm nun mal.
Oskar war ein großer stattlicher Mann mit einer sportlichen Figur und großen Füßen. Seinen Kopf hielt er beim Laufen meißt gesenkt, als ob er etwas suchte. Dabei fielen ihm seine langen blonden Haare ins Gesicht und verdeckten seine braun-grünen Augen, in die ein seltsames warmes Leuchten kam, wenn er sprach. Meißt jedoch schien es so, als ob er verträumt etwas sah, welches anderen verborgen blieb.
Oskar war Dreiunddreißig und lebte, wieder mal allein, in einer kleinen gemütlichen Wohnung am Stadtrand. Er arbeitete gern mit den Händen und war stolz auf seine hergestellten Werke. Oskar war Tischler. Da Oskar ein stolzer Mann war und sich nicht den Zwängen eines ewig unzufriedenen Chefs aussetzen wollte, machte er sich vor einigen Jahren selbstständig. Sein Geschäft lief recht und schlecht und selten verirrte sich jemand zu ihm in die Werkstatt.
Seine Werkstatt war ein recht ansehnlicher Schuppen im Garten seiner Vermieterin. Einen Obolus für die Nutzung brauchte er nicht zahlen, da er fast sämtliche Reparaturen im Haus kostenlos ausführte. So war es abgemacht.
Oskar war allerseits beliebt, hatte jedoch nur wenige Freunde, da er am liebsten in seinem Schuppen am basteln war. Er nannte seine privaten Werke Bastelei, was es keineswegs war. Mittlerweile hatte er sein gesamtes Mobilar selbst gezimmert. Und wenn ihn jemand besuchte, wurde er für seine Geschicklichkeit gelobt. Besonders ein alter Bauernschrank zog immer wieder die Blicke der Besucher auf sich. Klobig und doch irgendwie anmutig, nahm er fast die ganze Breite der Wand ein. Sein helles Holz schimmerte wie Gold, wenn die Abendsonne durch das kleine Fenster fiel. Der Schrank hatte zwei große Türen, welche man nicht gleichzeitig öffnen konnte. Hinter der einen Tür versteckten sich Fächer für Oskars Wäsche und die andere barg seine Kleidung, ordentlich auf diversen Holzbügeln. Eine der Türen war bemalt mit einer Blüte des Klatschmohns, umrankt von kleineren Kornblumen. Es war die einzige Malerei auf den Möbeln und Oskar überlegte schon einige Zeit, eine neue Tür einzusetzen. Er dachte nicht gern daran, wie die Blumen entstanden waren, doch jetzt saß er in seinem gemütlichem Sessel und starrte auf den Schrank.
Alles begann vorigen Sommer mit Jasmin. Sie hatten sich ineinander verliebt und nach Neujahr zog sie bei ihm ein. Doch bald stellte sich heraus, dass sie nicht zueinander passten, immer öfter gab es Streit. Oskar verzog sich dann in seinen Schuppen und bearbeitete sein Holz - bis sein Ärger verflogen war. Doch die verbalen Kämpfe wurden immer heftiger und er setzte ihr ein Ultimatum. Du ziehst zum letzten des Monats aus! Jasmin, die es auch leid war, stimmte zu.
Am Morgen des Auszugstages, also am einundreißigsten Mai, stand Oskar früh auf um sich in seine Werkstatt zu begeben. Jasmin schlief noch, hatte jedoch schon ihre Sachen gepackt. Oskar trat vor die Tür und Vogelgezwitscher und Sonnenschein empfingen ihn. Langsam ging er den ausgetretenen Pfad durch den Garten. Bis zur Dämmerung beschäftigte er sich mit der Herstellung eines Tisches und dazugehörigen Stühlen; einer seiner seltenen Aufträge.
Als er das Haus betrat, war Jasmin fort. Fort ohne Abschied, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Nein, nicht ganz, denn sein Blick fiel auf den Schrank. Und er sah mit Schrecken den roten Mohn und die blauen Kornblumen. Lange stand er vor seinem geliebten Schrank und in seinen Augen war nicht ein Funke von warmen Leuchten, nur Fassungslosigkeit und Schmerz.
Und diesen Schmerz spürte er auch jetzt wieder. Es war sein Werk, sein Herzblut steckte darin. Wie konnte sie, die Frau die er einmal glaubte zu lieben, ihm das antun.
Keiner seiner Freunde oder Besucher verstand seinen Kummer. Es sieht doch hübsch aus mit den Blumen, jetzt erst ist es ein richtiger Bauernschrank. Oder, male doch die andere Tür auch noch an, dann sieht es besser aus, waren die häufigsten Kommentare.
Oskar stand auf und holte sich ein Bier. Dann ließ er sich wieder in den Sessel fallen und versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Plötzlich öffneten sich beide Türen des Schrankes gleichzeitg mit einem leisen knarren. Wie in Trance schaute Oskar auf das Geschehen. Sein Schrank, sonst vollgestopft mit Sachen, war leer. Leer die Fächer, leer die Bügel, die wie in Zeitlupe hin und her pendelten. Die Rückwand aus Sperrholzplatten fehlte, er konnte die nackte Mauer aus roten Ziegelsteinen sehen. Mauer? Ziegelsteine? Wieso, das Zimmer ist doch tapeziert. Oskar schaute verwundert auf die Bierflasche in seiner Hand. Bin ich betrunken? Doch die Flasche war noch nicht mal geöffnet. Er stand auf und ging hastig zum Schrank. Jetzt konnte er die Umrisse einer Tür, oder was immer es auch sein mochte, erkennen. Mit der rechten freien Hand stemmte er sich gegen das Mauerwerk, die Linke umfasste noch immer die Bierflasche. Oskar hatte Gegendruck erwartet, aber er fasste ins Leere. Beinahe wäre er hingefallen. Die Flasche fiel auf den Boden und zersprang. Oskar konnte sich noch an der Schrankkante abstützen. Ein unangenehmer Bierduft stieg in seine Nase. Sein Blick senkte sich und er beschloß die Schweinerei erst mal auf zu wischen.
Mit Lappen und Eimer bewaffnet und einem neuen Bier kam er aus der Küche. Nachdem er sorgfältig alles aufgewischt hatte, fiel ihm auf, dass die Schranktüren geschlossen waren. Er öffnete erst die eine Tür, dann die andere, so wie immer. Und so wie immer sah auch der Inhalt aus. Habe ich geträumt oder was passiert mit mir? Oskar war ratlos. Immer wieder strich er mit den Händen über die Sperrholzplatte und fasste seine Kleidung an. Da dies nichts veränderte, schob er den Schrank mühsam ein Stück beiseite. Doch auch hier hatte sich nichts verändert, nur Tapete, mit ein paar Spinnweben.
Oskar setzte sich vor den Fernseher, trank sein Bier und ging dann zu Bett. Nach ein paar Tagen redete er sich ein, das alles nur Einbildung war.
Doch so leicht sollte er nicht davonkommen, auch wenn er sich in seine Arbeit vergrub. Immer wieder wanderten die Gedanken zu der geheimen Tür, die ins Nichts führte. Oder führte sie doch irgendwohin? Tage später untersuchte er seinen Bauernschrank nochmals sorgfältig. Er räumte ihn aus und wieder ein. Kein Spuk, keine Ziegelwand, nichts. Dann erinnerte er sich, dass er damals im Sessel saß und auf den Schrank gestiert hatte. Ja, und an die Blumen hatte er gedacht und an Jasmin. Sollte er es nochmal versuchen?
Also saß er wieder in seinem Sessel, ein ungeöffnetes Bier in der Hand und versuchte sich zu konzentrieren. Da lange nichts passierte, griff er nach dem Öffner und plötzlich drang ein leises knarren an sein Ohr. Oskar wagte den Kopf nicht zu wenden, doch aus den Augenwinkeln konnte er die geöffneten Türen sehen. Er stellte sein Bier auf den kleinen Holztisch und ging Richtung Schrank. Er hob das eine Bein, dann das Andere und stand im Schrank vor der Ziegelwand. Ohne weiter zu überlegen tat er den nächsten und übernächsten Schritt. Nun hatte er die Mauer hinter sich.
Oskar, der nicht an Spukgeschichten und Geister glaubte war nun in einer anderen Welt. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das diffuse Licht. Überall tanzten neblige Gestalten und ein grummeln und murmeln war zu hören. Wir haben auf dich gewartet, hörte er eine gruslige Stimme und er sah, wie eine Gestalt ihn mit knochigen Händen an den Haaren zerrte. Entsetzen packte ihn und er wollte zurückweichen, aber die Mauer gab nicht nach. Ah, so ist es also, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dachte er lächerlicherweise, denn er hatte im Moment weißgott andere Sorgen. Wer seid ihr, was wollt ihr von mir, rief er laut und ängstlich. Wir sind die Geister der gefällten Bäume und nur du kannst uns befreien, kam prompt die Antwort. Als Oskar das hörte, verschwand all seine Angst und er fing lauthals an zu lachen. Er lachte so sehr, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen und er kaum noch Luft bekam. Er lachte noch immer und konnte sich lange nicht beruhigen, obwohl er schon längst wieder in seiner Stube im Sessel saß und sein Bier in der Hand im Takt mitschwang.
Elli saß im Krankenhaus bei ihrer Großmutter am Bett und hielt ihre Hand. Die Hand war kalt und zuckte manchmal leicht. Ich hätte nicht nach dem Essen kommen sollen, da ist Oma immer müde, dachte Elli. Sie kam jeden zweiten Tag und schaute wie es ihr ging. Oma hatte einen Herzanfall gehabt und leider auch schon die ersten Anzeichen von Alzheimer. Wenn sie sich erholt hatte, würde sie in ein Pflegeheim müssen. Elli hatte schon mit ihrer Mutter gesprochen und ihre vermeintlich gute Idee unterbreitet. Mama, kann Oma nicht in mein Zimmer ziehen und ich übernehme Omas Wohnung? Die Mutter zögerte mit der Antwort, doch dann sagte sie: Du weißt was der Arzt gesagt hat, wir sollen sie nicht allein lassen und ich bin doch halbtags arbeiten. Natürlich kann ich es versuchen, aber was ist, wenn Oma was passiert. Elli war enttäuscht, aber sicher hatte Mama recht. Mama, kann ich trotzdem Omas Wohnung haben, sie kommt doch eh nicht zurück und ich habe es dann auch nicht mehr so weit zur Uni. Die Mutter sah ihre Tochter liebevoll an und stimmte zu. Ich werde dich vermissen, aber irgendwann mußt du ja auf eigenen Beinen stehen. Elli drückte ihre Mama stürmisch.
Die kalte Hand ihrer Großmutter zuckte stärker und sie schlug kurz die Augen auf. Dann redete sie vor sich hin, was Elli schon kannte. Immer wieder sprach sie von Oskar, ihrem geliebten Mann, den sie schmerzlich vermisste. Elli war noch klein, als Oskar starb und erinnerte sich nicht an ihn. Alles was sie wußte von ihm, wußte sie von Oma. Oma nannte ihn immer Oskar und somit Elli auch.
Jetzt wurden die Augen ihrer Großmutter klar und sie drückte schwach die Hand ihrer Enkeltochter. Du siehst aus wie er, deine blonden feinen Haare und auch die Gesichtszüge. Elli hatte das schon Tausend mal gehört, denn ihre Oma erzählte fast nur noch von vergangenen Zeiten. Und ihre Großmutter legte den Kopf beiseite und redete weiter. Oskar hat unsere Möbel alle selbst hergestellt, er war so geschickt. Später baute er dann eine Wiege für deine Mutter, du hast da auch drinn gelegen. Oskar war so stolz Opa zu sein, er hat dich so sehr geliebt mein Kind. Du mußt sein Andenken in Ehren halten. Gib gut auf die Möbel acht. Und niemals, hörst du, niemals darfst du den großen Bauernschrank weggeben, nur deinen Kindern später. Der Schrank war für ihn etwas ganz besonderes. Er hat mir darüber mal eine Geschichte erzählt. Du mußt sie wissen, damit du sie an deine Kinder weitergeben kannst.
Die Stimme der Großmutter wurde leiser und leiser und ging dann in ein unverständliches Murmeln über. Elli strich ihr beruhigend über die Stirn. Sie wußte, heute würde sie die Geschichte nicht erfahren, ihre Oma war erschöpft. Sie gab ihr einen zärtlichen Kuß auf die verrunzelte Wange und verabschiedete sich.
Seit einigen Monaten wohnte nun Elli in Omas Wohnung. Sie hatte entrümpelt, aufgeräumt, geputzt, die Möbel umgestellt und war endlich fertig. Zufrieden schweiften ihre braun-grünen Augen durchs Zimmer. Sie hatte natürlich alle Möbel behalten und die strahlten jetzt in neuem Glanz. Nur den Schrank hatte sie nicht verrutscht, es war ein guter Platz dort an der Wand. Gewundert hatte sie sich schon manchmal, dass der Schrank nur einseitig bemalt war, aber weiter keinen Gedanken daran verschwendet, schließlich kannte sie ihn nicht anders. Doch seit sie die wundersame Geschichte über den alten Bauernschrank von ihrer Großmutter erfahren hatte, träumte sie öfter davon. Natürlich glaubte Elli ihrer Oma kein Wort, schließlich hatte sie Alzheimer und erzählte den lieben langen Tag erfundene Sachen. Trotzdem ließ sie die Geschichte nicht los.
Elli hatte einen Entschluß gefasst. Sie nahm einen großen Block und fing an zu schreiben. Sie fing mit ihrer Kindheit an und sie schrieb jede Einzelheit über Oskar auf. Es war schon Mitternacht, als sie endlich den Stift beiseite legte.
Von ihrem Bett aus konnte sie durch die offene Tür, den nun geheimnisvoll aussehenden Schrank, im Mondlicht glänzen sehen. In der Ferne zuckten Blitze und dann war ein leises Grollen zu vernehmen. Sie kuschelte sich unter ihre Decke und reiste hinüber ins Land der Träume.
Es wurde ein milder und sonniger Herbst. Elli hatte sich einen Stuhl in den Garten gestellt und hielt ihren Schreibblock fest. Sie hatte heute alles aufgeschrieben, was sie noch von ihrer Mutter und Großmutter erfahren hatte. Inzwischen war es ihr egal, ob alles der Wahrheit entsprach was Großmutter erzählte, es waren auf jeden Fall spannende Geschichten. Verträumt schaute sie zum Himmel durch das Laub der Birke, welches sich schon gelb färbte, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich wahrnahm. Erschrocken drehte sie sich um und sah einen jungen Mann, der auf sie zukam. „Entschuldigung, sind Sie Frau Hildegard Müller?“ Elli mußte lachen. „Sehe ich vielleicht aus wie Hildegard? Nein, das ist meine Vermieterin.“ Die beiden kamen ins Gespräch und Elli erfuhr, dass Oskar bald hier in die leerstehende Wohnung einziehen würde. Oskar war Tischler und hatte hier in der Stadt Arbeit gefunden. Natürlich erzählte Elli ihm, was das für ein besonderer Zufall war, einmal der Name Oskar und dann auch noch Tischler. Doch Oskar war interessiert und wollte mehr von ihrem Opa wissen. Ehe Elli weitersprechen konnte, kam die Vermieterin von ihrem Einkauf zurück und Oskar schaute sich erst mal die Wohnung an. Eine halbe Stunde später stand er wieder vor ihr und reichte ihr die Hand. „Auf gute Nachbarschaft! Ich nehme die Wohnung. Sie ist nicht zu teuer aber ein bisschen klein.“ Wieso klein, zieht noch jemand mit dir ein?“ Bei dieser Frage krampfte sich ihr Magen ein wenig zusammen, irgendwie gefiel ihr der Gedanke nicht. „Nein, ich bin allein, aber ich hätte schon gern ein extra Zimmer, wo ich meinem Hobby nachgehen kann.“ Lass mich raten“, lachte Elli. „Du willst dir einen Bauernschrank selber zimmern.“ Oskar schaute sie fassungslos an. „Woher weißt du das, es ist mein geheimer Wunsch und ich habe noch nie mit jemand darüber gesprochen. Bist du eine Hellseherin?“ „Ach was, ich hab das nur so gesagt, weil ich hier eine Geschichte über meinen Bauernschrank aufgeschrieben habe.“ Und sie klopfte bedeutungsvoll auf ihren Block.
Ab und zu trafen sich Elli und Oskar im Treppenhaus oder im Garten und wechselten ein paar Worte. Eines Abends jedoch klingelte er an ihrer Tür. „Hast du ein paar Minuten Zeit? Ich würde mir gern deinen Schrank ansehen und wenn du Lust hast, kannst du mir ja die Geschichte dazu erzählen.“ Und wie Elli Lust hatte. Sie freute sich über den Besuch und schleppte sogleich Getränke heran. Oskar bewunderte den Schrank und hatte so seine Zweifel, ob er wohl auch so ein solides Stück bauen könnte. „Du schaffst das schon, hast doch dein Handwerk gelernt.“ Elli war zuversichtlich, aber Oskar meinte, dass es vorläufig eh nicht geht, da ihm ja der Platz fehlt und auch noch einiges Werkzeug. Da hatte Elli eine Idee. „Wollen wir nicht mal die Vermieterin wegen dem alten Schuppen im Garten fragen? Ich weiß nicht, ob sie ihn nutzt, mein Opa hat ja dort gearbeitet. Das wäre doch lustig, wenn nun wieder ein Oskar dort sein Unwesen treibt,“ fügte sie verschmitzt hinzu. Oskar wurde hellhörig. „Ein Schuppen soll da sein? Hab ich noch garnicht gesehen.“ „Doch, ganz hinten, ich war noch nie dort. Frau Müller hat einen Zaun um ihren Garten und die Tür ist sicher abgeschlossen.“ Oskar schwieg. Nach einer Weile fragte er nach der geheimnisvollen Geschichte und Elli erzählte ihm alles.
„Bist du sicher, dass dein Großvater die Wahrheit gesagt hat?“ „Wir brauchen es doch nur auszubrobieren, dann wissen wir Bescheid,“ erwiederte Elli und nippte an ihrem Glas. Mit einem Lachen tat es Oskar ab und es wurde an diesem Abend nicht mehr darüber gesprochen.
Die Flasche Wein war leer und Oskar verabschiedete sich, aber nicht ohne Elli daran zu erinnern, bald mit der Vermieterin zu sprechen.
Was Elli von der Vermieterin erfuhr, klang vielversprechend. Frau Müller hatte das Haus sammt Garten und Schuppen von ihrer Mutter geerbt. Aber es war schon ein bißchen kompliziert, denn Ellis Großmutter hatte den Schuppen gekauft und alles sollte darin so bleiben, wie es ihr Mann verlassen hatte. Jedoch durfte die Vermieterin weiterhin ihre Gartengeräte und diverse Dinge abstellen. „Sie können jederzeit in den Schuppen, den Schlüssel bekommen sie noch“, sagte die Vermieterin und Elli war glücklich. Natürlich wollte sie Oskar gleich die frohe Botschaft überbringen. Doch Oskar war im Moment nicht zu Hause und so ging Elli allein auf Entdeckungstour.
Im Schuppen war es dunkel, denn durch die schmutzigen Scheiben kam kaum Licht. Außerdem standen draußen große Apfelbäume, welche jetzt reiche Ernte trugen. Hier sieht man ja garnichts, außer lauter Gerümpel, dachte Elli. Trotzdem ging sie noch einige Schritte vorwärts. Und da hörte sie das Geräusch zum ersten mal. Es klang wie ein leises Zwitschern, als ob ein Vogel sein Nest hier gebaut hat und die junge Brut würde im Schlaf dieses zarte Zwitschern von sich geben.
Am nächsten Tag ging sie dann mit Oskar und einer Taschenlampe bewaffnet in Großvaters ehemalige Werkstatt. Oskar war begeistert. Er sah nicht den Schmutz und das Gerümpel, sondern nur, dass er nun endlich Platz für sein Hobby hatte. Im hinteren Teil entdeckte er sogar noch brauchbares Werkzeug und rief Elli heran. „Schau mal, das ist Qualität. So alt schon und noch nicht verrottet, obwohl das Dach undicht ist. Aber sag mal... das gehört ja deiner Großmutter alles, wir müssen sie fragen. Vorher hat es keinen Zweck aufzuräumen.“ Oskar verrenkte seinen Kopf als ob er lauscht und meinte dann: „Spinne ich, oder hörst du auch das Zwitschern?“
Bei einem ihrer nächsten Besuche im Altenheim bei der Großmutter brachte Elli das Gespräch auf den Schuppen. Sie erzählte ihr, dass sie einen guten Freund hat, der Tischler ist und dort gerne arbeiten würde. Ihre Oma war sofort einverstanden und fing an zu schwärmen, wie schön es damals war, als Oskar noch lebte. „Manchmal brachte ich ihm eine Tasse heißen Kaffe hinter oder ich wollte einfach nur zuschauen wie er arbeitet. Oskar stellte dann seine Maschinen ab und wir setzten uns hin und plauderten ein Weilchen. Anfangs fragte er mich immer, ob ich das Zwitschern höre, aber ich glaube seine Ohren waren etwas geschädigt von den lauten Maschinen. Einmal hat er mir eine Holzfigur geschenkt, die er gebastelt hat, aber die war so gruslig, die wollte ich nicht in der Wohnung haben. Besonders, nachdem er mir erzählt hatte, das dies eine Nachbildung eines Geistes aus dem Bauernschrank sein sollte. Er hat sie sorgfältig eingewickelt und in dem Schuppen gelegt. Ich hab sie nie wieder gesehen.“ Die Oma redete noch weiter von vergangenen Zeiten und Elli wagte nicht sie zu unterbrechen. Sie hätte ihr gern gesagt, das ihr Freund auch Oskar heißt und das sie auch das Zwitschern gehört hat. Doch ihre Oma war schon in ihre eigene Welt abgedriftet und sprach über Oskar, der jede Nacht an ihrem Bett stand. „Aber stell dir vor Elli, er hat jetzt dunkle kurze Haare und er ist wieder jung. Er spricht mit mir und sagt ich soll bald zu ihm kommen. Weißt du, ich habe ihn an seinen Augen erkannt.“ Und so ging es noch eine Weile weiter. Als Elli sich verabschiedete, sagte ihre Oma: „Bring doch deinen Freund mal mit her, ich möchte ihn kennenlernen.“
Nachdenklich fuhr Elli nach Hause. Sie hatte begriffen, dass nicht alles Spinnerei sein konnte, was Großmutter erzählte, schließlich hatte sie auch das Zwitschern gehört. Ein Weilchen dachte sie darüber nach und kam zu dem Schluß, dass im Schuppen Vögel nisten, vielleicht Schwalben oder so. Das wäre eine logische Erklärung.
Am Wochenende stand sie dann mit Oskar im Schuppen und es wurde aufgeräumt. So begeistert hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er schmiedete schon Pläne für die Zukunft, dass er sich hier bestimmt auch Selbstständig machen könne. Aber erst mal mußte das Dach repariert werden. Sonntag Abend war alle Arbeit getan. Im Garten stapelte sich ein Haufen von unbrauchbarem Holz.
„Wir könnten nächstes Wochenende Einweihung feiern und ein Lagerfeuer machen“, meinte Elli fröhlich. „Gute Idee, kann ich meinen Arbeitskollegen mitbringen?“ „Ja klar doch, ich bringe meine Freundin mit und wir machen es uns gemütlich. Frau Müller müssten wir aber auch einladen, schließlich ist es ihr Garten.“ Eigentlich wollte Elli Oskar noch erzählen, was sie von ihrer Oma erfahren hatte, doch sie war viel zu müde und kaputt, schließlich hatte sie zwei Tage hart gearbeitet. Später, als sie frisch geduscht in ihrer kleinen Stube saß, griff sie zu ihrem Block und schrieb weiter. Vielleicht wird es mal ein spannendes Buch und ich werde eine berühmte Schriftstellerin, dachte Elli zuversichtlich, als sie später im Bett lag und lange nicht einschlafen konnte. An Oskar dachte sie auch und mußte sich eingestehen, dass sie in ihn verliebt war. Ein Leben ohne Oskar war inzwischen undenkbar.
Das Lagerfeuer knisterte und knackte und manchmal knallte es und die Funken flogen bis hoch über die großen Apfelbäume. Elli saß auf auf einer alten Kiste und schaute in die kleine Runde. Das Feuer zauberte bizarre Schatten auf die Gesichter und ihr Blick blieb an Oskar hängen. Oskar erstaunte sie immer wieder. Er hatte die kleine Feier so gut vorbereitet. Auf dem Tisch hinter ihr standen noch die Reste seines selbstgemachten Nudelsalates. Dazu hatte er Würstchen gebraten und einen wirklich leckeren Schafkäsesalat gezaubert. Auch das Bier, welches sie in der Hand hielt hatte er spendiert. Es ging auf Mitternacht zu und alle hatten sich in warme Decken gehüllt. Nur nicht Oskars Kollege Ben. Der hatte seine Gitarre mitgebracht und klimperte leise darauf. Ellis Freundin Sanna saß dicht neben ihm und summte die Melodie mit. Ihre Vermieterin, Frau Müller war der Einladung gefolgt, hatte sich aber bald nach dem Essen verabschiedet. So saßen sie nun zu viert um das Feuer und waren schon etwas schläfrig. Doch plötzlich machte Ben ein paar laute Akkorde und dann spielte er ein lustiges Lied. Nun sangen alle lauthals mit. Oskar rückte näher an Elli heran. „Was für ein schöner Abend, findest du nicht auch?“ „Ja, es ist schön hier im Garten und dein Kollege scheint ja ein ganz Netter zu sein. Fällt dir auch auf, dass er sich schon den ganzen Abend mit Sanna beschäftigt? Ich glaube sie mag ihn auch. Aber sag mal, ist dein Kumpel verheiratet oder anderweitig gebunden, ich möchte nicht das meine beste Freundin enttäuscht wird.“ Oskar versprach sich darum zu kümmern und wollte Ben unauffällig auf den Zahn fühlen. Dann legte er seinen Arm um Elli und sie ihren Kopf auf seine Schulter und gemeinsam sangen sie die alten Volkslieder, die Ben spielte.
Monate waren vergangen. Oskar versuchte im Schuppen die alte Kreissäge in Gang zu bringen. Doch er war nicht ganz bei der Sache. Immer wieder wanderten seine Gedanken auf Arbeit. Er hatte damals Ellis Wunsch entsprochen und sich vorsichtig bei Ben erkundigt, wie er zu Sanna steht. Ben hatte nur gelacht und erwiedert, dass er die Tussi auch bald in die Kiste kriegt. Oskar verschlug es erstmal die Sprache, denn das hatte er nicht von seinem sogenannten Kumpel erwartet. Später erfuhr er dann von einem Kollegen, dass Ben verheiratet sein soll. Natürlich berichtete Oskar alles Elli, welche es dann schonend ihrer Freundin Sanna beibrachte. Was keiner von den beiden wußte: Sanna stellte Ben zur Rede, der wiederum Oskar beschimpfte. Dies ging soweit, dass Ben die Kollegen gegen Oskar aufhetzte und es artete in Mobbing vom Feinsten aus. Oskar war zwar ein geduldiger und ruhiger Mensch, welcher versuchte, mit allen auszukommen, aber was zur Zeit auf Arbeit ablief, war ausser Kontrolle geraten. Oskar war sauer, nein er war wütend und gekränkt. Wie konnte Ben ihm das antun? Jeder Arbeitstag war eine Qual und am liebsten würde er garnicht mehr hingehen. Im stillen schimpfte er sich eine Memme und ärgerte sich, dass er nichts gegen Ben unternahm.
„Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, du bist in letzter Zeit immer so komisch“? Elli war unbemerkt herein gekommen und sah ihn nun fragend an. Oskar wußte nicht recht, was er antworten sollte, er hatte bisher alles in sich reingefressen und Elli nichts erzählt. „Komm schon, mach eine Pause, ich hab Kaffee mitgebracht. Setz dich zu mir und rede mit mir“, sagte Elli und stellte zwei Hocker zusammen. Oskar setzte sich brav hin, nippte an seiner Tasse und dann brach alles heraus aus ihm. Nachdem er fertig mit erzählen war, saß er da und ließ den Kopf hängen.
Elli war entsetzt. Wieso hatte sie ihn nicht eher angesprochen? Sie hatte doch schon lange gemerkt, dass sich Oskar verändert hatte. Sie schaute lange zu ihm hin und aus ihr quoll Liebe und Mitleid. Dann stand sie auf und nahm Oskar in die Arme. Sie hielten sich fest und konnten lange nicht sprechen. Doch dann schlug Ellis Mitleid in Zorn um und sie zog böse über Ben her. Aber einen Ausweg aus dieser vertrakten Situation wußte sie auch nicht - bis ihr plötzlich eine Idee kam.
„Oskar, du mußt nicht zu den Idioten auf Arbeit rennen. Mach dich doch einfach Selbstständig und arbeite hier im Schuppen. Bei meinem Großvater hat es doch auch geklappt.“ Elli fand ihre Idee wunderbar und strahlte ihn an. „Ich könnte an der Uni Zettel verteilen und für dich Reklame machen und wir könnten eine Anzeige in die Zeitung setzen.“ Elli hatte noch viele Ideen und langsam fasste Oskar Mut. Er wußte schon, dass es ein schwerer Anfang werden würde und dass es einige Hürden zu überwinden gab.
Sie sprachen an diesem Abend noch lange und schmiedeten Pläne. Oskar war zum Schluß ganz begeistert, sollte doch sein Traum in Erfüllung gehen.
Die nächsten Wochen und Monate waren ausgefüllt mit Behördengängen, Gespräche mit der Bank und vielen anderen lästigen Dingen, welche aber erledigt werden mußten. Oskar hatte noch immer nicht gekündigt und seltsamerweise waren die Kollegen wieder freundlicher, was sicher auch an seinem selbstbewußten Auftreten lag. Oskar ließ sich nichts mehr gefallen und das verschaffte ihm Respekt, sehr zum Leidwesen von Ben.
„Aus der Traum“!, sagte Oskar nach etlichen Monaten banger Wartezeit. Er hatte den Brief der Bank vor sich und seine großen Hände zitterten leicht. Eigentlich hatte er ja damit gerechnet, denn er konnte keinerlei Sicherheiten bieten. Doch da der beantragte Kredit nicht in die Millionen ging, war schon Hoffnung vorhanden. Die zerplatzte nun wie eine Seifenblase. Also weitermachen wie bisher, dachte er traurig und enttäuscht.
Als Elli am Nachmittag ziemlich geschafft nach Hause kam, hatte er schon wieder neuen Mut gefasst. Oskar erklärte Elli lang und breit, dass er den Schuppen selbst auf Vordermann bringen wolle und die alten Maschinen würden wohl auch noch eine Weile ihren Dienst tun.
Elli war stolz auf Oskar. Nein, er war gewiss kein Weichei und sie versprach ihn mit allen Kräften zu unterstützen. Also hakten sie das Thema ab und schmiedeten neue Pläne.
Oskar saß an seinem kleinen Küchentisch und betrachtete die geschnitzte Holzfigur, welche er vorhin in einer Nische des Schuppens gefunden hatte. Sie war aus hellem Buchenholz, aus einem Stück gearbeitet und sehr gut erhalten. Doch das helle Holz milderte nicht den gruseligen Eindruck, den sie verbreitete. Sieht fast so aus wie ein Teufel, nur ohne Hörner, dachte Oskar und strich ehrfurchtsvoll über die gelungene Schnitzarbeit. Die kleine Figur stand auf einem Baumstamm und hatte die Arme wie drohend erhoben. So richtige Arme waren es garnicht, denn sie waren aus Ästen, wie auch der gesamte verkrümmte Körper. Statt Haare befanden sich auf dem Kopf dünne verknorpelte Zweige. Die Augenhöhlen, tief und dunkel, sahen ihn boshaft an und der verzerrte Mund war weit offen und zum Schrei erstarrt. Oskar schaute wie gebannt und bemerkte nicht, dass durch das geöffnete Fenster die Sommersonne hell herein schien. Seine Gedanken wanderten zu dem alten Bauernschrank. Bisher hatte er noch nicht den Versuch unternommen, hinein zu steigen. Und plötzlich mußte er an Ellis Oma denken. Gemeinsam mit Elli hatten er an ihrem Bett gestanden und gewartet bis sie aufwachte. Was dann kam hatte keiner erwartet. Als die Oma ihn sah stieg Freude in ihr altes verrunzeltes Gesicht. „Oskar, mein Lieber, schön, dass du endlich da bist. Ich habe jeden Tag auf dich gewartet. Ich habe nachts wach gelegen und gewartet, dass du kommst. Oskar, mein Engel, wir wollten uns doch niemals verlassen! Warum hast du mir das angetan? Bitte gib mir einen Kuss! Bitte küss mich ein letztes mal“! Die letzten Sätze wurden immer leiser und Oskar hatte Mühe alles zu verstehen. Langsam beugte er sich zu der alten Frau hinunter, um ihr einen Kuss auf die runzlige, tränenverschmierte Wange zu geben. Dann fiel ihr Kopf zur Seite und Elli schrie auf.
So möchte ich auch sterben, dachte er traurig. Sie mußte wenigstens nicht leiden. Ein schöner Tod! Und wieder fiel sein Blick auf die Holzfigur. Endlich bemerkte er die helle Sommersonne und trat zum Fenster. Unten lag die Wiese in sattem grün und weiter hinten konnte er das Dach seiner Werkstatt sehen.
Elli hatte überall Reklame für ihn gemacht und er hatte einige kleine Aufträge bekommen, aber es reichte nicht, um die Arbeit auf dem Baumarkt hinzuschmeißen. Außerdem machte es wieder Spass. Sein bösartiger Kollege Ben, hatte gekündigt. Angeblich weil er was besseres gefunden hatte.
Oskar war es recht.
Plötzlich hörte er einen gellenden Schrei und sah kurz darauf seine Vermieterin, Frau Müller, wie sie unter den Apfelbäumen auf die Wiese zulief. „Kann ich helfen“?, rief er hinunter, doch Frau Müller war schon im Haus verschwunden und er hörte nur noch, wie sie ihre Tür zuknallte. Aber eine Minute später klingelte sie an seiner Tür. Völlig aufgelöst, berichtete sie dem erstaunten Oskar, was sich zugetragen hatte. „Ich habe im alten Schuppen meine Gartengeräte sortiert und bin auch mal hinter in ihre Ecke gegangen. Schmuck sieht es dort aus, Sie haben ja alle Maschinen wieder aufgestellt. Und wie ich mir das so betrachtet habe, höre ich doch aufeinmal so einen komischen Ton. Erst dachte ich, das kommt von draußen, aber dann war es genau neben mir. Das war so gruslig, Sie können sich das garnicht vorstellen, Herr Burmann. Irgend eine Gestalt flog an mir vorbei und hat ganz grässlich gelacht. Das gibts doch garnicht. Sehe ich schon Gespenster“?
„Setzen Sie sich doch erst mal hin, ich hab noch einen Schnaps, den trinken Sie und dann sieht die Welt wieder besser aus“.
Frau Müller saß noch immer in Oskars Küche, als Elli mit einem Berg Kuchen nach Hause kam. Natürlich erzählte sie ihr alles haarklein, aber sie hatte sich schon wieder beruhigt und zweifelte nun an ihrem Erlebnis. „Vielleicht war es eine Fledermaus“, sagte Elli leichthin, doch sie wollte selbst nicht glauben, was sie da versuchte, Frau Müller einzureden.
Später zeigte ihr Oskar dann die Holzfigur. An diesem Abend beschloss Oskar in den Bauernschrank zu gehen.
Aber wie sollte er das anstellen? „Am besten du nimmst auch ein Bier in die Hand und konzentrierst dich ganz auf den Schrank. Soll ich dabei bleiben, oder willst du lieber allein sein“? „Bleib mal lieber da, dann kannst du mich vor den bösen Geistern retten“, lachte Oskar, denn er hatte überhaupt keine Angst. Sie legten den Sonntag für ihr Experiment fest!
Endlich kam der Sonntag. Oskar hatte im Laufe der Woche immer wieder in Ellis Bauernschrank gewühlt; Sachen raus - Sachen rein. Sogar hinter den Schrank hatte er geschaut, konnte aber nichts aussergewöhnliches feststellen. Auch versuchte er heraus zu bekommen, wieso man immer nur eine Tür öffnen konnte, nie beide gleichzeitig. Aber auch diese Erkenntnis blieb ihm verwehrt. Naja, ist ja auch egal, murmelte er vor sich hin, Sonntag klappt es oder nicht. Aber danach ist Schluß mit Geistern und Gespenstern. Ich werde Elli schon beruhigen.
Und nun war Sonntag und Oskar hatte sich schon ein Bier organisiert. Er setzte sich in den alten schweren Sessel und dachte an das Innenleben des mysteriösen Schrankes. Wohl an die fünf Minuten saß er stumm da. „Was ist los, klappt es nicht“?, fragte Elli, welche in der Küche saß und von dort aus das Geschehen beobachtete. „Nein, ich weiß auch garnicht so recht worauf ich mich eigentlich konzentrieren soll. Ich kann ja schließlich nicht an seine damalige Freundin denken, die kannte ich doch nicht“. „Weißt du was“?, sagte Elli, „stell doch einfach deine Gruselfigur auf den Tisch und konzentriere dich darauf“. „Meinst du das bringt was“? fragte Oskar, stand aber auf und holte seine Holzfigur.
Elli wurde es langsam langweilig auf ihrem unbequemen Küchenstuhl. Lange zehn Minuten waren vergangen und nichts, aber auch garnichts war passiert. Vielleicht ist Oskar eingeschlafen, dachte sie, ich werde ihn jetzt wecken, hat ja eh keinen Sinn.
„Oskar“!, rief sie vorsichtig, dann etwas lauter: „Oskar, schläfst du, mach die Augen auf“!
Oskar hob langsam die Hände und rieb sich verschlafen die Augen. „Ich glaube, ich bin eingeschlafen, Elli. Aber ich habe nichts geträumt, weder von Geistern noch dass ich im Schrank war. Komm, wir machen für heute Schluß, ich bringe nur noch die Holzfigur in den Schuppen, ich möchte sie nicht mehr in der Wohnung haben“.
Doch was war das? Beide schauten entgeistert und ungläubig auf den Tisch. Dort hätte die Figur stehen müssen. Solange sie auch suchten, auch Jahre später, die gruselige Holzfigur blieb für immer verschwunden.
Oskar war ein großer stattlicher Mann mit einer sportlichen Figur und großen Füßen. Seinen Kopf hielt er beim Laufen meißt gesenkt, als ob er etwas suchte. Dabei fielen ihm seine langen blonden Haare ins Gesicht und verdeckten seine braun-grünen Augen, in die ein seltsames warmes Leuchten kam, wenn er sprach. Meißt jedoch schien es so, als ob er verträumt etwas sah, welches anderen verborgen blieb.
Oskar war Dreiunddreißig und lebte, wieder mal allein, in einer kleinen gemütlichen Wohnung am Stadtrand. Er arbeitete gern mit den Händen und war stolz auf seine hergestellten Werke. Oskar war Tischler. Da Oskar ein stolzer Mann war und sich nicht den Zwängen eines ewig unzufriedenen Chefs aussetzen wollte, machte er sich vor einigen Jahren selbstständig. Sein Geschäft lief recht und schlecht und selten verirrte sich jemand zu ihm in die Werkstatt.
Seine Werkstatt war ein recht ansehnlicher Schuppen im Garten seiner Vermieterin. Einen Obolus für die Nutzung brauchte er nicht zahlen, da er fast sämtliche Reparaturen im Haus kostenlos ausführte. So war es abgemacht.
Oskar war allerseits beliebt, hatte jedoch nur wenige Freunde, da er am liebsten in seinem Schuppen am basteln war. Er nannte seine privaten Werke Bastelei, was es keineswegs war. Mittlerweile hatte er sein gesamtes Mobilar selbst gezimmert. Und wenn ihn jemand besuchte, wurde er für seine Geschicklichkeit gelobt. Besonders ein alter Bauernschrank zog immer wieder die Blicke der Besucher auf sich. Klobig und doch irgendwie anmutig, nahm er fast die ganze Breite der Wand ein. Sein helles Holz schimmerte wie Gold, wenn die Abendsonne durch das kleine Fenster fiel. Der Schrank hatte zwei große Türen, welche man nicht gleichzeitig öffnen konnte. Hinter der einen Tür versteckten sich Fächer für Oskars Wäsche und die andere barg seine Kleidung, ordentlich auf diversen Holzbügeln. Eine der Türen war bemalt mit einer Blüte des Klatschmohns, umrankt von kleineren Kornblumen. Es war die einzige Malerei auf den Möbeln und Oskar überlegte schon einige Zeit, eine neue Tür einzusetzen. Er dachte nicht gern daran, wie die Blumen entstanden waren, doch jetzt saß er in seinem gemütlichem Sessel und starrte auf den Schrank.
Alles begann vorigen Sommer mit Jasmin. Sie hatten sich ineinander verliebt und nach Neujahr zog sie bei ihm ein. Doch bald stellte sich heraus, dass sie nicht zueinander passten, immer öfter gab es Streit. Oskar verzog sich dann in seinen Schuppen und bearbeitete sein Holz - bis sein Ärger verflogen war. Doch die verbalen Kämpfe wurden immer heftiger und er setzte ihr ein Ultimatum. Du ziehst zum letzten des Monats aus! Jasmin, die es auch leid war, stimmte zu.
Am Morgen des Auszugstages, also am einundreißigsten Mai, stand Oskar früh auf um sich in seine Werkstatt zu begeben. Jasmin schlief noch, hatte jedoch schon ihre Sachen gepackt. Oskar trat vor die Tür und Vogelgezwitscher und Sonnenschein empfingen ihn. Langsam ging er den ausgetretenen Pfad durch den Garten. Bis zur Dämmerung beschäftigte er sich mit der Herstellung eines Tisches und dazugehörigen Stühlen; einer seiner seltenen Aufträge.
Als er das Haus betrat, war Jasmin fort. Fort ohne Abschied, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Nein, nicht ganz, denn sein Blick fiel auf den Schrank. Und er sah mit Schrecken den roten Mohn und die blauen Kornblumen. Lange stand er vor seinem geliebten Schrank und in seinen Augen war nicht ein Funke von warmen Leuchten, nur Fassungslosigkeit und Schmerz.
Und diesen Schmerz spürte er auch jetzt wieder. Es war sein Werk, sein Herzblut steckte darin. Wie konnte sie, die Frau die er einmal glaubte zu lieben, ihm das antun.
Keiner seiner Freunde oder Besucher verstand seinen Kummer. Es sieht doch hübsch aus mit den Blumen, jetzt erst ist es ein richtiger Bauernschrank. Oder, male doch die andere Tür auch noch an, dann sieht es besser aus, waren die häufigsten Kommentare.
Oskar stand auf und holte sich ein Bier. Dann ließ er sich wieder in den Sessel fallen und versuchte auf andere Gedanken zu kommen. Plötzlich öffneten sich beide Türen des Schrankes gleichzeitg mit einem leisen knarren. Wie in Trance schaute Oskar auf das Geschehen. Sein Schrank, sonst vollgestopft mit Sachen, war leer. Leer die Fächer, leer die Bügel, die wie in Zeitlupe hin und her pendelten. Die Rückwand aus Sperrholzplatten fehlte, er konnte die nackte Mauer aus roten Ziegelsteinen sehen. Mauer? Ziegelsteine? Wieso, das Zimmer ist doch tapeziert. Oskar schaute verwundert auf die Bierflasche in seiner Hand. Bin ich betrunken? Doch die Flasche war noch nicht mal geöffnet. Er stand auf und ging hastig zum Schrank. Jetzt konnte er die Umrisse einer Tür, oder was immer es auch sein mochte, erkennen. Mit der rechten freien Hand stemmte er sich gegen das Mauerwerk, die Linke umfasste noch immer die Bierflasche. Oskar hatte Gegendruck erwartet, aber er fasste ins Leere. Beinahe wäre er hingefallen. Die Flasche fiel auf den Boden und zersprang. Oskar konnte sich noch an der Schrankkante abstützen. Ein unangenehmer Bierduft stieg in seine Nase. Sein Blick senkte sich und er beschloß die Schweinerei erst mal auf zu wischen.
Mit Lappen und Eimer bewaffnet und einem neuen Bier kam er aus der Küche. Nachdem er sorgfältig alles aufgewischt hatte, fiel ihm auf, dass die Schranktüren geschlossen waren. Er öffnete erst die eine Tür, dann die andere, so wie immer. Und so wie immer sah auch der Inhalt aus. Habe ich geträumt oder was passiert mit mir? Oskar war ratlos. Immer wieder strich er mit den Händen über die Sperrholzplatte und fasste seine Kleidung an. Da dies nichts veränderte, schob er den Schrank mühsam ein Stück beiseite. Doch auch hier hatte sich nichts verändert, nur Tapete, mit ein paar Spinnweben.
Oskar setzte sich vor den Fernseher, trank sein Bier und ging dann zu Bett. Nach ein paar Tagen redete er sich ein, das alles nur Einbildung war.
Doch so leicht sollte er nicht davonkommen, auch wenn er sich in seine Arbeit vergrub. Immer wieder wanderten die Gedanken zu der geheimen Tür, die ins Nichts führte. Oder führte sie doch irgendwohin? Tage später untersuchte er seinen Bauernschrank nochmals sorgfältig. Er räumte ihn aus und wieder ein. Kein Spuk, keine Ziegelwand, nichts. Dann erinnerte er sich, dass er damals im Sessel saß und auf den Schrank gestiert hatte. Ja, und an die Blumen hatte er gedacht und an Jasmin. Sollte er es nochmal versuchen?
Also saß er wieder in seinem Sessel, ein ungeöffnetes Bier in der Hand und versuchte sich zu konzentrieren. Da lange nichts passierte, griff er nach dem Öffner und plötzlich drang ein leises knarren an sein Ohr. Oskar wagte den Kopf nicht zu wenden, doch aus den Augenwinkeln konnte er die geöffneten Türen sehen. Er stellte sein Bier auf den kleinen Holztisch und ging Richtung Schrank. Er hob das eine Bein, dann das Andere und stand im Schrank vor der Ziegelwand. Ohne weiter zu überlegen tat er den nächsten und übernächsten Schritt. Nun hatte er die Mauer hinter sich.
Oskar, der nicht an Spukgeschichten und Geister glaubte war nun in einer anderen Welt. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das diffuse Licht. Überall tanzten neblige Gestalten und ein grummeln und murmeln war zu hören. Wir haben auf dich gewartet, hörte er eine gruslige Stimme und er sah, wie eine Gestalt ihn mit knochigen Händen an den Haaren zerrte. Entsetzen packte ihn und er wollte zurückweichen, aber die Mauer gab nicht nach. Ah, so ist es also, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dachte er lächerlicherweise, denn er hatte im Moment weißgott andere Sorgen. Wer seid ihr, was wollt ihr von mir, rief er laut und ängstlich. Wir sind die Geister der gefällten Bäume und nur du kannst uns befreien, kam prompt die Antwort. Als Oskar das hörte, verschwand all seine Angst und er fing lauthals an zu lachen. Er lachte so sehr, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen und er kaum noch Luft bekam. Er lachte noch immer und konnte sich lange nicht beruhigen, obwohl er schon längst wieder in seiner Stube im Sessel saß und sein Bier in der Hand im Takt mitschwang.
Elli saß im Krankenhaus bei ihrer Großmutter am Bett und hielt ihre Hand. Die Hand war kalt und zuckte manchmal leicht. Ich hätte nicht nach dem Essen kommen sollen, da ist Oma immer müde, dachte Elli. Sie kam jeden zweiten Tag und schaute wie es ihr ging. Oma hatte einen Herzanfall gehabt und leider auch schon die ersten Anzeichen von Alzheimer. Wenn sie sich erholt hatte, würde sie in ein Pflegeheim müssen. Elli hatte schon mit ihrer Mutter gesprochen und ihre vermeintlich gute Idee unterbreitet. Mama, kann Oma nicht in mein Zimmer ziehen und ich übernehme Omas Wohnung? Die Mutter zögerte mit der Antwort, doch dann sagte sie: Du weißt was der Arzt gesagt hat, wir sollen sie nicht allein lassen und ich bin doch halbtags arbeiten. Natürlich kann ich es versuchen, aber was ist, wenn Oma was passiert. Elli war enttäuscht, aber sicher hatte Mama recht. Mama, kann ich trotzdem Omas Wohnung haben, sie kommt doch eh nicht zurück und ich habe es dann auch nicht mehr so weit zur Uni. Die Mutter sah ihre Tochter liebevoll an und stimmte zu. Ich werde dich vermissen, aber irgendwann mußt du ja auf eigenen Beinen stehen. Elli drückte ihre Mama stürmisch.
Die kalte Hand ihrer Großmutter zuckte stärker und sie schlug kurz die Augen auf. Dann redete sie vor sich hin, was Elli schon kannte. Immer wieder sprach sie von Oskar, ihrem geliebten Mann, den sie schmerzlich vermisste. Elli war noch klein, als Oskar starb und erinnerte sich nicht an ihn. Alles was sie wußte von ihm, wußte sie von Oma. Oma nannte ihn immer Oskar und somit Elli auch.
Jetzt wurden die Augen ihrer Großmutter klar und sie drückte schwach die Hand ihrer Enkeltochter. Du siehst aus wie er, deine blonden feinen Haare und auch die Gesichtszüge. Elli hatte das schon Tausend mal gehört, denn ihre Oma erzählte fast nur noch von vergangenen Zeiten. Und ihre Großmutter legte den Kopf beiseite und redete weiter. Oskar hat unsere Möbel alle selbst hergestellt, er war so geschickt. Später baute er dann eine Wiege für deine Mutter, du hast da auch drinn gelegen. Oskar war so stolz Opa zu sein, er hat dich so sehr geliebt mein Kind. Du mußt sein Andenken in Ehren halten. Gib gut auf die Möbel acht. Und niemals, hörst du, niemals darfst du den großen Bauernschrank weggeben, nur deinen Kindern später. Der Schrank war für ihn etwas ganz besonderes. Er hat mir darüber mal eine Geschichte erzählt. Du mußt sie wissen, damit du sie an deine Kinder weitergeben kannst.
Die Stimme der Großmutter wurde leiser und leiser und ging dann in ein unverständliches Murmeln über. Elli strich ihr beruhigend über die Stirn. Sie wußte, heute würde sie die Geschichte nicht erfahren, ihre Oma war erschöpft. Sie gab ihr einen zärtlichen Kuß auf die verrunzelte Wange und verabschiedete sich.
Seit einigen Monaten wohnte nun Elli in Omas Wohnung. Sie hatte entrümpelt, aufgeräumt, geputzt, die Möbel umgestellt und war endlich fertig. Zufrieden schweiften ihre braun-grünen Augen durchs Zimmer. Sie hatte natürlich alle Möbel behalten und die strahlten jetzt in neuem Glanz. Nur den Schrank hatte sie nicht verrutscht, es war ein guter Platz dort an der Wand. Gewundert hatte sie sich schon manchmal, dass der Schrank nur einseitig bemalt war, aber weiter keinen Gedanken daran verschwendet, schließlich kannte sie ihn nicht anders. Doch seit sie die wundersame Geschichte über den alten Bauernschrank von ihrer Großmutter erfahren hatte, träumte sie öfter davon. Natürlich glaubte Elli ihrer Oma kein Wort, schließlich hatte sie Alzheimer und erzählte den lieben langen Tag erfundene Sachen. Trotzdem ließ sie die Geschichte nicht los.
Elli hatte einen Entschluß gefasst. Sie nahm einen großen Block und fing an zu schreiben. Sie fing mit ihrer Kindheit an und sie schrieb jede Einzelheit über Oskar auf. Es war schon Mitternacht, als sie endlich den Stift beiseite legte.
Von ihrem Bett aus konnte sie durch die offene Tür, den nun geheimnisvoll aussehenden Schrank, im Mondlicht glänzen sehen. In der Ferne zuckten Blitze und dann war ein leises Grollen zu vernehmen. Sie kuschelte sich unter ihre Decke und reiste hinüber ins Land der Träume.
Es wurde ein milder und sonniger Herbst. Elli hatte sich einen Stuhl in den Garten gestellt und hielt ihren Schreibblock fest. Sie hatte heute alles aufgeschrieben, was sie noch von ihrer Mutter und Großmutter erfahren hatte. Inzwischen war es ihr egal, ob alles der Wahrheit entsprach was Großmutter erzählte, es waren auf jeden Fall spannende Geschichten. Verträumt schaute sie zum Himmel durch das Laub der Birke, welches sich schon gelb färbte, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich wahrnahm. Erschrocken drehte sie sich um und sah einen jungen Mann, der auf sie zukam. „Entschuldigung, sind Sie Frau Hildegard Müller?“ Elli mußte lachen. „Sehe ich vielleicht aus wie Hildegard? Nein, das ist meine Vermieterin.“ Die beiden kamen ins Gespräch und Elli erfuhr, dass Oskar bald hier in die leerstehende Wohnung einziehen würde. Oskar war Tischler und hatte hier in der Stadt Arbeit gefunden. Natürlich erzählte Elli ihm, was das für ein besonderer Zufall war, einmal der Name Oskar und dann auch noch Tischler. Doch Oskar war interessiert und wollte mehr von ihrem Opa wissen. Ehe Elli weitersprechen konnte, kam die Vermieterin von ihrem Einkauf zurück und Oskar schaute sich erst mal die Wohnung an. Eine halbe Stunde später stand er wieder vor ihr und reichte ihr die Hand. „Auf gute Nachbarschaft! Ich nehme die Wohnung. Sie ist nicht zu teuer aber ein bisschen klein.“ Wieso klein, zieht noch jemand mit dir ein?“ Bei dieser Frage krampfte sich ihr Magen ein wenig zusammen, irgendwie gefiel ihr der Gedanke nicht. „Nein, ich bin allein, aber ich hätte schon gern ein extra Zimmer, wo ich meinem Hobby nachgehen kann.“ Lass mich raten“, lachte Elli. „Du willst dir einen Bauernschrank selber zimmern.“ Oskar schaute sie fassungslos an. „Woher weißt du das, es ist mein geheimer Wunsch und ich habe noch nie mit jemand darüber gesprochen. Bist du eine Hellseherin?“ „Ach was, ich hab das nur so gesagt, weil ich hier eine Geschichte über meinen Bauernschrank aufgeschrieben habe.“ Und sie klopfte bedeutungsvoll auf ihren Block.
Ab und zu trafen sich Elli und Oskar im Treppenhaus oder im Garten und wechselten ein paar Worte. Eines Abends jedoch klingelte er an ihrer Tür. „Hast du ein paar Minuten Zeit? Ich würde mir gern deinen Schrank ansehen und wenn du Lust hast, kannst du mir ja die Geschichte dazu erzählen.“ Und wie Elli Lust hatte. Sie freute sich über den Besuch und schleppte sogleich Getränke heran. Oskar bewunderte den Schrank und hatte so seine Zweifel, ob er wohl auch so ein solides Stück bauen könnte. „Du schaffst das schon, hast doch dein Handwerk gelernt.“ Elli war zuversichtlich, aber Oskar meinte, dass es vorläufig eh nicht geht, da ihm ja der Platz fehlt und auch noch einiges Werkzeug. Da hatte Elli eine Idee. „Wollen wir nicht mal die Vermieterin wegen dem alten Schuppen im Garten fragen? Ich weiß nicht, ob sie ihn nutzt, mein Opa hat ja dort gearbeitet. Das wäre doch lustig, wenn nun wieder ein Oskar dort sein Unwesen treibt,“ fügte sie verschmitzt hinzu. Oskar wurde hellhörig. „Ein Schuppen soll da sein? Hab ich noch garnicht gesehen.“ „Doch, ganz hinten, ich war noch nie dort. Frau Müller hat einen Zaun um ihren Garten und die Tür ist sicher abgeschlossen.“ Oskar schwieg. Nach einer Weile fragte er nach der geheimnisvollen Geschichte und Elli erzählte ihm alles.
„Bist du sicher, dass dein Großvater die Wahrheit gesagt hat?“ „Wir brauchen es doch nur auszubrobieren, dann wissen wir Bescheid,“ erwiederte Elli und nippte an ihrem Glas. Mit einem Lachen tat es Oskar ab und es wurde an diesem Abend nicht mehr darüber gesprochen.
Die Flasche Wein war leer und Oskar verabschiedete sich, aber nicht ohne Elli daran zu erinnern, bald mit der Vermieterin zu sprechen.
Was Elli von der Vermieterin erfuhr, klang vielversprechend. Frau Müller hatte das Haus sammt Garten und Schuppen von ihrer Mutter geerbt. Aber es war schon ein bißchen kompliziert, denn Ellis Großmutter hatte den Schuppen gekauft und alles sollte darin so bleiben, wie es ihr Mann verlassen hatte. Jedoch durfte die Vermieterin weiterhin ihre Gartengeräte und diverse Dinge abstellen. „Sie können jederzeit in den Schuppen, den Schlüssel bekommen sie noch“, sagte die Vermieterin und Elli war glücklich. Natürlich wollte sie Oskar gleich die frohe Botschaft überbringen. Doch Oskar war im Moment nicht zu Hause und so ging Elli allein auf Entdeckungstour.
Im Schuppen war es dunkel, denn durch die schmutzigen Scheiben kam kaum Licht. Außerdem standen draußen große Apfelbäume, welche jetzt reiche Ernte trugen. Hier sieht man ja garnichts, außer lauter Gerümpel, dachte Elli. Trotzdem ging sie noch einige Schritte vorwärts. Und da hörte sie das Geräusch zum ersten mal. Es klang wie ein leises Zwitschern, als ob ein Vogel sein Nest hier gebaut hat und die junge Brut würde im Schlaf dieses zarte Zwitschern von sich geben.
Am nächsten Tag ging sie dann mit Oskar und einer Taschenlampe bewaffnet in Großvaters ehemalige Werkstatt. Oskar war begeistert. Er sah nicht den Schmutz und das Gerümpel, sondern nur, dass er nun endlich Platz für sein Hobby hatte. Im hinteren Teil entdeckte er sogar noch brauchbares Werkzeug und rief Elli heran. „Schau mal, das ist Qualität. So alt schon und noch nicht verrottet, obwohl das Dach undicht ist. Aber sag mal... das gehört ja deiner Großmutter alles, wir müssen sie fragen. Vorher hat es keinen Zweck aufzuräumen.“ Oskar verrenkte seinen Kopf als ob er lauscht und meinte dann: „Spinne ich, oder hörst du auch das Zwitschern?“
Bei einem ihrer nächsten Besuche im Altenheim bei der Großmutter brachte Elli das Gespräch auf den Schuppen. Sie erzählte ihr, dass sie einen guten Freund hat, der Tischler ist und dort gerne arbeiten würde. Ihre Oma war sofort einverstanden und fing an zu schwärmen, wie schön es damals war, als Oskar noch lebte. „Manchmal brachte ich ihm eine Tasse heißen Kaffe hinter oder ich wollte einfach nur zuschauen wie er arbeitet. Oskar stellte dann seine Maschinen ab und wir setzten uns hin und plauderten ein Weilchen. Anfangs fragte er mich immer, ob ich das Zwitschern höre, aber ich glaube seine Ohren waren etwas geschädigt von den lauten Maschinen. Einmal hat er mir eine Holzfigur geschenkt, die er gebastelt hat, aber die war so gruslig, die wollte ich nicht in der Wohnung haben. Besonders, nachdem er mir erzählt hatte, das dies eine Nachbildung eines Geistes aus dem Bauernschrank sein sollte. Er hat sie sorgfältig eingewickelt und in dem Schuppen gelegt. Ich hab sie nie wieder gesehen.“ Die Oma redete noch weiter von vergangenen Zeiten und Elli wagte nicht sie zu unterbrechen. Sie hätte ihr gern gesagt, das ihr Freund auch Oskar heißt und das sie auch das Zwitschern gehört hat. Doch ihre Oma war schon in ihre eigene Welt abgedriftet und sprach über Oskar, der jede Nacht an ihrem Bett stand. „Aber stell dir vor Elli, er hat jetzt dunkle kurze Haare und er ist wieder jung. Er spricht mit mir und sagt ich soll bald zu ihm kommen. Weißt du, ich habe ihn an seinen Augen erkannt.“ Und so ging es noch eine Weile weiter. Als Elli sich verabschiedete, sagte ihre Oma: „Bring doch deinen Freund mal mit her, ich möchte ihn kennenlernen.“
Nachdenklich fuhr Elli nach Hause. Sie hatte begriffen, dass nicht alles Spinnerei sein konnte, was Großmutter erzählte, schließlich hatte sie auch das Zwitschern gehört. Ein Weilchen dachte sie darüber nach und kam zu dem Schluß, dass im Schuppen Vögel nisten, vielleicht Schwalben oder so. Das wäre eine logische Erklärung.
Am Wochenende stand sie dann mit Oskar im Schuppen und es wurde aufgeräumt. So begeistert hatte sie ihn noch nicht gesehen. Er schmiedete schon Pläne für die Zukunft, dass er sich hier bestimmt auch Selbstständig machen könne. Aber erst mal mußte das Dach repariert werden. Sonntag Abend war alle Arbeit getan. Im Garten stapelte sich ein Haufen von unbrauchbarem Holz.
„Wir könnten nächstes Wochenende Einweihung feiern und ein Lagerfeuer machen“, meinte Elli fröhlich. „Gute Idee, kann ich meinen Arbeitskollegen mitbringen?“ „Ja klar doch, ich bringe meine Freundin mit und wir machen es uns gemütlich. Frau Müller müssten wir aber auch einladen, schließlich ist es ihr Garten.“ Eigentlich wollte Elli Oskar noch erzählen, was sie von ihrer Oma erfahren hatte, doch sie war viel zu müde und kaputt, schließlich hatte sie zwei Tage hart gearbeitet. Später, als sie frisch geduscht in ihrer kleinen Stube saß, griff sie zu ihrem Block und schrieb weiter. Vielleicht wird es mal ein spannendes Buch und ich werde eine berühmte Schriftstellerin, dachte Elli zuversichtlich, als sie später im Bett lag und lange nicht einschlafen konnte. An Oskar dachte sie auch und mußte sich eingestehen, dass sie in ihn verliebt war. Ein Leben ohne Oskar war inzwischen undenkbar.
Das Lagerfeuer knisterte und knackte und manchmal knallte es und die Funken flogen bis hoch über die großen Apfelbäume. Elli saß auf auf einer alten Kiste und schaute in die kleine Runde. Das Feuer zauberte bizarre Schatten auf die Gesichter und ihr Blick blieb an Oskar hängen. Oskar erstaunte sie immer wieder. Er hatte die kleine Feier so gut vorbereitet. Auf dem Tisch hinter ihr standen noch die Reste seines selbstgemachten Nudelsalates. Dazu hatte er Würstchen gebraten und einen wirklich leckeren Schafkäsesalat gezaubert. Auch das Bier, welches sie in der Hand hielt hatte er spendiert. Es ging auf Mitternacht zu und alle hatten sich in warme Decken gehüllt. Nur nicht Oskars Kollege Ben. Der hatte seine Gitarre mitgebracht und klimperte leise darauf. Ellis Freundin Sanna saß dicht neben ihm und summte die Melodie mit. Ihre Vermieterin, Frau Müller war der Einladung gefolgt, hatte sich aber bald nach dem Essen verabschiedet. So saßen sie nun zu viert um das Feuer und waren schon etwas schläfrig. Doch plötzlich machte Ben ein paar laute Akkorde und dann spielte er ein lustiges Lied. Nun sangen alle lauthals mit. Oskar rückte näher an Elli heran. „Was für ein schöner Abend, findest du nicht auch?“ „Ja, es ist schön hier im Garten und dein Kollege scheint ja ein ganz Netter zu sein. Fällt dir auch auf, dass er sich schon den ganzen Abend mit Sanna beschäftigt? Ich glaube sie mag ihn auch. Aber sag mal, ist dein Kumpel verheiratet oder anderweitig gebunden, ich möchte nicht das meine beste Freundin enttäuscht wird.“ Oskar versprach sich darum zu kümmern und wollte Ben unauffällig auf den Zahn fühlen. Dann legte er seinen Arm um Elli und sie ihren Kopf auf seine Schulter und gemeinsam sangen sie die alten Volkslieder, die Ben spielte.
Monate waren vergangen. Oskar versuchte im Schuppen die alte Kreissäge in Gang zu bringen. Doch er war nicht ganz bei der Sache. Immer wieder wanderten seine Gedanken auf Arbeit. Er hatte damals Ellis Wunsch entsprochen und sich vorsichtig bei Ben erkundigt, wie er zu Sanna steht. Ben hatte nur gelacht und erwiedert, dass er die Tussi auch bald in die Kiste kriegt. Oskar verschlug es erstmal die Sprache, denn das hatte er nicht von seinem sogenannten Kumpel erwartet. Später erfuhr er dann von einem Kollegen, dass Ben verheiratet sein soll. Natürlich berichtete Oskar alles Elli, welche es dann schonend ihrer Freundin Sanna beibrachte. Was keiner von den beiden wußte: Sanna stellte Ben zur Rede, der wiederum Oskar beschimpfte. Dies ging soweit, dass Ben die Kollegen gegen Oskar aufhetzte und es artete in Mobbing vom Feinsten aus. Oskar war zwar ein geduldiger und ruhiger Mensch, welcher versuchte, mit allen auszukommen, aber was zur Zeit auf Arbeit ablief, war ausser Kontrolle geraten. Oskar war sauer, nein er war wütend und gekränkt. Wie konnte Ben ihm das antun? Jeder Arbeitstag war eine Qual und am liebsten würde er garnicht mehr hingehen. Im stillen schimpfte er sich eine Memme und ärgerte sich, dass er nichts gegen Ben unternahm.
„Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, du bist in letzter Zeit immer so komisch“? Elli war unbemerkt herein gekommen und sah ihn nun fragend an. Oskar wußte nicht recht, was er antworten sollte, er hatte bisher alles in sich reingefressen und Elli nichts erzählt. „Komm schon, mach eine Pause, ich hab Kaffee mitgebracht. Setz dich zu mir und rede mit mir“, sagte Elli und stellte zwei Hocker zusammen. Oskar setzte sich brav hin, nippte an seiner Tasse und dann brach alles heraus aus ihm. Nachdem er fertig mit erzählen war, saß er da und ließ den Kopf hängen.
Elli war entsetzt. Wieso hatte sie ihn nicht eher angesprochen? Sie hatte doch schon lange gemerkt, dass sich Oskar verändert hatte. Sie schaute lange zu ihm hin und aus ihr quoll Liebe und Mitleid. Dann stand sie auf und nahm Oskar in die Arme. Sie hielten sich fest und konnten lange nicht sprechen. Doch dann schlug Ellis Mitleid in Zorn um und sie zog böse über Ben her. Aber einen Ausweg aus dieser vertrakten Situation wußte sie auch nicht - bis ihr plötzlich eine Idee kam.
„Oskar, du mußt nicht zu den Idioten auf Arbeit rennen. Mach dich doch einfach Selbstständig und arbeite hier im Schuppen. Bei meinem Großvater hat es doch auch geklappt.“ Elli fand ihre Idee wunderbar und strahlte ihn an. „Ich könnte an der Uni Zettel verteilen und für dich Reklame machen und wir könnten eine Anzeige in die Zeitung setzen.“ Elli hatte noch viele Ideen und langsam fasste Oskar Mut. Er wußte schon, dass es ein schwerer Anfang werden würde und dass es einige Hürden zu überwinden gab.
Sie sprachen an diesem Abend noch lange und schmiedeten Pläne. Oskar war zum Schluß ganz begeistert, sollte doch sein Traum in Erfüllung gehen.
Die nächsten Wochen und Monate waren ausgefüllt mit Behördengängen, Gespräche mit der Bank und vielen anderen lästigen Dingen, welche aber erledigt werden mußten. Oskar hatte noch immer nicht gekündigt und seltsamerweise waren die Kollegen wieder freundlicher, was sicher auch an seinem selbstbewußten Auftreten lag. Oskar ließ sich nichts mehr gefallen und das verschaffte ihm Respekt, sehr zum Leidwesen von Ben.
„Aus der Traum“!, sagte Oskar nach etlichen Monaten banger Wartezeit. Er hatte den Brief der Bank vor sich und seine großen Hände zitterten leicht. Eigentlich hatte er ja damit gerechnet, denn er konnte keinerlei Sicherheiten bieten. Doch da der beantragte Kredit nicht in die Millionen ging, war schon Hoffnung vorhanden. Die zerplatzte nun wie eine Seifenblase. Also weitermachen wie bisher, dachte er traurig und enttäuscht.
Als Elli am Nachmittag ziemlich geschafft nach Hause kam, hatte er schon wieder neuen Mut gefasst. Oskar erklärte Elli lang und breit, dass er den Schuppen selbst auf Vordermann bringen wolle und die alten Maschinen würden wohl auch noch eine Weile ihren Dienst tun.
Elli war stolz auf Oskar. Nein, er war gewiss kein Weichei und sie versprach ihn mit allen Kräften zu unterstützen. Also hakten sie das Thema ab und schmiedeten neue Pläne.
Oskar saß an seinem kleinen Küchentisch und betrachtete die geschnitzte Holzfigur, welche er vorhin in einer Nische des Schuppens gefunden hatte. Sie war aus hellem Buchenholz, aus einem Stück gearbeitet und sehr gut erhalten. Doch das helle Holz milderte nicht den gruseligen Eindruck, den sie verbreitete. Sieht fast so aus wie ein Teufel, nur ohne Hörner, dachte Oskar und strich ehrfurchtsvoll über die gelungene Schnitzarbeit. Die kleine Figur stand auf einem Baumstamm und hatte die Arme wie drohend erhoben. So richtige Arme waren es garnicht, denn sie waren aus Ästen, wie auch der gesamte verkrümmte Körper. Statt Haare befanden sich auf dem Kopf dünne verknorpelte Zweige. Die Augenhöhlen, tief und dunkel, sahen ihn boshaft an und der verzerrte Mund war weit offen und zum Schrei erstarrt. Oskar schaute wie gebannt und bemerkte nicht, dass durch das geöffnete Fenster die Sommersonne hell herein schien. Seine Gedanken wanderten zu dem alten Bauernschrank. Bisher hatte er noch nicht den Versuch unternommen, hinein zu steigen. Und plötzlich mußte er an Ellis Oma denken. Gemeinsam mit Elli hatten er an ihrem Bett gestanden und gewartet bis sie aufwachte. Was dann kam hatte keiner erwartet. Als die Oma ihn sah stieg Freude in ihr altes verrunzeltes Gesicht. „Oskar, mein Lieber, schön, dass du endlich da bist. Ich habe jeden Tag auf dich gewartet. Ich habe nachts wach gelegen und gewartet, dass du kommst. Oskar, mein Engel, wir wollten uns doch niemals verlassen! Warum hast du mir das angetan? Bitte gib mir einen Kuss! Bitte küss mich ein letztes mal“! Die letzten Sätze wurden immer leiser und Oskar hatte Mühe alles zu verstehen. Langsam beugte er sich zu der alten Frau hinunter, um ihr einen Kuss auf die runzlige, tränenverschmierte Wange zu geben. Dann fiel ihr Kopf zur Seite und Elli schrie auf.
So möchte ich auch sterben, dachte er traurig. Sie mußte wenigstens nicht leiden. Ein schöner Tod! Und wieder fiel sein Blick auf die Holzfigur. Endlich bemerkte er die helle Sommersonne und trat zum Fenster. Unten lag die Wiese in sattem grün und weiter hinten konnte er das Dach seiner Werkstatt sehen.
Elli hatte überall Reklame für ihn gemacht und er hatte einige kleine Aufträge bekommen, aber es reichte nicht, um die Arbeit auf dem Baumarkt hinzuschmeißen. Außerdem machte es wieder Spass. Sein bösartiger Kollege Ben, hatte gekündigt. Angeblich weil er was besseres gefunden hatte.
Oskar war es recht.
Plötzlich hörte er einen gellenden Schrei und sah kurz darauf seine Vermieterin, Frau Müller, wie sie unter den Apfelbäumen auf die Wiese zulief. „Kann ich helfen“?, rief er hinunter, doch Frau Müller war schon im Haus verschwunden und er hörte nur noch, wie sie ihre Tür zuknallte. Aber eine Minute später klingelte sie an seiner Tür. Völlig aufgelöst, berichtete sie dem erstaunten Oskar, was sich zugetragen hatte. „Ich habe im alten Schuppen meine Gartengeräte sortiert und bin auch mal hinter in ihre Ecke gegangen. Schmuck sieht es dort aus, Sie haben ja alle Maschinen wieder aufgestellt. Und wie ich mir das so betrachtet habe, höre ich doch aufeinmal so einen komischen Ton. Erst dachte ich, das kommt von draußen, aber dann war es genau neben mir. Das war so gruslig, Sie können sich das garnicht vorstellen, Herr Burmann. Irgend eine Gestalt flog an mir vorbei und hat ganz grässlich gelacht. Das gibts doch garnicht. Sehe ich schon Gespenster“?
„Setzen Sie sich doch erst mal hin, ich hab noch einen Schnaps, den trinken Sie und dann sieht die Welt wieder besser aus“.
Frau Müller saß noch immer in Oskars Küche, als Elli mit einem Berg Kuchen nach Hause kam. Natürlich erzählte sie ihr alles haarklein, aber sie hatte sich schon wieder beruhigt und zweifelte nun an ihrem Erlebnis. „Vielleicht war es eine Fledermaus“, sagte Elli leichthin, doch sie wollte selbst nicht glauben, was sie da versuchte, Frau Müller einzureden.
Später zeigte ihr Oskar dann die Holzfigur. An diesem Abend beschloss Oskar in den Bauernschrank zu gehen.
Aber wie sollte er das anstellen? „Am besten du nimmst auch ein Bier in die Hand und konzentrierst dich ganz auf den Schrank. Soll ich dabei bleiben, oder willst du lieber allein sein“? „Bleib mal lieber da, dann kannst du mich vor den bösen Geistern retten“, lachte Oskar, denn er hatte überhaupt keine Angst. Sie legten den Sonntag für ihr Experiment fest!
Endlich kam der Sonntag. Oskar hatte im Laufe der Woche immer wieder in Ellis Bauernschrank gewühlt; Sachen raus - Sachen rein. Sogar hinter den Schrank hatte er geschaut, konnte aber nichts aussergewöhnliches feststellen. Auch versuchte er heraus zu bekommen, wieso man immer nur eine Tür öffnen konnte, nie beide gleichzeitig. Aber auch diese Erkenntnis blieb ihm verwehrt. Naja, ist ja auch egal, murmelte er vor sich hin, Sonntag klappt es oder nicht. Aber danach ist Schluß mit Geistern und Gespenstern. Ich werde Elli schon beruhigen.
Und nun war Sonntag und Oskar hatte sich schon ein Bier organisiert. Er setzte sich in den alten schweren Sessel und dachte an das Innenleben des mysteriösen Schrankes. Wohl an die fünf Minuten saß er stumm da. „Was ist los, klappt es nicht“?, fragte Elli, welche in der Küche saß und von dort aus das Geschehen beobachtete. „Nein, ich weiß auch garnicht so recht worauf ich mich eigentlich konzentrieren soll. Ich kann ja schließlich nicht an seine damalige Freundin denken, die kannte ich doch nicht“. „Weißt du was“?, sagte Elli, „stell doch einfach deine Gruselfigur auf den Tisch und konzentriere dich darauf“. „Meinst du das bringt was“? fragte Oskar, stand aber auf und holte seine Holzfigur.
Elli wurde es langsam langweilig auf ihrem unbequemen Küchenstuhl. Lange zehn Minuten waren vergangen und nichts, aber auch garnichts war passiert. Vielleicht ist Oskar eingeschlafen, dachte sie, ich werde ihn jetzt wecken, hat ja eh keinen Sinn.
„Oskar“!, rief sie vorsichtig, dann etwas lauter: „Oskar, schläfst du, mach die Augen auf“!
Oskar hob langsam die Hände und rieb sich verschlafen die Augen. „Ich glaube, ich bin eingeschlafen, Elli. Aber ich habe nichts geträumt, weder von Geistern noch dass ich im Schrank war. Komm, wir machen für heute Schluß, ich bringe nur noch die Holzfigur in den Schuppen, ich möchte sie nicht mehr in der Wohnung haben“.
Doch was war das? Beide schauten entgeistert und ungläubig auf den Tisch. Dort hätte die Figur stehen müssen. Solange sie auch suchten, auch Jahre später, die gruselige Holzfigur blieb für immer verschwunden.